Lichtenberg, Sudelbücher A 126


Ich habe schon auf Schulen Gedanken vom Selbstmord gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt schnurstracks entgegen liefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinisch für den Selbstmord disputierte und ihn zu verteidigen suchte. Ich muß aber gestehen, daß die innere Überzeugung von der Billigkeit einer Sache (wie dieses aufmerksame Leser werden gefunden haben) oft ihren letzten Grund in etwas Dunklem hat, dessen Aufklärung äußerst schwer ist, oder wenigstens scheint, weil eben der Widerspruch, den wir zwischen dem klar ausgedruckten Satz und unserm undeutlichen Gefühl bemerken, uns glauben macht wir haben den rechten noch nicht gefunden. Im August 1769 und in den folgenden Monaten habe ich mehr an den Selbst-Mord gedacht als jemals vorher, und allezeit habe ich bei mir befunden, daß ein Mensch bei dem der Trieb zur Selbst-Erhaltung so geschwächt worden ist, daß er so leicht überwältigt werden kann, sich ohne Schuld ermorden könne. Ist ein Fehler begangen worden, so liegt er viel weiter zurück. Bei mir ist eine vielleicht zu lebhafte Vorstellung des Todes, seines Anfangs und wie leicht er an sich ist schuld daß ich vom Selbstmord so denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gesellschaften und nicht aus einem Umgang zu zweit kennen werden sich wundern, daß ich so etwas sagen kann. Allein Herr Ljungberg weiß es, daß es eine von meinen Lieblings-Vorstellung[en] ist mir den Tod zu gedenken, und daß mich dieser Gedanke zuweilen so einnehmen kann, daß ich mehr zu fühlen als zu denken scheine und halbe Stunden mir wie Minuten vorübergehn. Es ist dieses keine dickblütige Selbst-Kreuzigung, welcher ich wider meinen Willen nachhinge, sondern eine geistige Wollust für mich, die ich wider meinen Willen sparsam genieße, weil ich zuweilen fürchte, jene melancholische nachteulenmäßige Betrachtungsliebe möchte daraus entstehen.

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