Neues aus der
Almatastraße — ein bißchen
vom Teil 4,
der, wenn er denn einmal fertig geworden sein
wird,
gerufen werden soll
›Fink‹
I
Ging heute viel. Richtete
den ganzen Tag meinen Blick auf die Scheibchen vom Steinblock, die man
gemeinhin Gehwege nennt. Trat heut in Hundescheiße. Das eine mit
Vorsatz, das andere nicht. Streifte mir fluchend die Sohle an einem wilden
Büschel Grün ab. Da aber war ein weiterer Klump Hundkacke gewesen.
Ist das das Leben ?
Ja. Das ist das Leben.
II
Langsam könnt ich
mich mal entscheiden, welche Jahreszeit mir sein soll. Ein Gebalge Wind
krabbelt Bäume empor und spielt Siegerparade, Totensonntage lächeln
von Kalendern und Laub tollt sich auf geplustertem Haar. Ein Igel huscht.
Er wählt die Richtung Bahndamm. Viel Glück, später Igel.
... estinguendo ... estinto ...
Kommt also doch noch Gutes aus den Filialen
des Safeway ! Eine Mutter, in dicken neunnadeldruckergrauen
Zwirn getan, rief ihr fortkullerndes Kind : »Danone«. 1 a
Prägung, das Gedankentreppchen war wohl Zwerg — Frucht —
Fruchtzwerg. Hingegen spielt doch unlauter und sehr mit edlen Gefühlen
die Stelltafelkampagne : Egal, ob Brief- oder Urnenwahl.
Auf das richtige Kreuz kommt es an. Ist das nun die DAG oder die römische
Kurie ?
Ein Schwarm kalter schwarzer Vögel
observiert die Menschenburgen. Er hält lauthals Ratschlag, entschließt
sich aber zu nichts.
Der moderne Lämmergeier trägt
keine Federn mehr. Er hat Rotorblätter gebuckelt und tut entweder
dreierlei : er sagt Sprechern in fernen Studios :zwischen da und da stehen
viele Autos; oder er rettet Lämmerleben, die zwischen Autos geraten
sind und fliegt sie ins Spital; oder er treibt bemäntelte Lämmer
in einen weitebenigen Korral vor reichlich Konserven — Mangos aus
Taiwan, Mus aus Holland, Nudeln aus Birkel. Selbsttätige Türen
halten die Lämmer dazu an, Büchsen mitzunehmen und Währung
an Zahlstellen zu lassen. Raus aber trauen sich viele nur, wenn der Zorn
des Geiers Roland 6 verraucht ist oder über andren Häuptern
knattert. Postboten tragen Post aus. Sie können jetzt nicht einkaufen.
Mieser Job.
III
Analysis situs : Phnom
Penh erschießt einen krossen Sanitätsfeldwebel aus irgendwo
in Deutschland, ein Gerstenkorn knuspert an meinem linken Augenlid und
ein Baugerüst verpuppt die Almatastraße — aber wir alle,
die wir hier vergattert sind, wir alle entsagen standhaft jeder Metamorphose.
Sozusagen bleiben wir ›die Alten‹, Scherenschnitte
des Ewigen, dessen geheimer Name Herbert Reinecker ist. Ich argwöhne,
daß einer von uns, Herr Gerstner aus zwei unter mir, klandestin
unser Fortgeschrittenster ist und die allen innewohnende schizoide Veranlagung
längst zu höchster Blüte getrieben hat. Gerstner : ein
berufsmäßiger Grantler mit Bypass im Herzen und Browning in
der Schuhkommode. Ihm sind die Musen gewogen, ihm gelingt es bavariastudioreif,
in gewöhnlichsten Umständen eine unentwirrbare Figur zu machen
und parallel zum zähflüssigen Kommissar Köster auch noch
Assistenzerlöser Andres zu geben. Wer immer von beiden auch heute
mißmutig überlegt hatte, ob er mir die Haustür aufhält
oder nicht : heute entschied er sich dagegen.
