AUF
NIEMANDES WUNSCH :
FINK
- DIE
DRITTE
oder
Epistula enim non erubescit
— Cicero
Aus den Jahrbüchern der Einsamkeit
XXI
Von weitem schon : Almatastraße
! das Signalfeuer der Existenz.
Hoch oben : ein Doppeldecker kreuzt meinen
Wolkenguckerblick. Vor paar Tagen noch flog er unbestimmt für Espabau
bannerschwänzerne Reklame; nun gibt alles Sinn : nun schnurrt er
mit der Aufschrift SCHÖNER MIETSEIN — ALMATASTRASSE JETZT AUCH
IN BUNT über die Köpfe der zum Wohnen Verurteilten.
Es ist wahr. Almatastraße war in einer
Haupt- und Staatsaktion fliederfarben angemalt worden. Und die Welt —
wenn sie mich denn sieht — sieht mich dankbar Kniefall machen vor
diesem Putsch des Guten Geschmacks. Er wars, der unmittelbar mein auffälliges
Verhalten, meine zeckenzähsüßliche Disposition endete
und exakt den halben Monat meines Lebens, in dem mir vollwertige Sätze
wie Möglich wärs, Warum nicht und Ich meine vielleicht
über die Lippen gedacht kamen — Satzsalate, angerichtet mit
sabbrigem Dressing. Und das nur, weil ich begründete Aussicht besaß
auf Brief oder sonstwie Nachricht von ihr ! Post festum : eine furchtbare
Zeit. Beinah täglich hatte ich Außenweltkontakt und beinah
täglich quälte ich mich dabei weniger als nötig und fand
mich sogar bereit zu einem losen Grußritual ... und gäbs hier
Menschen : wer nicht alles hätte zu lachen gehabt, hätt er gesehen,
wie ich die Niedertracht des Nächsten Tages, aus der heraus er einfach
Nächster Tag ist, nicht wahrnahm, aber mit Unbekümmertheit quittierte
... grüß dich, junger Morgen ! Temps perdu, grâce à
dieu. Nicht allein, daß kein Gott ist. Sondern ist an mir auch nicht
länger Anlaß für Gelächter. Kein exzentrischer Zustand.
Kein lüsternes Leuchten in den Augen der Heerscharen graumelierter
Pathologenschädel, die mir ständig vor Discountern, Duty Free
Shops und Bama-Filialen über den Weg getragen werden. Als ich nämlich
bewußten Tag mit der Entschiedenheit eines, der eine Wundertüte
und den aktuellen Weser-Kurier zu erwerben begehrt, hinaustrat —
zweierlei : schlug ich mir die Stirn blutig an einer Aluminiumverstrebung
und zog mir, stolpernd über dumme Baubretter, eine Wadenstauchung
zu. Externe Skelette hatten sich jene Nacht hochgebastelt und viele Hände
wußten sich am anderen Morgen dahingehend unterwiesen, nicht mehr
zu wissen, was tun mit vielen Töpfen Farbe. Und sie gossen sie aus
über heilignüchternes Grau.
Zwei Tage später prangte dann auch
am Hauptportal die Votivgabe, vor der ich nun chronisch meine Andacht
verrichte : eine unverwesliche Marmortafel mit der Gravur RUE
DE ALMATA —TOUTE MARMITE TROUVE SON COUVERCLE. Keiner hat
gewußt, was es heißt, nur Darmzotte Stenderhoff, die sagte,
das heiße, das sei Kultur.
Bigalle, Bigalle ... Mausefalle mitten in
Paris ... Leben so süß — Stenderhoff kriegte sich gar
nicht wieder ein. Ihr Hausflurquäken verebbte erst, nachdem sie am
Schwarzen Brett einen Lobpreis auf die Hausverwaltung publiziert hatte.
Ihre These : endlich seien die bunten Schmierereien weg und niemand, der
gut sei und noch Menschliches an sich habe, könne wissen wollen,
wer wen liebt und wie die Zeugungsorgane alle heißen und das was
sie tun.
XXII
Wiederum erfolglos nach
Hause gekommen. Dann an die Arbeit.
