Aus dem Briefwechsel
Wilhelm & Jacob Grimm mit Frommann
3 Erstdrucke
— aus den Handschriften transkribiert
von Ralf Grötker —
Wilhelm Grimm an Frommann. Kassel, 19. August 1839
cassel 19 Aug. 1839
Herzlichen dank, lieber herr doctor, für Ihren
brief vom 14 Juli und für die freundschaftlichen und theilnehmenden
äußerungen, die er enthält. mir thut diese gesinnung in
der jetzigen zeit doppelt wol, und mich erfreut der ausdruck derselben
auch da, wo ich sie, wie bei Ihnen, voraus setzen konnte. auch für
alles übrige dank, achten Sie doch ferner darauf, wenn Sie noch sonst
beziehungen zu Freidank finden; ich kann davon bei einer etwaigen neuen
auflage gebrauch machen. von der handschrift zu Rom, die Greith nachgewiesen
hat, hoffe ich auch eine abschrift zu bekommen, und vielleicht ist aus
dieser noch etwas bedeutendes für den text zu gewinnen.
Die goldene Schmiede ist beinahe fertig;
ich halte sie für das schwierigste gedicht Konrads, und habe sie
erst durch hilfe vieler hss, so leidlich herausarbeiten können. auch
die einleitung wird ganz neu. ich laße noch nicht drucken weil ich
erst Konrads Silvester benutzen will.
Der runenstein, wovon Sie mir abschrift
mitgetheilt haben, ist unbezweifelt ein betrug. Sie finden das nähere
darüber in den götting. anz. 1830 sf. 194.195
Die arbeiten für das wörterbuch haben den besten fortgang. Die
auszüge aus Klopstock haben wir richtig empfangen (es that mir leid
daß ich den überbringer nur ein paar augenblicke sah), die
sorgfalt und genauigkeit, mit der sie gemacht sind, sieht man auf den
ersten blick. mein bruder will Ihnen näher darüber schreiben.
Ich sende Ihnen hierbei ein kleines geschenk,
den Wernher vom Niederrhein, eine nebenarbeit, über die ich mich
mehr freuen würde, wenn der text nicht so verderbt wäre. es
war oft mit aller mühe nicht zu helfen. dennoch sind diese gedichte
merkwürdig.
Möge es Ihnen wol ergehen, lieber herr
doctor. es soll mich freuen wenn Sie mir zuweilen schreiben wollen. der
freundschaftlichsten gesinnung können Sie gewiß sein
Wilh. Grimm
Frommann an Jacob Grimm. Nürnberg, ?? 2.1854
Geheimer
Hochwohlgeb. herr rath 1
hochverehrter herr u freund !
Unmögl. kann ich die günstige gelegenh., die sich mir in der
bevorstehenden reise des H.2v. A.. bietet,
so vorbeilassen, ohne Ihnen vor allem die ehrerbietigsten grüße
u herzl. wünsche durch dieselbe zu entbieten, u dann Ihrer väterlich
treuen theilnahme an meinem geschicke, die Sie mir auf e. unvergeßl.
weise bethätigt haben, einen neuen bericht über mein gegenwärtiges
leben u treiben zukommen zu lassen, den das lebendige wort des verehrten
überbringers am besten ergänzen mag.
Sie wissen, mit welcher sehnsucht ich seit
jahren die stunde der erlösung aus jener, mit geisttödtenden
arbeiten mich überbürdenden schulstelle in meiner
vaterstadt herbeiwünschte,3 um wieder
einer wissenschaft mich ganz widmen zu können, für welche auch
Sie, hochver. hr., mich wahrhaft begeistert haben. Wenn ich Leider4
verstatteten die kleinlichen verhältnisse unseres ländchens
nur, mir, selbst auf Ihre ebenso gewichtige als liebevolle fürsprache,
eine erfüllung jenes wunsches in ungewisse ferne zu stellen.
Da kam im sommer des vorigen jahres noch
hinzu, daß H. v. A. bei einem besuche in Kob. mich zur theilnahme
an der herausgabe seines neu begründeten anzeigers gewann. Bei dieser
beschäftigung wurde die liebe zu jener wissenschaft immer mehr in
mir genährt u entflammt, so daß ich, alsbald verschiedene umstände
eine bleibende anwesenheit in Nürnb. selbst erforderten,
u H. v. A. mir dazu die stelle eines archivars u bibliothekars am germ.
mus. anbot, nicht lange mich bedachte, e. sichere, lebenslängl. anstellung
u so manche liebe verhältnisse, die an meine vaterstadt mich fesselten,
zum opfer zu bringen [,]5 um mich
aus jener lage, die Sie ganz passend als e. gehemmte
bezeichneten, durch e. raschen entschluß selbst zu befreien.
Mit dem 1. nov. bin ich in mein neues amt
hier eingetreten, u ich bekenne aufrichtig, daß ich diesen schritt,
auch unter dem druck der gegenwärtigen zeitverhältnisse, noch
keinen augenblick bereuet habe. Ich fühle mich vielmehr glücklich
in einer beschäftigung, die mich meinem lieblingsstudium, wenn auch
nicht ganz wiedergegeben, so doch viel näher gestellt hat.6
Nur eines ist es, was beim blick in die zukunft mich beunruhigt, der unsichere
boden, auf welchem d. germ. mus. zur zeit noch stehet, u auf welchem ich,
ihm zur seite, einen neuen häusl. herd für mich u meine familie
begründet habe. Allein, wenn nicht alle zeichen täuschen, so
dürfen wir doch der freudigen hoffnung raum geben, es werde die echt
deutsche sache des germ. mus. mehr u mehr die herzen aller freunde des
vaterlandes für sich gewinnen u darin seine festeste grundlage finden.