Werktätig klöternde Kommandos
schnellen wie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten hin und
her und betreiben ein zusätzliches Geschäft. Nämlich machen
sie mich nervös. Seit jeher schnappen Ausrufungszeichen nach mir
wie Chamäleonzungen nach einer tranigen Fliege. Und wo ich schon
den Akusmata nicht entkommen kann, dürste ich umso mehr nach einer
Gardine, der Welt wenigstens was Anschauliches zu geben von meiner Auffassung
von ihr. Hätt ich nur vor Jahr und Tag die Offerte, die mein Vater
mir im Verlauf einer von ihm geführten Generalaussprache eröffnete,
angenommen, hier, Sohn, ich komm grad aus dem Kartoffelkeller, nimm
die guten ADO, nur echt mit der Goldkante, als Aussteuer quasi, wo du
schon meinst ausziehen zu müssen, kühl dir nur dein Mütchen,
wir können dich nicht mehr hindern, wir haben Fehler gemacht du hast
Fehler gemacht, du hörst ja nicht, den Mund haben wir uns fusselig
geredet, du mußt wissen was du tust, jeder muß seine eigenen
Fehler machen, wir haben das Unsrige getan einen vollwertigen Menschen
aus dir zu machen, unsere Erziehungsmaßnahmen sind hiermit abgeschlossen,
kaum sind die Mäuse aus dem Haus tanzen die Katzen auf dem Tisch,
nun bist du am Zug, aus Schaden wird man klug, Herz was willst du mehr,
du hast nur eine Gesundheit, du hast nur ein Augenlicht, wenn du noch
eine Mutter hast, dann danke Gott dafür und am Grauschleier störst
du dich bestimmt nicht. Solche Angebote gibts nur einmal,
die kommen nicht wieder. Heut weiß ich es ja besser. Aber Heute
ist zu spät.Wie es ja ursprünglich immer zu spät ist. Immer
oder nie. Doch Reue gehört im eigentlichen Sinne zur Schuld. Schuld
ist aber auch der tiefste Grund verzeihender Liebe. Oder verhielt es sich
so, daß Sünde mehr als akzidentell dem Dasein zugeordnet ist
?
— wie empfänglich ich bin, wie
katholischweiblich, wie sehr ich Formen über mich lasse — ich
habe gestern heimwegs von einer pneumatischen Notdurft, die mich in finsteres
Parzellengebiet geführt hatte, auf der einen Vitrine, die das schmale
Salär der Stadtteil-CDU zu Zwecken des Agitprop noch unterhalten
kann, ein fast büttenpapierenes Kleinoktav abgelegt gefunden, eingesteckt
und mich delektiert. Quellen östlicher Weisheit,
noch von jenseits der Ganga. Also schon von sehr weit weg. Schick getuschte
Bilder von bunten Blumen drin, sehr gute Spiralheftung auch. Eine angenehm
gedankenverwirrende Lese des Besten aus allerlei Reichen und Dynastien,
von den Jahrtausenden gedörrt zu hohlen Stereotypen, zu unverschämt
dünnhäutiger Plattheit, ganz in Einklang mit meiner Seinsweise
als Mumie.
Den Christdemokraten übrigens ist zuzurufen
: so nicht. Wie sieht das denn aus ! Nichts gegen eine Vitrine : aber
gepflegt muß sie sein. Oder wie mein Vater leider nie sagte : Nichts
gegen Novalis, aber Adalbert von Chamisso muß es sein. Die Gute
Nachricht gehört jedenfalls auf den neuesten Stand des Stadtklatsches
und das Gehäuse könnte auch jeden Hornung einen frischen Strich
Lack vertragen. Immerhin ist das Ding publikumswirksam in Nähe einer
Straßenfunzel aufgestellt. Seit aber ich mich über die Rührigkeit
der Union der Erlösten vor Ort informiere, splittert auch schon der
spinnetzartige Sprung das Glas, prangt trüben Sinnes rechts unten
ein dehydrierter Zeitungsausschnitt, der den Verlauf eines Kinderfestes
zu Ehren eines Sommers vor ewigen Zeiten referiert, verblaßt lieblos
ein Foto von der Kür eines Kandidaten, lächelt ein längst
geschaßter Ehrenwert sein Orkalächeln und lodern Appelle gegen
die Staatsverschuldung von 89, gegen wachsende Kriminalität —
Beträge, die heuer als Zinsen anfallen und Delikte, die nunmehr verjährt
oder ehrbar sind.
Ausgerechnet ein Sanitätsfeldwebel,
einer, der Gutes tut, da tanzt das Unrecht auf dem höchsten Sendemast
des Landes seinen unwirklichsten Tanz.
