Martin Achterndieck

Sarah Connor - erste Wahrheiten

Ein Gespräch unter zwei Freunden. Mit einem Praktikanten

Ort der Handlung : eine Wohnung im hamburger Schanzenviertel, Eigentum der Waldemar-Koslowski-Autozubehörhandels-GmbH (in Liqu.), Küche, 2. Frühstück. Beteiligte Personen : Waldemar Koslowski, Attila von Wieder, Praktikant 1.
Waldemar Koslowski studiert die Bildzeitung, Attila von Wieder blättert gelangweilt in der Musikwoche, der Praktikant frankiert Briefe (an u. a. George W. Bush, Papst, Getränke-Hoffmann).

Attila von Wieder (AvW) : Das läuft ja nicht schlecht für die.
Waldemar Koslowski (W.K.) : Was willst du uns sagen, Freund ?
AvW : Sarah Connor.
W.K. : Wollen wir wirklich über Sarah Connor 2 reden ? Nun gut : was wißt ihr über sie ?
Praktikant (p) (vorlaut) : Sie sieht gut aus 3, hatte einen Auftritt mit fleischfarbenem Slip bei Gottschalk und verkauft megaviele Platten, ist ganz oben in den Single- und LP-Charts, nicht nur in Deutschland, auch in Europa, dort aber nicht in England oder Frankreich, sondern in Österreich, Schweiz, Polen und Tschechien.
W.K. : Hast du nicht was vergessen ? 4
p : Nö.
AvW : Tschechei ? Polen ?
W.K. : Das heißt jetzt Tschechien, alter Freund.
AvW : Na gut.
p : Ich weiß nicht, Boß.
W.K. : Sag nicht Boß, sag Meister.
p : Ich weiß nicht, Meister.
W.K. : Chartsplazierungen ? Gold ? Platin ? Airplaycharts ? Formatradiocharts ? Vor allem aber dies, Sportsfreund : wo kommt sie her, die Sarah ?
Praktikant : Moment ... (durchblättert seine Unterlagen) Kann ich grad nicht ...
W.K. (donnernd) : Delmenhorst ! Delmenhorst ! Und ? Klingelt da was ?
p : Heimat.
AvW : (seufzt)
W.K. : Und nun der Rest. Gib mal her (nimmt die Musikwoche). Man muß nicht alles wissen, Freunde, aber man muß wissen, wo es steht. Und was sehen wir hier ?
p (mit verdrehtem Kopf in die Musikwoche schielend) : Sieht gut aus.
AvW : Wieso Tschechien ? Das ist doch die Tschechei, oder nicht ?
W.K. : Platz 14 in der 9. Kennwoche, seit 11 Wochen dabei, höchste Plazierung 2, Vorwoche 10, und das sind nur die Longplay-Werte, Leute, das soll gut sein ? Das soll es schon gewesen sein ? Für die erste Delmenhorsterin, die es zu etwas gebracht hat ?
p : Man sagt, sie hätte eine Großmutter aus New Orleans.
AvW : Tschechei, da könnte man mal wieder was unternehmen.
W.K. : Halt doch mal eben das Wasser, Kamerad. Sie sagt das also, ja ? Nun, dazu später mehr. Wichtiger ist diese erschütternde Charts-Bilanz. Das ist doch, wie wenn Werder Bremen nicht Meister wäre. Um vier Plätze gefallen, und die höchste Plazierung Platz 2, das ist ja wie Leverkusen. Und nach nur 11 Wochen auf Platz 14, wie geht das an ? Aber hier, die Singles : 14 Wochen dabei, höchste Plazierung 1, so mag ich das, aber nur noch Platz 16, allerdings Vorwoche 15, Platin und Gold zugleich, From Sarah With Love, guter Titel, habe ich selbst geschrieben, aber der Longplay-Titel, Green Eyed Soul, klickt´s jetzt bei euch ?
AvW : Hatte kein Englisch in der Schule.
p : Green ? Grün !
