Eine apokryphe Renategeschichte
von Martin Jordan

     XVII. Die Radtour

     Am Sonntag bin ich mit meinem neuen Mountainbike am AuKultZent vorbeigekommen. Dort waren gerade eine Menge Frauen dabei, Fahrräder aus Kombis zu laden. Die Frauen standen in Gruppen umher und haben sich unterhalten, gelacht und Sekt aus Plastikbechern getrunken. Die Renate ist auch dabeigewesen mit ihrem neuen Liegefahrrad und der Lena. Ich bin rübergefahren und habe sie begrüßt. Renate hatte wohl schon ein paar mehr Sekt getrunken, sie ist richtig albern gewesen. »Oh ciao«, hat die Renate gerufen, wie ich gekommen bin, »das ist aber nur für Frauen hier — hahaha, war nur Spaß, jetzt können wir noch quatschen, es geht ja noch nicht los« »Was geht noch nicht los ?« habe ich gefragt und den Helm abgenommen. »Heute ist doch die Radtour von der ÖFFFI, der Ökologisch-feministischen Frauenfahrradinitiative« Ich habe gesagt, das klingt ja fast so lustig wie ›Antifaschistische Männerbauchtanzgruppe‹. »Wieso, was ist mit der ?« hat Renate gefragt.
     Nach und nach sind die anderen Frauen eingetrudelt, haben alle erstmal gequatscht und Sekt aus Plastikbechern getrunken. Dann hat die Heike gerufen : »Es geht los, alle zusammenbleiben« Dann ist einem Mädchen die Signalfahne von dem Fahrrad von der Lena ins Auge geschlagen, weil, die Lena kann nicht so gut fahren, und ist hingefallen. Das hat dann nochmal eine halbe Stunde gedauert, bis das Mädchen zum kinderärztlichen Notdienst gebracht worden ist. Dann ging es aber doch los. Ich bin in einigem Abstand hinterhergefahren. Die Radtour sollte durch den Stadtteil gehen auf der Suche nach Frauenorten. Es wurden besichtigt :
     — die Bleistiftfabrik, wo die Nationalsozialisten Ostarbeiterinnen beschäftigt haben (Betroffenheit)
     — der Laden, wo zwei Frauen afrikanische Mode verkaufen (Begeisterung)
     — Die Bushaltestelle, wo 1976 ein Exhibitionist sein Unwesen trieb (Empörung)
     — der Pornoladen und die Las-Vegas-Bar (Farbeier, Sprühen von Parolen)
     — der Fahrradladen, den die Jutta macht
     Heike hat sich vorher genau informiert gehabt und ein Megaphon dabeigehabt. Sie hat total interessante Sachen erzählt, die ich auch noch nicht gewußt habe, obwohl ich in der Arbeitsgruppe ›Stadtteilgeschichte‹ bin. Dann sind die Frauen alle in der Frauenini von dem Stadtteil bei Kaffee und Kuchen und Saft für die Kinder eingekehrt.
     Das mit dem Auge von dem Mädchen war dann doch nicht so schlimm. Hauptsächlich war das wohl der Schreck, hat die Ärztin gesagt. Da bin ich froh. Renate natürlich auch.

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