Martin Jordans
Renategeschichten

C. D. FRIEDRICH : RENATE IN BETRACHTUNG DER MONDIN

     I. Renate und der Kindesmißbrauch

     Der Karsten, mit dem die Renate manchmal zusammen ist, hat jetzt gehen müssen. Weil, er hat nämlich gesagt, so ganz nebenbei, aber das ist ja gerade das Schreckliche daran, daß solche Sachen immer so ganz nebenbei passieren, er hat nämlich gesagt, daß er die Lena und den Bastian ›auch mal baden könne‹. Bei Renate haben natürlich alle Alarmglocken total geschrillt. Total wütend und traurig ist sie bei mir angekommen. Es ist immer gut, wenn man sich bei jemandem so richtig ausquatschen kann. »Du, stell dir vor, was der Karsten da gesagt hat. Ich kann echt nicht mehr. Er will seine Schweinereien mit Lena und Basti machen. Angeblich will er sie baden« Ich habe einen Mate gemacht und dann erstmal Renates Volvo Kombi richtig eingeparkt, weil, sie war so durcheinander gewesen, daß der da noch auf den Schienen von der Straßenbahn stand. Wie ich zurückgekommen bin, ist die Renate gerade am Telephonieren gewesen mit der Inge aus der Frauenkulturinitiative von dem Stadtteil, wo sie wohnt.
     »Ja du, das find ich auch, irgendwo kann das doch nicht so — ja findest du auch — ja da muß ich dann halt — hast du die Nummer ? Ja du das ist toll — wart mal — ja hier hab ich was zu schreiben — wie war das ?« Sie hat sich eine Telephonnummer aufgeschrieben. »Ja und was ich noch fragen wollte, hat sich da was getan mit dem Fahrradkurs für türkische Frauen ? Ja du, das ist toll — ja wir sehen uns dann ja auf der Fete von der Barbara — mmmmmh — ja dann tschaui — Küßchen !« Dann hat sie aufgelegt und etwas Mate getrunken und angefangen zu weinen. Ich habe sie in den Arm genommen, aber sie hat gesagt, sie könne in dieser Situation die Berührung eines Mannes nicht ertragen, noch nicht, nicht so kurz nach so einem Erlebnis. Das habe ich natürlich eingesehen : »Entschuldige du, daran habe ich nicht gedacht, entschuldige bitte« Die Renate hat dann erzählt, daß sie gerade von Inge die Nummer von der Mißbrauchsgruppe bekommen habe. Solche Fälle passieren ganz, ganz oft, also eigentlich überall, oft eben auch gerade unter dem Deckmantel der Körperpflege, wie jetzt bei Karsten. »Gerade von ihm habe ich das nicht erwartet. Er war so sanft, verständnisvoll und trotzdem konnte frau sich bei ihm so richtig anlehnen« Sie hat wieder angefangen zu weinen.
     Ich bin langsam müde geworden, weil, es war schon zwei Uhr morgens und ich hatte ein anstrengendes Workshopwochenende hinter mir. Irgendwann ist Renate dann auch gegangen. Was aus der Geschichte weiter geworden ist, weiß ich nicht, nur daß die Renate jetzt vier Stunden in der Woche das Notruftelephon macht und der Karsten jetzt erstmal für ein Jahr nach Schottland in eine Schamanenkommune gegangen ist und nachher bei Kassel eine Schwitzhütte machen will.

     II. Der Raimund

     Der Vater von der Lena und dem Sebastian ist der Raimund. Der ist ein richtiges Karriereschwein. Er hat Jura studiert und arbeitet für eine Versicherung. Die Renate weiß heute gar nicht mehr, was sie an ihm gefunden hat. Aber sie wäre ja auch noch so jung gewesen. »Ja der Raimund, der hat halt so einen Eindruck gemacht, weißte, als ob der gerade so mit Kindern und so, als ob der einfach, weißte, irgendwo schon mit sechsundzwanzig total den Durchblick hat« Ich habe nur erwartend und verständnisvoll geguckt, weil, ich wollte sie nicht drängen. »Ja und dann, weißte, hab ich gemerkt, daß ich das irgendwo nicht bin, weißte wie ich das meine, daß irgendwie sein Leben so total festgelegt war und daß ich da nicht reinpasse und so« Dann ist sie mit dem Mattes nach Sardinien gefahren und hat vorher die Lena zur Oma gebracht, weil, der Sebastian war noch unterwegs. Dann hat sich wieder gezeigt, wie total unreif der Raimund ist. Der ist nämlich zur Polizei gelaufen und hat eine Vermißtenanzeige gemacht. Echt total albern, wie ein kleines Kind. Renate hat gelacht, ich auch. Dann hat sich Renate noch eine Jaavanse von mir in ihre Zigarettenspitze gesteckt. Eigentlich raucht sie nicht mehr, aber seit sie jetzt mit dem Mattes zusammen ist, hat sie ein bißchen wieder angefangen. »Das ist total schwer, jetzt so als alleinerziehende Mutter, ich hab das ja früher immer nicht glauben wollen. Natürlich, der Raimund, der bezahlt ja immer, da ist er ja ordentlich, und wenn´s ganz hart kommt, kann ich ja vielleicht überlegen, ob ich irgendwann wieder halbtags arbeiten gehe, das wäre auch irgendwo ein stückweit ganz wichtig auch für mich selbst. Ich hab doch keine Lust, am Herd zu versauern wegen der Kinder« Da hab ich mich beeilt, zu sagen, klar, da wär sie doch wohl weiter als die meisten Frauen.
     Ob die Lena und der Sebastian den Raimund denn auch manchmal sehen, hab ich gefragt. »Nee Quatsch«, hat die Renate da gesagt, »ich find gar nicht, daß nur weil er mal eine sexuelle Beziehung zu mir hatte, daß ihm das das Recht gibt, sich in das Leben von der Lena und dem Sebastian einzumischen. Außerdem haben die Kleinen ja genug Kontakt, im Kinderladen und auch jetzt mit dem Mattes, weil, der ist ja alleinerziehender Vater von der kleinen Jule, weil die Susanne, die Mutter von der Jule, ist ja schwer schizophren und in einer Klinik im Süntelgebirge, so hab ich den Mattes doch überhaupt kennengelernt, also ein souveräner Mann, sag ich dir, ruhig und sanft und überlegen, wo sich eine Frau so richtig anlehnen kann. Echt, ich find das toll, wenn jemand an seinen Problemen irgendwo total gewachsen ist« Sie ist richtig ins Schwärmen geraten. Und sie hat recht. Den Mattes kenne ich nämlich auch, aus der Videogruppe vom Männerkulturzentrum. Der Mattes trägt seine Jule immer in einem Beutel vor dem Bauch und die Jule war die erste im Kinderladen mit Fahrradhelm. Der Mattes ist echt ein Mann, der weiß, was Verantwortung ist.