W.K. : Irischer Frühling, Freunde, Irischer Frühling. Wir müssen nach Delmenhorst. Sie ist eine von uns, aber sie hat einen Fehler gemacht.
AvW : Eine von uns ? Und dann Fehler ?
W.K. : Wundert´s dich, alter Leidensgefährte ? Schau er nur unseren Praktikanten an !
AvW : Richtig, der ist auch aus Delmenhorst.
W.K. : Auch sein Slip : fleischfarben. Hat aber nicht viel gebracht.
p : Ich hatte mich schon gewundert, wieso ich den tragen muß.
W.K. : Und weiter : Airplay-Charts : From Sarah With Love, Platz 7, ihr Heinis, 473 Einsätze, was habt ihr denn geglaubt, wie ich diesen ganzen Autozubehörscheiß finanziere. Aber George hat´s mal wieder verkackt.
AvW : George Bush ?
W.K. (seufzt) : George Glück, Freunde, ihr Manager. Der sie angeblich entdeckt hat. Ein Fitger-Mann, man nimmt, was man kriegen kann ...!
AvW : Ein Fitger-Mann ! Man nimmt, was man kriegen kann. Guter Reim, alter Schwede !
p : Was können wir tun ?
W.K. : Du ? Du bist Praktikant. Wir reisen ab. Wisch noch mal alles durch, und dann ab nach Iprump.
AvW (seufzt) : Nach Hause ...!
p : Was hat sie denn falsch gemacht ?
W.K. : Während ihr hier neues Profil in den alten Reifen eurer Weltanschauung zu schnitzen versucht, habe ich im Internet recherchiert : voilà ! (Wirft ein Blatt Papier auf den Tisch.) Was fällt euch auf ?
AvW (nimmt das Blatt und liest laut vor) : Tournee Sarah Connor : Bremen, Hamburg, Berlin, Dresden, Leipzig, Neu-Isenburg, Oberhausen, Köln, München, Wien, Salzburg, Zürich, Stuttgart, Hannover, Kassel — ich hab´s : die Tschechei ist nicht dabei.
W.K. : Sehr gut. Aber das heißt jetzt Tschechien. Und ist nicht der Punkt. Sie haben den einen, den großen Fehler gemacht, der alle anderen Fehler wie Glücksgriffe aussehen läßt.
p : Fleischfarbener Slip ?
W.K. : Nein, das war gut. Laßt mich anders fragen, für die ganz Armen : hat jemand Delmenhorst gehört ? Sieht jemand Delmenhorst auf diesem Tourplan ?
AvW : Und ich hab’s nicht gemerkt ...!
W.K. : Auf Jungs, auf nach Hause. Auf nach Iprump, wir müssen die Sache retten. Die finanzielle Zukunft des Irischen Frühlings steht auf dem Spiel.
AvW : Das wird Delmenhorst ihr nie verzeihen, nie.
W.K. : Noch ist es nicht zu spät.
AvW : Natürlich, von 10 auf 14 runter in einer Woche, das ist Delmenhorst, das ist Delmenhorst.
W.K. : Noch ist es nicht zu spät. Noch ist es nicht zu spät. Wann ist der erste Gig ?
p : 8. April, Pier 2, Bremen. Was hast du vor, Meister ?
W.K. : Wir gehen ins Musikgeschäft. Genauer : ins Konzertgeschäft. Und wißt ihr, was das Beste daran ist ?
p : Nein.
AvW : Was ist es, Blutsbruder ?
W.K. : Das Beste ist : Wir werden auf diese Weise endlich einmal öffentlich das sein, was wir insgeheim immer schon waren.
AvW : Spann mich nicht auf die Folter, alter Haudegen.
p : Was ist es, Meister ? Was waren wir schon immer ?
W.K. : Agenten, Freunde, Agenten.

In der nächsten Ausgabe : die Debatte über die Venue, die Ticketpreise und die alles entscheidende Frage : bestuhlt oder nicht bestuhlt. Dann aber endlich wieder in Iprump.

