Martin Grotjahn, Beverly Hills

Rauchen, Husten, Lachen und Beifall
Eine vergleichende
Studie zur Symbolik des Atmens

     In einer bemerkenswerten Arbeit, die kürzlich im Journal of the American Psychoanalytic Association (Band 17, Oktober 1969) erschien, brachte Eli Marcovitz eine relativ kurze, aber scharfsinnige Studie über die Sucht des Zigarettenrauchens. Er ging von der Beobachtung aus, daß manche Menschen sich in Anwesenheit von Fremden an Zigaretten wie an eine Mutter klammern. Ein wesentlicher Faktor, der das Rauchen zu einer Sucht stempelt, liegt in der Bedeutung, die dem tiefen Inhalieren des Rauches beigemessen wird, was bisher in allen analytischen Versuchen, die Dynamik des Rauchens zu erklären, unbeachtet blieb. Tiefes Inhalieren, Exhalieren des Rauches und Sichtbarwerden bestimmen die respiratorische Introjektion, auf die Extrajektion (oder Projektion) folgt. Dem Raucher werden durch die tiefe Inhalation innere Ich-Grenzen deutlich und lustvoll spürbar. Sie füllt seine innere Körperleere. Rauchen — mehr als Essen — bewirkt ein Empfinden von inneren Grenzen und Selbstgefühl. Die Bewahrung dieser inneren Grenzen erweitert und vertieft die narzißtische Besetzung des eigenen Selbst. Es ist, als ob der Mensch jetzt intensiv fühlt : das bin ich, hier und jetzt. Das Ausstoßen des Rauches macht den Atem sichtbar (wie wir später sehen werden, macht Lachen Atem hörbar). Sieht man sein Selbst in der Form des eigenen ausgestoßenen Rauches, so ist dies eine Bestätigung der eigenen Existenz (wie das Hören des eigenen Lachens eine entsprechende Bestätigung ist).
     Es findet sich eine Reihe von Hinweisen auf die Dynamik und Symbolik des Atmens in der psychoanalytischen Literatur. Fenichel z .B. diskutierte in seiner Untersuchung über Sigmund Freuds Wolfsmann auch die respiratorische Introjektion. Fenichel meinte — wenn der Wolfsmann ausgeatmete Objekte fürchtete, so müsse er sie zuvor durch Inhalation inkorporiert haben.
     Rauchen ist ein Austausch zwischen Teilen des Selbst und Teilen der Außenwelt. Hierin dürfte der Grund für die entspannende und gleichzeitig anregende Wirkung des Rauchens liegen : es vereinigt den inneren mit dem äußeren Menschen, indem es ein kurzzeitiges Gefühl von Ruhe bringt, dem dann eine Illusion von Kraft folgt, die oft als Anregung zum Handeln empfunden wird.
     Es gibt einen weiteren Grund, warum Rauchen gleichzeitig anregt und beruhigt : Rauchen scheint symbolisch eine respiratorische Introjektion des guten und mächtigen Objektes darzustellen; es bringt die Ruhe des Triumphes und die Anregung zu neuen Taten — fast als sei man neugeboren. Der gewöhnliche Atemvorgang reicht nicht aus für Menschen, die rauchen oder gar süchtig danach sind. Das Inhalieren des Rauches scheint den Akt des Atmens zu bekräftigen und die Gefahr des Erstickens aufzuheben, das symbolisch einen Verlust des Liebesobjektes darstellt wie im Asthma. Inhalieren des Rauches fördert das illusionäre Erleben der Introjektion. Das Liebesobjekt, das verloren geglaubt, da es nicht mehr sichtbar war, wird nun wieder gesehen und ›tief empfunden‹ im wahrsten Sinne des Wortes.
     Die ›respiratorische Trias‹ — wie Marcovitz es nennt — besteht aus Inhalation, Exhalation und Sichtbarmachen. Sie befriedigt das Bedürfnis, die inneren Ich-Grenzen zu fühlen durch Inhalation, die die Introjektion des Liebesobjektes symbolisiert und die Angst vor dem Ersticken verringert. Die respiratorische Exhalation, sichtbar gemacht im Rauch, symbolisiert eine Art Projektion des gefürchteten Introjekts.

