Worte über Weimar

Nicht übel — bis auf den Schluß,
der an Goethes Art und Weise erinnert

Frühjahr 1830, Wandsbek. Heinrich Heine im Gespräch mit Johann Peter Lyser

     »Übrigens habe ich dieser Tage einige Lieder in einem Leipziger Journale von einem Dichter : ›Hermann Meynert‹ gelesen, die mich frappiert haben; unter allen meinen Epigonen hat keiner so meine Art und Weise getroffen als eben der, und einige dieser Nachbildungen sind wirklich poetisch ! — Spaßeshalber : versuchen Sie’s mal hier auf der Stelle, in meiner Manier ein Liedchen zu improvisieren, ein bißchen frivol, denken Sie dabei an die schöne Wantuh und Ihr letztes Abenteuer mit derselben bei Lotz, als Madame Lotz nicht zugegeben war.«
     Ich ließ mich nicht lange bitten und warf ein Liedchen hin, welches die Veranlassung zu einem der anmutigen Lieder Heines wurde, weshalb ich es hier mitteile. Es lautet :

»Magst du dich auch selbst belügen,—
Mich belügst du nicht, mein Kind !
Möglich, daß die Küsse trügen,
Wie oft Worte möglich sind.

Nicht entscheid’ ich solche Fragen !
Lüg’ mit Worten, lüg’ im Kuß,
Lüge dreist — ich will’s drauf wagen,
Weil ich dich schon lieben muß.«

     Heine las das Lied und sprach rasch : »Nicht übel — bis auf den Schluß, der an Goethes Art und Weise erinnert — warten Sie ! So würde ich’s gegeben haben !« Und er schrieb :

»In den Küssen — welche Lügen !
Welche Wonne in dem Schein ! —
Ach, wie süß ist das Betrügen,
Süßer noch : betrogen sein.

Liebchen, wie du dich auch wehrest,
Weiß ich doch, was du erlaubst !
Glauben will ich, was du schwörest !
Schwören will ich, was du glaubst !«

     Heine reichte mir das Lied, und als ich es gelesen hatte, drehte ich das meinige zusammen und benützte es als Fidibus, womit ich mir die Zigarre anzündete.
     »Wenn ich Sie nicht besser kennte«, lachte Heine, »würde ich Sie für schrecklich eitel und empfindlich halten, so hab’ ich Sie recht verstanden — mein Lied ist gut, wie ?«
     »Ja, wahrhaftig !« —
     »Wohl, es soll mit in die neue Ausgabe des Buches der Lieder ! Und jetzt wollen wir einen Spaziergang machen; einer besonderen Toilette meinerseits bedarf es nicht.«

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