Worte über Weimar
4. Februar 1829
»Ich habe in Schubarth zu lesen fortgefahren«,
sagte Goethe; »er ist freilich ein bedeutender Mensch, und er sagt
sogar manches sehr Vorzügliche, wenn man es sich in seine eigene
Sprache übersetzt. Die Hauptrichtung seines Buches geht darauf hinaus,
daß es einen Standpunkt außerhalb der Philosophie gebe, nämlich
den des gesunden Menschenverstandes, und daß Kunst und Wissenschaft,
unabhängig von der Philosophie, mittels freier Wirkung natürlicher
menschlicher Kräfte immer am besten gediehen sei. Dies ist durchaus
Wasser auf unsere Mühle. Von der Philosophie habe ich mich selbst
immer frei erhalten; der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes war
auch der meinige, und Schubarth bestätigt also, was ich mein ganzes
Leben selber gesagt und getan habe.
Das einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben kann, ist, daß
er gewisse Dinge besser weiß, als er sie sagt, und daß er
also nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. So wie Hegel zieht auch er
die christliche Religion in die Philosophie herein, die doch nichts darin
zu tun hat. Die christliche Religion ist ein mächtiges Wesen für
sich, woran die gesunkene und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich
immer wieder emporgearbeitet hat; und indem man ihr diese Wirkung zugesteht,
ist sie über alle Philosophie erhaben und bedarf von ihr keiner Stütze.
So auch bedarf der Philosoph nicht das Ansehen der Religion, um gewisse
Lehren zu beweisen, wie z.B. die einer ewigen Fortdauer. Der Mensch soll
an Unsterblichkeit glauben, er hat dazu ein Recht, es ist seiner Natur
gemäß, und er darf auf religiöse Zusagen bauen; wenn aber
der Philosoph den Beweis für die Unsterblichkeit unserer Seele aus
einer Legende hernehmen will, so ist das sehr schwach und will nicht viel
heißen. Die Überzeugung von unserer Fortdauer entspringt mir
aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos
wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins
anzuweisen, wenn die jetzige meinem [sic !] Geiste nicht ferner auszuhalten
vermag.«
Mein Herz schlug bei diesen Worten vor Bewunderung und Liebe. Ist doch,
dachte ich, nie eine Lehre ausgesprochen worden, die mehr zu edlen Taten
reizt, als diese. Denn wer will nicht bis an sein Ende unermüdlich
wirken und handeln, wenn er darin die Bürgschaft eines ewigen Lebens
findet !
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