Eine klinische Beobachtung

     Vielleicht kann ich die Interpretation von Marcovitz illustrieren mit folgender klinischer Beobachtung am eigenen Erleben. Ich war Raucher, mochte es aber nie sehr gern und reagierte oft heftig darauf in einer Weise, die seit mehreren Generationen in meiner Familie konstitutionell bedingt zu sein scheint. Öfter versuchte ich — aber nie mit Erfolg — das Rauchen einzustellen. Ich habe den Eindruck, daß Menschen, die mit irgendeiner Art von Allergie auf Rauchen reagieren, gerade diejenigen sind, die süchtig werden können.
     Als meine Frau und ich von unserem ersten Deutschland-Besuch nach dem zweiten Weltkrieg zurückreisten, kreiste unser Flugzeug über New York, das aussah wie der sternenübersäte Himmel zu unseren Füßen. Wir hatten das Gefühl, als schwebten wir zwischen unserer Vergangenheit in Deutschland und unserer Gegenwart und Zukunft in Amerika. Wir waren beide erstaunt, daß wir kein Heimweh nach der Vergangenheit empfanden und daß wir sehr froh waren, wieder in Amerika zu sein. Während sich das Flugzeug vom Himmel herab zur Mutter Erde senkte, drückte ich meine Zigarette ›zum letzten Mal‹ aus und dachte : Ich will nie wieder rauchen, sobald ich meinen Fuß auf amerikanischen Boden setze. Zu meinem Erstaunen erfüllte sich dieser Vorsatz. Ich würde es mir gern als Verdienst anrechnen, die Willenskraft gehabt zu haben, das Rauchen aufzugeben; aber es ist kein Verdienst, da ich es aufgab ohne inneren Kampf oder willentliche Anstrengung. Die Gewohnheit fiel einfach von mir ab, so als hätte ich eine leergegessene Konservendose fortgeworfen.
     Ich hatte die Vergangenheit abgetan und wollte das Introjekt der Gegenwart und Zukunft in mir behalten. Die Vergangenheit, ein ›böses Introjekt‹ oder zumindest ein schwer konfliktbeladener Komplex von Introjektionen, war ›zum letzten Male‹ ausgestossen worden, war sichtbar extrojiziert und für immer beseitigt.
     Dies geschah vor zwanzig Jahren, und ich habe seither nie mehr geraucht und kaum mehr eine Versuchung verspürt. Ich vollziehe noch jetzt das ›erleichterte Aufatmen‹, wenn ich an das Ende denke. Ich wünsche mir oft, den Patienten helfen zu können, die das Rauchen aufgeben müssen oder wollen und es nicht schaffen; denn ich betrachte Rauchen jetzt als ein häufiges Symptom einer schweren Selbstzerstörung.
     Es ist von symbolischer Bedeutung, daß dies alles in der Luft geschah, sozusagen schwebend zwischen Europa und der neuen Welt, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Vergangenheit löste sich in Rauch auf. Das Erlebnis der Einwanderung war nun integriert und die Neugeburt akzeptiert — fünfzehn Jahre, nachdem es sich tatsächlich vollzogen hatte.

Husten

     Niemand raucht heutzutage in der Kirche; Weihrauch jedoch ist zulässig. Der duftende Rauch scheint die Nähe der heiligen Inspiration zu symbolisieren. In der Prä-Columbianischen Kultur war Rauchen zunächst ein religiöses Ritual — wie der Rauch verbrannten Opfers zu allen Zeiten den Göttern wohlgefällig war. Eine Zigarre, die man den Freunden des neugeborenen Kindes überreicht, dürfte dem gleichen Zweck dienen. Sie soll helfen, den Fluch des bösen Blickes ›in Rauch aufgehen‹ zu lassen und das Kind vor seinem Angriff zu schützen. Man soll auch in der Kirche nicht husten — vielleicht weil man annimmt, in der Gegenwart des Heiligen keine bösen Introjekte ausstoßen zu müssen.
     Husten bedeutet jedenfalls das Ausstoßen von Fremdkörpern, die in die Atemwege geraten sind. Der Husten ist das physiologische Modell für das Ausstoßen durch Exhalation. Hysterisches Husten klingt oft wie eine Warnung : hier komme ich — ihr seid gewarnt ! Nervöses Husten hat für mich wiederum den Charakter einer gezwungenen Exkorporation — wie z. B. beim allergischen Husten.

