Sensation : Kafka-Erzählung
neu zuendegeschrieben
[Das Leihhaus] III
gleichzeitig als Fälschung enttarnt
Der Wind
pfiff verbittert durch die steinern daliegenden Sackgassen. War es eine
glanzlose Nacht ? K war verwirrt — er wußte selbst das nicht
mehr. K gab sich einen Ruck. Er mußte Ordnung schaffen. Oder es
wenigstens versuchen.
K. lenkte seine Schritte hölzern zum
Leihhaus, das er früher abschätzig und nie einen Gedanken daran,
daß er unter anderen Umständen und zu anderen Zeiten solchen
Dienst einmal werde benötigen können, verschwendet habend, auf
dem Weg zu einem geselligen Biervergnügen mit anderen Kontoristen
passiert hatte. Eine Frostbeule schmerzte ihn. Dann lag schummrig die
samtene Auslage vor ihm. Silberbesteck, Lederkoffer, Wäsche aus aller
Damen Länder und da, auch eine Uhr. K. betrat den Raum, eine staubige
Ladentheke, Bohlen, die knarrten. K. war allein. Beinah allein. In einem
Hinterzimmer rumorten hinter einer Milchglasscheibe drei Silhouetten :
Gläserklirren und Gelächter. K. kam es vor, als erkenne er unter
anderem das sinistre und frivole Keifen seiner Wirtin. Fröhliche
Lieder, die K. aus seiner Knabenzeit kannte, wurden gesungen. Und das
— war das nicht der Schattenriß seines Vorgesetzten ?
Eine Stimme sagte : »Ich glaube, es
ist so weit«, dann trat eine Gestalt aus den Schatten und knarrend
aus dem Verschlag : »Bitte ?«
K. entbot seinen Gruß, staunte nicht
schlecht über den Nasenhöcker seines Gegenüber und stellte
sich knapp mit Namen und Profession vor, um dann mit schweigender Ehrfurcht
die väterliche Uhr auf den Tresen zu legen. Doktor B. — und
es war Doktor B., und K. war später, als hätte er immer schon
gewußt, dies müsse Doktor B. sein — schnarrte »Doktor
M. B.« und fügte hinzu : »Die ist nichts wert, gar nichts«
Dr. M. B. tickte einen ringlosen Stummelfinger auf die Uhr, »aber
ich will es prüfen. Lassen Sie sie mir zur Begutachtung über
Nacht und kommen Sie morgen früh wieder« »Geht es nicht
etwas eiliger ?« »Nein. Als ob Sie´s nicht wüßten«
»Sie haben recht« sagte K., denn schließlich wußte
er es ja wirklich.
K. verbrachte eine wüste, schlaflose
Nacht. Er litt wie ein Hund und fand, wo den Abend zuvor noch das Leihhaus
gewesen war, am nächsten Morgen eine Hutmacherei vor. K., der sich
über nur noch wenig wunderte, betrat die Hutmacherei und fragte dennoch
»Wie kann das sein ?« Der bedienende Hutmacher, der entfernt
Ähnlichkeit mit Dr. M. B. besaß, wenn er auch einen Ring am
Stummelfinger trug, antwortete, das wisse er auch nicht, und als er für
einen kurzen Moment im Hinterzimmer, in dem mutmaßlich wenige Stunden
zuvor noch das feuchte Gelage stattgefunden hatte, verschwand, um, wie
er sagte, kurz etwas nachzugucken, griff K. innerlich aufgewühlt
und empört einen Hut (mit seinem Monogramm im Innenfutter !) von
einem Ständer und stahl sich und den Hut davon.
K. taumelte durch die erwachende Stadt.
Als er wie zufällig am Kontor vorbeikam, sah er, daß im Beet,
das die Enkel der Putzfrauen seitlich des Treppenaufgangs eingerichtet
hatten, schon Sommerblumen Blüte trugen, und eine Stimme schallte
aus dem dritten Stock, in dem er bis dahin gearbeitet, aus dem offenen
Fenster : »Nach fünf Jahren, K., großartig. Wir haben
alles gelesen. Und, werden Sie die Ihnen angetragene Teilhaberschaft annehmen
?« K. antwortete nicht. Alles schien hell und freundlich, ihm aber
war es anders zumute, denn wie sollte er seiner Wirtin erklären,
daß er sein Versprechen nicht würde einhalten können ?
Er beschloß, das offene Wort zu suchen und ihm war, als ermuntere
ihn ein jedes Kinder- und Frauenlächeln, derer ihm allerdings viele
zuflogen auf seinem Heimweg. Verdächtig viele !
Besonders als er bei seiner Wirtin pochte,
war ihm, als stimme etwas nicht. Die Wirtin hingegen, die verkatert im
Morgenmantel ihre Tür einen Spalt nur öffnete, bemerkte leichthin,
er habe sich gemausert die letzten zehn Jahre und er solle nicht so herumschwarwenzeln,
ob er sie nicht endlich beschälen möge, sie wolle trächtig
werden von ihm. K. tat es.
Wenig später sagte die Wirtin, die
aus dem Mund stark, aber angenehm, wie es K. schien, nach Slibovitz, Zwiebelknödel
und Samen roch : »Ihr altes Zimmer ist natürlich vermietet,
als ob Sie´s nicht wüßten, Sie können aber ein andres
haben, ein prächtigeres, helleres natürlich nun«
K. betrat sein neues Zimmer, aber als er
sich nach den Anstrengungen der letzten zwei Tage zur Ruhe begeben wollte,
schälte sich aus dem Dunkel des Schrankes eine Gestalt. Wild pochten
K.´s Mutmaßungen : war es der Bettler, sein Vorgesetzter,
Dr. M. B. ? Alles war möglich, ja, mehr als das.
Ein eisiger Dolch fuhr in K.´s Herz
: »Guten Abend, Sohn. Ich bin gekommen aus dem Reich der Schatten
und Schränke, mir das Pfand zu holen, daß ich dir zu treuen
Händen einst übereignete : so gib mir denn das Meinige, überkommen
auf mich von meinem Vater und meines Vaters Vater : meine Lieblingsuhr
!«
»Aber Vater ... Doktor ! Wie kann
das alles sein, Sie wissen doch, ich sehe mich außerstande, unverständliche
Umstände ...« Hilflos reichte er den Hut. »Immerhin,
die Initialen ...«
»So muß ich dich denn würgen.
Judas«
Widerstandslos und trübe wie die Nacht
sich in den Morgen fügt, ließ K. sich ein Leid antun und sank
ohne große Geste tot nieder. K.´s Vater rief : »Komm
Lotte, das feiern wir« und die Wirtin trat herein, hakte K.´s
Vater unter und beide gingen ins Café Azur auf eine Flasche Viala,
den Triumph ordentlich zu begießen.
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