Auf jeden Fall muß ich nun mein Säcklein
tragen und mitansehen : zwei Parias, an Armbanduhren befestigt und Bottiche
Deckweiß in den Händen, klemmen sich Pinsel zwischen die Kiefer
und krabbeln mir auf einem abartigen Konstrukt aus Alu und Latten vor
der Nase. Längere Folgen von Schweigeminuten wechseln ab mit billigen
Silben — ich reiße mich zusammen, ich will einmal versuchen,
es anders zu sehen — : denen exclamationmarks hinterhertänzeln
wie den Herbstdrachen die flatterbunten Papierrippchen ihrer Schwänze.
Das ist auch nicht günstiger. Das ist nicht mal lustiger. Also :
stapele ich einige Bananenkartons vors Fenster,
kauere zu deren Füßen, lehne mich an und denke nach. Als ich
wieder aufsehe von meiner Arbeit, die darin ausgeufert war, schwierige
Entscheidungen zu vertagen, prosten sich die zwei polternden Tuer mit
Stullen zu und erzählen sich Schwänke aus ihrer Jugend —
vom letzten Stau, vom letzten Crash, von der letzten Buchung, vom nächsten
Schnäppchen, das zu schlagen man sich durchaus nicht ungeneigt zeigt,
man sei doch nicht blöd, hehe,
— die hohe Kunst der doppelten Verneinung
in den Händen der Archimandriten des Vorteils. Großmeister
im Auslassen des Nichts — und was sie auslassen, ist das, was sie
bekommen. Die Laren meines Lebens haben sich endlich materialisiert. Ein
Segen.
Welch eine Untersuchung !
Welch eine Lage.
Ein glänzendes WarmUp für die
anstehende Periode der Schlaflosigkeit.
Clemens hatte die Debatte vom Zaun gebrochen.
Für morgen hab ich ihm ein Anrecht auf meine Stellungnahme eingeräumt
: sollen alle Bücher mit Lesebändchen gemeinsam separat gestellt
werden oder nicht ? Und wenn ja : als schützenswertes Kulturgut oder
als Geschmacklosigkeit ? Und wenn das eine, dann in vorderster Front oder
in zweiter Reihe ? Und wenn das andere, in vorderster Front dann oder
Reihe Zwo ?
Ein Essay über das erotische Flair
Petra Schürmanns. Soll nun auch schon promoviert sein. Oder wars
die andere, die Stabhochspringerin, Heide Rosenthal, später dann
auch gern mit Doppelnamen. Oder gehts mir um Petra Koch ? Gabs überhaupt
eine, die so hieß ? Und wie schnell lief sie ? Sehen sich nicht
alle sehr ähnlich ? Hilde Knef.
Großer Gott !
Ist Jahwe Ruf oder Nachname ?
IV
Ich versteh ja nichts
von was
V
Ein Zahn will sich verabschieden,
kommt nicht recht in die Gänge und hält mich wach bis vier Uhr
früh. Schade — mich hätte interessiert, ob der dumpfe
Fensteraufprall der pappcremefarbenen Taube auch laut genug gewesen wär,
mich aus dem Schlaf zu holen. So stand ich da, live, erschreckt, eines
Testergebnisses beraubt, und sah verständnislos das verständnislose
Tier wieder wegflattern, mutmaßlich unbelehrt, unerschüttert
und blöd wie gekommen. Oder ist denkbar, daß es eine andere
Bewandnis mit der immerhin unternehmungslustigen Botin des Friedens hat
? Gibt es Erhebungen über Suizidalien eierlegender Wirbeltiere ?
Den Fettabdruck des Gefieders, den mir das fliegende Mutterschiff aller
Keime hinterließ, staunte ich noch an, als schon längst die
vormittäglichen Wiederholungen liefen.
Weißhaarige rechtsgescheitelte Gutachter
sprechen sich darin gegen Bürgerwehren aus — ich nicht. Sie
heißen Professor Roxin — ich nicht. Aber grundsätzlich
: das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Ich hoffe, damit wieder
genügend Stoff zum Diskutieren ins Haus geliefert zu haben.
Ich kann beruhigen. Er hat.
Iran hat sechs Raketen auf Bagdad gefeiert.
Der Leidsänger der Münchener Freiheit — Attis
und Kybele in einer Person, einer Stimme — epiphaniert auf einer
überproportionierten Leinwand.
Ich aber habe die Bekanntschaft einer neuen
Dame gemacht. Sie ist klein und dünn und ein Kopf, wie ich noch keinen
gesehen habe.