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1 Praktikanten des Irischen Frühling haben bekanntlich weder Schließfach noch Postadresse. Mit der Unterzeichnung des Aufnahmebegehrens oder der ersten Cola-Soda, die Attila von Wieder springen läßt, ist zudem der eigene Spind oder gar Turnbeutel verwirkt. Auch sämtliche Zeugnisse, unter Einschluß sportlicher Leistungsnachweise, sind bei Dienstbeginn abzugeben und ungültig (Ab jetzt gelten andere Maßstäbe, alles was war ist uns nichts. Ihr seid Nichts — Aber ihr habt Glück : wir sammeln sowas — Ausbildungsleiter AvW). Daß Praktikanten aber auch noch keinen eigenen Namen haben, ist neben der Idee, Dosenbier in leere Flaschen umzufüllen (wir müssen erreichen, neben der eigenen untrüglichen Wahrnehmung die restriktiven Pfanderlasse der Bundesregierung zu narren — W.K.), ein weiterer brillanter Einfall Waldemar Koslowskis. Spätestens seit der ›Taufe‹ Geier-Josie, Du´s (siehe Salmoxisbote 32) ist dieser Brauch, dessen Sinn in der sorgfältigen, solidarischen Dokumentation des sozialen und geistigen Abstands der Novizen zu den gedienten Kadern (Woher kommen die richtigen Meriten ? Fallen sie vom Himmel ? Nein. Liegen sie in der Kühltruhe beim Plus? Ja. Schafft Speiseeis herbei. Zwei drei viele Sorten. Aber wehe euch, ihr kommt ohne eines mit Minzgeschmack zurück ! — W.K.) und gleichzeitig spielerisch erteilten Lehre und Handlungsanweisung : Ihr habt nichtmal Seepferdchen und wollt sein wie die Fische im Wasser ? Die haben auch keine Namen. Zierfische in Aquarien und Flipper zählen nicht. Fische in Gefangenschaft brauchen natürlich Namen. Oder wenigstens Nummern — siehe Genfer Konvention. Und Flipper ist gar kein Fisch — wie Koslowski gern und oft von seinem faunisch-völkerrechtlichen Wissen preisgab — liegt, im Schwange. Auch sonst ließ Koslowski sich nicht lumpen. Zum Ende der Rekrutenzeit händigte er, in feierliches Ornat getan (Lenin ? hat immer fesche Sachen getragen) einen Namen und ein benutztes Pin-up aus eigener Sammlung (brauch ich nicht mehr, hat mir gute Dienste geleistet, ist nun aber zu alt für mich) aus, und wenn´s ihn überkam, nahmen die Belobigungen kein Ende und wies er Spind und Turnbeutel zu.
Spekulationen, Attila von Wieder habe Koslowski die Sitte einzuführen beredet, weil von Wieder hoffte, bei der erstbesten Praktikantin, an der Koslowski das jus primae noctis auszuüben beliebte, fiele für ihn ein jus secundae noctis ab, sind so niederträchtig wie haltlos. Kämen die Vorhaltungen, von Wieder sei angewiesen auf Brosamen und nicht in der Lage, selbständig eine ganze Riege von frischen Schulab- und Catwalkgängerinnen aufzugabeln, nicht sowieso aus der Fitger-Ecke, sie müßten dennoch der schein-selbstaufgelösten AFG/AO zugeordnet werden. Außerdem ist Koslowski für mindestens fünferlei bekannt : dafür, daß er sich nicht bereden läßt, für seine überragenden denkerisch-strategisch-politisch-dichterischen Gaben, für seine Diskretion, für seine strikte Abneigung, Sexualpartner zu teilen und für die hartnäckige Weigerung, Zahnbürsten zu verleihen. Attila von Wieder wußte das natürlich. Koslowski nämlich hatte es ihm gesagt weiter im Text