Schamig war mein Kristallspiegel schon vor
geraumer Weile zu Bruch gegangen. Kluges Kerlchen das, geschwind hatte
es seine Chance ergriffen ... und ich hatte doch nur einen feisten Mitesser
von meinem Kinn spiegelwärts katapultiert. Auf einmal stand ich dann
da : erlöst, vor einem Scherbengericht. Mithin waren mir sieben weitere
Jahre Glück beschieden — knapp ein Monat ist erst um —
und endgültig bin ich ohne Widerpart.
Meine Arbeit war die eines unbewegten Bewegers,
eines Lustigen, der Dinge sich verketten ließ — und sah so
aus, daß ich dem übelriechenden Strohballen, der seit Clemens´
letztsommriger Übernachtung im Flur kollerte, bösartig wütende
Tritte versetzte, in deren Folge auch ein verspannter Schirm, der teilnahmslos
in einem Winkel lehnte, zu Fall kam. Selbst in der anschließenden
Teepause bildete ich rastlos seelenruhig Quersummen aus Ziffern, die ich
wildfremden Kontoauszügen entnommen hatte. Weißgottwie hatten
die sich in einem Briefkasten gefunden. Außer dem Datum nichts Interessantes.
Versteh wer die Zahlen und Vorzeichen. Diese oder andere. Oder wars doch
mein Name, der darüber stand, wo nicht Saldo steht ?
Konnt vor lauter Hundegebell in der Nachbarschaft
mehrere Stunden nicht schlafen; nahm gegen Morgen ein Abführmittel
und blieb den ganzen Tag daheim.
Im Bett heftiger Wortwechsel mit den Scherben,
weil ich erklärte, ich würde jeden Hund zum Fenster hinauswerfen,
der ins Haus pißt.
Hausmeister und Stromableser frühstückten,
bevor sie aufbrachen. Man hatte ihnen Kantinenkost vorgesetzt, damit sie
das Essen der Mieter kennenlernten : Erbsen, Schweinefleisch und gekochtes
Rindfleisch. Mit dem Stromableser über Geschäftliches gesprochen,
er redete mich mit meinem Namen an und versprach mir auf meine Bitte sein
zukünftiges Wohlwollen. In einem Straßenbahnwagen mit dem Schornsteinfeger
und einem von des Hausmeisters Lakaien und einem Lieblingshund des Hausmeisters
nach Domshof — der Hund hinterließ seinen Kot im Wagen, darüber
lachten wir, und ich dachte bei mir, daß ein Hausmeister und alle,
die zu ihm gehören, auch nicht anders als normale Menschen sind.
Als ich in den Keller hinabstieg, trat ich
in einen großen Haufen Kot, der vom Nebenhaus herübergekommen
ist. Mache mir Sorgen deswegen und muß etwas unternehmen.
Nachts im Bett gerieten meine Scherben und
ich aneinander, weil ich einen Hund in den Keller gesperrt hatte, er verunreinigt
das ganze Haus, was ich mir nicht gefallen lasse. Die ganze Nacht Streit.
XXIII
Nachts ist da immer
Licht, schräg gegenüber meinem Küchenfenster — diagonal
ein herrlicher Flugtraumsturz fünfzig Meter ins Parterre. Es haust
dort der Geifergreis Berger, der kleine Kinder hetzt und sie dann Lämmerschwänze
schimpft, der Schnauzbartträger Amtspersonen denunziert und, wenn
er gute Worte überhaupt kennt, sie ums Verrecken nicht sagt. Tolerant
verschleißt er muslimische wie deutsche Bekenntnisse : in seiner
Gruft hält keine Haushaltshilfe länger als achtundvierzig Stunden
aus. Beruflich ehdemer Bonvivant und Schwiegervater von Niemandem. Nun
war er ungeachtet schweren Herzkaspers nicht gestorben, Stenderhoff hats
erzählt; mich, den Freund aller himmlischen, irdischen und unterirdischen
Feuerteufel, weckt ja längst kein Blaulicht mehr. Paarmal hatte Berger
sich schon berappelt und fluchend zurückgefunden aus den Gefilden
Cheyne-Stokes´scher Atmung, erstaunlich um so mehr, als er bettlägrig
unentrinnbar im Angesicht meines Hochhauses vegetiert. Berger war mir
dankbar, Gott allein weiß, warum.
