Otto Reutter
Das MeisterCouplet von 1919

In fünfzig Jahren ist alles vorbei


Denk’ stets, wenn etwas dir nicht gefällt :
»Es währt nichts ewig auf dieser Welt.«
Der kleinste Aerger, die größte Qual
Sind nicht von Dauer, sie enden mal.
Drum sei dein Trost, was immer es sei :
»In fünfzig Jahren ist alles vorbei.«

Und ist alles teuer, dann murre nicht,
Und holt man die Steuer, dann knurre nicht.
Und nimmt man dir alles, dann klage nicht,
Und kriegst du den Dalles*, verzage nicht —
Nur der, der nichts hat, ist glücklich und frei,
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und ist auch ein andrer klüger als du,
Dann sei nicht dämlich — und lach’ dazu.
Was nützt sein Wissen — stirbt der vorher,
Bist du am nächsten Tag klüger als der.
Wer da weiß, daß er nichts weiß, weiß vielerlei —
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und geht zu ’nem andern dein Mägdelein,
Dann schick’ ihr noch ’s Reisegeld hinterdrein.
Und bist du traurig, denk’ in der Pein :
»Wie traurig wird bald der andere sein.«
Dem macht sie’s wie dir — die bleibt nicht treu
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und siehst du ’ne Zeitung, dann schau nicht hin,
Es steht ja doch bloß was Schlechtes drin.
Und schafft dir die Politik Verdruß :
Es kommt ja doch alles, wie’s kommen muß.
Heut’ haben wir die, morgen jene Partei
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und stehst du nervös am Telephon
Und du stehst und verstehst da nicht einen Ton,
Oder bist beim Zahnarzt — wenn er dich greift
Und dich mit dem Zahn durch die Zimmer schleift,
Und er zieht und er zieht und bricht alles entzwei —
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und platzt dir ein Knopf — am Hemd zumeist —
Und hast du ein Schuh’band, das stets zerreißt —
Und hast ’ne Zigarre du, die nicht zieht,
Und hast du ein Streichholz, das gar nicht glüht :
Nimm’ noch ’ne Schachtel, nimm’ zwei oder drei,
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und fälscht man dir Schokolade und Tee,
Und verspricht man dir echten Bohnen=Kaffee,
Und du merkst, daß der Kaffee — wie schauderbar ! —
Eine bohnenlose Gemeinheit war,
Dann schließ’ die Augen und sauf’ den Brei —
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und sitzt in der Bahn du ganz eingezwängt,
Und dir wird noch ’ne Frau auf den Schoß gedrängt,
Und die hat noch ’ne Schachtel auf ihrem Schoß,
Und du wirst die beiden Schachteln nicht los,
Und die Füße werden dir schwer wie Blei :
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und führst ’nen Prozeß du — ertrag’ die Qual.
Und hörst du ’ne Oper — sie endet mal.
Und hast du Magenweh und mußt ’raus
Und da ist schon jemand, dann harre aus.
Wie lang es auch dauert, der Platz wird frei —
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und bist du ein Eh’mann und kommst nach Haus,
Halb drei in der Nacht — und sie schimpft dich aus,
Dann schmeiß dich ins Bette und sag’ : »Verzeih’,
Wär’ ich zu Hause geblieben, wär’s auch halb drei.«
Und kehr’ ihr den Rücken und denk’ : »Nu schrei !
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.«

Und stehst du hier oben als Humorist,
Obwohl du bei den Zeiten traurig bist,
Und du merkst, dein Vortrag gefällt nicht recht,
Und du selber findest die Verse schlecht,
Sing’ immer weiter die Litanei :
In fünfzig Jahren ist alles vorbei.

Und fürchte dich nie, ist der Tod auch nah,
Je mehr du ihn fürcht’st, um so eh’r ist er da.
Vorm Tode sich fürchten, hat keinen Zweck,
Man erlebt ihn ja nicht, wenn er kommt, ist man weg.
Und schließlich kommen wir all an die Reih’ —
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei

Drum : Hast du noch Wein, dann trink’ ihn aus,
Und hast du ein Mädel, dann bring’s nach Haus
Und freu’ dich hier unten beim Erdenlicht.
Wie’s unten ist, weißt du — wie oben nicht.
Nur einmal blüht im Jahre der Mai
Und in fünfzig Jahren ist alles vorbei — —

Du Rindvieh, dann ist es vorbei !

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* Berliner Jargon. In etwa : psychotischer Schub oder Rappel o.ä