Aus der ontologischen Praxis
Der Salmoxisbote sprach mit Herrn Professor
Doktor Norbert Dillensieb, Direktor des kürzlich in Bremen-Mitte
eingerichteten Zentrum für Philosophische Grundlagen der Wissenschaften.
Salmoxisbote : Herr Dillensieb.
Seit — wenn ich mich recht erinnere — 1991 sind Sie Mitarbeiter
der Ontologischen Praxis; Sie haben Lehraufträge in Oxford,
Princeton und Paris und bekleiden ein Vorstandsamt im Club Deutscher
Philosophen (CDPh). Nun engagieren Sie sich auch noch im Zentrum.
Warum ?
Dillensieb : Wie Sie wissen, schießen die Philosophischen
Zentren, wenn ich mich einer Redensart bedienen darf, in den letzten Jahren
wie Pilze aus dem Boden. Wir blicken auf ein sich verdichtendes Netz von
Zentren : Pirmasens, Gütersloh, Hildesheim, Krefeld, Saarbrücken,
Pforzheim, im ehemaligen Ostdeutschland Halle und Zwickau und in Bremen
gleich zwei Zentren, eines an der Universität und ein weiteres, neues
in Bremen-Stadt, dessen Direktor ich, wie Sie schon sagten, bin. Die Zentren
werden großzügig aus Bundesmitteln unterstützt. Da stellt
sich zurecht die Frage : wozu brauchen wir eigentlich alle diese Zentren
? Würde nicht ein Zentrum genügen ? Und wozu dienen diese Zentren
? Das sind berechtigte Fragen, wenngleich es schwierig ist, dem Laien
die gewünschte Aufklärung in wenigen Sätzen zuteil werden
zu lassen. Wir vom Zentrum sind so etwas wie eine freiwillige Feuerwehr.
Alle meine vierzehn Mitarbeiter sind auf ehrenamtlicher Basis beschäftigt.
Unsere Aufgabe ist es, Stützfunktionen wahrzunehmen. Sehen Sie, die
Welt ist seit einigen hundert Jahren dabei, aus den Fugen zu treten. Das
holländische Festland beispielsweise ist ständig in Gefahr,
vom Meer zurückerobert zu werden. Woanders verschütten Lawinen
die Bergdörfer. Unsere Demokratien werden durch zunehmende kommerzielle
Medialisierung der Öffentlichkeit zu Wählermärkten. Das
Fundament unserer Zivilisation erweist sich heute, an der Schwelle zur
Jahrtausendwende, als brüchig, ungeeignet, weitere Lasten zu tragen.
Salmoxisbote : Wie genau soll die Arbeit des Zentrums
diesem Verfallsprozeß entgegenwirken ?
Dillensieb : Die Aufgabe des Zentrums ist es, modernste
philosophische Erkenntnisse zur praktischen Anwendung zu bringen. Deswegen
bieten die vielen entstehenden Zentren auch gute Berufschancen gerade
für junge Hochschulabsolventen. Sie werden bei uns gebraucht. Alles
kommt darauf an, das Verhältnis der Philosophie zu den Wissenschaften
neu zu bestimmen. Ein in der Philosophiegeschichtsschreibung beliebtes
Bild ist die Philosophie als Gebärmutter, die alle anderen Wissenschaften
hervorgebracht hat, dabei aber selber immer ärmer geworden ist, so
daß sie sich schließlich, um ein weiteres Bild zu gebrauchen,
als Magd der Wissenschaften verdingen mußte. Eine andere und für
die Philosophie günstigere Anschauung ist die der systematischen
Einheit von Wissenschaften und Philosophie. Ich will mich hier nicht auf
Legitimationsstreitigkeiten einlassen. Dem Zentrum geht es nicht um die
Verteidigung der Philosophie als akademische Disziplin, sondern darum,
wie sich die Dinge faktisch verhalten. Dem Zusammenhalt der Dinge fehlt
ein Zentrum. Das belegen die zahlreichen Analysen meiner Mitarbeiter.
Die Aufgabe des Zentrum für philosophische Grundlagen der Wissenschaften
ist es nun, das verlorengegangene Zentrum künstlich bereitzustellen.
Salmoxisbote : Was meinen Sie mit dem verlorengegangenen
Zentrum ?
Dillensieb : Lassen Sie es mich so sagen. Die Struktur
der Dinge ist nicht mehr zentrisch, sondern netzförmig. Anstelle
von Gott, König und Hauptstadt haben wir heute die Demokratie, Ballungsgebiete
und das Internet. Die Stelle, die einst das Zentrum eingenommen hatte,
ist heute unbesetzt. Es besteht Bedarf. Wir müssen die Lücke
wieder füllen. Das mag für Sie alles reichlich abstrakt klingen.
Vielleicht verstehen Sie mich besser, wenn ich sage, daß die Philosophischen
Zentren dazu dienen, den verlorengegangenen Zusammenhalt der Dinge neu
zu schaffen. Die Wissenschaft des Mittelalters basierte auf der aristotelischen
Vorstellung von Prinzipien. Gott als der unbewegte Beweger war
solch ein Prinzip. Das Denken in Prinzipien ist hierarchisch. Es gliedert
alle Dinge hinsichtlich der Verkettung ihrer Prinzipien. Ganz anders das
moderne, axiomatische Denken. Dieses beschränkt sich auf einen Teilbereich
und beschreibt ihn anhand von Modellen. Aber kein Modell beschreibt den
Zusammenhang des Ganzen. Hier muß das Zentrum einspringen. Die Wissenschaft
selbst denkt ja nicht, sondern geht sozusagen blind ihrem Geschäft
nach. Dem Zentrum für Philosophische Grundlagen kommt deshalb
die Aufgabe der Kursbestimmung zu.
Salmoxisbote : Aber weshalb muß es dann gleich
mehrere solcher Zentren geben — und zwei in Bremen ?
Dillensieb : Es verhält sich mit den Zentren nicht
anders als mit den übrigen Forschungsgebieten : es geht darum, die
Vorreiterrolle Deutschlands nun auch in philosophischen Angelegenheiten
wieder zu festigen, einen Wissensvorsprung zu erreichen, um dann gewinnbringend
exportieren zu können.
Salmoxisbote : Aber warum brauchen wir dann zwei Zentren
in Bremen ?
Dillensieb : Sie müssen die Idee des Zentrums
ernst nehmen. Die meisten Menschen meinen, daß Standorte im Kommunikationszeitalter
unwesentlich sind. Dem aber widerstrebt der Gedanke des Zentrums. Ein
Zentrum ist ein privilegierter Ort, mit dem alle Dinge enger verbunden
sind, als sie untereinander zusammengeschlossen sind. Das Zentrum ist
das, was alles zusammenhält. Unsere neue Idee ist es, ein funktionierendes
Netz von Zentren zu errichten. Bremen hat da aufgrund der geographischen
Situation einen besonderen Vorzug. Deshalb hat man hier zum ersten Male
den Versuch eines Zwei-Zentren-Modells unternommen. Man kann sich das
wie das Kraftfeld eines Hufmagneten vorstellen. Zwei Zentren — das
ist wie Anfang und Ende, wie die beiden Pole, zwischen denen sich die
Chronologie unseres Lebens abspielt.
Salmoxisbote : Das sind sehr philosophische Worte, Herr
Dillensieb. Belassen wir es bei ihnen. Wir danken Ihnen herzlich für
dieses Interview. Und : toi, toi, toi für Ihr Zentrum
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