VI
Wo ich sie zum ersten
Mal gesehen habe ? Ich weiß nicht mehr. Kann sein an der Martin-Kiefert-Dependance
am Bahnhof. Sie hatte sich Ketchup auf ihren Latz gekleckert, ich streunte
vorbei, hatte wie merkwürdig alle Hände frei, mich kurzfristig
nicht unter Kontrolle und kavalierte ungeachtet der Servietten, die überall
auf den Thresen herumlagen, ein Tempo aus meiner Gesäßtasche.
Zwar befand sich das Zelluloid im letzten Stadium der Auflösung und
warf kleine Flockenscherben über mich. Zwar war es zudem bereits
einmal von irgendjemandem zu irgendwas benutzt worden. Aber es machte
sie lachen.
Ein schöner, unübersteigbarer,
unhinterfragbarer Sinn : jemanden lachen machen. Aber nur, wenn man weiß,
was man da tut.
VII
Wo ich sie das zweite
Mal gesehen habe ? Ich glaube fast, wieder an der Würstchenbude,
keinen Tag später. LKW´s verlieren Paletten, Klärschlamm
oder strahlende Fässer auf der Autobahn. In nettem Kontrast dazu
finde ich Weingummiartiges, drei aneinanderbappende Colafläschchen.
Ich biete an, eines davon möge sie sich pflücken und ernte :
ein Goldkroneblinken aus den hinteren Regionen eines breiten Mundes. Ist
das o.k. ? Das ist soweit o.k.
Ich hab sie dann noch zehn Schritte begleitet,
am Kiosk Obst · Südfrüchte · Obst taten
unsere Wege, was alle Wege tun : sie trennten sich.
Ich lehne die Selbstverliebtheit des Schmerzes
ab. Auch lehne ich Traubenzucker ab.
Soll aber helfen gegen Neuroblastome.
VIII
Wo ich sie das fünfte
Mal gesehen habe ? Diesmal bin ich mir beinah sicher, an der Würstchenbude
— versucht Clemens seinen müden Witz. Ich hätts Maul halten
sollen. Sie — eine Laune der Natur, eine Kapriole aus Proteinen,
eine, die Schwarz in den hellsten Farben auszustrahlen versteht.
Clemens hält Leute, die andere Leute
in Kopf oder Thorax haben, für unleidlich. Wem sagt er das ? Widerstrebend
nur läßt er, dem man keine Zeit stehlen kann, mich in seine
Kreation ›Bibliothek/Rauchkabinett‹. Ich sitze auf bröselndem
Bast, im MasterChair, sehr entspannt, sehr jeden Moment mit dem Abfall
vierer Beinchen rechnend. Auf eine Zigarette und in stiller Hoffnung,
DAS RAD zu leihen. Clemens grunzt von nebenan, wo´s mal Küche
und mal Katzenklo heißt und keine Tür vom Flur oder dem Zimmer
›Asche/Bast‹ trennt. Clemens sucht im Katzenstreu, findet,
tritt mir unter die Augen und hat : ein zweites Paar Strümpfe übergestreift.
Die Löcher allerdings sind derart, daß auch gedoppelte Socken
sie nicht mehr aufheben. In der Hand Zwieback. Die Katze, um seinen Hals
gelegt, schlägt danach. »Möchtest du auch ?« Hinter
seinem Rücken rollt sich etwas wie eine Tapete ab.
Sie wagt ganz erstaunliche Sätze zu
sagen, jüngst etwa bemerkte sie Der Wind ist schneidend
und hielt sich den Kragen der schwarzen Lederjacke, daß das Geschmeide
ihrer lackierten Fingernägel ein Rubinamulett war.
Ich habe eine taubenzerschmetternde Passion.
Ich habe kein Fahrrad.
IX
Ich strolle am Weserufer.
Widerlich ist, daß, wer jetzt draußen ist, ausdrücklich
draußen ist. Hunde hetzen frei ihren Drachenatem, lang sind sie,
mager und windhaft — vertikal, stocksteif und beschaulich die Herrchen
und Frauchen dazu. Alles Atmende sucht Cafés. Hier sind keine Schollen,
hier ist : nichts.
