Leo Trotzki
kleiderrechen in gips
Jetzt beginnen
wir erst allmählich, das pflaster auszubessern, die kanalisationsrohre
zu reparieren und die uns als erbschaft hinterlassenen unfertigen häuser
zu ende zu bauen — wir fangen erst an. Die landwirtschaftliche ausstellung
haben wir in holz errichtet. Eine bautätigkeit grösseren ausmasses
müssen wir immer noch aufschieben. Die autoren gigantischer projekte
im geiste Tatlins bekommen eine unfreiwillige zusätzliche atempause
für erneute überlegungen, verbesserungen oder für eine
radikale überprüfung. Man darf sich die sache natürlich
nicht so vorstellen, als wollten wir noch jahrzehnte lang nur alte häuser
und strassen ausbessern. In diesem prozess wird es wie in jedem anderen
sowohl perioden des flickens, zögernder vorbereitungen und der kräftesammlung
geben als auch perioden eines raschen aufstiegs. Kaum, dass sich nach
deckung der unaufschiebbarsten und lebensnotwendigsten bedürfnisse
ein geringer überfluss abzeichnen sollte, wird der sowjetstaat die
frage gigantischer bauvorhaben auf die tagesordnung setzen, in denen der
geist unserer epoche seine monumentale verkörperung finden wird.
Tatlin hat unbedingt recht, wenn er in seinem projekt die nationalen stilarten,
die allegorische skulptur, die stuckverzierungen, kringel, schnörkel
und schwänzchen über bord wirft und sich bemüht, die ganze
idee einer richtigen konstruktiven ausnutzung des materials zu unterwerfen.
So besteht die konstruktion der maschinen, die architektur der brücken
und markthallen nicht erst seit gestern. Ob aber Tatlin damit recht hat,
dass die rotierenden würfel, pyramiden und glaszylinder seine eigene
erfindung seien, müsste er erst beweisen. Ob schlecht oder recht,
die verhältnisse werden ihm jedenfalls genügend zeit lassen,
die entsprechenden beweise beizubringen.
Maupassant hat den Eiffelturm verabscheut,
was ihm nicht unbedingt jeder nachmachen muss. Aber unbestreitbar macht
der Eiffelturm einen zwiespältigen eindruck : er besticht durch die
technische einfachheit seiner form, stösst aber zugleich durch seine
zwecklosigkeit ab. Ein innerer widerspruch steckt in ihm : vom standpunkt
eines hochbaus aus eine äusserst zweckmässige ausnützung
des materials — aber wozu ? Das ist kein gebäude, sondern eine
übungsarbeit. Gegenwärtig dient der Eiffelturm bekanntlich als
rundfunkstation. Das gibt ihm sinn, macht ihn ästhetisch einheitlicher.
Obwohl — wäre der turm von anfang an als rundfunkstation gebaut
worden — er hätte wahrscheinlich eine noch zweckmässigere
form erhalten und hätte dadurch eine noch grössere künstlerische
vollkommenheit erlangt.
Der entwurf Tatlins für das .Denkmal
der III. Internationale. (1919/1920) stellt sich von diesem gesichtspunkt
aus als wesentlich weniger befriedigend heraus. Der zweck des hauptbaues
dient der anordnung von räumen aus glas für die sitzungen des
weltrates der volkskommissare, der Kommunistischen Internationale u.s.w.
Aber die stützen und pfeiler, die den gläsernen zylinder und
die pyramide umgeben und halten — nur dazu sollen sie dienen —
sind so ungefüge und schwerfällig, dass sie wie stehengelassene
baugerüste erscheinen. Sie verstehen nicht, wozu sie da sind ? Man
antwortet Ihnen : um den sich drehenden zylinder zu stützen, in dem
die sitzungen stattfinden werden. Sie entgegnen : die sitzungen müssen
doch nicht unbedingt in einem zylinder stattfinden, und der zylinder muss
sich doch nicht unbedingt drehen. Ich kann mich erinnern, dass ich in
meiner kindheit eine kathedrale aus holz gesehen habe, die in einer bierflasche
untergebracht war. Das setzte meine phantasie in erstaunen, und ich fragte
mich damals nicht : warum ? Tatlin beschreitet den entgegengesetzten
weg : er will die glasflasche für den weltrat der volkskommissare
in einer spiralförmigen kathedrale aus eisenbeton unterbringen. Aber
jetzt kann ich nicht umhin zu fragen : warum ? Genauer gesagt : wir würden
wahrscheinlich den zylinder wie auch seine rotation akzeptieren, wenn
das der leichtigkeit und einfachheit der konstruktion entsprechen würde,
d.h. wenn die drehvorrichtungen nicht die leistung erdrücken würden.
Wir können uns auch nicht mit jenen begründungen einverstanden
erklären, die angeführt werden, um uns den künstlerischen
sinn der skulpturen, sagen wir eines Jakow Lipschitz, zu erklären.
Die skulptur muss ihre fiktive unabhängigkeit aufgeben, weil sie
sonst zum vegetieren auf den hinterhöfen des lebens oder in museen,
diesen friedhöfen der kunst, verurteilt wäre — sie muss
vielmehr ihre verbindung mit der architektur zu einer gewissen höheren
einheit erneuern. In diesem erweiterten sinn muss die skulptur eine utilitäre
bestimmung erhalten. Ausgezeichnet. Aber es lässt sich überhaupt
nicht erkennen, wie man mit solchen ideen an die skulptur von Lipschitz
herangehen soll. Die photographie zeigt uns einige sich überschneidende
flächen, die man u.u. als schematisierung eines sitzenden menschen
ansehen könnte, der ein saiteninstrument in der hand hält. Man
sagt uns : wenn das auch heute noch nicht utilität ist, so ist es
doch »zweckmässig«. Wie ist das zu verstehen ? Wenn man
die zweckmässigkeit beurteilen soll, dann muss man den zweck kennen.
Wenn man über die zweckmässigkeit und evtl. über die verwendbarkeit
dieser zahlreichen sich überschneidenden flächen, eckigen formen
und vorsprünge nachdenkt, dann kommt man zu dem schluss, dass man
diese skulptur im äussersten fall auch als einen kleiderrechen verwenden
könnte. Wenn aber der autor sich hinwiederum die aufgabe gestellt
haben sollte, einen kleiderrechen als skulptur zu schaffen, dann hätte
er für ihn wahrscheinlich zweckmässigere formen gefunden. Jedenfalls
empfiehlt es sich nicht, einen derartigen kleiderrechen in gips zu giessen.
Es bleibt nur noch anzunehmen, dass die
skulptur von Lipschitz ebenso wie auch die wortschöpfungen von Krutschenych
nichts weiter sind als technische übungen auf dem wege zur meisterschaft,
tonleitern, passagen und exerzitien der sprach- und bildhauermusik der
zukunft. Aber dann sollte man die exerzitien nicht für musik ausgeben.
Am besten liesse man sie in der werkstatt und zeigte sie nicht den photographen.
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