Gleich Gott pflege
ich nicht zu reagieren auf freiluftvorgetragene Anrufungen, gleich Gott
aber ist der Überdruß mein Meister. Somit speicherte ich Bergers
Gesicht als bekannt und unter Umständen zu grüßen, nachdem
der von Zugehfrauen Verlassene mich erstmals über den Fenstersims
hin angepfiffen und ich ihm einen Einkauf bei Tengelmann erledigt hatte.
Heute besorgte ich eine Sparpackung Haldol.
Ich reichte sie durchs Fenster und nach einem soliden Schluck setzte Berger
die Flasche ab und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund
: »Haloperidol, gute Sache das« Er rülpste. »Wissen
Sie, Sohn, erst wenn man Franzbranntwein braucht und nach Latschenkieferextrakt
duftet, ist das Leben zuende« Ein instruktiver Vortrag über
Denk- und Ich-Störungen, Gilles-de-la-Tourette- und maligne neuroleptische
Syndrome folgte und wir schlossen den Nachmittag herzlich lachend. Wenn
ich nicht schlafe, lerne ich ja gerne hinzu. Wenn ich schlafe —
auch.
Wenn ich schlafe.
Zum Abschied, begleitet von einem netten
Schub Koprolalie, vermachte Berger mir seine Sammlung Schriften des Rétif
de la Bretonne. Ja, nehm ich. Kühne Dinge dabei. Schön nicht
nur die vier Bände Le Paysan et la paysanne pervertis, ou les
dangeurs de la ville in der Erstausgabe von 1784, ein fast vollständiges
Konvolut der Contemporaines — Notgroschen, das alles —,
sondern auch, lang gesucht : Paul Lacroix Jacob, Bibliographie et
Iconographie de tous les ouvrages de Restif de la Bretonne, Paris
1875 .... geblättert aber hab ich ein bißchen in den Revolutionsnächten,
die Ausgabe, die der Hyperionverlag 1920 veranstaltet hat. Bretonne war
voller Liebe zum Weib und unappetitlich wollüstig auf Ausgleich besonnen.
Der Kerl rühmt noch die Tugend der Corday und preist Marat, von einer
Hand sterben zu dürfen, die ihn bis aufs Blut verteidigt haben würde
— hätte sie ihn nur besser gekannt. Delikat an dieser kleinen
Zimelie : auf den hinteren Buchdeckel ist eine Assignate geklebt, hauchdünne
Fasern aus dem Jahr 2 der Republik, cinq cents, Liberte, Egalite, darauf
zwei feine gestanzte Siegel. Das rechte bildet ein Flügelwesen ab,
behelmte Standarte in der einen, Pfeil in der anderen Hand, umkränzt
vom Sinnspruch liberte ou la mort. Das linke Siegel viel nüchterner
: ein löwengezogener Streitwagen, en passant spießt die zu
Boden gerichtete Lanze des Wagenführers eine Schlange auf, während
der Krieger sich lässig einer mit Nimbus und Rüstung gekleideten
weiblichen Entität zuwendet.
Retif auch Verfasser einer Geschichte des
hübschen Frauenfußes. Ein Fetischist, der sich von 1773 bis
1796 keine Kleider kauft, Reinlichkeit aber in der Damenwelt schätzt.
Bin am Nadir. Warum ruft sie nicht an ?
Weil ich ohne Telephonanschluß bin.
Und das E1-Plus-Netz noch nicht ausgebaut ist. Was stehl ich auch Unvollkommenheiten
und lebe ohne Pin-Codes ? Was bin ich auch unvollkommen.
Erfolglos ist ein bedeutendes Wort.
Es bedeutet : Gewolltes nicht erreichen. Jede Menge Belehrung und Trost
sind darinnen, wüßt ich nur Näheres, wüßt ich
nur Was. Heut strebte ich, einen Spiegel heimzuführen. Ich ertrage
nämlich mein Glück nur schwer. Zum Glück waren die mir
von meinen Gewährsleuten gesteckten Sperrmülltermine alle falsch.
