Renategeschichten
von Martin Jordan
XIX. Der Lebensbund (Teil 2)
Wenn
alle Brünnlein fließen, haben die alten Männer in
ihren Cordhosen und Strukturpullundern gegrunzt. Dann muß man
trinken, haben die alten Frauen mit den Faltenröcken und blickdichten
Strümpfen dann gequiekt. Sogar Renate. Dabei hatte ich gar nicht
gewußt, daß sie außer dem ›Baggerführer Willibald‹,
›Wenn du so bist wie dein Lachen‹ und ›Unter dem Pflaster
liegt der Strand‹ überhaupt noch andere Lieder kennt.
Die Festhalle des LEBENSBUND
SIGRUNE platzte aus allen Nähten. Das Wintersonnenwendfest
war in vollem Gange. Wenn ich mein Schatz nicht rufen darf brummten
die Männer mit hochrotem Kopf und schleppten die Frauen in einer
komplizierten, aber sicher völkischen Tanzfigur von einer Seite des
holzvertäfelten Saales auf die andere. Ju ja, rufen darf, tu
ich ihm wi-hin-ken ! kreischten die Frauen begeistert. Selbstgewebtes,
schwer fallendes Tuch wirbelte den Staub siebzigjähriger Lebensfreude
auf.
Ich habe mich umgesehen. Links war eine
große vegetarische Festtafel aufgebaut. Auf einem Podest, wo auch
verschiedene Musikinstrumente standen, darunter ein altersschwacher Bechsteinflügel,
spielten einige Kinder, darunter auch die Lena, lustlos mit ganz tollen
wachsversiegelten Holzspielsachen. Ich glaube, es sollten Tiere sein,
aber es ist ja so, daß die anthroposophischen Spielzeugtischler
mehr auf eine geschwungene Form als auf Ähnlichkeit mit dem Modell
Wert legen.
Nachdem der Tanz vorbei und der Beweis erbracht
war, daß Deodorants von Weleda in puncto Wirksamkeit vielleicht
doch nicht so ganz der wahre Jakob sind, wurde in einem Rollstuhl jemand
hereingeschoben, der mindestens 200 Jahre alt sein mußte und ganz
in orange Wolldecken gehüllt war. Applaus brandete auf und alle sind
völlig aus dem Häuschen gewesen. Renate ist eine von denen gewesen,
die ihn in den Saal geschoben hatten. Sie ist ans Mikrophon gegangen und
hat gesagt : »Liebe Freunde, liebe Schwestern und Brüder. Wir
haben heute denjenigen Mann bei uns zu Gast, der mehr als jeder andere
für unsere Bewegung, für den Lebensbund und die geistige Errettung
der germanischen Seele getan hat. Ihr alle kennt ihn, es ist der letzte
noch lebende Neffe unseres verehrungswürdigen Gründers. Begrüßt
jetzt alle unseren lieben Prof. Dr. theol. Dr. phil. mult. Dr. med. Reinmar
Ingobert Kurzbein von Jeddelsburg, der kurz vor seinem 98. Geburtstag
noch die Zeit gefunden hat, uns hier im Dorf zu besuchen !« Alle
sind in Ekstase geraten, aber der Opa hat gar nichts mehr mitbekommen.
Dafür ist ihm ein Spuckfaden aus dem Mund gekommen. Dann hat man
ihm das Mikrophon vor den Mund gehalten und er hat gesagt : »Jajaja,
immer den Weibern auf die Fut gucken, das könnt ihr. Ich habe Hunger.
Ich will endlich schlafen. Wo bin ich hier ?«
Glücklicherweise hat das Mikrophon fast die ganze Zeit eine Rückkopplung
gehabt. Später stand dann im Blatt des Lebensbundes : Der verehrte
Professor merkte in seiner scharfsinnigen Festrede noch folgendes an :
Man solle vorbei an den Leibern in die Glut gucken. Die Seele hat Hunger
und läßt sich nicht strafen. Die Frage sei für den Menschen,
wo er auf der Erde stehe.
Pünktlich um elf Uhr abends war dann
alles vorbei. Die meisten gingen schlafen. Einige machten auch noch Spaziergänge
im Schnee oder tranken im Erleuchtungszimmer noch zwei verbotene Flaschen
Viala.