In dieser Hoffnung ist nun vor allem mein
blick auf jene meister der wissenschaft gerichtet, unter denen Sie, hochverehrter
herr, eine so wichtige stelle einnehmen. Schon namen
wie der Ihrige haben ein bedeutendes gewicht; doch mehr noch e. wort_der_anerkennung7,
der_empfehlung. Dürfte ich es darum wagen,
Sie lediglich im intresse [!]8 der guten sache
(welcher ich e. so bedeutendes opfer zu bringen gern bereit war) um eines
od. d. andere zeichen Ihrer anerkennung, die Sie ihr gewiß nicht
versagen werden, freundschaft bitten ? Zu Ihrer so oft bewährten
liebe für alles vaterländl. vertraue ich fest, keine fehlbitte
gethan zu haben. Ihr beispiel wird nicht ohne folgen bleiben, u wir sehen
dann ein werk fester begründet, das wissenschaft u kunst zu großem
nutzen, dem vaterlande zu hoher ehre gereichen soll u wird.
Was meine wissenschaftl. arbeiten angeht,
so haben sich diese bisher fast nur auf d. mus. beschränkt, das zeit
u kräfte vollaus in anspruch nimmt; doch hoffe ich auch in dieser
hinsicht auf eine bessere zukunft, in der es mir vergönnt
sein wird, jene materialien, die ich in einer längst vergangenen
schönen zeit gesammelt, endlich zu verarbeiten. Zuvörderst
die umfassenden auszüge aus einer wiener hs [.] des Benoît
in ihrem verhältnisse zu Herb. zusammen zustellen u ihm
einige bruchstücke einer der hs. dieses deutschen ged. anzuschliessen,
habe ich noch immer nicht die zeit gewinnen können. Meine 6 bände
des troj. krieges befinden sich seit vorigem herbste in den händen
von F. Roth in in Frankf., der eine gesammtausgabe der kl.
ged. Konrad´s beabsichtigt. Leider ist des l. freundes gesundheit
sehr wankend geworden, so daß d. schlimmste zu befürchten steht.
—
Begierig werde ich der rückkehr des
H. v. A. entgegen sehn, um recht viel gutes u schönes v. Ihnen, [!]
u. v. Ihrem verehrten H. bruder W., dem ich mich freundschaft
zu empfehlen bitte, zu erfahren. Möge der himmel Sie noch recht lange
der wissenschaft u dem kreise ihrer freunde erhalten, zu welchem mit stolz
sich zählt
Nürnberg, d. [Leerstelle] fbr. 1854
Ihr
Sie hochverehrender, dankb. schüler
Dr. K. Fr.
Wilhelm Grimm an Frommann. Berlin, 21. Februar 1855
Hochgeehrter freund,
Ich war gleich der meinung daß Sie
bei der aufnahme jener Meiklesb. [?] sprachproben nicht an den feind des
wörterbuches gedacht hatten, weil es mir ebenso ergangen war, ich
bin daher, und mein bruder wird es auch sein, vollkommen von allem überzeugt
sein [!], was Sie in Ihrem letzten brief sagen. unser gutes verhältnis
besteht unverändert fort. ebenso bleibt meine bitte bei kraft daß
Sie mir eine abschrift des Münchner Freidanks besorgen; Sie erzeigen
mir dadurch einen großen gefallen.
Ich ersuche Sie die einlage an herrn v.
Aufsteß gelangen zu lassen. ich muß meine zeit für die
arbeiten an der academie, dem wörterbuch und anderm, was schon begonnen
ist, so zu rat halten daß ich mich zu keiner weitern Thätigkeit
verpflichten kann. das museum ist nach meiner meinung viel zu weitläuftig
angelegt; ich hoffe nur daß sich Ihre stellung dabei nach Ihren
wünschen gestaltet.
Mit den freundschaftlichsten grüßen
Berlin 21er Febr. 1855 der
Ihrige Wilhelm Grimm
***
1
Lesart : hofrath
2
Dieser Buchstabe ist nicht zu lesen. Als großes H ist er
anders als das große H in der Anrede. Aber was anderes kommt in
Frage ? — Taucht mehrmals im Text auf.
3
Rechts am Rand, einem Einlassungszeichen F folgend, die folgende Notiz.
Die letzten Worte der Notiz, Wenn ich, verhindern eine eindeutige
Einfügung des Textes hinter herbeiwünschte. Nach begeistert
haben ein Absatz.
4
Frommann wollte wohl zuerst schreiben »... meiner vaterstadt herbeiwünschte,
und wie, leider! die kleinlichen verhältnisse unseres ländchens
nur verstatteten«, korrigierte sich aber dann in »... herbeiwünschte,
um wieder einer wissenschaft ... Leider verstatteten ...«
5
Wenn Frommann ein Komma gesetzt hat, dann ist es auf der vorliegenden
Kopie des Originals den linken Rand hinuntergerutscht.
6
An dieser Stelle verweist ein Schrägstrich mit Balken, ein F,
auf eine Einlassung. Am Rande ist auf der Kopie schwach zu erkennen, daß
dort irgendwas stehen muß. Es ist nicht zu entziffern.
7
Links am Rand : der anerkennung, — es wurde mit in den
unterstrichenen Text aufgenommen
8
Hier die Annahme, daß dies weder Schreibweise, noch eine
Verschreibung ist, sondern vielmehr ein Kürzel
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