Peter Noziere, Spaziergänge in Saint=Valéry=sur=Somme, 16-18. August

     Die Karussellorgel ächzt den ganzen Abend auf der Place des Pilotes und verbindet sich mit dem Rauschen der Wogen, das die Weisen des Vorstadtballes zerreißt. Die Holzpferde, auf denen hübsche Pariser Dämchen und zerlumpte kleine Fischer sitzen, drehen sich ohne Unterlaß.
     Ich habe lange über die Holzpferde nachgedacht. Ich wollte sie methodisch studieren. Aber die Größe der Aufgabe erschreckte mich. Und darin entdeckte ich zunächst eine große Schwierigkeit. Wenn man sich bemüht, die verschiedenen Empfindungen festzustellen, die den menschlichen Organismus schmerzlich erregen, kann man auf Erfolg hoffen. Wenn wir zum Beispiel sagen, daß ein Schmerz heftig oder stumpf sei, daß er nagend oder blitzartig sei, machen wir uns ganz gut verständlich. Hingegen packt uns eine unüberwindliche Verlegenheit, wenn wir angenehme Empfindungen in Worten darstellen wollen, denn alle, die vom regelmäßigen Spiel der Organe gezeugt werden, sind gewöhnlich und häufig und entwischen den Abschätzungen unserer in Tonbildern darstellenden Sprache. Wenn man sagt, diese Empfindungen seien stürmisch oder sanft, sagt man gar nichts; die vielbenützten Ausdrücke des Entzückens und der Begeisterung sind unklar. Es scheint also, daß der Körper den Genuß schwerer abstufen kann als den Schmerz. Zweifellos aus diesem Grunde scheitere ich an der Aufgabe, das Vergnügen am Karussell mit dem bloßen Mittel des Wortes fühlbar darzustellen. Es ist immerhin gewiß, daß dieses Vergnügen groß ist. Aus dem beweglichen Kreis dringen Schreie der Wollust, die das Getöse der Orgel und der Posaunen durchdringen. Und nach einigen Drehungen der Maschine sieht man nur trunkene Blicke, feuchte Lippen, ohnmächtige Köpfe. Die jungen Frauen bekommen den Ausdruck, den der antike Bildhauer den Bacchantinnen verlieh. Und die kleinen Kinder, in der Entwicklung der Wollust noch nicht so weit vorgeschritten, werden, steif, ernst, mit geröteten Wangen, die Beute eines unbekannten Gottes. Ich spreche nicht von denen, die krank werden. Es gibt auch solche. Aber das sind Ausnahmen. Was sie auch empfinden, die Großen wie die Kleinen, ist verschwommen köstlich.
     Im Karussell, auf der Rutschbahn, auf der Schaukel werden sie bewegt, geschüttelt, erregt, ihr ganzes Wesen ist in Aufruhr, ihr Blutkreislauf in höchster Tätigkeit; sie fühlen stärker, daß sie leben. Sie genießen das leichte Spiel ihrer Organe, sie seufzen, sie lösen sich auf; sie erbeben unter unsichtbarem Kosen : sie sind glücklich.
     Das Karussell wird so alt werden wie die Menschheit, weil es auf einen tiefen Trieb der Kindheit und der Jugend antwortet, es antwortet auch der Sehnsucht nach Bewegung, dem Bedürfnis nach Rausch, dem geheimen Drang, fortgerissen, gewiegt, betört zu werden, all dem, was man in kindlichen Stunden, in jugendlichen Stunden empfindet. Später fürchten wir diese Bewegungsmaschinen; wir fürchten, daß der kleinste Stoß erstickte Leiden in uns wiederbelebt. Aber im göttlichen Alter der Holzpferde erweckt jede Erschütterung Wollust.

***