Materialien zu Renate I
Weibliche Kraft des Blutens
»Institut für Menstruologie«
untersucht zyklisch angepaßte Arbeitswelten u.a
von Susanne Kaiser
Rund 2.300 Tage ihres
Lebens blutet eine Frau — für viele bedeutet das sechs Jahre
mit Schmerzen, einem schlechten Gefühl, sechs Jahre Beeinträchtigung
ihres Lebens. Tina Agiorgiti-Jordan, Gründerin des Instituts für
Menstruologie »Selene«, sieht das ganz anders : »Die
Menstruation ist Teil eines Frauenlebens — und sie gehört zu
den weiblichen Kräften, aus denen wir schöpfen können«
In einem Bauernhaus in Worpswede versucht die in Kanada aufgewachsene
Griechin, nach mehreren Jahren in England und Frankreich in Norddeutschland
gelandet, altes Wissen über den weiblichen Zyklus wieder auszugraben
und Frauen mit der ganzheitlichen Wissenschaft der Menstruation zu helfen,
positiv mit dem »Übel« umzugehen.
So wie menstruierende Frauen in vielen archaischen
Kulturen tabu waren und sind — heißt : nicht sexuell angerührt
werden dürfen —, so wird das Tabu, über Menstruation zu
reden, hierzulande bei vielen nicht weniger streng eingehalten. »Für
die meisten Frauen ist doch nichts peinlicher, als daß während
ihrer Menstruation ein Blutfleck auf ihrer Kleidung zu sehen ist«
Auf den Kissen des Worpsweder Parketts, bei Kräutertees und Öllampenduft,
kommt es dagegen zur Sprache : Warum eine Frau überhaupt nicht menstruiert,
welche Ursachen diese ständigen Schmerzen haben könnten, wie
jede Frau selbst die Regelmäßigkeit ihres Zyklus beeinflussen
kann.
»Die Gebärmutter ist für
die Frau der Angst-Platz, aber auch ein Spiegel der Gesundheit«,
sagt Tina Agiorgiti-Jordan. Was für Männer die Kastrationsangst,
sei für Frauen die Angst vor der Verletzung ihrer ungeschützten
Öffnung, die ihre Sexualorgane nun mal darstellen. Also : Mensschmerzen
= Schwierigkeiten mit dem Akzeptieren der eigenen Sexualität ? »Möglich,
aber es gibt auch noch andere Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen
können — die Verbindung zu unserer Mutter, mit uns selbst,
mit der Gesellschaft ...« Im Fernsehen wird auf Teufel komm´
raus für Binden und Tampons geworben — während blaue »Ersatzflüssigkeit«
ins blendendweiße Flies träufelt, wird uns die Philosophie
verkauft : Wir machen auch Ihre Tage clean und so normal wie jeden anderen.
»Vom herrschenden Gesellschaftsbild der schmutzigen Gebärmutter
muß sich eine Frau erstmal lösen«, sagt die Menstruologin,
und : »Menstruationstage sind eben nicht wie andere Tage«
Wichtig sei es vor allem, zur Ruhe zu kommen — und das »muß
nicht Schwäche bedeuten«. Rein medizinisch zeigt die Menstruation,
daß der Körper bereit gewesen wäre, ein Kind auszutragen.
»Wir haben aber bei jeder Menstruation auch die Möglichkeit,
ein geistiges Kind zu gebären«, so Tina Agiorgiti-Jordan :
»Wir können jeden Monat Rückschau halten : wo stand ich
letzten Monat ? Das kann ein Gefühl sein, wie wenn man an seine alte
Schule zurückkehrt« Und zur seelischen komme noch eine körperliche
Kraft hinzu. Am Tag vor der Menstruation wurde zum Beispiel bei Künstlerinnen
eine ungeahnte Kreativität festgestellt. Und nimmt frau sich Zeit,
am »kritischen Tag« in sich zu gehen und sich Ruhe zu gönnen,
»dann arbeitet sie am nächsten Tag wie 10 Männer«
Menstruologie und Arbeitswelt ist eines
der Gebiete, auf denen Tina Agiorgiti-Jordan bisher intensiv gearbeitet
hat. »Die männliche Psychologie beherrscht die Arbeitswelt«,
sagt sie, »und die Leistungsanforderungen sind der Ausschüttung
des männlichen Hormons Testosteron angepaßt — dessen
Spiegel ist jeden Tag gleich« Die weiblichen Hormone schwanken hingegen
erheblich. Heute fangen die Blutungen an, und damit die Schmerzen, heute
sind aber auch sechs Termine im Büro — der Griff zum Schmerzmittel
folgt schnell. »Vielleicht braucht die Frau nur einen Kamillentee,
eine Yoga- oder eine Atemübung und eine Stunde Ruhe ?« In großen
US-Firmen wurde in Untersuchungen festgestellt, daß Frauen in den
Tagen um ihre Menstruation herum nur 70 Prozent ihrer sonstigen Leistungen
erbringen — sie dürfen dann später zur Arbeit kommen und
ein andermal nacharbeiten.
Was passiert, wenn eine menstruierende Frau
mit einem Yoghurt in Kontakt kommt ? Wie kommt es, daß sich bei
Frauen, die zusammenleben, der Zyklus oft angleicht — in israelischen
Kasernen bluten manchmal 1.000 Frauen zur gleichen Zeit ? Welche Auswirkungen
haben die Energien menstruierender Frauen auf hochsensible Computer —
in manchen High-Tech-Bereichen haben menstruierende Frauen keinen Zutritt
? Welche Bedeutung haben Wechseljahre und Menopause ? Das sind Fragen,
die Tina Agiorgiti-Jordan an ihrem »Institut für Menstruologie«
erforscht. Sie gibt Seminare für Mütter, um Initiationsrituale
anzuregen. Sie stellt alternative Menstruationshygiene, Naturschwämme
und Seidenbinden, vor. Sie lehrt Männer, wie die Frauen unterstützen
können. Und lehrt Frauen vor allem, sich mit dieser fremden Kraft
anzufreunden : wie gesagt, sie bleibt insgesamt sechs Jahre.
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