Zu d’Alemberts
malheur de l’Existence

die schönsten Applikationen aus dem Œuvre des von Schelling,
weiland außerordentlicher Professor schon mit 23 Jahren


     Alles, was wird, kann nur im Unmuth werden, und wie Angst die Grundempfindung jedes lebenden Geschöpfs, so ist alles, was lebt, nur im heftigen Streit empfangen und geboren. Wer möchte glauben, daß die Natur so vielerlei wunderliche Produkte in dieser schrecklichen äußern Verwirrung und chaotischen innern Mischung, da nicht leicht eines für sich, sondern durchdrungen und durchwachsen von andern angetroffen wird, in Ruhe und Frieden oder anders als im heftigsten Widerwillen der Kräfte habe erschaffen können ? Sind nicht die meisten Produkte der unorganischen Natur offenbar Kinder der Angst, des Schreckens, ja der Verzweiflung ? Und so sehen wir auch in dem einzigen Falle, der uns gewissermaßen verstattet ist, Zeugen einer ursprünglichen Erschaffung zu seyn, daß die erste Grundlage des künftigen Menschen nur in tödtlichem Streit, schrecklichem Unmuth und oft bis zur Verzweiflung gehender Angst ausgebildet wird. Wenn nun dieses im Einzelnen und Kleinen geschieht, sollte es im Großen, bei Hervorbringung der ersten Theile des Weltsystems, anders seyn ?

     Schmerz ist etwas Allgemeines und Nothwendiges in allem Leben, der unvermeidliche Durchgangspunkt zur Freiheit. Wir erinnern an die Entwicklungsschmerzen des menschlichen Lebens im physischen wie im moralischen Verstand. Wir werden uns nicht scheuen, auch jenes Urwesen (die erste Möglichkeit des äußerlich offenbaren Gottes), so wie es die Entwicklung mit sich bringt, im leidenden Zustand darzustellen. Leiden ist allgemein, nicht nur in Ansehung des Menschen, auch in Ansehung des Schöpfers, der Weg zur Herrlichkeit ... Aller Schmerz kommt nur von dem Seyn

     Freilich ist es ein Schmerzensweg, den jenes Wesen, was es nun seyn und wie es benannt werden möge, jenes Wesen, das in der Natur lebt und auf seinem Hindurchgehen durch diese zurücklegt; davon zeugt der Zug des Schmerzes, der auf dem Antlitz der ganzen Natur, auf dem Angesicht der Thiere liegt ... es ist schmerzlich ebensowohl zu seyn als nicht zu seyn, die Fesseln des Seyns zu tragen und sie nicht zu tragen, wenn gleich den meisten das Erste weniger begreiflich seyn wird. Man hat vor etwa 50 Jahren in Frankreich über das Wort eines Philosophen, d’Alembert, gelacht, der von dem malheur de l’Existence sprach, der indeß damit doch vielleicht wirklich ein tiefes Gefühl verknüpfte ... Auf einem andern Standpunkt kann eben dieses Loos der Endlichkeit (des Seyns nur im Nichtseyn wahrhaft zu genießen) wieder als Gegenstand einer höheren aber edleren Trauer, jener Schwermuth erscheinen, durch welche die Kunst in ihren höchsten Erzeugnissen ihre Hervorbringungen geadelt hat. Denn das ist der Grund und der wahre Sinn jener erhabenen Schwermuth, welche die edelsten Bildungen altplastischer Kunst ... selbst wieder über das Loos der Sterblichkeit erhöht, indem sie gleichsam als ihr Seyn wie ihr Nichtseyn ansehend vorgestellt werden. Die antike Kunst ist keineswegs so schlechthin heiter und leichtsinnig, wie sie einige übel berichtete Romantiker in neuerer Zeit dargestellt. Der Schmerz aber, der in ihr liegt, ist nur ein tieferer als jene Thränen, welche eine alltägliche Sentimentalität zu erregen die Macht hat ... wer wird sich noch über die gemeinen und gewöhnlichen Unfälle eines vorübergehenden Lebens betrüben, der den Schmerz des allgemeinen Daseyns und das große Schicksal des Ganzen erfaßt hat ?

     Dieß ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit ... Daher der Schleier der Schwermuth, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens.

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