Karl Roßmann´s Dossier

Koslowski auf der Reise nach Prag
oder
Vom tapferen Freiheitskampf
des friedliebenden Iprumper Volkes


30. Mai 1966 : Koslowskis Einflußnahme auf die kulturelle Seite der roaring sixties (Beatmusik, Minirock und Kolle-Drehbücher) ist mit der Vorbereitung (coaching) David Bowies für eine Weltkarriere im wesentlichen abgeschlossen. Es drängt Größeres, oder, wie Koslowski später ergänzend hinzufügen sollte : alles hat seine Zeit.

31. Mai 1966 : Es beginnt der 13. Parteikongreß der KPC in Prag. Koslowskis Grußadresse wird ohne Simultanübersetzung verlesen und Kim Il Sung zugeordnet, so daß Waldemars Ruf nach der Gründung einer Universität Delmenhorst — wir brauchen eine rote Kaderschmiede, bevor der Studentenaufstandsquatsch losgeht — ins Leere läuft. Alexander Dubcek greift dennoch Koslowskis aufrüttelnde Warnung vor den Spielarten des Antikommunismus, die ihr Ziel mittels des Antisowjetismus verfolgen, unter dem großen Jubel aller Delegierten auf. Novotný, Lieblingskandidat Koslowskis, wird als 1. Sekretär des ZK per Akklamation wiedergewählt.

2. Oktober 1967 : Koslowski schreibt einen Leserbrief an Rude Pravo und verlangt die definitive und endgültige Unterdrückung der Schriften Arthur Fitgers in böhmisch-mährischer und tscheremissischer Sprache wg. konterrevolutionärer Tendenzen und um Delmenhorst zu ärgern. Aufgrund eines Übersetzungsfehlers wird daraus ein bunter Strauß von Maßnahmen gegen liberale Schreiberlinge aller Art, u. a. Kohout, Havel et al. Auch gut, sagt Koslowski, als ihm das zugetragen wird, sonst wird der Václav noch Präsident, und das will ja wohl keiner.

31. Oktober 1967 : Prager Studenten demonstrieren gegen Mißstände an der Universität. Empörung über hartes Vorgehen der Polizei. Telegramm von Koslowski : an die prager studenten und gymnasiasten : bin solidarisch - stop - mißstände in delmenhorst vergleichbar - stop - gemeinsam werden wir siegen - stop - aktionseinheit aller studenten unter meiner Führung jetzt - stop - euer waldemar ›wenzel‹ koslowski. Mangels eines genauen Adressaten weigert sich die Deutsche Bundespost, Sektion Delmenhorst, das Telegramm entgegenzunehmen. Koslowskis Kommentar : So kann ich nicht arbeiten. Am selben Tag erhält der Prager Polizeipräsident ein Telegramm Attila von Wieders immer feste druff - stop - dein attila. Koslowski : So geht’s natürlich auch.

31. Oktober 1967 : Geheimsitzung des ZK der KPC : Dubcek fordert Rücktritt Novotnýs. Geheimsitzung Exekutivausschuß des Irischen Frühlings : Koslowski fordert Rücktritt Novotnýs. Und sogar den von Koschnick, in dieser tschechischen Sache ist Musik drin und wir spielen die erste Geige. Neuerliches Telegramm von Koslowski, diesmal an den tschechischen Kultusminister. Nachdrücklich generalisiert Koslowski seine Forderung vom 2. Oktober des Jahres dahingehend, die gesamte böhmisch-mährische Schriftsprache konsequent auszumerzen wegen zu vieler sonderzeichen - stop - da findet sich ja keiner mehr zurecht - stop - wer soll das aussprechen - stop - und wie - stop -

8. Dezember 1967 : Breschnew in Prag. Koslowski in Bremen. Erste Verhandlungen mit Hans Koschnick über die Gründung einer Universität Bremen werden vor ihrer Aufnahme abgebrochen. Allgemeiner Umtrunk im Ball paré. Anschließend allgemeine Unruhen.

Dezember 1967 : Tschechoslowakisch-sowjetisches Handelsabkommen unterzeichnet. Volumen 1,9 Millarden Rubel. Steigerung um 8 % gegenüber dem Vorjahr. Kommuniqué betont kameradschaftliche Offenheit und herzliche Freundschaft zwischen den beiden brüderlichen Parteien und Ländern. Gleichzeitig langfristiges Lieferabkommen zwischen der Iprumper Kommune und Getränkegroßhandel Hoffmann, Huchting. Volumen 3,2 Hektoliter, diesmal aber Budweiser. Steigerung um 9 % gegenüber dem Vorjahr. Kommuniqué betont offene Kameradschaft und freundliche Herzlichkeit zwischen den beiden brüderlichen Gemeinden und Bewegungen.

