Kierkegaards Lob der Willkür In der Willkür liegt
das ganze Geheimnis. Man meint, es sei keine Kunst, willkürlich zu
sein, und doch gehört ein tiefes Studium dazu, um auf die Weise willkürlich
zu sein, daß man sich nicht selbst darin verläuft, daß
man selbst Vergnügen daran hat. Man genießt nicht unmittelbar,
sondern etwas ganz anderes, was man selbst willkürlich hineinlegt.
Man sieht sich die Mitte eines Theaterstücks an, liest den dritten
Teil eines Buches. So wird einem ein ganz anderer Genuß zuteil,
als ihn der Verfasser einem gütigst zugedacht hat. Man genießt
etwas ganz und gar Zufälliges, man betrachtet das ganze Dasein von
diesem Standpunkt aus, läßt die Realität dieses Daseins
daran scheitern. Ich will ein Beispiel anführen. Es war ein Mensch,
dessen Geschwätz ich mir dank eines bestehenden Lebensverhältnisses
notwendigerweise anhören mußte. Bei jeder Gelegenheit war er
mit einem kleinen philosophischen Vortrag bei der Hand, der äußerst
langweilig war. Der Verzweiflung nahe, entdeckte ich plötzlich, daß
er ungewöhnlich stark schwitzte, wenn er sprach. Dieser Schweiß
nun zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sah, wie die Schweißperlen
sich auf seiner Stirn sammelten, sich darauf zu kleinen Bächen vereinigten,
an seiner Nase herunterrannen und in einem tropfenförmigen Gebilde
endeten, das an der äußersten Nasenspitze hängen blieb.
Von diesem Augenblick an war alles verändert; ich machte mir sogar
eine Freude daraus, ihn anzuspornen, mit seiner philosophischen Belehrung
zu beginnen, nur um den Schweiß auf seiner Stirn und an seiner Nase
zu beobachten. Baggesen sagt einmal von einem Mann, er sei gewiß
ein sehr anständiger Mensch, gegen den er aber das eine einzuwenden
habe, daß sich auf seinen Namen nichts reime. Es ist äußerst
wohltuend, solchermaßen die Realitäten des Lebens sich an solch
einem willkürlichen Interesse indifferenzieren zu lassen. Man macht
etwas Zufälliges zum Absoluten und als solches zum Gegenstand absoluter
Bewunderung. Das wirkt besonders ausgezeichnet, wenn die Gemüter
in Bewegung sind. Bei vielen Menschen stellt diese Methode ein vorzügliches
Reizmittel dar. Man betrachtet alles im Leben als eine Wette usw. Je konsequenter
man seine Willkür festzuhalten weiß, um so unterhaltsamer werden
die Kombinationen. Das Maß an Konsequenz beweist immer, ob man ein
Künstler ist oder ein Pfuscher; denn bis zu einem gewissen Grade
tun alle Menschen das gleiche ... *** |