2 Der leichte Unwille Koslowskis rührte daher, daß Wichtigeres auf der Tagesordnung stand. Was passiert mit meinem Sonettenkranz, wenn er welkt und wann bricht der allgemeine Aufstand los : Rahmenrichtlinien für ein provisorisches Edikt gegen Plünderungen, inklusive Getränke-Hoffmann. Das zeitgenössische Show-Biz bedeutete Koslowski seit dem Tode Heinz Rühmanns kaum noch etwas. Von Heinz Rühmann besaß Koslowski eine Autogrammkarte. Eine gefälschte, wie der Schulkamerad, von dem er sie eingetauscht hatte gegen einen echten Heesters, sofort nachwies. Mit ihm verloren wir einen ganz ganz Großen, pflegte Koslowski zu sagen, und ich sehe nicht, daß Johannes Heesters in seine Fußstapfen treten kann. Höchstens Hansi Kraus. Daß Koslowski sich dennoch so gut auskannte mit den Interna (siehe Salmoxisbote 32, Seite 21) liegt nicht allein an seiner Tätigkeit für ›Herz ist Trumpf‹ und ›Lustige Musikanten‹, sondern gleichfalls an Bille, Koslowskis 17jähriger aktuellen Herzdame, ihres Zeichens Table-Dancerin im Cafe Keese (Koslowskis zärtelnder Kosename für sie ist Hollyday, wie er einer Redakteurin der ›Frau mit Herz‹ verriet) weiter im Text
3 Das ist beschränkte Praktikantensicht. Es gibt auch andere Stimmen, etwa die Koslowskis. Vom übergeordneten Standpunkt, den Waldemar Koslowski bevorzugt einzunehmen pflegt, kommt Frau Connor (würde gern in der Wüste singen, he ? Attila, gib ihr mal Wüste) keinesfalls an Koslowskis 17jährige Nymphe heran. Sieht scheiße aus. Schafsnase. Nimm ihr das Trikot und sie sieht aus wie ein schlampiges Stück mit Schafsnase, das am Delmenhoster Trübsinnsbahnhof steht und auf den Zug nach Nirgendwo wartet. Es ist gut, was in Terminator I mit den Sarah Connors geschieht. Wette : Sarah C. wird binnen eines Jahres mit einer neuen Nase und neuen lefzenfreien Lippen aufwarten. Umso dramatischer Koslowskis Bekenntnis in diesem Boten : ›Stellungnahme zur Rückkehr nach Delmenhorst‹. Jawohl, Koslowski sorgt für die Seinen : Sarah Connor wird selbstverständlich ihren Tourneestart in Delmenhorst-Iprump, genauer im neu renovierten Landsitz (W.K.) bzw. Unterstand (AvW.) begehen, mit Rohypnol in der Birne, Playback und Schwof — ganz im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter im Text
4 Worauf Waldemar ursprünglich hinauswollte und wovon aufgrund des minderen — gerechnet gegenüber Koslowski — Fassungsvermögens seiner Gesprächspartner im weiteren Verlauf der Unterhaltung nicht mehr die Rede war : aus sehr persönlichen Gründen (ich wurde nie gefragt !) war Koslowski zu keiner Zeit damit einverstanden gewesen, daß Schwerin (Schwerin — schwer ›in‹, da muß ich ja lachen, haha. Zweimal, ich wiederhole : zweimal hat dieses Kaff mich enttäuscht : auf der Flucht nach Kanada, Schwerin — fahr hin, haha, als mir der Viehtransport vor der Nase wegfuhr, und dreißig Jahre später, als ich, ganz versöhnlich gestimmt, der Schweriner Volksmarionettenbühne mein Dramolett Spiel vom miesen miesen Schwerin [Sack Thomas, Sediment 12, bald KWAK IX, 16 Weihefestspiele wider verlogene Ortschaften] zur deutschen Erstaufführung anbot. Ein drittes Mal warte ich nicht ab) den Stich machte und Partnerstadt Tallinns (hervorragender, lieblicher, verträumter, leider leichtgläubiger, getäuschter, verblendeter Ort. Meine Altvorderen besaßen dort Liegenschaften und bewirtschafteten Wiesen) wurde. Kloßbrühklar war Delmenhorst mit Lublin, Borisoglebsk und Eberswalde (siehe Salmoxisbote 16) ausgelastet, Koslowski selbst hatte es mit seinem Votum (ich votiere für Lublin, Borisoglebsk und Eberswalde — demnächst KWAK XIII 29, 1-3 : Eingaben oder Wofür ich votiere), die er schon kurz nach entsprechendem Stadtratsbeschluß eingereicht hatte, in die Wege geleitet. Aber daß Bremen sich dem Judasnest Riga zugewendet hatte (Riga ? Muß ich mehr sagen ? Reval vielleicht noch ?), konnte Koslowski so gar nicht in den Kram passen. Gegen Riga hegte er massive Vorbehalte. Zurecht, wie der pressescheue Denkzar im Interview, das er neulich der ambitionierten Schülerzeitung kid (kritisch-informativ-demonstrativ) während der Großen Pause vorm Aldi am Schulzentrum Huchting gab (siehe bald Appendices zur KWAK : Interviews und Videoetikettenbeschriftungen), nachwies :
WK : Los, nun stellt mir schon Fragen !
