
WIR GEBEN EINE REVUE
ANATOLE
FRANCE
Der Dichter
Dion sprach wieder von der Gründung einer Revue. Im vergangenen Jahr
war der Versuch mißglückt, denn die dreihundert Francs der
Großmutter wurden für notwendige häusliche Ausgaben aufgebraucht.
Aber Dion hatte neuerdings wieder dreihundert Francs erhalten.
»Man muß einen Titel finden«
sagte er.
Sie trennten sich nach Verlauf von zwei
Stunden, nachdem sie eine Unzahl von sinnlosen oder bekannten Worten vorgeschlagen
hatten.
Tags darauf begrüßte der Dichter
Dion die Gesellschaft des »Dürren Kater« mit dem antiken
Ruf : »Ich habe es gefunden : ›Die Idee ! ...‹, ›Die
Idee‹, eine neue Revue !«
Und mit den Fingern ein imaginäres
Blatt festhaltend, den Kopf seitlich geneigt, die apollinischen Haare
zurückgeworfen, das Gesicht von einem Lächeln erhellt, las er
innerlich in großgedruckten Lettern : ›Die Idee‹,
eine neue Revue. Leiter Paul Dion. »Welche Idee ?« fragte
der skeptische Labanne seinen gelben Bart streichelnd.
»Die Idee der niederen Mathematik,
— was denn sonst !« erwiderte Mercier.
»Die Idee der Überlegenheit der
Poesie und des Ideals über die Prosa und die Realität«
antwortete Dion.
Und der Moralist Branchut, der seine zuckende
Nase kratzte, warf mit gelinder Schärfe ein : »Vielleicht auch
die Idee der neuen Moral, deren Theorie ich aufzustellen gedenke, das
heißt, natürlich nur, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen erweise«
Labanne erlaubte sich die Bemerkung, daß
man die Revue nicht »Die Idee«, sondern »Die Ideen«
nennen müßte, da doch jeder seine eigene Idee hätte.
Gleichwohl wurde an dem ersten Titel festgehalten,
und der Dichter Dion stellte auf einem Blatt Briefpapier und mit der Feder,
die sonst der Wirtin zur Niederschrift ihrer Rechnungen diente, den Inhalt
der ersten Nummer zusammen :
1. Ein Geleitwort. Von Paul
Dion.
2. Ein unbestimmter Artikel
über die Philosophie. Von Claude Branchut.
3. Ein noch viel unbestimmterer
Artikel über die schönen Künste. Von Emil Labanne.
4. »Die Geliebte, an der
man stirbt« Gedicht von Paul Dion.
5. Etwas sehr Vages über
die Wissenschaft. Von Wilhelm Mercier.
Theater-
und Buchkritik übernahm der Leiter selbst.
Nachdem der Text festgesetzt war, machte
Dion in irgendeiner schlecht gepflasterten Straße des Quartier Saint-André-des-Arts
einen Buchdrucker ausfindig, der sich in äußerst bedrängter
Lage befand und mit stumpfer Gleichgültigkeit es unternahm, die Revue
zu drucken..
Dieser Drucker war ein unansehnlicher kleiner
Mann, kahl und bleich; sein abgezehrtes Aussehen erinnerte unwillkürlich
an eine Kerze, die im Zugwind dahinschwindet. Mit seinem Geschäft
war es schlecht bestellt. Es war also ein verzweifelter Buchdrucker, aber
doch immerhin ein Buchdrucker. Er druckte. Er schickte Korrekturen, die
Dion auf den fettigen Tischen des Cafés herumzog. Aber man mußte
zugeben, daß es an Stoff mangelte, obgleich dem Chefredakteur der
»Idee« etliche Gedichte aus verschiedenen Gegenden Europas
zugegangen waren.
Die Nummer versprach dünn zu werden,
zumal Branchut die Seiten seines philosophischen Artikels, sobald er sie
niedergeschrieben hatte, unter den Torbögen wieder verlor, und da
Labanne unbedingt fünfzehnhundert Bände lesen mußte, ehe
er die ersten Zeilen seines kunstgeschichtlichen Artikels niederschreiben
konnte. Dafür aber war der Artikel von Mercier tatsächlich vorhanden,
nur hätte der Autor, der in seiner Schrift, in seinem Stil und in
seinen Einfällen ebenso knapp war wie in seinen Kleidern, diesen
Artikel mühelos auf den zwei Gläsern seiner Brille unterbringen
können. Hingegen war »Die Liebe, an der man stirbt« schon
bis zur vierten Korrektur gediehen.
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