Der Mann mit dem Namen

Paul Gurk
fragt

Warum soll man den Leuten
ohne Not ins Gesicht lachen ?

Berlin, den 12. November 1952

Sehr verehrter Herr Fechter,

Ihr freundlichst durch Vermittlung des Verlages gespendeter dicker Wälzer hat unlogisch, aber doch tatsächlich, das Herz etwas leichter gemacht. Die hohe Wertschätzung eines bedeutenden Kritikers hat mich überrascht. Ich war schon daran gewöhnt, als »Plüsch« von den Spitzen des Katers Murr abgeschrieben zu sein, besonders von den weiblichen, so daß ich dankbar Ihre eindringliche Würdigung mir einverleibt habe und mindestens zwei Tage etwas weniger geduckt um die Ecken meines Nordens geschlichen bin. Erreichen werde ich nichts mehr, und wenn ich mit Engelszungen redete. Ein Mann über 70 kann eben, falls er nicht Politiker oder Diktator ist, nicht zeitgemäß sein, und daß ein Drama über Hammurabi etwa zeitgemäßer sein kann, falls es etwas taugt, als alle Großreportagen über Bombennächte, will man eben nicht begreifen. Das Ewige ist immer zeitgemäß, das Zeitgemäße aber durchaus nicht immer ewig, im Gegenteil : das Zeitgemäße steht dem Ewigen im Wege. Haut oder Maske ist nicht das Entscheidende.
     Für eine Neuauflage eine Berichtigung : »Berlin« ist bereits 10 Jahre früher geschrieben. Ich habe nie am Alexanderplatz geschrieben, sondern zuerst bei Wertheim am Dönhoffplatz, dann bei Zuntz, Leipziger Straße und Spittelmarkt. »Wallenstein und Ferdinand II.« entstand an einem bestimmten Tisch bei Zuntz, Leipziger Straße, das indische Schauspiel »Der Mantel der Durga« an einem bestimmten Fensterplatz desselben Zuntz. War der Tisch nicht frei, wurde nicht geschrieben. Autoren sind etwas komisch.
     Ich schreibe noch immer, je aussichtsloser, desto merkwürdiger. Verleger haben mich — trotz vorliegender Verträge — gründlich im Stich gelassen. Mich mit ihnen juristisch zu zanken, habe ich weder Lust noch Geld. Mich ekelt das lange an. Im Jahr entstehen zwei bis drei Romane, Novellen, Fabeln, Verse, gelegentlich auch ein Bühnenstück. (Ich habe weit über 40 Bühnenstücke geschrieben. Aber alte Dichter können eben nicht schreiben !) Wissen Sie, daß weit über 20 Romanmanuskripte sich bei mir herumtreiben ? Angenommen — wie in Köln ein Menzelroman »Der Gnom« und Rübezahlnovellen — erscheinen aber nicht; die Novellen sind schon gesetzt. Manche Manuskripte haben seltsame Titel : »13 Teufel gehen um die Ecke«, »Ein ganz gewöhnlicher Mensch«, »Die Geschichte des Kaisers Sung aus der Tsungdynastie«, »Der Beamte« u.a.m.

     Leider habe ich z. Z. keine Pension und muß mich in der heutigen teuren Zeit als Alleinstehender mit meinem Überbrückungsgeld um das einfache Bestehen sorgen. Es scheint so, als ob ich noch recht lange auf meine Pension für 28 Dienstjahre lauern muß. Die Personalakten sind verbrannt worden. Der alte Beamte, der selbst im Kriege sehr oft Dokumente verlieren mußte, soll eben von sich aus alles nachweisen. Nun hat allerdings der Kultursenator Dr. Tiburtius, meine verlassene Einsamkeit bedauernd, in Aussicht gestellt, daß — vielleicht, wenn die Richtlinien erfüllt sind — zusätzlich zur Pension ein gewisser Geldbetrag bewilligt wird; dafür soll ich aber nachweisen, daß ich keine unterhaltspflichtigen Kinder habe, welche Miete ich habe, wie hoch meine Pension ist. Das schmeckt also nach Sozialunterstützung. Ich habe diese Form abgelehnt. Wenn meine Pension auch nur bescheiden ausreicht, will ich gar nichts. Künstler ohne übernationale Wirkung haben keinen Anspruch auf ein gutes Leben.
     Einiges ist erschienen. Ich habe aber nur von einer »Ostveröffentlichung« etwas gehabt, bis der Osten merkte, daß mich ein verschmitzter Lektor eingeschmuggelt hatte; dann wurde ich schleunigst als Nichtkommunist kaltgestellt. Die im Westen erschienenen sind schon verramscht (übrigens geschah das auch »Berlin«; »Tresoreinbruch« wurde von den Nazis verboten) — oder die Verleger sind bankrott — oder sie erfüllen die Verträge nicht.
     Mein letzter fertiger Roman behandelt das Julia-Erlebnis von E.T.A. Hoffmann 1811/12 in Bamberg. z. [!] Z. schreibe ich »Feldstr. 23«, den Roman eines Berliner Hauses (mit zermintem Hinterhause) als Zeitsymbol. Ich lasse mich nirgends sehen. Warum soll man den Leuten ohne Not ins Gesicht lachen ?
     Darf ich Ihnen als Zeichen des dankbaren Gedenkens den Roman »Laubenkolonie Schwanensee« beilegen ? Es ist einer meiner »Berliner« Romane und spielt im Norden, in meiner Jetztgegend. Allen meinen Romanen wie Personen liegt Tatsächliches zugrunde.

Herzliche Grüße Ihr Paul Gurk

Meine frühere Sekretärin sorgt und kocht für mich.

***