Es darf nicht sein, daß ein Mitesser
an die Öffentlichkeit tritt.
In der Städtischen Galerie im Steintor
wurde heute einem Hund das große Macassa-Gift verabreicht, er zeigte
aber keinerlei Wirkung
Heute vor sieben Jahren habe ich mit Gottes
Hilfe meine Gallenstein-Operation überstanden. Erfreue mich der allerbesten
Gesundheit und möchte nur wissen, ob es an der neuen Hasenpfote liegt,
die ich als Talisman gegen Darmwinde trage, oder daran, daß ich
seither den Rücken kühl halte; wenn ich nämlich nachts
sehr lange auf dem Rücken liege, ist mein Urin am nächsten Morgen
heiß. Vielleicht liegt es auch an der Terpentintablette, die ich
jeden Morgen nehme.
Und Konfekt fiel aus deiner Hand
Übertrieben, wie alles an dir war
krokant
Und du brachst Stäbe, an die sieben
Und jeder Stab war wahr
XXIV
Berger ist tot. Einfach
nur so.
Wieder mußte es Stenderhoff sein,
die mir die Nachricht brachte. Ich hab ihn gemocht.
Von jeher habe ich verlassene, kinderseelenlose
Spielplätze geliebt ...
XXV
Sachen kennzeichnen, Dinge
markieren, Zeug brandmarken — alles bäh, alles nichtig und
immer irgendwie anders. Sehr erschüttert : es ist alles uneindeutig,
nicht zu sagen : relativ. Und nichts ist wahrer als das Gegenteil. Wohl
denen, die eine Kunst daraus zu machen verstehen — die Landkarten
sind gezeichnet, Orientierung nicht möglich, gute Reise.
Wem Gott will rechte Gunst erweisen ...
Den Schatten Namen geben — das scheint
noch eine mächtige Herausforderung.
Kläglicher Rest dessen, was zu tun
bleibt und zu durchleiden.
Schatten sind poussierliche Schmeicheltierchen,
liebenswert anhänglich, gütig und meist erfrischend matt. Schatten
spielen ohne Haarausfall um die Knöchel des Lebens, ergossen aus
der Leere der Dinge sind sie Dokumente sperriger Substanz und Kinder des
Fehlens. An Häuserwänden, die vor keiner Behörde Auge Gnade
fanden, daß keine ABM-Maßnahme sie zudecke mit unverhohlenen
bunten Bildern, führen sie aus gehöriger Entfernung wenigstens
den Tanz der Hybris auf.
Weihnachten war vorbei und warf elende Schatten.
Mein ganzes Streben ging danach, nicht da zu sein, dort, wo von Überall
Christkugeln leuchten, aus allen Richtungen, wo unsere Besten gerade an
der Erfindung der fünften Himmelsrichtung arbeiten.
In jüngster Vergangenheit hab ich mirs
liebe Gewohnheit werden lassen, durch die Spielzeugabteilungen der Warenhäuser
zu patrouillieren. In der Beletage von Karstadt, im Restaurant, zwischen
Kartoffelsalat und Büfett aus Hawai-Mixturen, nahm ich Kaffee und
erlebte eine Gesprächseröffnung unter Damen, deren Tripelkinn
Dauerwelle trug : »Wir waren ja auch schon in ...«
Den Vielleibigen beigesellt zwei gottgestrafte
Kinder, einmal Apfelsaft, einmal Wasser. Bestellt wurde zweimal Apfelsaft.
