Briefwechsel Lange / Hesse — Zwei
Erstdrucke Tübingen, d. 27.5.51
Sehr geehrter Herr Hesse Verzeihen Sie bitte, daß ich als ein Ihnen unbekannter,
junger Mensch ganz einfach diese paar Worte an Sie richte. Ich habe
etwas auf dem Herzen, das mit Ihrem Namen in Zusammenhang
Verbindung steht und über das ich nur bei Ihnen selbst Klarheit
erhalten kann. Am 25. u. 26. Mai erschienen in der N.Z. (der größten,
amerikanisch redigierten Ztg. Westdeutschlands) zwei
Meldungen im Zusammenhang mit Johannes R. Bechers Geburtstag
zwei Meldungen, die ich Ihnen anbei sende. Was mich an ihnen stutzig
machte, war eigentlich nicht so sehr die mögliche Tatsache, Sie
könnten einen Menschen und Dichter, der - für Sie zufällig
- eine gewisse Rolle im ostdeutschen Kulturleben spielt, zu seinem 60.
Geburtstag gratuliert haben, als das ganz offensichtliche Faktum der
Unzuverlässigkeit gerade auch unserer westdeutschen Presse. Was
am 25. Mai als Glosse ganz breit und großmäulig dem staunenden
Leser plausibel gemacht werden soll, das wird am 26. Mai in einer kleinen,
von den wenigsten überhaupt bemerkten Notiz dementiert. Und eines
ist es vor allem was mir, der ich seit langem Leser und aufrichtiger
Bewunderer Ihrer dichterischen Kunst bin, einfach nicht in den Kopf
will, ist die hier als Tatsache ausgegebene Möglichkeit, Sie könnten
ein und dasselbe Gedicht zwei verschiedenen Künstlern zugeschickt
haben. Es ist mir so, als ob hinter d Es
verträgt sich das ebensowenig mit gewissen Anschauungen, die ich
über das einmalige und unverwechselbare Wesen des Menschen wie
des Kunstwerks habe, wie auch dem ganz spezifischen Respekt, den ich
Ihnen und allem, was von ihrer Hand stammt bezeuge. Irgendwas kann meiner
Meinung nach nicht stimmen. Vielleicht ist das Gedi
von der N.Z. als persönlich gehaltener (sic !) Huldigungsgedicht
gar kein solcher. Vielleicht ist das einst Hofer zugedachte Gedicht
gar nicht an ihn gesandt. Überhaupt scheint mir so, als ob unter
den sorgsam und vorsichtig gesetzten Worten der kleinen Pressenotiz
etwas verheimlicht oder verschleiert wird, um den durch die Fehlmeldung
des Vortages offenbar gewordenen Prestigeverlust nicht als zu groß
erscheinen zu lassen. Was heißt "für Carl Hofer bestimmt"
(zunächst ? nur zugedacht oder wirklich hingeschickt); was heißt
: "dasselbe Gedicht auch Joh. R. Becher zugedacht (ihm dasselbe
Gedicht auch zugeschickt oder das einst für
Hofer bestimmte nur auf ihn umgeschrieben). Das sind so Fragen, auf
die ich mir gern eine Antwort wüßte. Und dies umso mehr,
als ich - Angehöriger einer Jugend, die sich immer wieder von der
Politik angewiedert fühlt, ihr aber letzten Endes doch einen
unübersehbare Notwendigkeit beimißt, einfach Klarheit brauche
über das Maß an Vertrauen, das wir unserer westdeutschen
Presse heute entgegenbringen dürfen. Nur so glauben wir, in dem
allgemeinen Dilemma der politischen Verwirrung heute einigermaßen
richtig entscheiden zu können. Ich wäre Ihnen daher sehr
dankbar, wenn Sie mir an dem Sie betreffenden Beispiel - und sei es
in Form einer kurzen Richtigstellung der Tatsachen - helfen würden,
die Dinge heute klar, sachlich und ohne den Einfluß einseitiger
Propaganda sehn und beurteilen zu können. Ich will noch bemerken,
daß ich weder einer politischen Gruppe noch auch irgend einer
studentischen Verbindung angehöre und diese Klärung nur für
mich und einen kleinen Kreis gleichgestimmter Freunde wünsche. Hochachtungsvoll Bodo Lange Verfertigt auf drei Bögen Din A 5, den freien Rückseiten der Rechnungsblätter 7395 - 7397 der Commerz- und Privat- Bank Aktiengesellschaft Filiale Göttingen.
stud Bodo Lange Tübingen Fürst-str. 7
Ich glaube, Sie machen sich um wirklich Unwichtiges Sorgen. Ihr Brief kam neulich mit der Abendpost, der dritten des Tages, und war mit seinen vier Seiten einer von vielen. Im Jahr macht das viele, viele tausend Seiten, die ich lesen soll, abgesehen davon, dass ich ja auch noch manche andre Arbeit habe. Und da ist es also dem 74 jährigen, seit manchen Jahren ohne Pause Tag für Tag unsinnig Ueberbürdeten passiert, dass er vergessen hat, dass er ein Gedicht jemand zu einem Jubiläum gewidmet hat. Ist das nun in der Tat so schauerlich und unbegreiflich ? Dass die N. Zeitung ihre
voreilige und gemeine Anpöbelung Bechers gross aufgezogen, die Korrektur
nachher aber fast im Verborgenen vorgenommen hat, daran bin ich unschuldig.
Eure westdeutsche Presse ist wenig besser als die des Ostens - aber das
solltet ihr Leser ja doch längst gemerkt haben. - "Geschrieben"
ist übrigens das Gedicht weder für Hofer, mit dem ich befreundet
bin, noch für Becher, den ich persönlich nicht kenne. Gedichte
dieser Art entstehen nicht, weil zufällig jemand Geburtstag hat.
Sondern ich habe einem Comité, das eine Festschrift für Hofer
vorbereitete, vor einigen Jahren das Gedicht, das längst geschrieben
war, zum Abdruck überlassen, und habe das später vergessen,
umsomehr als jene Festschrift gar nie erschien, mir wenigstens nie vor
Augen kam.
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Becher aber war der, der
anläßlich des großen Benns Tod in einer Sprache
aus schwäbisch und lateinisch gemischt die aberwitzigen
Verse niederlag : Er ist geschieden, wie er lebte : streng, / Und
diese Größe einte uns : die Strenge. / Uns beiden war vormals
die Welt zu eng. / Wir blieben beide einsam im Gedränge. // Unwürdig
wär ein : nihil nisi bene. / Der Juli summt ein Lied dir : »Muß
i denn ...« / Mein Vers weint eine harte, strenge Träne, /
Denn er nahm Abschied von uns : Gottfried Benn. // Daß der
Karl May des Tessins den münchener Minister für Schreiben, Malen
und Gesang persönlich nicht gekannt haben will, ist aller Ehren wert,
klingt in Erwägung der Tiefe der reimlosen Verse Hesses aber schwierig.
Die »Skizzenblatt« überschriebene Dichtung bleibt aus
dem Grund bedeutend, daß seit ihr sich unbekümmert der Begriff
Senilität in Zusammenhang mit ihrem Schöpfer anwendet. Sie ging
so : *** |