     III. Renate und die Schmerzlust

     Gestern habe ich Renate besucht. Einfach so, ich habe gedacht, einfach mal so ein bißchen quatschen. Da habe ich bemerkt, daß der Mattes gar nicht mehr da war und auch seine Sachen waren weg. »Was ist denn los ?« habe ich gefragt. »Was soll denn los sein ?« hat die Renate gefragt und hat gar nicht mehr gewußt, was ich gemeint habe. »Na daß der Mattes nicht mehr da ist !« habe ich gesagt. Ein paar Tage vorher hat die Renate mir nämlich noch erzählt, daß sie echt total ernsthaft überlegt, ob sie sich nicht von dem Raimund scheiden lassen soll und dann den Mattes heiraten, weil, der wär schon von seiner Susanne geschieden. »Ach der«, hat die Renate gesagt und das Gesicht verzogen, »den hab ich rausgeworfen. Er ist ein verklemmter Kleinkrämer, der sich nicht fallenlassen kann« »Wieso das denn ?« Ich bin wirklich total überrascht gewesen. »Ich hab doch dieses Buch mitgebracht, das von der Susan Hefner-Hughes, über totales Fallenlassen. Da steht, daß schon immer Erotik, tiefe Freude und Schmerz total verwandt gewesen sind, besonders eben bei Frauen, weil irgendwo ist es doch so, daß bei der Geburt und so, irgendwie die totale Freude und dann eben auch der Schmerz, das ist irgendwie total plausibel« »Ja und, was hat das mit dem Mattes zu tun ?« »Ja laß mich doch ausreden, echt, ihr Männer laßt eine Frau ja nie richtig ausreden. Ih, du willst hier doch wohl nicht rauchen ! Also, da gibt es jetzt vom KultZent eine Gruppe, die macht die Dorothee vom feministischen Referat, die will Frauen helfen, ihre Schmerzlust zu entdecken. Das hab ich dem Mattes erzählt und er ist total sauer geworden und hat gesagt, ob es mir mit ihm keinen Spaß macht und ob ich noch Kursgebühr dafür bezahlen will, daß mir andere Frauen in die Fresse hauen und die Brustwarzen durchbohren« »Hätte ich gar nicht gedacht, daß der Mattes so unsachlich werden kann« »Ja, was ? Echt. Aber jetzt brauch ich das auch erstmal gar nicht mehr, feste Beziehung und so, ich will erstmal abwarten und dann, wenn ich den Kurs gemacht habe, weitergucken, daß ich dann irgendwo offener meine Wünsche, daß ich die dem Partner gegenüber einfach irgendwo frei äußern kann. Frauen müssen das echt total mühsam lernen, sagt Susan Hefner-Hughes. Das ist ein richtiger Prozeß, weißt du«
     Nach dem Kurs ist die Renate dann zwei Monate mit einem Fernfahrer zusammengewesen, der sie doch ein Stück weitergebracht hat, so daß sie sich total ausleben und ihre Grenzen für sich ganz neu erfahren konnte. In dieser Zeit habe ich sie nicht häufig gesehen.

     IV. Renate und die Möbel und alles

     Neulich habe ich die Renate zufällig bei Edelholz getroffen, wo ich mir einen Stuhl kaufen wollte der zu dem Schreibtisch paßt, den ich von dem Uli bekommen habe, bevor der mit der Rose und der kleinen Lore im Unimog losgefahren ist für zwei Jahre in die GUS. Die Renate hat sich von dem Albrecht, der Biotischler gelernt hat und der mit ein paar anderen total lockeren Typen Edelholz gegründet hat und der einen total witzigen hellgrünen Porsche fährt und schwul ist, lange beraten lassen und dann eine ganze Sitzgarnitur und einen Schreibtisch und eine neue Küche gekauft. Die Haare von der Renate sind nicht mehr rot gewesen sondern so, wie ihre Haare eigentlich von Natur sind, nur leuchtender, von Jaroslaw Kosoff, dem Edelfriseur. Ich habe meinen Stuhl auf dem Fahrradanhänger festgemacht und dann sind wir, die Renate und ich, noch ins Café Azur gegangen zum Frühstücken.
     »Stell dir vor«, hat die Renate gesagt, »ich bin wieder mit dem Raimund zusammen. Zufällig habe ich ihn bei einer Aufführung der Boring Company getroffen und das hat echt wieder total gefunkt. Wir wollen wieder zusammenziehen. Ist das nicht irre ?« »Du, irre find ich das eigentlich nicht«, hab ich gesagt, »ich find echt das kann doch total keiner wissen, wann man füreinander reif ist, also ob man schon bereit ist, irgendwie sich für länger mit jemandem einzulassen und so« Das hat Renate genauso empfunden.
     Beim Stühlerücken, als der Raimund wieder mit in die Wohnung von der Renate eingezogen ist, also das ist ja eigentlich auch sein Haus, also das hat seinem Vater gehört, und die mittlere Etage ist ja dann auch wieder dazugekommen, weil die Erzieherin, die da gewohnt hat, die kann ja relativ leicht was anderes finden, und wohnt jetzt nach Raimunds Brief erstmal wieder bei ihren Eltern, da ist dann noch überraschend der Karsten aufgetaucht. Der hat einen langen, grauen Bart gehabt und hat so richtig männlich, ruhig und gelassen ausgesehen in seinem Leinenkittel aus Schottland, daß die Renate aufs Klo gegangen ist und alle haben gehört, wie sie da geweint hat. Der Karsten hat Prospekte für seine Schwitzhütte bei Kassel verteilt. Die Möbel waren noch nicht da, trotzdem ist es dann ein sehr schöner Abend geworden.