Lachen

     Die weitere Anwendung der Überlegungen von Eli Marcovitz über die respiratorische Introjektion durch Inhalieren, das zu erhöhter Wahrnehmung der inneren Ich-Grenzen führt, gefolgt von Projektion durch Exhalieren, und (drittens) über die Bedeutung des Sichtbarwerdens dieser Prozesse beim Rauchen kann uns neue Ansätze zu einem tieferen und mehr spezifischen Verständnis des Lachens bieten. Bisher blieben alle psychoanalytischen Beiträge zum Verständnis der Dynamik des Lachens nur Variationen und Neudefinitionen des Grundkonzeptes von Sigmund Freud, wie es in seiner klassischen Arbeit ›Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‹ (1905) niedergelegt ist.
     Vielleicht kann die Analyse eines Witzes ein vertieftes Verständnis des Lachens bringen, wenn man Marcovitz´ Gedanken über das Rauchen darauf anwendet. Beim Analysieren eines Witzes folgen wir dem Beispiel Freuds, der ein ausgezeichneter Kenner von Witzen war : Die erste Hälfte einer Kritzelei an der Wand einer Herrentoilette eines Colleges heißt ›My mother made me a homosexual ...,‹. Beim Anhören dieser ersten Hälfte des Satzes werden wir aufmerksam : wir sehen vor uns die Inschrift an der Wand und werden leicht defensiv im Sinne eines Zurückweisens des Witzes für den Fall, daß er uns in einem empfindlichen Bereich verletzen könnte. Bei weiterer Überprüfung haben wir auf dem Hintergrund unserer inneren visuellen Vorstellung das introjizierte Bild der bösen Mutter und ihrer Kastrationsdrohungen erblickt. Wir spüren dunkel den Fluch, ein Homosexueller zu sein, und empfinden alles das, worüber Portnoy in seinen Masturbationsphantasien klagt. Dies ist also die Phase einer sichtbaren, auditorischen Introjektion analog der respiratorischen Introjektion während des Rauchens. Mittlerweile sind diese Bilder zu lebenden Repräsentanten geworden, die verknüpft sind mit Bildern unserer visuellen Vergangenheit (Bertram Lewin).
     Jetzt gebe ich den zweiten Teil unseres Beispieles. Unter dem Satz ›My mother made me a homosexual ...‹ stand in einer anderen Handschrift : ›Given enough wool would she make me one too?‹.
     Lachen symbolisiert hier die Befreiung von einem Schwarm böser Introjekte. Man läßt sozusagen die Katze aus dem Sack. Während man bei der ersten Hälfte zuhört, werden alle Arten visueller innerer Introjekte aktiviert. Im zweiten Teil des Witzes werde sie freigelassen, ausgeatmet wie Rauch, extrojiziert. Während Rauch sichtbar ist, ist Lachen hörbar. Das Ergebnis ist das Gefühl des Befreitseins, frei von diesen bösen Introjekten, die zu Beginn der Geschichte wachgerufen wurden, frei wenigstens für eine Zeitlang.
     Die gebräuchliche Freudianische Interpretation über ein plötzliches Freiwerden angestauter Feindseligkeit, kombiniert mit gewissen Formen infantiler Lust, über die Ersparnis von Verdrängungsenergie, die symbolische Einkleidung und soziale Bildung, über die Befreiung von nicht länger verdrängter Feindseligkeit und schließlicher Aufhebung des Verdrängungsaufwandes im Lachen bleibt gültig. Durch die Anwendung der auditorischen Introjektion, die zu lauter exhalatorischer Projektion führt, wird das Verständnis der Dynamik des Lachens vertieft. Sie erklärt jetzt die symbolische Bedeutung des Lachens, während seine Dynamik seit Freuds klassischer Arbeit schon bekannt war. Die Symbolik der Introjektion und Extrojektion kann uns helfen, die spezifische unbewußte symbolische Bedeutung, die im Akt des Lachens liegt, zu interpretieren. Die bei der Rauchsucht so wichtige visuelle Wahrnehmung wird ersetzt durch die akustische beim Anhören des Witzes — sozusagen während man ihn ›in sich aufnimmt‹. Die visuelle Wahrnehmung des ausgestoßenen Rauches ist ersetzt durch die akustische im Hören des Gelächters. Das Erfassen innerer Ich-Grenzen, das in der Analyse der Rauchsucht eine zusätzliche Bedeutung hat, findet sich auch beim Lachen : wir realisieren es in Ausdrücken wie ›sich vor Lachen die Seiten halten, den Bauch halten‹ oder ›ich sterbe fast vor Lachen‹. Wenn der Mensch lacht, fühlt er sich innerlich gut.