kid : Welche denn ?
WK : Sehr gut. Ich bin ein Freund aller möglichen Fragen und Autonomien, das weiß ich wohl : aber nicht hier. Wenn 1201 ein mir völlig unbekannter Bischof Albert aus dem mir völlig unbekannten niedersächsischen Geschlecht derer von Buxhövden dahergelaufen kommt und vor sich hingründet — was geht das mich an und was soll da Gutes von kommen ? Kreuzritter sind nicht schlecht für die lesende Jugend, Ivanhoe und so, ich selbst habe in meiner frühen Jugend einige Fortsetzungen zu Scott geschrieben, Richard Bärenherz und der Schatz der Mullahs, vielleicht finde ich die Ordner noch, ihr dürft sie dann gern drucken : aber harmlose, mistelfressende Eingeborene meucheln und dann frech Städtchen gründen, das soll mir gefallen ? Städtchen gründen ! Wo ist da der Plan ? Das gefällt nicht mal dem Herrn von Wieder, dem grauen Pistollero da am Kaugummiautomaten, und dem gefällt vieles. Ich bleibe dabei, Hanse hin oder her, Eisenstein, mit dem ich sehr befreundet war, hin und Sir Iasaiah Berlin her (wobei der mir immer noch eine Erklärung schuldet, wofür er eigentlich geadelt wurde) : der Rest ist gerüttelt rechte Strafe. Das sahen andere vor mir, ich betone : vor mir, auch so : 1582 die lieben Polen, 1621 Gustav Adolf, 1710 die Russen. Würde mich nicht wundern, wenn die Wissenschaft irgendwann herausfindet, daß auch Tschechien mal dazwischengefunkt hat. 1918 dann die Scheinselbständigkeit, Klein-Paris, haha, Schluß damit 1940. Zufällig am 17. Juni, als die Nazis in Paris einmarschierten und so weiter und so weiter. Savoir-vivre, geht mir weg. Ein schwerer Fehler, was da seit 91 wieder läuft. Außerdem war ich letztes Jahr nicht zur 800-Jahr-Feier geladen, und das, wo ich noch blendendste Erinnerungen an die 700-Jahr-Feier hatte. Eine besondere Neuigkeit nicht nur für uns Kinder, sondern allgemein für die undankbaren Rigenser war damals die Dachomei, die Afrika-Ecke. Mir war die gute Idee, einige Negerfamilien aus Afrika herzubringen und sie dem Publikum vorzuführen, eingefallen. Ohne Frage klasse. Die Afrikaner erbauten eigenhändig Hütten, richteten sich darin wie in ihrer Heimat ein, lebten auf ihre charakteristische Weise und schenkten den Rigensern, die sie umringten und begafften, nur wenig Aufmerksamkeit. Da taten sie recht, die Afrikaner, und ich hatte ihnen gesagt, sie sollen so tun und alles doppelt dreifach ironisch brechen. Kaum einer außer mir hatte gemerkt, daß es klappte. Und warum fragt ihr mich nicht nach meiner Lieblingsgruppe ? Das interessiert doch das junge Volk, oder ?
kid : Herr Koslowski, was ist Ihre Lieblingsgruppe ?