     V. Die Zirkuswagenleute

     Wie ich gestern durch die Fußgängerpassage gegangen bin, ist mir eine Gruppe von unheimlich lockeren Typen aufgefallen, die ganz unbeschwert und frei gesungen, getanzt und Flugis verteilt haben. Die haben alle lange Haare gehabt, die Männer auch lange Bärte und alle sind froh und braungebrannt gewesen. So ungefähr zehn Piepels, angezogen mit selbstgemachten Schuhen, Stirnbändern, Leinengewändern und Lederschnüren mit Tonamuletten. Dann habe ich gesehen, daß die Renate auch dabeigewesen ist. Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt gehabt, weil, das ist kurz danach gewesen, wo der Raimund zurückgekommen ist und da hat die Renate doch so yuppiemäßig ausgesehen bei dem Stühlerücken. Ich habe die Renate gefragt, was das denn für eine Gruppe ist, wo sie da jetzt mitmacht. »Du, wir sind die Zirkuswagenleute«, hat die Renate da gesagt, »hast du echt noch nie von uns gehört ? Da war doch gerade ein langer Artikel über uns in der Blumen im Beton« Ich habe die neue BiB noch gar nicht gelesen gehabt. Weil, ich les die meistens im Café Azur und da war ich die Tage noch nicht hingewesen.
     »Wir leben ganz ohne Geld, weißt du, weil Geld macht irgendwie den Menschen kaputt, irgendwann dreht sich alles nur noch ums Geld. Wir lassen uns nicht mehr verscheißern und ziehen ganz frei mit unseren Zirkuswagen durch das Land und machen Straßenmusik« Das habe ich ganz toll gefunden. Da ist mir aber eingefallen, daß die Renate gar kein Instrument spielt und habe das auch gesagt. »Ach«, hat die Renate da gemeint, »ich spiel die Trommel und tanze ein bißchen. Außerdem helf ich der Rita beim Kochen« Dann ist ein anderer aus der Zirkuswagengruppe gekommen und hat gesagt, er wär der Ragnar und ob ich eine Zigarette habe und ob ich spenden will und wie ich heiße. Ich habe ihm meinen Javaanse gegeben und er hat sich gleich mehrere gedreht. »Wir leben ohne Geld, ich weiß nicht, ob die Renate das schon gesagt hat« hat der Ragnar mit einer ruhigen, tiefen Stimme angefangen. »Geld macht irgendwie den Menschen kaputt, irgendwann dreht sich alles nur noch ums Geld. Wir lassen uns nicht mehr korrumpieren. Wer bei uns mitmachen will, darf nicht spießig sein oder so. Es gibt bei uns kein Eigentum. Alles gehört allen« Dabei hat er der Renate aufs Knie gefaßt und die Renate ist ganz rot geworden und hat auf die Erde geguckt. »Wir machen auch Töpferarbeiten, aber der Ofen ist kaputt« »Und wovon lebt ihr so ?« habe ich gefragt. »Na, von dem, was die Leute uns geben. Wir erzählen von uns in Unis, im KultZent und so und dann sammeln wir. Und wir machen Straßenmusik. Und wir suchen noch jemanden, der uns ein Grundstück oder einen Bauernhof schenkt, damit wir dann da ganz ohne Geld leben können, wie eine große glückliche Familie. Du, wir müssen wieder Musik machen« Wie er wieder weggegangen ist, hat er sich unter seinem Gewand am Sack gekratzt. Ganz offen und frei. »Ist der Ragnar nicht toll ?« hat die Renate gesagt und hat richtig glücklich ausgesehen. »Da überläuft einen doch eine Gänsehaut, ein richtiger Mann mit Ausstrahlung, oder ? So ruhig und sanft und trotzdem so richtig total männlich, wo frau sich anlehnen kann. Du, ich möchte ein Kind von ihm, unbedingt !« Dann hat sie mir noch ein Amulett umgehängt und hat angefangen zu trommeln und zu tanzen. Ich habe dann natürlich noch den Artikel im BiB gelesen und hab da eigentlich auch mitmachen wollen bei den Zirkuswagenleuten, irgendwie wenigstens für zwei Monate oder so, aber dann hat der Ragnar sich von der Renate getrennt und ist dann doch zu seinem Computerladen in Hamburg zurückgegangen. Der Rest von der Gruppe hat dann im Herbst auch aufgehört wie das zu schneien angefangen hat, schon wegen der Kinder. »Irgendwo total schade, aber man muß es ja immer wieder probieren« hat die Renate gesagt.

     VI. Leonie, die lustige Clownfrau

     Die Renate hat schon seit Wochen von nichts anderem geredet als von Leonie, der lustigen Clownfrau, die eine umheimliche Stärke ausstrahlt, wo sie auch auftritt. Leonie, die lustige Clownfrau war früher Sozialarbeiterin und hat mit kranken Kindern gearbeitet. Jetzt tritt sie auf Straßenfesten und Kindergeburtstagen auf und leitet Pantomiminnenkurse an der Volkshochschule. »Laß uns doch zusammen hingehen«, hat die Renate gesagt, »ich find das toll, wenn man wie ein Kind über einen Clown lachen kann, wenn man sich irgendwie so viel Spontaneität bewahrt hat und so« Die Renate sagt übrigens nicht Klaun, sondern Klohn. Vielleicht, weil sie aus Süddeutschland kommt. Also sind wir hingegangen. Leonie, die lustige Clownfrau ist im Kult-Zent aufgetreten, weil die haben da eine Bühne unter freiem Himmel und das ist im Sommer natürlich schön und man kann da drumrum sitzen und bei manchen Sachen richtig mitmachen.
     Wie wir angekommen sind, sind schon fast alle Plätze besetzt gewesen. Die Renate hat viele Leute getroffen, die sie kennt. Ich habe mich umgeguckt. Es sind viele Frauen in Lederklamotten und mit Ballonmützen dagewesen und junge Mütter mit buntniedlich angezogenen Kindern, die fast alle geschminkt und verkleidet waren. Männer sind nicht so viele dagewesen und gekannt habe ich nur den Mattes mit seiner Jule und zwei aus dem Männerkulturzentrum. Dann haben wir Bier geholt und uns hingesetzt.
     Dann ist Leonie, die lustige Clownfrau aufgetreten. Sie hat eine lange, strähnige Perücke aufgehabt und ihren Overall mit irgendetwas ausgestopft gehabt, damit sie so aussehen sollte, als sei sie sehr dick. Dazu hat sie geringelte Strümpfe, große Schuhe und eine Pappnase getragen. Die Frauen in Leder haben gejubelt und geschunkelt, weil, Leonie, die lustige Clownfrau hat ein Akkordeon gehabt und ein Lied gespielt. Die Kinder haben geweint oder woanders hingeguckt und die Mütter haben angefangen zu stricken. Leonie, die lustige Clownfrau hat dann noch eine Nummer gebracht mit Seifenblasen so ähnlich wie bei Roncalli und dann mit einem Kleiderständer getanzt. Dann hat sie Kinder auf die Bühne geholt und sie gefragt, was ihr größter Wunsch ist. Das war sehr poetisch und hat allen viel Mut gemacht. Ein kleines Mädchen hat gesagt, ihr größter Wunsch wär, daß endlich kein Krieg mehr ist und daß Helmut Kohl machen soll, daß alle Kinder jeden Tag Vanilleeis zu essen bekommen. Renate hat geweint, mich angestoßen und gesagt : »Du, ich möchte glaube ich doch noch ein Kind« Währenddessen habe ich gesehen, wie der Mattes auf seine Jule eingeredet und sie dann auf die Bühne geschoben hat. »Und was ist dein größter Wunsch, kleines Mädchen ?« hat Leonie, die lustige Clownfrau gefragt und dabei ihre Stimme verstellt, damit es lustig klingen sollte. Da hat Jule Angst bekommen und angefangen zu weinen. Leonie, die lustige Clownfrau hat sie getröstet und ihr mit einem riesengroßen bunten Taschentuch die Nase geputzt. Dazu hat sie in ihrer Hosentasche auf eine Hupe gedrückt, als ob sich die Jule ganz laut schneuzt. Alle haben gelacht. Da hat die Jule gesagt : »Ich wünsch mir einen Gameboy und das der Mattes aufhört immer die Nackedeifilme bei RTL zu gucken und das Susanne nicht mehr schpizopren ist« Wieder haben alle gelacht, nur Leonie, die lustige Clownfrau nicht und der Mattes hat sich in die Faust gebissen. Zum Schluß hat Leonie, die lustige Clownfrau noch ein Friedenslied gesungen und die Lederfrauen haben ihre Benzinfeuerzeuge angemacht und geschunkelt. Renate hat gesagt, sie will mit Lena und Sebastian nochmal wiederkommen und daß die Leonie eine ganz tolle starke Frau ist, die ihren Traum wahrgemacht hat.

