Worte über Weimar

2. August 1830

Die Nachrichten von der begonnenen Julirevolution gelangten heute nach Weimar und setzten alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu Goethe. » Nun ?« rief er mir entgegen, »was denken Sie von dieser großen Begebenheit ? Der Vulkan ist zum Ausbruch gekommen; alles steht in Flammen, und es ist nicht ferner eine Verhandlung bei geschlossenen Türen !«
»Eine furchtbare Geschichte !« erwiderte ich. »Aber was ließ sich bei den bekannten Zuständen und bei einem solchen Ministerium anderes erwarten, als daß man mit der Vertreibung der bisherigen königlichen Familie endigen würde.«

»Wir scheinen uns nicht zu verstehen, mein Allerbester«, erwiderte Goethe. »Ich rede gar nicht von jenen Leuten; es handelt sich bei mir um ganz andere Dinge ! Ich rede von dem in der Akademie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen für die Wissenschaft so höchst bedeutenden Streit zwischen C u v i e r und G e o f f r o y  d e   S a i n t = H i l a i r e !«
Diese Äußerung Goethes war mir so unerwartet, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte, und daß ich während einiger Minuten einen völligen Stillstand in meinen Gedanken verspürte.
...»Ich habe mich seit fünfzig Jahren in dieser großen Angelegenheit abgemüht; anfänglich einsam, dann unterstützt und zuletzt zu meiner großen Freude überragt durch verwandte Geister. Als ich mein erstes Aperçu vom Zwischenknochen an Peter Camper schickte, ward ich zu meiner innigsten Betrübnis völlig ignoriert. Mit Blumenbach ging es mir nicht besser, obgleich er nach persönlichem Verkehr auf meine Seite trat. Dann aber gewann ich Gleichgesinnte an Sömmering, Oken, D´Alton, Carus und anderen gleich trefflichen Männern. Jetzt ist nun auch Geoffrey de Saint= Hilaire entschieden auf unserer Seite und mit ihm alle seine bedeutenden Schüler und Anhänger Frankreichs. Dieses Ereignis ist für mich von ganz unglaublichem Wert, und ich juble mit Recht über den endlich erlebten, allgemeinen Sieg einer Sache, der ich mein Leben gewidmet habe, und die ganz vorzüglich auch die meinige ist.«

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