1773 ~ 1775
Über Götz von Berlichingen
Wir werden geboren —
unsere Eltern geben uns Brot und Kleid — unsere Lehrer drücken
in unser Hirn Worte, Sprachen, Wissenschaften, — irgend ein artiges
Mädchen drückt in unser Herz den Wunsch es eigen zu besitzen,
es in unsere Arme als unser Eigentum zu schließen, wenn sich nicht
gar ein tierisch Bedürfnis mit hineinmischt — es entsteht eine
Lücke in der Republik wo wir hineinpassen — unsere Freunde,
Verwandte, Gönner setzen an und stoßen uns glücklich hinein
— wir drehen uns eine Zeitlang in diesem Platz herum wie die andern
Räder und stoßen und treiben — bis wir wenns noch so
ordentlich geht abgestumpft sind und zuletzt wieder einem neuen Rade Platz
machen müssen — das ist, meine Herren ! ohne Ruhm zu melden
unsere Biographie — und was bleibt nun der Mensch noch anders als
eine vorzüglich-künstliche kleine Maschine, die in die große
Maschine, die wir Welt, Weltbegebenheiten, Weltläufte nennen besser
oder schlimmer hineinpaßt.
Kein Wunder, daß die Philosophen so
philosophieren, wenn die Menschen s o l e b e n. Aber heißt
das gelebt ? heißt das seine Existenz gefühlt, seine selbstständige
Existenz, den Funken von Gott? Ha er muß in was Besserm stecken,
der Reiz des Lebens : denn ein Ball anderer zu sein, ist ein trauriger
niederdrückender Gedanke, eine ewige Sklaverei, eine nur künstlichere,
eine vernünftige aber eben um dessentwillen desto elendere Tierschaft.
Was lernen wir hieraus ? ... Das lernen wir hieraus, daß handeln,
handeln die Seele der Welt sei, nicht genießen, nicht empfindeln,
nicht spitzfündeln, daß wir dadurch allein Gott ähnlich
werden, der unaufhörlich handelt und unaufhörlich an seinen
Werken sich ergötzt : das lernen wir daraus, daß die in uns
handelnde Kraft, unser Geist, unser höchstes Anteil sei, daß
die allein unserm Körper mit allen seinen Sinnlichkeiten und Empfindungen
das wahre Leben, die wahre Konsistenz den wahren Wert gebe, daß
ohne denselben all unser Genuß all unsere Empfindungen, all unser
Wissen doch nur ein Leiden, doch nur ein aufgeschobener Tod sind. Das
lernen wir daraus, daß diese unsre handelnde Kraft nicht eher ruhe,
nicht eher ablasse zu wirken, zu regen, zu toben, als bis sie uns Freiheit
um uns her verschafft, Platz zu handeln, guter Gott Platz zu handeln und
wenn es ein Chaos wäre das du geschaffen, wüste und leer, aber
Freiheit wohnte nur da und wir könnten dir nachahmend drüber
brüten, bis was herauskäme — Seligkeit ! Seligkeit ! Göttergefühl
das !
Verzeihen Sie meinen Enthusiasmus !
Nicht von Göte. Von Lenz
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