     VII. Renate und das Projekt

     Renate und drei andere Frauen machen jetzt beim KultZent ein Projekt, bei dem sie die Grenzen von Chanson, Jazz, Schauspiel und klassischem Lied überschreiten und anschließend verwischen wollen. Das Projekt ist eine Performance oder ein Musical. Es handelt von einer weisen Frau, die eine moderne Hexe ist und alleinerziehende Mutter. Diese Frau ist total voll von weiblicher Energie und das Stück handelt davon, was alles passiert, ehe die Frau sich selbst findet und die Umwelt das zulassen kann. Wie das dann aufgeführt worden ist, haben keine Männer in den kleinen Saal vom Kult-Zent reingedurft, weil, sonst entstehen da eben doch wieder Angst-Räume für die Frauen und sie haben nichts von dem Stück, weil sie sich nicht fallenlassen können. Bei den Proben habe ich aber zusehen dürfen. Außer der Renate ist noch die Hanne dagewesen, die singt klassisch und spielt total innovativ auf dem Saxophon. Dann noch die Leonie, die ja auch das Clowninnenprojekt betreut und die Maren, die eigentlich vom afrikanischen Trommeln kommt und die spielt Cello.
     Die Hanne hat die weise Frau gespielt und ist barfuß hereingekommen mit einem kleinen Mädchen an der Hand und hat gesungen, daß jetzt die Aufführung anfängt und der Alltag wie eine Seifenblase davonschwebt. Das war total poetisch irgendwie. Dazu hat Renate Seifenblasen gemacht. Plötzlich hat die Maren Cello gespielt und ist als Katze verkleidet gewesen, das ist ein Symbol dafür gewesen, daß Frauen irgendwie auch so sanft und wild und frei wie Katzen sind. Dann hat die Hanne auf dem Saxophon gespielt. Die Leonie hat dazu Pantomime gemacht und ist sogar als Mann aufgetreten mit Stelzen und einem langen Trenchcoat, den sie selber gemacht hat, und hat Kondome aufgeblasen. Dazu hat die Maren immer auf den tiefen Saiten gespielt und die Renate hat eine Pauke geschlagen, damit man die Gewalt hören kann, die von den Männern ausgeht. Dann hat die Leonie Dias gezeigt von Frauen bei der Geburt und von der Atombombe in Hiroshima und von Kindern, die im Kinderladen hier im Stadtteil spielen.
     Ich hab das total toll gefunden und ich will jetzt mit dem Mattes und dem Winfried auch so ein Projekt machen, auch so mit Saxophon und so, über ein paar weise Männer, die die weibliche Energie in sich fließen lassen wollen und einfach die Erde bemuttern, obwohl sie Männer sind. Die Leonie hat gesagt, daß sie uns dabei helfen will.

     VIII. Trommeln und tanzen

     Gestern war ich bei der Gemischten Karibischen Tanz- und Trommelgruppe im KultZent. Weil, das Gefühl in mir ist irgendwo sehr stark geworden, daß ich mich mehr eben auch körperlich ausleben muß bei der vielen Arbeit am Schreibtisch. Da hilft irgendwann auch der teuerste Balans-Stuhl nichts mehr.
     Die meisten aus der Tanz- und Trommelgruppe habe ich gekannt. Da waren die Heike von den Lesbischen Hebammen, der Uwe von der Schwulen Selbsthilfe, der Ralle von der Rockband Anspruch : Einspruch und, ja, auch Renate. Sie hat mich auch gleich angesprochen: »Du hier ? Ich denk du bist völlig unsportlich und degeneriert, eben der typische deutsche Mann. Willst du nicht lieber mit einer Flasche Bier und im Unterhemd die Sportschau angucken gehen ?«
     Das ist gar nicht sehr nett von ihr gewesen und ich habe auch verbalisiert, daß ich ihre Verhaltensweise total verletzend gefunden habe.
     »Stell dich nicht so an«, hat die Renate gesagt, »das geht mir echt so langsam auf die Nerven, ihr typischen deutschen, verklemmten Männer seid ja emotional total verbogen, gehemmt und verkrampft«
     Plötzlich hat sie an mir vorbei zur Tür von dem Raum geguckt und mich nicht mehr beachtet. Ich habe mich auch umgedreht.
     Ein fröhlicher Rastamann mit Dreadlocks bis zur Hüfte war hereingekommen und fing an, verschiedene Trommeln, Steeldrums und sonstige Geräte aufzubauen. Renate ist gleich zu ihm hingegangen.
     »Hi Benedict ! Du, das ist toll, das Tape, das du mir mitgegeben hast. Als ob dir der warme Sand der Karibik um die Füße rieselt, die Bars von Kingston, die Sonnenuntergänge, die Liebe, die Ekstase...«
     »Jah«, sagte Benedict und grinste. Renate sah ihn verliebt an. Sie hatte wieder den Kind-von-ihm-Blick, das konnte jeder sehen, der Renate länger als zwei Wochen kannte.
     »Das ist ein richtiger Mann« hat die Renate in der Pause zu mir und Heike gesagt. »Der ist frei wie ein Vogel, der ist keiner Frau treu, dafür ist er zu stolz und wild, und trotzdem — der Rhythmus, das ist Sex, das ist nahe am Ursprung, das ist das einzige, was die Welt noch retten kann. Back to the roots. Schon die Bewegungen. Ich glaube, ich möchte ein Kind von Benedict haben« »Er wird dich auf der Stelle verlassen und dann stehst du da als Alleinerziehende« habe ich gesagt. »Na und ?« hat die Heike gesagt. »Väter vergewaltigen ja doch nur, oft körperlich, aber auf jeden Fall seelisch. Die besten Eltern sind zwei reife und erfahrene Frauen, die zusammenleben. Ich find das toll, was Renate plant. Jede Frau soll frei entscheiden, welchen Mann sie benutzen will, um sich fortzupflanzen« Dann haben Heike und Renate gesagt, ich soll nicht immer herumstehen und Frauengespräche verhindern. Das traf sich gut, denn ich mußte sowieso mal auf Klo.
     Auf dem Gang vor dem Klo habe ich gesehen, wie Uwe und Benedict sich Zungenküsse gegeben haben. Wie ich das Renate erzählt habe, ist sie weggerannt und auch später nicht mehr zum Trommeln und Tanzen gekommen. »Daß sie so reagiert, finde ich irgendwo verbogen, gehemmt und verkrampft« hat der Uwe später im Azur gemeint. »Jah« habe ich gesagt und gegrinst.

