Studying Philosophy
in Europe
binnen dreier Tage vertan, gelitten & mittels
EG-Gelder erreist
von Ralf Grötker
Stolz überreichte
mein Düsseldorfer Kommilitone Holger mir eines von diesen wichtigtuerischen
kleinen Ansteckkärtchen : 21. July - 24. July 1994. Meeting »Studying
Philosophy in Europe« at Jesus College. Ralf Grötker, Germany.
Unter diesem Motto sollte sich — unterstützt durch EG-Gelder,
versteht sich — eine Handvoll Studierender des Faches Philosophie
in Oxford zusammenfinden. Ein gewagtes Unternehmen, wenn man die derzeit
allerorten zwischen den Jüngern dieser Wissenschaft herrschende Uneinigkeit
bedenkt. Ein Kenner der Szene, Herr Stegmüller aus München,
analysiert die Lage treffend als die letzte von vier Phasen. Vorangegangen
sind (1) der Zustand der bloßen Meinungsverschiedenheit, (2) —
»schlimmer wird es« — die Phase, in der keine Diskussion
mehr möglich ist, obwohl diese der Form nach noch stattfindet und
(3) — »eine nochmalige Verschärfung der Situation«
— ein Zustand, in dem zwar keiner mehr vom anderen weiß, was
dieser eigentlich macht, aber ihm soviel eingesteht, daß auch er
nach Erkentnnis und Wahrheit strebt. Der Ist-Zustand (4) ist einer der
»totalen Kommunikationslosigkeit«, in dem nicht nur die Aussagen
und Begründungen des Gesprächspartners unverständlich bleiben,
sondern die Art der Beschäftigung des anderen als solche zum Rätsel
wird.
Sollte das Motto Europa hier Einigkeit
unter den Tagungsteilnehmern stiften können ? — Um wenigstens
den Rinderwahnsinn als mögliche Kommunikationsbarriere ausschließen
zu können, versah ich vorsorglich die Identifizierungskarten gefährdeter
Delegationsmitglieder mit ›No cows‹-Pictogrammen. In einem
Pub harrten wir dann der anderen Konferenzteilnehmer. Seltsam war, daß
überhaupt keine englischen Studenten mit uns tagen wollten, mit Ausnahme
von David, der allerdings erst am nächsten Morgen eintraf und auch
dann nur kurz blieb. Zumindestens aber übernahm er die Gestaltung
des touristischen Teiles der Tagung. Das ›meeting‹ konnte
also stattfinden, und darauf wurde an diesem Abend gut getrunken —
aus Tagungs- und damit auf Kosten der EG.
Eigentlich, glaube ich, hätten wir
am nächsten Morgen alle lieber etwas anderes gemacht, als uns in
dem stickigen Tagungsraum mit Panoramablick zu versammeln — auch
wenn von hier aus, wie der Hausmeister stolz versicherte, jüngst
erst Aufnahmen für den erfolgreichen Kinofilm Shadowlands
gemacht worden waren. Auch jetzt würde ich lieber von unseren touristischen
Erlebnissen erzählen, zum Beispiel vom Punting auf der Themse.
Dabei gilt es, ein längliches Boot mit einem langen Stock fortzubewegen,
den man in den sumpfigen Grund stakt. Dabei muß man aufpassen, daß
der Stock nicht im Schlick steckenbleibt und daß das Boot sich nicht
immer nur im Kreise dreht. Metaphorisch gesehen ist diese Beschreibung
vielleicht auf das ganze akademische Leben in Oxford, mit Sicherheit aber
auf unser Meeting zutreffend.
Der wichtigste Programmpunkt war die Planung
eines großen Treffens nächsten Sommer in Wien. Es mußte
besprochen werden, wer die Einladungen schreiben, wer sie bekommen, was
überhaupt passieren soll und dann, ob es besser sei, zuerst die Frage
der Einladungen zu besprechen oder sich vielleicht doch lieber erst über
den Inhalt zu verständigen. Bei dem letzten Punkt kam es erstmals
zu persönlichen Fehden zwischen den Teilnehmern.
Während der ganzen Tage wurde allerdings
nicht recht klar, worauf die Konferenz in Wien, an deren Planung wir so
überaus eifrig arbeiteten, eigentlich hinauslaufen sollte. Einig
waren sich alle, daß dort die Möglichkeit des gegenseitigen
Kennenlernens gegeben sein sollte — ein sinnvoller Grundkonsens.
Meinungsverschiedenheiten kamen jedoch schon bei der Frage auf, wie die
Gesandten der einzelnen Länder sich und die Situation der Philosophie
in ihrem Land im Plenum vorstellen sollten. Die österreichische Fraktion
vertrat die Ansicht, daß ruhig mehrere Vertreter desselben Landes
über Verschiedenes reden könnten. Die dabei fast zwangsläufig
entstehenden Widersprüche könne man als getreues Abbild des
Lebens selbst und seiner Vielfalt positiv werten. Uneinigkeit herrschte
auch über das Thema ›Philosophie im interkulturellen Vergleich‹.
Sollte man hier ausschließlich darstellend verfahren, oder auch
kritisch, das heißt, vorrangig die Rolle des Philosophen und der
Philosophie in der Gesellschaft diskutieren ? Knifflige Frage.
Was genau dann bei den Gesprächen herausgekommen
ist, weiß ich allerdings leider auch nicht mehr so genau. Die Protokolle
sind zusammen mit dem Rucksack von Holger auf dem Rückflug verlorengegangen.
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