Eine lame duck humpelt die Böschung
hinab — sie trollt sich leeren Magens, trotz daß ein Opa unter
filzigem Sponsorenhut ihr aus einer Jutetasche günstig schnabelgerechtes
Brot zuwirft. Begleitet wird sie vom ungehässigen Schnattern ihrer
Entenkollegen. Illusionslos gleitet sie ins dreckige Weserwasser, bedacht,
möglichst wenig Wellen zu schlagen. Ihren Hals gebeugt : so muß
sie kaum sehen. Sie ist die eine, die sich in die Mitte des Flußes
aufmacht. Die reifkandierten Ulmen grüßen sie von der Straße
her, und endlich wird sie meiner Sehkraft ein dümpelnder Flecken,
wirds ein friedlich ergebenes Schaukeln, wird Ferne, eisgrauer Genuß
der Sicherheit des Abstands. Das Anatidengeschlecht hat wenig menschliches.
Es hat besseres.
Die Verabredung war vage gewesen. Ich fühle mich dennoch versetzt.
X
Ich ein Kind und du ein Kind
Auf dieser Wiese liegt ein Dichter
Der traut sich nicht der traut sich nicht
Lieber läßt der Wolken unterm Himmel fahrn
Ein traumzerbellender Hund läßt Harn
Und Käferschatten jagen das Licht
Alles ist so leicht so schwer
Eine Tüte Pommes mit Majo ist leer
Gedanken lagern dicht an dicht
Der See wirft Falten und ich finde
Nichts so wichtig als dein Gesicht
Du plapperst mutig in der Sonne ihrn Rachen
Da ist bißchen Weh im Kopf und bißchen Lachen
Wir rätseln an die Wolken Bleigewicht
Hinterrücks segeln paar Boote
Ein Hund trabt heran und reicht eine Pfote
Ich bin versöhnt mit dem Weltgericht
Die Wolken tüdeln Wolkensachen
Und du baust mir die Burg aus Sand
Da hab ich dir von meiner Liebe gesagt
Und du hast Gras gerupft und nichts gefragt
Gut solls dir gehn. Tausendmal gut
Dein Seufzen im Lächeln ist mir genug
Auch wenns um andere Knaben geht
So schön ist Selbstbetrug
XI
Ein Kanzleramt für
eine Prise Gullimortal ! Noch einmal : ich verachte das Pathos, das im
Ertragen des Schmerzes liegt. Wenn Schmerz denn nicht schon gleichgültig
sein kann, dann ist Linderung die unableitbare Pflicht. Aber wegen Gelomyrtol
eine Geisel in einer Apotheke nehmen ? Oder leiht mir wer zehn Mark ?
Clemens vielleicht.
Clemens hat mir was gehustet
Sie malt sich ihre Augen
an. Warum tut sie das ?
Kajalstift, mir unbekannte Etymologie —
und doch in jeder Drogerie in schönen, abgründigen Farben zu
haben. Auch in famosen Jadetönen.
Ich werde sie fragen. Sie weiß sehr
viel.
Wieso, sagt sie, und
ich sehe eine Iris, wie noch nie ein Personalausweis sie beschrieb, Æthiops
mineralis, altes Sanskritwort, kajjala, heißt ursprünglich,
wenn ich recht erinnre, ›Wolke‹. Zuerst bezog sichs wohl auf
Lampenruß, der zu Tinte oder Tusche verarbeitet wurde, eh dann die
medizinischen und ornamentalen Möglichkeiten als Collyrium entdeckt
wurden. Wobei dir freisteht zu überlegen, ob ›Zierde‹
unter dem höheren Gesichtspunkt der Evolution nicht auch sozialmedizinisch
zu fassen wär. Aber eigentlich reicht für dich zu wissen : eine
Schwefelverbindung mit Blei oder Antimon.
Ich saß dann irgendwann
den Abend solo, als Alleinunterhalter eines alten Eichenehepaars auf einer
Parkbank und sann, von einem Kristallisationspunkt meiner flüchtigen
Hirnwortketten besessen wie seit Jugendtagen nicht mehr. War das alles
mißzuverstehen ? oder einiges
XII
Ich seh sie für mein
Leben gern an : nachtrußene, trunken taumelnde Gesellen in einem
losen Verband, der ohne Austeilen von Nickligkeiten über die Runden
kommt. Erhaben sind sie und geheimnisvoll und Ehrfurcht gebietend und
wie komprimierte Schatten sind sie der Wolken auf Erden, wie Beeren des
Nebels.