     IX. Der Hof in der Toscana

     In der Post ist ein Prospekt gewesen von einem Meditationsworkshop und Seminarzentrum in der Toscana, also ein alter, großer Hof, der in der Nähe von Carrara liegt und seit zwei Jahren mit freiwilligen HelferInnen renoviert wird. Solche Prospekte kommen eigentlich ziemlich oft. Dann habe ich aber gesehen, daß der Prospekt von der Hiltrud war. Da ist mir dann auch die Geschichte wieder eingefallen. 1985 hat Hiltrud in Tübingen den Urs, einen Schweizer, kennengelernt. Der Urs hat Wirtschaft studiert und Hiltrud hat von ihm zwei Kinder, den Fabian und den Balthasar bekommen. »Wenn der Fabi und der Balli alt genug sind und ich zu Ende studiert habe, kaufen wir uns einen Hof in der Toscana« hat die Hiltrud damals gesagt. Bis dahin sind sie immer nur mit dem VW-Bulli hingefahren, einfach mal raus aus dem grauen Alltag und die Seele baumeln lassen. Na, habe ich gedacht, das hat ja geklappt. In dem Prospekt hat auch gestanden, daß der Hof erst im Juni wieder weiterrenoviert wird, weil, Hiltrud und Urs wollten sich in ihrem Haus in Zürich in aller Ruhe auf das neue Baby einstimmen und sie freuten sich schon total.
     Da habe ich beschlossen, im August in die Toscana zu fahren und Hiltrud und Urs zu helfen beim Renovieren. Bei solchen Projekten, wenns für eine gute Sache ist, helfe ich ja gern. Ich habe Renate gefragt, ob sie mitkommen will. Sie hat Ja gesagt, aber ich soll mir darüber klar sein, daß sexuell zwischen uns nichts läuft, weil, sie hätte momentan keinen Beziehungswunsch.
     Ich habe ihr versprochen, das zu respektieren.
     Ende Juli sind wir dann in Raimunds Volvo, weil er fährt jetzt geschäftlich ja öfter den BMW, in die Toscana gefahren. Als wir auf dem Hof angekommen sind, waren wir ganz erstaunt über die vielen jungen Leute, die dort in der Hitze gearbeitet haben. Der Hof, das waren vier Häuser, ein Haupthaus, in dem die Hiltrud und Urs mit den Kindern gewohnt haben, da haben die jungen Leute, nachdem sie es fertig renoviert hatten, nicht mehr hineingedurft, weil Hiltrud und Leon, das Baby, brauchten Ruhe und Privatheit. Die anderen Häuser sind Scheunen und Ställe und noch gar nicht richtig fertig gewesen. Es hat da eigentlich nur Staub, Gerümpel und Vipern gegeben. Da haben die jungen Leute in alten Schlafsäcken gepennt. Das Essen, meistens Eintöpfe, aber nahrhaft, hat immer einer von Hiltruds Küche abgeholt. Klar, das ist Idealismus, also bei einem Alternativprojekt gibts erstmal keinen Luxus. »Die sind faul und fressen uns die Haare vom Kopf« hat die Hiltrud gesagt, als wir am Abend in der Wohnküche vom Haupthaus Lasagne gegessen haben. Dabei hat sie den Leon gestillt. »Wieso ? Was sind das überhaupt für welche ?« hat die Renate gefragt und noch einen Schluck Chianti genommen. »Meistens Arbeitsscheue und Junkies« hat die Hiltrud resigniert gesagt. »Heuer sind´s recht viele Dschanckchies oddr ?« hat der Urs mit dem Mund voll Carpacchio hinzugefügt. »Ja«, hat die Hiltrud gesagt, »wir inserieren überall in den alternativen Zeitungen, in der taz und der BiB und so, wer hier für einige Monate arbeitet, dem bezahlen wir Hin- und Rückfahrt, Kost und Unterkunft und ein kleines Taschengeld« »Du, das find ich ´ne gute Idee und total sozial auch irgendwie« hat die Renate gesagt. Ich habe gar nichts gesagt, Leon hat ein total süßes Bäuerchen gemacht und Hiltrud hat ihre Bluse wieder zugeschnürt. »Leider kommt eben viel Gesindel« hat der Urs gesagt. Durch das Küchenfenster hat man hören können, wie das Gesindel sich über den Eintopf hergemacht hat. »Zum Glück sind wir in etwa vier Jahren fertig«, hat die Hiltrud noch gemeint, »dann brauchen wir die ja nicht mehr«
     Ich glaube, wenn das Zentrum fertig ist, kommen wir noch mal zurück und nehmen an einem Workshop teil. Obwohl Urs gesagt hat, Freundschaftspreise lägen nicht drin, das müßten wir verstehen.

Seminarzentrum LA CASA, Carrara
Hiltrud Gerber-Rütli & Urs Rütli mit Leon, Balthasar und Fabian
Seminare incl. Unterkunft und Vollwertkost, excl. Kursmaterial

1.6. — 16.6. MITEINANDER

Durch liebevolle Massagen und verschiedene spirituelle Techniken wollen wir das wahre menschliche Ich, den Einklang suchen lernen. Referenten aus der Schweiz, Indien und Schottland. SFr/DM 8736.-*

18.6. — 30.6. FREISEIN

»Freisein von Angst, Freisein für Liebe — das ist Freiheit«, sagt Big Kill-them-all, traditioneller Medizinmann und Heilpraktiker aus Montana. Big wird selbst das Seminar leiten. Nacktheit, Vertrauen, Opferriten und indianische Handarbeiten sind nur einige seiner Wege, die er uns EuropäerInnen zugänglich machen will. SFr/DM 10270.-*

1.7. — 15.7. TROMMELN UND TANZEN

Benedict St. George ist ein traditioneller Rastamann. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit Trommeltanz, Capoeira, biologischem Landbau, Zopfflechten, Psychotherapie und der Herstellung traditioneller afrokaribischer Instrumente. Benedict wird einige seiner Instrumente mitbringen und auch zum Kauf anbieten. Wo andere auf Disziplin setzen, vertraut Benedict auf die liebevolle Harmoniewirkung seiner Bewegungs- und Klangkultur. SFr/DM 8165.-*

