Aus dem Repertorium
Heimito von Doderers

Alkoholismus (1966)

Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die — von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte — derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, so weit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Sich und Andere auf solche Weise zu zerstören, ist eine begreifliche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung.

Bassesse (1953)

Irgendwo dazugehören zu wollen, ist Niedrigkeit, bassesse, ein Ausdruck, den Stendhal gerne gebraucht, etwa in Vie de Henri Brulard. Aber auch zu seinem eigenen Sack und Pack und Schnack, mit welchem man vom Leben beladen worden ist wie der Esel vom Müller mit den Mehlsäcken, sich auch noch begeistert zu bekennen, ist um nichts besser.

Glatzenwatschen (1960)

Eine Glatzenwatschen ist eine hochgezielte weiche Watschen, tunlichst mit nasser Hand (Saug-Watschen). Sie wird (ohne Angabe von Gründen) solchen alten Männern appliziert, die, bei weißem Haarkranz und Bart, noch starke Vitalität, Temperament in ihrer Meinungsäußerung und persönliches Profil zeigen. Die Glatzenwatschen dient vorwiegend der Dämpfung akademischer Würdenträger.

Hausmeister — Vermehrung (1958)

Viele Arten von Lebewesen niederster Stufe vermehren sich durch einfache Spaltung. Eine metastatisch-atavistische Form derselben wird auch bei Warmblütlern und sogar bei einzelnen Menschenrassen, die auf troglodytischer Stufe verblieben sind, beobachtet. Die Pariser und Wiener Hausmeister etwa metastasieren bei denjenigen Mietern, die lange im Hause wohnen und zu welchen ein amicales Verhältnis entstanden ist, in so weitgehender Weise, daß in einzelnen Wiener Zinshäusern bei ein und derselben Hausmeisterin acht bis zehn Paar Augen beziehungsweise Ohren festgestellt werden konnten (multiplicatio conciergica). Die Zahl der weiblichen Individuen, welche conciergische Metastasen zeigten, überwog dabei die der männlichen bei weitem.


Die letzthinnige feuchtfröhliche Runde, die sich als Redaktionssitzung Salmoxisbote tarnte, jubelte ob so viel Luzidität und forderte lauthals mehr davon. Geschickt fand sie einen Weg, das einzurichten.
So finden sich als Bonus noch die Stichworte Ironie, Langeweile, Leben, Verkrötung, Warten und Wutanfälle auf der dritten Umschlagseite

Ironie (1943)

Die Ironie ist unser einziges Mittel, um bei Verlust der geistigen Spannung nicht in die Dummheit auszuarten. Sie hält diese sehenden Aug´s als einen Punkt beisammen, in welchen sie ihre Zirkelspitze setzt und verhindert so, daß jener Punkt zu einem Klecks werde, der mit dem übrigen Leben verfließt. Die Ironie ist der allein befähigte Platzhalter des Geistes in dessen Abwesenheit und also sein Kommissär in den weiten Bereichen unsrer Schwäche und Schwachheit.

Langeweile (1941/42 und 1954)

Wenn wir ohne Spannung sind und daher auf die Gegenstände der Außenwelt zu fallen — statt daß diese von uns angezogen werden — dann empfinden wir Langeweile. Wer sich langweilt, der hat den eigenen Mittelpunkt über den Rand seines Mikrokosmos hinaus abgleiten lassen, daher denn von ihm aus ein erfrischendes und spannendes Gesamtbild nicht mehr wahrgenommen werden kann, sondern nur ein naturgemäß formloser Brocken. Langeweile ist die Welt ohne Mittelpunkt.

Die Langeweile ist das stillste, aber vielleicht das am meisten die Führung prüfende Fahrwasser des Lebens. Denn hier kommt es wirklich heraus, was an einem ist und was nicht, wenn die Kügelchen der Viertelstunden klingend in eine weite, leere Schale fallen.

Leben (1960)

Im großen und ganzen steht mir das Leben gegenüber als eine undurchsichtige, aber nach mir bekannten, geheimen und gefährlichen Gesetzen ihre Teile gegeneinanderbewegende Irrationalität : überall ist Gelegenheit, zwischen und unter die Räder zu geraten.

Verkrötung (1961)

Verkrötung : Zustand, in welchem einer gleichsam auf sich selbst draufsitzt.

Warten (1942)

Wenn Langeweile die Welt ohne Mittelpunkt ist, ist Warten das Verweilen auf einem Mittelpunkte ohne Welt.

Wutanfälle (1953)

Wutanfälle müssen auf die Sitze getrieben werden, damit diese ab breche und die Lächerlichkeit der Materie sichtbar werde. Auch statte man Wutanfälle mit Einzelheiten aus; man setze kleine Gegenstände etwa, welche durch ihr Verhalten die Wut hervorgerufen haben — Füllfedern, Feuerzeuge, Untertassen — in einen für diesen Zweck stets bereitgehaltenen Drahtkäfig mit der Aufschrift : Entehrende Außer-Dienst-Stellung wegen Tücke. Vor dem Käfig kann man mit einem zur Vernichtung der Delinquenten geeigneten Gegenstande drohen, indem man ihnen diesen vorzeigt : zum Beispiel einen Hammer. Sehr zu empfehlen ist es auch, in einer Zimmerecke mit dem Gesicht zur Wand Stellung zu nehmen und einen Csárdás zu tanzen. Bei allen diesen Gelegenheiten kann leicht die Spitze brechen.

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