Manchmal, zu den wenigen Zeiten, die ich
ohne ausgesprochene Not bin, setz ich mich in gehöriger Entfernung
auf einen dieser immerwährend unsinnigen Betonpoller an ihre Seite
und red zu ihnen, wünsche mir einen Bart an und erzähle das
Märchen, das ihre Schwärze begründet, in unterschiedlicher
Länge, je nachdem, wieviel Aufmerksamkeit sie mir schenken. In Vorzeiten
nämlich pflegte Koronis, eine Nichte Ixions, neben der Liaison mit
Apoll, dessen Kind sie schon unterm Herzen trug, eine ergänzende
Leidenschaft zum prima Fürsten von nebenan. Zu ihrem Tugendwächter
hatte Apoll, der hin und wieder seinem Beruf in Delphi nachging, eine
schneeweiße Krähe bestellt. Die geriet nun eines schnellen
schönen Tages in die Verlegenheit, nach Delphi den vollzogenen Treubruch
zu melden und wie sie Belobigung für die Petze erwartete, war aber
Apoll so in Wallung, daß er die Krähe, da sie dem Nebenbuhler
nicht umgehend die Augen ausgehackt hatte, verfluchte, seither sie und
ihre Nachkommen schwarz tragen müssen.
Ist ja nur ein Märchen, sag ich dann
und will beruhigen. Aber mein Publikum ist ruhig. Unwiderruflich. Und
billigt weder Apolls Verhalten noch das der Krähe. Süße
Monaden aus Nacht ! aus Raum zwischen den Sternen ! Kluge Tiere ! Ich
unterstelle gelegentlich, daß Tiere besseres zu tun haben, als dem
Gebrabbel eines Menschen zu lauschen, und wenn nicht, dann aus einer Position
überlegener Güte. So beobachte ich genau — ich will keine
gespendete Höflichkeit, auch nicht von Raben. Aber wenn ich genügend
Anteilnahme bemerke, erlaub ich mir an dieser Stelle den für Krähen
eigentlich unwichtigen Nachsatz :
Ganz und gar ungnädig aber war Apoll.
So ausnehmend war Apoll erschüttert, daß er nicht mal das Handwerkliche
der Rache übernehmen konnte — Schwesterherz Artemis mußte
ihm Genugtuung verschaffen. Wie Apoll aber die dann von Pfeilen niedergestreckte
Koronis sah, wars ihm auch wieder nicht recht. Und da ihm das Wiederbeleben
mißriet und mit dem Hades an dem Tag kein Geschäft zu machen
war, entschloß er sich vorm brennenden Scheiterhaufen, Freund Hermes
zu bitten, die Leiche vom noch lebenden Fötus zu entbinden. Apoll
nannte die Frühgeburt Asklepios und brachte sie zu Cheiron, dem Sohn
ihres Großonkels Ixion, in Erziehung und Lehre.
Dann zu des zweiten Hyperions Zeiten, Percy
Bysshe Shelley, mit dem Segler ›Don Juan‹ gekentert. Er trug
noch die doppelreihig gemusterte Jacke, die Nankinghose aus Malta und
Stiefel mit weißen Seidensocken, in einer Tasche steckte noch die
kleine Sophoklesausgabe, in der andern ein Auswahlband Keats, als er nahe
Via Reggio ertrunken an Land gespült wurde.Und weil die italienischen
Postgesetze die Überführung der Leiche ans Grab ihres Kindes
nach Rom verboten, ordnete Byron am Strand der Serchiomündung Shelleys
Feuerbestattung an. Weihrauch, Salz, Wein, Öl und das einzige Exemplar
von Keats´ letztem Band, das in Italien zu beschaffen war, wurden
den Flammen übergeben.
vDie Asche dann durfte versandt werden.
Wenn dann die Raben nach diesem Ende —
es ergibt eben eines ein anderes — mir immer noch gewogen sind,
kassier ich den Lohn : ein kurzabschätziges Starren, wie von andersweltener
Kohle. Spätestens dann aber humpeln sie fort ins Fremde oder erhöhen
sich auf ferne Firste und machen mich glücklich.
XIII
Sie hat uns
gesagt, zum ersten Mal uns gesagt.
XIV
Die Hilflosigkeit, mit
der ich im Dasein steh, diese dünne Schicht Hilflosigkeit, die die
Angst bändigt und zudeckt, die Angst, daß die Zeit zu knapp
ist, sinnvolle Dispositionen zu treffen, daß ich abberufen werde
...
***
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