Das Mineralkind nörgelte konsequent weiter und provozierte eine logische
Unterweisung :
»Ich will aber Wasser«
»Still, Wasser haben wir zuhause«
»Ich wollte aber Wasser«
»Still, du hast doch Apfelsaft«
Nun, da ich sie hab : wär ich als Kind
schon im Besitz einer Polly-Pocket-Welt gewesen und erleuchtet von anderthalb
Volt Sondermüll : ich denke schaudernd daran, um wievieles lebenstüchtiger
ich mich möchte entwickelt haben. So aber lobe ich Hadrian, der einen
sehr weiten Schritt ging und einen Schweigebeamten installierte, der rücksichtslos
um Stille besorgt zu sein hatte. So lobe ich jeden Voluntarismus, Cäsarismus,
Papismus, der die formalen Dinge klärt, daß wenigstens ein
Mensch es sich erträglich einrichte. Nero zum Beispiel. Den halben
Staatsetat hatte die Errichtung seines Palais verschlungen, bis er fröhlich
ausrufen durfte : »Endlich wohnen wie ein Mensch« Und so lobe
ich neidlos die katholische Kirche und den lieben Detlef Griesche und
Bürgermeister ›Massa‹ Wedemeier und den Bundesverkehrsminister,
wer immer auch es gerade ist. Gott schütze ihn, sie alle.
XXVI
Ein Buchstabe, so heißts,
war manns genug, nicht gemeinsam mit seinen Kameraden zur Thora sich einfinden
zu wollen, weil mit seinem Beitritt ein Textkorpus sich ergeben hätte,
der die Menschen in überharte Gesetzesfesseln gelegt hätte.
Ist der Aufstand des Buchstaben niedergeknüppelt worden ? Lebt irgendwo
ein Schriftgelehrter und weiß vom großen Kontumazieren ?
Doch, ich möcht einen Pfahl im Sein
haben, möchte jemand sein, der auch um eines anderen willen ist,
möchte einer heißen, an den welche sich in der Sterbeviertelstunde
als wohltuend erinnern, möchte selbst eine handvoll Gesichter an
mir vorüber ziehen sehn, wenns ausgeht, wenn ich allein in einem
Forst liege
XXVII
Die Musik der Mücken
... Wenn die Haare in den Nasenlöchern besonders sprießen,
ist das ein Zeichen nahenden Todes ? Ich bin müd. Und der Schmerz,
der zwischen den Augenbrauen tändelt : das sind Gedanken, fürchte
ich. Zumindest eng Verwandtes. Mein hohler Mediziner nennts Stirnhöhlenvereiterung
und verweist mit gönnender Geste und lächelnd auf die leuchtgelben
Sekrete mit Mengen Blut in den ›Toll im
Preis‹-Taschentüchern, die ich ›zu den
Akten‹ auf seinem Schreibtisch ausgebreitet habe. »Kann man
die wenigstens auch noch verbessern ?« will ich wissen. »Nein«
sagt er. Immerhin Auskunft. Ich bekomme Blumengerüche verschrieben,
garantiert unwirksame Essenzen. Gute Laune machen die nicht.
Noch eine Herausforderung : auf einer Welt
zu sein mit denen, die sich umgucken, geht wer hinter ihnen. Mein Haß
auf unsouveränes berechtigtes Mißtrauen ist unbändig.
Soll denn der lebenendende Schlag von hinten erfolgen, ertrage man ihn
gefälligst und gifte nicht Argwohn. Leute, die sich versichern und
vergewissern, waren entweder schon immer so oder haben Freunde, die Aitmatow
und Alice Miller lesen : die Dummen, die Listigen im Land, die meinen,
man könne was ausrichten. Täglich essen sie, aber scheuen Mühe
und lügen sich in Taschen : ihr Keks für morgen, Reserve hinter
Kaffeefiltern, erzeugt einen Begriff von Lebensqualität und Gewalt,
die sie über den Grad des Bequemen und die Umstände ihrer armseligen
Existenz ausüben, der von Übel ist. Den einen Gang, der getan
sein will, den zum nächsten Comet, nicht tun zu müssen : das
befördert nicht die Entwickelung der Subjektivität.
XXVIII
Die Pest hat wieder leicht
zugenommen, was mir gar nicht gefällt.
So wollt denn auch ich mir mal was gönnen. Einen Apfel. Aus Neuseeland
einen. Ganz bewußt wählen, ganz bewußt ins Schillern
polieren, ganz bewußt genießen. Einen Apfel. Gegen Zahnfleischbluten,
für porösen Stuhlgang. Ich trabte auf den Markt.