16.7. — 31.7. MEDITATION FÜR FRAUEN

Ma Elke Shankari-Meyerdierks, geb. 1958, ist in Köln geboren worden. Die Mutter von 7 Kindern verbrachte lange Zeit in Burma, Laos, Peru und Belgien, wo sie zusätzlich zu ihrer Ausbildung als Grundschullehrerin von den Erfahrungen traditioneller LehrmeisterInnen lernte. Sie ist geprüfte Menstruationsbegleiterin. In ihrer Zeit als Hebamme und Sterbehelferin hat sie alle Seiten des Lebens kennengelernt und vielfältige Erfahrungen gesammelt, die sie uns in zwei harmonischen Wochen vermitteln möchte. Es wird auch Zeit für das persönliche Eingehen und Einzelgespräche sein (nicht im Kurspreis enthalten). Ma Elke ist unter anderem auch Dozentin für Frauennaturheilkunde.
Wir freuen uns auf diese Wochen. Kinder sind natürlich willkommen, für Betreuung ist gesorgt. SFr/DM 8860.-* Kinder SFR/DM 6250.-*


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* Die Preise verstehen sich bei individueller Anreise

In Zusammenarbeit mit der
Lesbischen Aktion — Bielefelder Aufbruch — LABIA

 

     X. Auf die Schnauze 1

     Der Stefan ist gleich nach dem Plenum im besetzten Haus zu mir gekommen. Das hat mich schon ein bissl gestört, weil, ich hab gerade Marmorpapier zum Trocknen aufgehängt und dabei Viala getrunken und Paul Horn gehört, aber der Stefan hat Probleme gehabt, das habe ich gleich gesehen.
     »War was auf dem Plenum ?« habe ich gefragt. »Würd ich schon sagen« hat der Stefan gesagt und dann hat er angefangen zu weinen. Da habe ich ihn ganz lieb in dien Arm genommen, wie ich das in der Männerini gelernt habe und ihm die Tränen getrocknet. »Die Frauen auf dem Plenum haben beschlossen, daß das besetzte Haus ein reines Frauenprojekt werden soll. Weil, das wär immer noch ein Angstraum und das kann doch nicht sein, daß ein alternatives Projekt in alten patriarcho-Grooves läuft. Wir haben gleich gehen müssen« »Da haben die Frauen doch recht« habe ich gesagt, weil, die falsche Macho-Solidarität und Männerkumpanei bringt total nichts, finde ich. Natürlich habe ich das mit dem, was auf dem Plenum rauskommen sollte, schon von der Heike in der Pause beim Trommeln und Tanzen gehört. Zuerst habe ich gemeint, das kann man doch auch etagenweise machen, vor allem, weil, das waren vier Besetzerfrauen, die bleiben durften, und dreiundzwanzig Männer, die dann haben gehen müssen. »Wir haben doch nur vier Etagen in dem Haus«, hat die Heike doch ziemlich wütend gesagt, »eine für die Krabbel- und Mißbrauchsgruppe, eine für das Lesbische Café, eine für die Frauennaturheilkunde und eine zum Wohnen« Das habe ich natürlich eingesehen. Enge zerstört die Nähe. Man muß auch mal die Seele baumeln lassen können irgendwie. Besonders als Frau eben. Dem Stefan haben meine Argumente aber irgendwie nicht eingeleuchtet. Typisch für diese Art Männer ! Er hat sogar damit angefangen, daß er mit anderen Männern da schon seit vier Jahren wohnt und daß die Frauen erst letzte Woche gekommen sind. Ich habe gefunden, daß das ja Argumentationen sind wie im Kindergarten (obwohl, Kinder sagen ja so viel Reines, Tiefes und Wahres, was bei uns ›Erwachsenen‹ schon lange verschüttet ist) und habe das dem Stefan auch gesagt. Da hat mir der Stefan auf die Schnauze gehauen. Nicht nur einmal, sondern sogar mehrmals. Als ich wieder aufgewacht bin, war Stefan weg und dafür stand Renate da. »Das ist also die männliche Art, Konflikte zu lösen« hat sie verächtlich gesagt und dreckig gelacht. In dem Moment habe ich irgendwie echt total keine Lust gehabt, das alles zu erklären. Später, im Bett, nach einer gemeinsamen Flasche Viala, hat sie dann aber noch gesagt, daß sie es eigentlich romantisch und erotisch findet, wenn sich Männer prügeln. Ich kann das irgendwie nicht nachvollziehen.

     XI. Auf die Schnauze 2

     »Du, ich bin irgendwo verunsichert« hat die Renate an dem Morgen nach der Sache mit Stefan gesagt, als wir gefrühstückt und dazu Schuberts Winterreise in der Aufnahme von Harry Gaererts und Ludger Rémy gehört haben. »Irgendwo hatte ich ja schon den Wunsch, mit dir zu schlafen. Aber dann auch wieder nicht. Es war, als guckte ich von außen zu, weißte ?« Ich habe Probleme mit dem Vollkorn-Croissant gehabt und habe nur genickt. »Irgendwie habe ich gedacht, ich wär da total noch nicht bereit, wieder eine Beziehung einzugehen«
     »Beziehung ?« habe ich gefragt und mir vorgenommen, in Zukunft weniger Viala zu trinken.
     »Ja, merkwürdig, nicht wahr ?« hat Renate da gesagt und meine Hand genommen und mich ganz offen und frei angeguckt. »Eigentlich habe ich dich ja immer für eine ziemliche Flasche gehalten. Aber heute nacht — du, das war anders. Es war echt unheimlich schön irgendwo. Außerdem, du hast eine große Wohnung, einen guten Beruf, machst dir Gedanken über deine Rolle als Mann ... ich ziehe noch diese Woche mit den Kindern zu dir« »Du Renate, lieb gedacht von dir, aber ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin für eine neue Beziehung — ich meine, wir kennen uns schon so lange — « habe ich herumgedruckst. »Ach du bist süß«. hat Renate da gekichert, »daß du bereit bist, hast du mir doch stundenlang gezeigt« Ich habe fieberhaft überlegt, wie ich da herauskommen könnte, da hörte ich mich schon sagen : »Ja, stimmt, selten so gut gevögelt. Bißchen bieder vielleicht, aber immerhin« So kam es, daß ich innerhalb von zwölf Stunden zum zweiten Mal eins auf die Schnauze bekommen habe. Aber, wie Milva singt, Freiheit in meiner Sprache heißt liberta. Renate und ich lachen jetzt noch oft über diese Geschichte. Seitdem hat Viala Kultstatus bei uns.