3. - 5. Januar 1968 : In Prag tagt das Plenum des ZK der KPC. Funktionen des
Staatspräsidenten und des Parteichefs werden getrennt. Novotný tritt als Parteichef zurück, Dub?ek wird einstimmig Erster Sekretär des ZK. Das ZK beschließt, ein Aktionsprogramm auszuarbeiten. Gleichzeitig : Plenum des Irischen Frühlings im Gartenhaus von Blumen-Richie. Attila von Wieder fordert mehr Transparenz und die Trennung der Führungsfunktionen. Koslowski : Das mache ich nicht mit. Er stimmt aber der Ausarbeitung eines Aktionsprogrammes zu. Beileidtelegramm Koslowskis, versehentlich an Friedrich Novotný : du warst mein lieblingskandidat gewesen - stop - das wird noch bös enden1

6. und 7. März 1968 : In Sofia tagt der politisch beratende Ausschuß der Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes. Es nehmen u.a. teil Šiwkoff, Kadar, Ulbricht, Gomulka, Ceausescu und Dubcek. Koslowski, der sich eigentlich für diese Tagung angemeldet hatte, steigt in den falschen Bahnbus und erreicht nur Kirchweyhe. Das läuft alles aus dem Ruder — so Koslowski nachdenklich im strömenden Regen vor der Kirchweyher Felicianus-Kirche, als ihn ein Passant nach der Uhrzeit fragt.

22. März 1968 : Prag. Novotný tritt vom Amt des Staatspräsidenten zurück und Waldemar Koslowski tritt in Erwartung seiner eigenen Nominierung für dieses Amt und mit den Worten entweder ist man Hammer oder Amboß vom Amt des Kassenwarts des Irischen Frühlings zurück. Die Vollversammlung in Iprump verweigert ihm die Entlastung. Das Maß ist voll. Getränke-Hoffmann storniert Lieferung der restlichen 2,3 Hektoliter tschechischen Bieres. Intervention des Huchtinger Repressionsapparates wird angedroht. Ein böses Omen. Attila von Wieder schlägt Säuberungsmaßnahmen im Irischen Frühling und das Ausheben von Schützengräben vor. Koslowski ruft in Prag an, um direkte Lieferungen zu vereinbaren. Falsche Vorwahl. Oldenburger Philosophiestudent stellt sich dumm. Richard Knospe spielt mit dem Gedanken der Selbstverbrennung. Damit wären wir den Tschechen um ein paar Monate voraus, sinniert Koslowski gegenüber Ina Gerken hoffnungsfroh.

30. März 1968 : General Svoboda wird neuer Staatspräsident der CSSR. gratuliere, kamerad ! heißt es im Grußtelegramm Attila von Wieders. Koslowski lehnt eine Wahl von Wieders zum neuen Kassenwart ab. Da würden wir nur unseren zweitbesten Mann verheizen. Richard Knospe ist beleidigt und lehnt das Amt gleichfalls ab. Dritte Mahnung von Getränke-Hoffmann. Attila von Wieder regt an, tiefe Tunnel zu graben, Getränkevorräte anzulegen und nach Hegemonie zu streben. Koslowski entwirft die Denkschrift Gegen den Maoismus in Kommißköppen.

18. Mai 1968 : CSSR bittet die Sowjetunion um Golddarlehen in Höhe von 500
Millionen Dollar, um mit dessen Hilfe auf dem Weltmarkt notwendige Investitionsgüter kaufen zu können. Der Irische Frühling schlägt Getränke-Hoffmann ein Schuldenmoratorium und die Einrichtung eines angemessenen Kreditrahmens vor. Das könnte erheblich zur Entspannung beitragen, referierte Koslowski vor dem Exekutivausschuß in Iprump. Getränke-Hoffmann hält sich bedeckt. In einer verzweifelten Maßnahme bietet Koslowski der tschechischen Staatsführung ein langfristiges Handelsabkommen über Pilze im Austausch gegen Bier an. Außerdem offeriert er den Tschechen den weiteren und exklusiven Vertrieb aller Langspielplatten und Singles von Karel Gott [eigentlich : Svoboda (sic !)] im Raum Delmenhorst und Huchting.

20. Juni 1968 : Manöver des Warschauer Paktes in der CSSR beginnen. Ausgedehnte Bundeswehrübungen in der Steller Heide. Ein erster Wagen der Bereitschaftspolizei fährt an Iprump vorbei.

27. Juni 1968 : Die Denkschrift 2000 Worte, gewidmet den Arbeitern, Bauern, Angestellten, Wissenschaftlern, Künstlern und allen von Ludvik Vaculik erscheint in Líterární Lísty, Nr. 18. Zitat : Dieser Frühling ist soeben zu Ende gegangen und wird nie wiederkehren. Im Winter werden wir alles erfahren. Koslowski kommentiert beeindruckt : 2000 Worte - alter Schwede! Das ist viel.