     Ein weiteres Beispiel mag dazu dienen, die Frage zu beantworten : warum gerade Lachen ? und warum nicht irgendein anderes Ausdruckssymbol ?
     Eine der heitersten, komischsten und in höchstem Maße Lachen bewirkenden Szenen, die ich je gesehen habe, war ein russischer Clown oder Tänzer des Bolshoi-Theaters : auf der Bühne erschienen augenscheinlich zwei kleine Jungen, die in einen heftigen, aber sich langsam bewegenden Kampf miteinander verwickelt waren; sie stießen sich, schoben sich hin und her, zogen, zerrten aneinander, standen ineinander verschlungen und schaukelten langsam vor und zurück, fielen fast von der Bühne in den Orchesterraum. Die stumme Szene erzeugte einen enormen Andrang latenter Introjekte, der begleitet war von einem verstärkten Erfassen innerer Ich-Grenzen infolge der Aktivierung vieler verschiedener wiederbelebter latenter Bilder : der Zuschauer sah Jakob, der mit seinem Gott ringt; Kain, der Abel erschlägt. Ich erlebte vage die Liebe und den Kampf mit meinem jüngeren Bruder in der frühen Kindheit. Ich identifizierte mich mit jeder Einzelheit der beiden Jungen, um das Bild ganz in mich ›hineinzutrinken‹. Ich war fasziniert von der langsamen tänzerischen Auf- und Ab-Bewegung des Kampfes.
     Dann aber kam es jedem und auch mir allmählich zu Bewußtsein, daß diese zwei kleinen Jungen ein einziger riesenhafter Mann waren, der sich plötzlich aufrichtete, sich gewissermaßen entfaltete und sich in seiner vollen Ganzheit zeigte. Ganz plötzlich konnten alle bösen Introjekte, alle Ambivalenz, all die vielen aktivierten und belebten Bilder aus ihrem Kerker befreit und erlöst werden. Übrig blieb mir, mir — scheinbar unendlich — vor Lachen die Seiten zu halten.
     Hier können wir die visuelle Introjektion der Szene beobachten, die dann führt zu Gewahrwerden und Ausfüllen der inneren Ich-Grenzen, dann gefolgt wird von einem schockartigen Erstaunen, wenn die visuelle Wahrnehmung das Ausstossen aller inneren Dämonen im Lachen zuläßt.
     Noch deutlicher wird der symbolische Charakter des Vertreibens böser Dämonen, wenn wir das schallende Gelächter analysieren, mit dem in einem Kindergarten anale Geräusche aufgenommen werden. Die Ausstoßung teuflischer Dämonen wurde in mittelalterlichen Illustrationen oft dargestellt durch diese anale Version des Lachens. Der Flatus ist der Vorläufer des Lachens, bei dem man sich den Bauch halten muß.
     Das letzte Beispiel ist ein Aphorismus, der David Frost zugschrieben wird. Er beginnt mit den Worten ›Gott ist der Mann‹. In diesem Moment der hörbaren Introjektion sehen wir Gott als Mann vor uns. Vielleicht können wir sagen, wir illustrieren die Gehörswahrnehmung mit einer inneren visuellen Wahrnehmung von Bildern auf einer inneren Leinwand. Das Erfassen dieser Bilder ist das, was wir eigentlich ›Ein-Sicht‹ nennen.
     Alle Arten bedrohlicher Introjekte werden aktiviert : Gott, der Mann, die Autorität, Jehova, Moses, Michelangelo, Sigmund Freud. Das visuelle Bild erscheint alt, unergründlich, drohend, allwissend, allmächtig und unbekannt, da eine Definition in Aussicht gestellt, doch noch nicht gegeben ist. Der Aphorismus wird dann in der zweiten Hälfte fortgeführt und zum Abschluß gebracht : ›Gott ist der Mann — der die Königin erhält‹ (›God is the man who saves the Queen‹).
     Alle Geister der infantilen Introjektion sind plötzlich zerstört. Wir sind von ihnen befreit und wie Fledermäuse fliegen sie aus uns heraus laut lachend wie die Teufel, die Jesus dem Besessenen austrieb und in die vierzig Säue fahren ließ, die sich im Meer ertränkten.