     XII. Renate und die lesbischen Freuden

     Renate ist zu mir gekommen. Wir haben die Neue von Pink Floyd gehört, weil, Pink Floyd ist irgendwie immer noch das Größte und in dem kleinen Schwarzweißen, den ich habe, auf ARTE den Woodstockfilm gesehen. Renate hat gesagt, da waren die Menschen total offen und frei, und selbst in dem Regen wär alles friedlich gewesen und alle waren nackt und schmutzig und wie die Kinder eben, so unverdorben irgendwo. Dann haben wir Viala getrunken und wieder die Neue von Pink Floyd gehört. Die Änne ist noch gekommen und wir sind ins Quatschen geraten. Das find ich total wichtig, einfach mal Quatschen und sich richtig auskotzen.
     Die Änne, die ja zwei Jahre ganz tolle Arbeit beim Archiv der Lesbenbewegung geleistet hat, bis die ABM-Stelle gestrichen worden ist, schreibt gerade ihre Abschlußarbeit in Kulturanthropologie über »Penetration als Unterwerfung — männliche Sexualität und Faschismus«. Davon hat sie dann erzählt. Daß Frauen eigentlich gar nicht wollen, daß sie penetriert werden. Nicht umsonst liegen ja alle wirklich empfindlichen Zonen mehr oder weniger außen. Bei den Tieren hätten ja alle Weibchen Angst vor dem Geschlechtsakt, der ihnen letztendlich nichts bringt außer Unterwerfung und Schmerz. Das wär bei den Frauen nicht anders. Deshalb ist die einzige angstfreie und natürliche Sexualität die unter Frauen.
     Ja, hab ich gesagt, ich hab da auch wahnsinnig lange Therapien gebraucht, bis ich meine sexuelle Aggression soweit entprogrammiert hatte, daß zum Beispiel die morgendliche Erektion, die ja potentielle Gewalt gegen Frauen darstellt, weggefallen ist. Die Änne hat gesagt, jede Erektion wär eine versuchte Vergewaltigung. Renate hat lange Zeit gar nichts gesagt gehabt. Dann hat sie gemeint, das wär wieder typisch Mann, daß ich die Diskussion mit der Änne an mich reiße, als wär das ganz normal, daß die Frau die Schnauze halten soll. Sogar den Feminismus wollen die Männer besser verstehen als die Frauen selber.
     Da war die Atmosphäre dann auch gleich nicht mehr so gut und Änne hat gefragt, ob Renate sie mit dem Volvo noch nach Hause fahren kann. Sie hat sich ihre Antiklederjacke angezogen und die Ledermütze mit den Nieten aufgesetzt und sie und Renate sind gegangen.
     Renate war mit der Änne dann noch einige Monate zusammen und hat später gemeint, es hätte ihr ganz neue sexuelle Erfüllung gebracht, weil, Frauen wüßten doch am besten, was Frauen Spaß macht.
     Nach dem Studium hat Änne mit einer Freundin in Hamburg einen Feministischen Sexshop aufgemacht. Renate hat gesagt, was sich da am besten verkauft, sind Vibratoren und Dildos in allen, auch größten Größen. Ich habe mich gewundert und gesagt, Penetration ist doch Faschismus. Da hat Renate gesagt, ich wär polemisch und verstehe eben nicht, was in Frauen vorgeht. Da hat sie wohl ein Stück weit recht.

     XIII. Der Raimund ist schwanger

     Renate ist ganz glücklich zu mir gekommen und hat erzählt, sie wär wieder schwanger. Ich hab gefragt, von wem, und sie hat gesagt, von Raimund höchstwahrscheinlich, das kann sie ziemlich genau nachvollziehen mit ihrer Tabelle aus dem Frauen-Taschenkalender. Ich hab gesagt, das ist ja toll und daß sowieso die Frauen über 35 die besten Mütter sind irgendwo.
     Der Raimund macht auch bei der Schwangerschaftsgymnasttik und Geburtsvorbereitung mit, wo die Renate zweimal die Woche hingeht. Das machen die Autonomen Frauen und Lesben in Zusammenarbeit mit dem Kult-Zent.
     »Ich find das irgendwo total unverzichtbar, daß die Väter irgendwo auch die Mutter in sich erfühlen. Das können sie nur, wenn sie von Anfang an dabei sind. Ich meine, einfach abspritzen ist leicht, aber die Konsequenzen müssen die Frauen tragen«, hat die Renate gesagt und zärtlich über ihren Bauch gestreichelt, obwohl, sie ist erst in der sechsten Woche gewesen und man hat noch gar nichts sehen können. Dann hat sie gefragt, ob ich ihr und Raimund meine Hasselblad leihen kann, weil der weibliche schwangere Körper wär das Schönste, was es gibt und das soll in jeder Phase festgehalten werden. Klar, hab ich gesagt, na sicher.
     Dann ist der Raimund auch noch selbst gekommen, weil er kümmert sich jetzt wirklich sehr lieb und viel um Renate in dieser Situation. Die beiden haben mir die Preßatmung vorgemacht und verschiedene Hockstellungen. Raimund hat gesagt, irgendwie wär es total schön für ihn, weil, so fühlt er sich irgendwie auch total schwanger und er freut sich total auf das Kind. Dann ist es neun Uhr geworden und Raimund hat gesagt, seit er schwanger ist, wird er so schnell müde und er hat Rückenschmerzen. Renate hat ihn verliebt angesehen und sich wieder den Bauch gestreichelt. Ich durfte Renates Bauch auch streicheln, ganz offen und frei hat sie das angeboten, weil jedes Kind ist irgendwo das Kind von allen, von der ganzen Welt. Einige Tage später hat Renate ihre Regel bekommen und die anthroposophische Frauenärztin hat gesagt, bei der vielen Arbeit und dem unsteten Lebenswandel wäre das kein Wunder, daß die Hormone verrücktspielen.
     Wie Raimund die Hasselblad zurückgebracht hat, habe ich gefragt, wie es Renate und ihm in ihrer Schwangerschaft denn inzwischen ginge, ob man schon was sieht. »Kannst du nicht einmal im Leben deine blöde Fresse halten ?« hat Raimund geschrien und keine halbe Minute später habe ich gehört, wie er mit quietschenden Reifen in seinem BMW weggefahren ist.