28. Juni 1968 : Die über Nacht entstandene Streitschrift 24 Wörter, gewidmet den Delmenhorstern und allen erscheint als Typoskript in der iprumper Wohnküche : Der Irische Frühling geht nie zuende und wird nie untergehen. Im Winter werden wir die Kälte erfahren, aber der Irische Frühling wärmt uns innerlich. Hans Koschnick gibt vor, diese erneute Aufforderung, in Bremen endlich eine Universität zu gründen, nicht verstanden zu haben und stellt sich tot.

29. und 30. Juni 1968 : Erste Reise Dubceks als Parteisekretär in die Sowjetunion. Koslowski und der Irische Frühling machen einen Kurzurlaub am Steinhuder Meer. Man kann nicht immer nur kämpfen, man muß auch mal die anderen machen lassen, gibt er sich konziliant. Geheimes Schreiben an Getränke-Hoffmann, mit dem er versucht, die Katastrophe noch abzuwenden : Wenn ihr wollt, nehmt doch die Ina für eine Nacht. Aber nur für den Senior !

29. Juli - 1. August 1968 : Verhandlungen zwischen dem Präsidium der KPC und fast dem gesamten Politbüro der KPdSU in Cierna nad Tisou (Schwarzau an der Theiß). Verhandlungen zwischen dem gesamten Exekutivausschuß des Irischen Frühlings und dem Wirt des Gasthofs Zum Storchen an der Ochtum. Koslowski sichtlich gezeichnet. Überall droht Liquidation.

19. August 1968 : Beschlagnahme eines Dual-Plattenspielers und dreier Schallplatten von Karel Gott (Svoboda). Koslowski : Das ist gemein. Der Irische Frühling beschließt einstimmig, die Truppen des Warschauer Paktes um Hilfe zu rufen.

20. August 1968 : Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Koslowski wird vom Irischen Frühling nach Prag entsandt, um das Mißverständnis aufzuklären und Kampfgrüße an alle, die da kämpfen zu überbringen. Niederschrift des Kurzessays Olympischer Gedanke heute während des Kofferpackens.

21. August 1968 : Waldemar Koslowski wird auf Gleis 7 des Bremer Hauptbahnhofs ohne gültigen Fahrschein aufgegriffen. Ein Sprecher der Deutschen Bundesbahn : Wir kennen unsere Pappenheimer. Das aus dem Jahre 1966 stammende Hausverbot wird bekräftigt und verlängert. Koslowski : Ab jetzt lehne ich jede Verantwortung ab. Der Rest wird Geschichte.

Im Verlauf des Augusts berichtet Tanjug, ein mit Parka und Hornbrille bekleideter älterer Mann habe dem Studenten Jan Pallach Feuer gegeben. Am 18. August 1976 Jahre meldet ADN, ein mit Parka und Hornbrille bekleideter älterer Mann habe vor der Michaeliskirche in Zeitz dem evangelischen Pfarrer Oskar Brüsewitz Feuer gegeben.

Pfarrer Brüsewitz wurde 47 Jahre alt. Am 18. August 1976 zog er den Talar an und stellte Plakate auf, deren Inhalt nicht präzise übermittelt werden konnte, weil sie zu schnell ein Raub der Flammen wurden. Funkspruch an alle ... Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an ! Wegen Unterdrückung an Schulen, an Kindern und Jugendlichen. So in etwa. Dafür aber stammte Brüsewitz aus Ostpreußen und hatte als Schuhmachermeister in Leipzig, Weißenfeld und Weißensee in Thüringen gearbeitet. Schon früh war ihm danach gewesen, volksmissionarisch aktiv zu werden, seinem Herrn Jesus Christus zu dienen und dessen Wort unter die Menschen zu bringen. Mit großer Beharrlichkeit und Energie hat er das Direktstudium an der Predigerschule in Erfurt aufgenommen und abgeschlossen, um hauptamtlich als Pfarrer tätig sein zu können. Schon 1969 in Rippicha bei Zeitz trat er seine erste Pfarrstelle an und fiel fix auf durch Charme und phantasievolle Provokationen. Beispiel : auf einem Grundstück der Pfarrei richtete er einen Kinderspielplatz ein und postierte darauf die Losung : Die auf Gott vertrauen, erhalten neue Kraft. Oder : bei einem fröhlichen Kindersonntag gab es Kaninchen zu gewinnen. So brachte er sich rasch ins Gespräch. In einem brennend trockenen Sommer spannte Brüsewitz sein Pferdefuhrwerk an und fuhr damit in die Kreisstadt Zeitz. Die DDR-Losung Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein hatte ihn geärgert. Darum montierte er auf seinem Pferdefuhrwerk die Antwort Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott ! Natürlich hatte die VoPo in Zeitz das Fuhrwerk gestoppt und die Losung kassiert. Brüsewitz war während des folgenden Verhörs auf der Wache starker Raucher geworden.

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1 Das wird noch bös enden sollte kurze Zeit später Leitmotiv werden im Erfolgsfilm Zur Sache Schätzchen weiter im Text