Rabarbarabarbarabab ... alles um mich her redet
Platt, Rot- und Kauderwelsch, AG-Weser-Doitsch und bremer Klöckner,
serbische Zungen, medische Mundarten — Phoneme ohne Sonderzeichenentsprechung,
transkriptionsresistent, Februaratem wie Sfumati bei der Konklave zur
Wahl der ollsten Silbe, irgendein Unlaut, ohne Diakritik, Borne von Selbstredentheiten
tun sich auf und allein der unselige Wunsch, verstehen zu wollen, schafft
die Schwierigkeit : es ist nichts zu verstehen. Gleichgültig, ob
das eben nun Inschallah oder Is egal heißen sollte.
Ich bin der, der sich rasiert hat heut morgen, ich bin der, der keine
Pomade in seinem Haar erlaubt. Nicht mal Rochus auf vollbusige Verben.
Auxiliare auf zwei Beinen — sie verstehen sich. Ansatzlos bigott
schneidern sie sich Worte ... »bohrte sich in den Zwölffingerdarm«
... »und der Sohn von dem war mit der Dings zusammen« ...
sie alle sprechen die eine vorbabelsche Sprache und sie treten nicht mal
die Zigaretten aus, die sie aufgeraucht in die Gegend knipsen. Ich bin
der Verwirrte, außerseits, abartig, ich bin der, der vor den Nuancen
eines Ey bleibt. Sie alle, sie alle kümmern sich einen feuchten
Kehricht um ihre aufgerauchten Kippen, und ich lerns nicht, ich geb nach
wie vor meiner Marke mit dem Absatz den Rest und höre eben manchmal
doch, wenn mich jemand anspricht und nehm es ernst, versuche Botschaften
zu vernehmen, und wo nicht, zu entschlüsseln. Nach einem Wort denke
ich nach. Das kostet Zeit. Die nutze ich, indem ich schweige. Und dann
bin ich allein.
Wie kann man es wagen, den Mund zu öffnen,
es sei denn, Rauch zu saugen oder Flüssigkeit ? Oder an einer Brust.
Es klappt alles nicht.
Clemens zufällig getroffen, Halbliterdose
Becks in der Pranke, vorm Mariott-Hotel. Tagt ein Apothekerkongreß.
Clemens fischt eine jungfräuliche Büchse aus der Jackentasche,
reicht sie mir, wischt sich Hopfensaft von den Lippen und sagt : »Hier,
Becks, gegen harte Konsonanten. Manches wandelt sich, aber der Maßkrug
bleibt, wie Tilly Wedekind in einem Brief an den fetten Benn korrekt
bemerkte. Habe einen interessanten Vortrag über Bettnässertum
gehört, Wenn die Seele aus der Blase weint« Clemens
hat einen neuen faszinierenden Plan entwickelt, an Geld zu gelangen. Mit
einer gleich ihm gescheiterten Informatiker-Kreatur heckt er ein Computer-Programm
aus. Arbeitstitel DOS für Behinderte.
Ich bin kein Pinball, der über eine
mechanisierte Landschaft getobt wird — ich bin ein von ohnmächtigen
Mächten fixierter Pinball, den eine wildratternde Oberfläche
zu stoßen versucht. Gebt mir die Kugel oder ein Gleichnis !
XXIX
Wenn du einen Gelehrten
bei Nacht sündigen siehst, so denke schon am anderen Tag nicht nachteilig
von ihm, denn vielleicht hat er bereut. Oder vielmehr : gewiß hat
er bereut. Ein Lichtstrahl aus dem Talmud. Aber auch, wie es bei Kierkegaard
heißt : der stille Gelehrte stört das Leben nicht. Er verliert
sich erotisch in seiner herrlichen Beschäftigung
Ein erster Eindruck : leider nie der letzte
Heute darf sich jeder was wünschen.
Kriegen tut keiner was.
Auch Eidetiker sind sterblich
Existentialisten haben (tragen) keine Pickel
Die Sprache der Blumen ist doch eine der
schönsten
Mutti(moti)vation
Cuba hat jetzt was Gutes gemacht. Cuba hat
einen schönen Namen gefunden. Da gibts jetzt Soldaten, deren Verband
heißt Brigade der schnellen Antwort
***
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