     XIV. Die lockere Fete

     Renate kennt eine Frau in Hamburg, die wohnt da im Schanzenviertel, die ist eine richtige Performancekünstlerin, die auch Happenings und sowas macht. Das ist die Ruth. An einem Wochende, wo es so heiß war, haben Renate und ich die Ruth besucht. Die Ruth hat eine Fete gehabt und ganz viele Piepels haben sich in ihrer Wohnung gedrängelt. Einige habe ich vom Fernsehen gekannt, Schauspieler und so von den Guldenburgs und dem Großstadtrevier. Alle haben Wodka-Orange getrunken und Hasch geraucht und gesagt, sie müßten gleich wieder los. Ein junger Typ von einer Independent-Band hat sich an das Klavier gesetzt und die Ruth hat angefangen, Lieder von Brecht und Weill zu singen. Als sie fertig war, haben alle geklatscht, nur nicht die, die gerade in der Küche waren, und das waren ziemlich viele. Dann hat die Ruth große Bögen verteilt und Farbtöpfe aufgestellt. Das ganze Zimmer war mit Plastikfolie ausgelegt. Die Ruth hat Musik von Mano Negra aufgelegt und gesagt, wir sollen einfach auf die Bögen fließen lassen, was uns bewegt, und das will sie dann in ihrer nächsten Ausstellung zeigen. Sie selber hat sich die Hose runtergezogen, sich Farbe auf den Hintern geschmiert und sich dann auf ihren Bogen raufgesetzt. Das fand ich irgendwie total offen und frei, wie sie das gemacht hat vor all den Leuten. Die meisten haben dann auch ihre Hosen runtergezogen und ihre Hintern auch mit Farbe beschmiert und sich auf das Papier gesetzt. Die Renate auch. Zu mir hat sie gesagt, das fänd sie echt total verklemmt von mir, daß ich nur was gemalt habe. Da hab ich tatsächlich irgendwo totale Defizite; ich kann mit meiner eigenen Körperlichkeit in solchen Situationen irgendwo nicht umgehen, da hat sie recht gehabt.
     Anschließend ist die Independent-Band von dem Klavierspieler aufgetreten und die Nachbarn haben angerufen und gesagt, entweder wir laden sie auch ein oder sie holen die Polizei. Das war cool, weil, es wohnten nur WG´s in dem Haus. Das mit der Polizei war also als Witz gemeint. Das war cool. Das waren dann auch echt total lockere und witzige Leute, die Nachbarn, die dann noch gekommen sind. Ich habe gedacht, mit solchen Leuten und der Ruth und der Renate und mit solchen lockeren Happenings können wir die neue Welt bauen. Renate hat das auch gesagt, als wir mit Raimunds BMW nach Hause gefahren sind, weil, der Raimund brauchte an dem Wochenende den Volvo Kombi, um mit ein paar Kollegen nach Fehmarn zum Surfen zu fahren.

     XV. Gruppensex

     Renate hat gesagt, sie wünscht sich zurück in ihre Zeit als Studentin und sie will endlich wieder einmal Gruppensex haben. »Feste Beziehungen und Monogamie«, hat sie gesagt, »das ist nur ein Ausdruck für das Besitzdenken, das in unserer Gesellschaft bis in das sexuelle Leben einer jeden Einzelnen hineinwuchert wie ein Geschwür« Ich habe gefragt, ob sie dazu denn selber auch Lust hat, wo sie sich doch sonst die Typen und Frauen so genau aussucht, mit denen sie durch die Betten geht. Die Renate hat gesagt, es geht ums Prinzip. »An wen hast du denn da gedacht ?«, habe ich gefragt, »den Karsten, den Raimund, die Heike und die Änne vielleicht ?« »An die Heike denkst du doch nur, weil du sowieso scharf auf sie bist« hat die Renate da gesagt. »Was hab ich denn mit deinem Gruppensex zu tun ?« habe ich gefragt. »Natürlich, du findest Gruppensex ja eklig, weil, du steckst ja ganz tief in deiner kleinbürgerlichen Sexualmoral drin. Du kannst es wohl nicht ertragen, wenn du mitansiehst, wie deine leibeigene Frau es mit einem anderen macht« »Hauptsächlich kann ich das irgendwo nicht zulassen, daß dieser Typ es dann auch mit mir macht« habe ich gesagt. Da hat die Renate nur noch etwas gesagt wie »Auch noch auf die Schwulen losgehen, du verklemmter Faschist« und ist gegangen.
     Einige Wochen später ist es tatsächlich auf einer Fete von der WG im Alten Kirchweg zum Gruppensex gekommen. Glücklicherweise waren die Männer da alle so wie ich nicht bereit zum Homosex. Das hat mir Renate, die auch da war, sehr übel genommen. Gut, daß sie mich in der Dunkelheit nicht rechtzeitig erkannt hat.

     XVI. Renate und die Renategeschichte

     Als ich gerade dabei war, Viala zu trinken und die Renategeschichte mit Leonie, der lustigen Clownfrau aufzuschreiben, ging die Tür auf, ich schließe ja nicht mehr ab, weil, Vertrauen in die Menschen und Offenheit ist ja doch wichtiger als dieses anerzogene Einzelgängertum und eben dieses ganze Revierverhalten, und Renate kam herein. Ich bin sehr überrascht gewesen, weil, Renate hatte ich mir doch bloß ausgedacht. Dann habe ich mich schnell vor den Bildschirm von dem Computer gestellt, weil, Renate sollte das nicht lesen. »Hier hängst du also rum«, hat Renate gefaucht, »dabei waren wir verabredet zu der Flüchtingsfrauendemo«
     Das mit der Flüchtlingsfrauendemo habe ich total vergessen gehabt. »Du entschuldige Renate, das habe ich total vergessen gehabt« habe ich dann auch gesagt. Renate hat richtig sauer reagiert und fast geschrien : »Die Flüchtlingsfrauen brauchen unsere Solidarität, sie haben nicht nur unter dem alltäglichen Rassismus zu leiden, sondern auch noch unter dem Sexismus in ihren eigenen Familien und in der Öffentlichkeit. Heute abend solltest du auch, ja gerade du und deinesgleichen, wütend und traurig sein. Aber du sitzt hier in deinem Scheißzimmer und trinkst in aller Seelenruhe Wein, als ob dich die Flüchtlingsfrauen überhaupt nichts angeehen !« Sie hat eine Regenjacke angehabt, Gummistiefel und vor dem Bauch ein Plakat, auf dem Stand : ALLE FRAUEN SIND FLÜCHTLINGSFRAUEN. »Was schreibst du denn da eigentlich ?« hat Renate plötzlich gefragt und ist zum Bildschirm gegangen. »Ach nichts«, habe ich gesagt und versucht, den Computer auszumachen, »laß uns schnell los, ich hole nur eben meine Regenjacke und die Stiefel und die Kerze« »Das ist diesmal ohne Kerzen« hat Renate gemurmelt, weil, sie hat schon gelesen. ›Das geht schief‹ habe ich gedacht, wie ich mich umgezogen habe. Aber als ich zurückgekommen bin — die Kerze habe ich sicherheitshalber doch eingesteckt gehabt — hat Renate gesagt, das wär ja total schön, was ich da geschrieben hätte, total einfühlsam und in ganz normaler Alltagssprache. Sie hätte dieser Clowninnen-Abend damals doch irgendwo auch sehr geprägt und betroffen gemacht. Da hätte sie eingesehen, wieviel die Poesie und die Stärke von einer tollen Frau bewirken kann für den Frieden, die Kinder, den Regenwald, die Flüchtlingsfrauen und überhaupt. »Du entschuldige, daß ich da vorhin, als ich gekommen bin, so voller Zorn war«, hat Renate ganz sanft gesagt, »da habe ich dir doch tatsächlich unrecht getan« Ich habe den Computer ausgemacht, die Duftlampe und das Licht, und dann hat sich Renate bei mir untergehakt und wir sind gegangen.
     Auf der Demo sind unheimlich viele liebe und freie Menschen gewesen, und abends gab es dann noch Bauchtanz, syrische Volksmusik und Hammel am Spieß im Garten vom Café Azur. Nur Flüchtlingsfrauen waren keine da.


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