WK : Gruppen ! Plural ! Ich habe nämlich zwei. George Baker Selection und Pussycat.Und nicht nur das : ich hätt da auch noch für euch ein kleines Klagelied über das Aussterben des Duals, der hier so angezeigt wäre wie selten woanders. 1600 Alexandriner, wenn ihr mögt ? Ein sattes Pfund, würde euch aber nichts kosten. Vielleicht sogar eine Sondernummer eures erlesenen Blattes ?
kid : Und Ihre Lieblingsschauspieler ?
WK : Weiß ich auch. Gustav Knuth, Harry und Emma Piel, aber auch Hansi Kraus.Und was ist jetzt mit den Alexandrinern ?
kid : 1600 ?
WK : Kürzer gings nicht
kid : Schon klar. Aber 1600 ?
WK : Weniger wäre weniger gewesen
kid : Das ist gut, dürfen wir das zitieren ?
WK : Ich könnte mich mal nach einem kleinen Druckkostenzuschuß umhören, wenns daran liegt
kid : Nein, daran liegts nicht
WK : Ich würde mich auch um den Verteiler kümmern, ich kenne viele kleine Jungs, die viel darum gäben, mir einen kleinen Gefallen zu tun
kid : Herr Koslowski, wann haben Sie zuletzt geweint ?
WK : Ich bin da vielleicht altmodisch, aber ich denke durchaus nicht, daß Weinenkönnen einem Mann zur Ehre gereicht. ›Weinen muß nicht sein, Wein sehr wohl / Wer flennt, ist klein und bräuchte Alkohol‹, wie ich einst sang. Was ist jetzt mit den Alexandrinern ?
kid : Herr Koslowski, wir fürchten ...
WK : Verstehe. Die Weltlage
kid : Genau
WK : Fürchtet euch nicht
kid : Doch doch, tun wir
WK : Aber ich sags euch doch anders
kid : Waldemar, wie schlimm wird es ?
WK : Ziemlich
Koslowski räumte immer gründlich auf, von Kindesbeinen an, und strebte nach großzügigen Generallösungen. Also sah sein Plan zur Neustrukturierung des nordeuropäischen Partnerstadtwesens vor, Bremen möge sich endlich von Riga trennen, Partnerstadt Tallinns werden, Tallinn sich in Taliningrad umbenennen (das klingt flüssiger, und flüssig ist gut) und lancierte er die Abhaltung des Grand Prix in Estonia. Zwar nicht eigentlich mein Ding, frohlockte er, aber warum nicht ruhig noch eine Kampffront ? Wir sind schließlich jung. Koslowskis Denkansatz war von jeher gewesen, immer alles zum Guten zu wenden. Folglich verfeinerte er seinen ersten Gedanken an die Konstruktion eines Singroboters anläßlich der Lieferfristen japanischer Sehmodulfirmen dahingehend, Corinna May aufzubauen, die ihm die Woche zuvor orientierungslos am Busbahnhof Quakenbrück vor die Füße gepurzelt gekommen war. Zwar bin ich nicht geboren, es leicht zu haben, aber einmal darf ich auch lachte Koslowski, weiter gutgelaunt und Schöpfer der berühmten Phrase Dreimal ist Bremer Recht, dann aber muß auch mal Schluß sein. Auf einer Probepressekonferenz in Iprump stellte er Corinna May vor mit den Worten : Dies Gerät ist meine Sonderbotschafterin der guten Laune und Urenkelin des völker-, besonders städteverbindenden Großromanciers, ich sag nur : Durchs wilde Iprump. 