Zusammenfassung über das Lachen

     Eli Marcovitz´ orale Trias der Zigarettensucht : Inhalation (respiratorische Introjektion, Erfassen der inneren Ich-Grenzen), Exhalation (Projektion von Introjekten) und Sichtbarwerden (in unserem Fall : akustische Wahrnehmung) findet ihre Parallele in der Dynamik des Erlebens des Lachens. Visuelle oder auditorische Introjektion (des ersten Teiles der Geschichte oder des Witzes oder des Aphorismus) aktiviert die inneren Ich-Grenzen (die symbolische Bedeutung des Witzes beginnt wirksam zu werden); das explosive Lachen setzt die bösen Introjekte durch Exhalation frei. Das Sichtbarwerden des Rauchens wird ersetzt durch die Gehörswahrnehmung des Lachens. Die ›Pointe‹ des Witzes befreit und schüttelt böse und bedrohliche Introjekte ab und exhaliert sie in Form von Gelächter. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen : Lachen befreit. Es ist die Freiheit von bösen Introjekten, und wir fühlen uns danach reiner und besser. Dies ist vielleicht das Wesen des passiven künstlerischen Erlebens.

Beifall

     Es wäre leicht, Beifall anzusehen als eine laute, mechanische oder motorische Imitation des Lachens : zögernd, geräuschvoll, vermischt mit anderen Geräuschen der Zuhörer, arrangiert, imitiert oder sogar gekauft. Wendet man die Prinzipien der respiratorischen Introjektion und der befreienden Exhalation böser oder bedrohlicher Introjekte jedoch auf das Beispiel des Beifallklatschens an, so führt dies zu einem tieferen Verständnis. Es scheint als sei Applaus eine magische, mystische, ritualistische Geste, um gerade erlöste Dämonen abzuwehren und sie davonzujagen, durch das Ritual des Geräuschemachens. Wir applaudieren aus Dankbarkeit für die Befreiung und demonstrieren dies, indem wir dem bösen Geist einen geräuschvollen Abschied bereiten.
     Ich habe mich oft gefragt, warum Beifall besonders laut, lang und ungezügelt enthusiastisch ist nach musikalischen Darbietungen jeder Art, von klassischer Musik über Solo-Gesang bis hin zu Rock´n-Roll. Dieser besonders ungestüme Enthusiasmus ist nur teilweise bedingt durch die aufgezwungene ›Toten‹-Stille beim Zuhören (wie es symbolisiert ist durch die Ermahnung einer Mutter an ihre Kinder, die auf dem Weg ins Konzert sind : ›Und klatscht nicht, ehe nicht Herr Bernstein Euch das Zeichen dafür gibt !‹). Neben diesem Aufschub gibt es noch eine tiefere Bedeutung für dieses Phänomen : Musik ist die reinste, ästhetischste, fast mathematisch konstruierte ästhetische Form der Schönheit. Ich meine, jede Schönheit — sei es in Träumen, in Erlebnissen des Lebens oder in großer Kunst — führt zu einem Erlebnis des Todes. Im Erleben reiner Schönheit folgen wir dem Künstler bis ›an das Ende der Nacht‹. Er zeigt uns in ästhetischer Verkleidung die namenlose Todesangst, das Ende menschlicher Existenz, und führt uns dann zurück ans Tageslicht — eine Form der Entbindung und Wiedergeburt. Das Neugeborene begrüßt dieses Ereignis mit seinem ersten Schrei; wir begrüßen es mit dem geräuschvollen Feuerwerk dankbaren Beifalls. Das Kunsterleben ist eine Ausweitung aller Ich-Grenzen, um das Universum — das die Mutter symbolisiert — zu umschließen.
     Das Ende der Darbietung läßt uns wieder erwachen aus der Konfrontation mit dem Tod, das erlebt wird als eine Rückkehr zu der frühen, infantilen Mutter, zu der Zeit — lange bevor es Sprache gab und nur erst Geräusch und Berührung.
     Angst und besonders Schreck wird eingeleitet oft mit einem tiefen, schnellen Einatmen, und dann scheint es, als höre jedes Atmen plötzlich auf, um ein weiteres Inhalieren böser Objekte zu vermeiden. Erleichterung schließlich wird begleitet von einem ›tiefen Seufzer der Erleichterung‹.
     Das Leben endet mit dem letzten Atemzug, der sich in unserer Phantasie darstellt als die endgültige Vereinigung mit der Mutter — so wie die Todesgöttin auf den Boden eines Sarkophags mit ausgebreiteten Armen gemalt wurde, bereit — den Körper ihres Sohnes und Gatten, des Pharaos, zu umfangen.
     Klassische Musik ist ein harmonisches Erleben des Todes und der letzten Vereinigung mit dem Universum, mit der Ewigkeit und mit dem frühen Mutterbild. Die Wiedergeburt aus dem Erlebnis der Schönheit und Musik wird begrüßt mit lautem Applaus, der ein Symbol für das magische, mystische Ritual des Fortjagens des Klanges der Musik durch das Geräusch des Händeklatschens darstellt. Wir werden in die Realität wiedergeboren.