»Ach« sagte Renate und nahm
einen tiefen Schluck. »Weißte, ich vermiß das jetzt
doch irgendwo, das ganze Leben auf der Szene. Also ich hab jetzt zwar
total tiefe Einblicke bekommen in das Leben von den Leuten hier und die
sind auch total lieb und alles ... aber ich glaube, ich muß wieder
zurück. Und das erste, was ich mache, weißt du, was das ist
?« »Nein« habe ich gesagt. »Das erste, was ich
mache, ist, daß ich in die Disco Traumzeit 77 gehe und
mir einen gutgebauten Mann unter 20 schnappe und dann geht bei mir zuhause
die Post ab«
So ist Renate wieder ins Leben gekommen.
XX. Regenwald
Renate ist
ins Café Azur gekommen mit einem Flugblatt. Das hatte eine Frau
geschrieben, die fast sieben Jahre lang im Regenwald gewohnt und dort
den Sohn eines Medizinmannes geheiratet hat. Renate hat das Flugblatt
vorgelesen und gesagt, da wäre doch endlich einmal die Möglichkeit,
echt etwas zu tun, so richtig solidarische Hilfe von Volk zu Volk zu machen.
Und daß wir alle spenden sollen.
Etta hat sofort gesagt, das findet sie total
super. Obwohl, eine Medizinfrau wäre doch wohl noch besser gewesen.
Weil, sie macht doch auch im Schamaninnenworkshop vom LesbInnen-Referat
mit und hat gerade in Bostelfehn die Initiationsgruppe (Basiskurs A) mitgemacht.
Viel von der Wirkung schamanischer Ritualinnen ginge verloren, wenn männliche
Energie die Erdfelder beschmutzt.
»Wieso ?« hat der Norbert die
Renate gefragt. Der Etta hat er, echt typisch für den Chauvi, gar
nicht zugehört gehabt. Der macht mit seiner negativen Art oft viel
kaputt. »Jedesmal, wenn ich Bilder von Regenwaldabholzungen sehe,
sind das die Indios selber, die das alles niederreißen und abbrennen«
Alle haben ihn strafend angesehen. »Quatsch
!« hat die Gundula gesagt. »Das ist es doch gerade, was uns
die Medienmultis weismachen wollen. Das sind alles gekaufte und verkleidete
Agenten der Holzgesellschaften und von McDonald´s, die das alles
zu Weideland machen wollen und nach Öl bohren« »Was denn
nun ? Weideland oder Öl ?« hat der Norbert wieder ganz unsachlich
gefragt. »Und wer sagt uns, daß die Indios nicht die ganze
Kohle auf den Kopp hauen und Geschmack daran kriegen und sofort anfangen,
jetzt erst recht den Regenwald abzuholzen ?« Wir sind jetzt wirklich
sehr, sehr böse gewesen und haben das auch verbalisiert. Wir mußten
Norbert dann sogar bitten, zu gehen. Weil, ich glaube, er hat sich nur
mit seinem Zynismus profilieren wollen, aber sich auf Kosten des Weltklimas
zu profilieren, das geht ja irgendwo nicht zusammen. Ich habe mir dann
noch einen Capucchino bestellt. Obwohl, ich habs auch nicht so dicke bei
meiner ABM-Stelle.
Die Leonie hat noch gesagt : »Du,
Renate, wenn das echt ein Medizinmann ist, dann hat er total viel Wissen
und echt Power. Wie wäre es denn, wenn wir im AuKultZent eine Party
machen, so mit Weltmusikdisco, und da laden wir den einfach ein. Da soll
er dann trommeln und tanzen und die Eintrittsgelder gehen zur Hälfte
an den Regenwald«
Etta und Renate sind ja beide im Fetenausschuß
vom AuKultZent, sie waren sofort dafür und haben gesagt, ja klar,
da machen wir einen Antrag im Fetenausschußplenum, das nächste
ist im Sommer, und da sprechen wir das ganz deutlich an. Obwohl, erst
wär ja noch die Greenpeacefete, dann das kurdische Newrozfest, dann
die African Roots Night und an jedem Sonnabend ja sowieso die Disco für
Lesbinnen, Lesben und andere homosexuelle Frauen.
Ich weiß gar nicht recht, was Renate
eigentlich plant. Ich habe den Indio-Medizinmann nämlich gesehen.
Im Café Siebenschläfer hat er gestern mit seiner Frau und
Renate zusammengesessen. Er ist einen Meter fünfzig groß und
trägt einen grauen, dreiteiligen Anzug mit Turnschuhen dazu und fährt
einen Ford Fiesta.
Er hat an der Universität Göttingen
Betriebswirtschaft studiert und arbeitet jetzt bei einer Spedition. Wie
der Typ vernünftig tanzen und trommeln soll, ist mir ein Rätsel.
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