1999 führte Koslowski seinen Schützling backstage zum Sieg in der nationalen Vorausscheidung mit der Vertonung seines Erfolgsrezeptes Hör´ den Kindern einfach zu, ließ dann aber durchsickern, ihm habe zwei Jahre zuvor ein gewisser Frank Zumbroich oder Zander oder so die Melodie geklaut (Textdiebstahl war zu schwierig, genau das ist der Knackpunkt — andererseits ist ›Where are all the good times gone‹ eine so schlechte Frage nun auch wieder nicht. Respekt). Nämlich war es die Zeit, da Koslowski seinen Großen vaterländischen Feldzug gegen Apostrophe einleitete und er seine köstliche Kopfzeile zermäkelte (Kann´s nicht mehr hör´n). Erfolgreich betrieb er Corinnas Disqualifikation und schuf bei der Gelegenheit das seitdem geflügelt gewordene Wort des Bedauerns Jerusalem ist sowieso zu staubig. Mit dem Song I Believe in God gospelte er May 2000 abermals ins Rennen, aber das kaufte dem erklärten Aufklärer und bekannten Gottesleugner niemand ab. Waldemar zog unbeirrt Konsequenzen (ich muß an meiner Erscheinung als Ironiker arbeiten), gewann Attila von Wieder als Imageberater und prompt mit dem aufrechten Credo I can´t live without music gegen hochkarätigste Konkurrenz. Leicht schlug er dabei auch die schwergewichtige Kelly-Family aus dem Feld, entspannt nahm er Abstand von einem ähnlichen Großprojekt, das er bereits in petto hatte (siehe abermals Koslowskis ›Stellungnahme zur Rückkehr nach Delmenhorst‹ in vorliegendem Boten). Doch das Sahnehäubchen zu dekaptieren blieb ihm, wie so oft, versagt :
daß das feingesponnene Unternehmen, Bremen abspenstig zu machen, letztlich mißriet, lag allerdings nicht an ihm. Frau May hatte sehr Koslowskis Kampf gegen das Apostroph zu dem ihren gemacht. Allein, sie hatte den Meister nicht restlos verstanden. Sie wollte auch schöpferisch sein und nicht nur blind — und wendete die Maximen aufs Englische an. Koslowski aber ging es immer nur um das Apostroph im Deutschen (zum Engländer hab ich alles gesagt. Er ist kein Mensch — siehe Salmoxisbote 32). Statt can´t nuschelte May ein can, und can gefiel dem sangesfrohen estnischen Völkchen, dessen Seelennerv Koslowski eigentlich exakt getroffen hatte, nicht. Hinzu kam : Estland wurde durch die Erfolge seiner Winterolympioniken (mit je einmal Gold, Silber und Bronze Platz 17 der Gesamtwertung, zwei Positionen vor Tschechien) überheblich und wenig empfänglich für Koslowskis Kernbotschaft (Sport ist Mord — nichts anderes ist er und um nichts anderes geht es. Im Kern). Entscheidend aber : Attila von Wieder hatte eine unabgesprochene Aktion am Start, gut gemeint zwar (Waldemar ist zu bescheiden), aber eben unabgesprochen : von Wieder lief in Salt Lake City, wo viele seiner Freunde saßen, unter den Athleten Rußlands für einen seit geraumer Zeit dem IOC vorliegenden Vorschlag Koslowskis, Kunststürze von einer Honda Dax zur offiziellen Wintersportdisziplin zu erheben, Reklame. Den Nebeneffekt, durch die erhöhte Ausschüttung von Glückshormonen die Zahl der roten Blutkörperchen der Russen ins Verbotene zu erhöhen und über gezielte Indiskretionen Dopingtests zu veranlassen sowie Disqualifikationen (ich will auch mal) anzuregen, nahm von Wieder mehr als billigend in Kauf. Wie auch den Nebennebeneffekt : die Duma ließ den kalten Krieg wieder auf- und hochleben und Weltkrieg III stand vor der Tür — was die feigen Stadtväter Talinns ängstlich nach Osten, statt nach Iprump blicken ließ. So erfuhr Waldemars Plan eine unabsichtliche Sabotage und amüsiert waren vielleicht andere, Koslowski aber nicht weiter im Text

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