Ein Wort über den heutigen Tag

     Ich hätte nicht das Gefühl, mich nach bestem Wissen auszudrücken, wenn ich nicht meine heutigen Gedanken verbinden würde mit unserer Zusammenkunft hier in Berlin, wo wir den 50. Geburtstag des Karl-Abraham-Instituts für Psychoanalyse feiern.
     Mein heutiger Beitrag verfolgt die Absicht, Ihnen — fast 40 Jahre, nachdem ich meine Ausbildung hier begann — ein Beispiel für analytisches Denken zu geben, das ich hier gelernt habe. Als ich die Gedanken von Eli Marcovitz las, die mich zum Nachdenken über die Dynamik des Lachens anregten, meinte ich, Eli Marcovitz müßte ein junger Mann sein. Ich nahm an, daß kein Analytiker meiner Generation den Mut habe, so unabhängig zu denken. Als ich erfuhr, daß der Autor fast so alt sei wie ich, bekam ich Mut, die Lektion anzuwenden, die ich hier in den Räumen des Berliner Instituts gelernt hatte : ›Denke Freudianisch — aber denke selbständig‹. Es wurde zur Maxime meiner Arbeit, und ich meine, dies war die Botschaft, die ich von meinen großen Lehrern hier empfing.
     Psychoanalytische Arbeit beginnt mit klinischer Beobachtung und führt zur Einsicht, die Vision ist. Die freimütigsten Repräsentanten dieser Art zu denken waren unter meinen Lehrern mein erster Analytiker, Ernst Simmel, und sein großer Freund Georg Groddeck, der auch ein Mitglied der Berliner Gesellschaft war. Von Franz Alexander lernte ich hier die Anfänge dessen, was er ›psychodynamisches Denken‹ nannte. Später setze ich in Chicago meine Studien fort in einer Teamwork-Beziehung mit Franz Alexander.
     Mein analytisches Denken wurde hier in Berlin vertieft durch Theodor Reik, von dem ich lernte, der Intuition zu vertrauen; durch Wilhelm Reich, der auf seinem Höhepunkt war, als er hier nach Berlin kam; und durch Hanns Sachs mit seiner Feinfühligkeit und seinem Mut, sich der Kunst und dem Künstlerleben zuzuwenden. Eine Frau wie Karen Horney war eine Meisterin klinischer Beobachtung, und ein Mann wie Siegfried Bernfeld wird nie vergessen werden. Er und Otto Fenichel hatten die große Gabe, ihre Schüler zu erfüllen mit dem Verlangen zu lernen. Etwas ähnliches versuchte ich während der mehr als 30 Jahre, in denen ich an verschiedenen psychoanalytischen Instituten lehrte.
     In diesem Zusammenhang kann ich leider nicht von Karl Abraham sprechen, da er ein Jahr vor meinem Eintritt ins Institut starb und ich ihn nur durch das Studium seiner Veröffentlichungen kannte. Mein Beitrag ist ein bescheidener Versuch zu zeigen, daß wir am Berliner Psychoanalytischen Institut gute Lehrer hatten.

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