Dokumente aus den Dunkelkammern
religiöser Wahnideen ——
Die Affen rasen
durch den Wald Aus dem Kuriositäten=Kabinett Emil Szittyas II. ... Die
Begründer der Kolonie Askona waren : Carlo Grässer, Oedenkoven
und Lotte ... Carlo Grässer ist ein ehemaliger ungarischer Oberleutnant
aus Oedenburg. Er war von jeher ein bißchen übergeschnappt
und wollte die Menschen erlösen. Als er von seinem Vater ein größeres
Vermögen erbte, hat er es unter die Armen verteilt, weil er Geld
für sündig hielt. Er trat aus dem Militärdienst aus, tat
sich mit seinen Brüdern und mit einem gewesenen ungarischen Militärarzt
Scarvan (einem persönlichen Freund Tolstois, der es ablehnte, für
einen Staat zu arbeiten) zusammen, um mit ihnen eine anarchistische Kolonie
zu gründen ... Sie fanden einen belgischen Millionär van Oedenkoven,
der syphilitisch war und sich deshalb nach einem reinen Staat sehnte und
dem Anarchismus huldigte. Als Vierter gesellte sich zu ihnen Lotte, die
zu den merkwürdigsten religiösen Abnormitäten gehört,
die ich kenne. Sie war die Tochter eines Berliner Bürgermeisters.
Ihr Vater nahm sie einmal auf eine Studentenversammlung mit, auf der begeisterte
Reden gehalten wurden, und plötzlich schrie Lotte auf : »Alles,
was Ihr sprecht, ist Unsinn.« Einige Tage darauf verübte sie
bei ihrem Vater einen Einbruch und entfloh. Die Obengenannten fanden das
bildhübsche Mädchen in Hamburg in einer Matrosenkneipe als Kellnerein.
Sie war in dem Sumpf rein geblieben und hatte noch nie eine Berührung
mit einem Manne gehabt. Die Phantasten nahmen selbstverständlich
auf ihrer Landsuche nach einem neuen Staat das Mädchen mit. III. ... Das
Gemeinschaftsgefühl unter diesen phantastischen Menschen war nur
Schein und Lüge. Grässer löste sich als Erster von der
Gemeinde und versuchte, Geschäfte mit seinem Grundstück zu machen.
In dem freien Leben schwanden seine Hemmungen, und es stellte sich heraus,
daß er ein grausamer Herr war. Er peinigte seine Frau, so daß
sie verrückt wurde. Er beschäftigte sich in Askona nicht nur
mit Idealen, sondern arbeitete an Entdeckungen, mit denen er sich ein
Vermögen erwerben wollte. IV. ... Es gibt nur wenig Künstler, Anarchisten, Theosophen und Vegetarier, die von der Existenz Askonas nichts wußten. Unter den Ersten, die dort ankamen, war Erich Mühsam, der sofort eine Flugschrift und eine vegetarische Hymne schrieb. Erich Mühsam war es, der die größte Propaganda für den neuen Staat machte, und es kamen Menschen aus allen Weltteilen, die alle ein neues Leben leben wollen. Zerknitterte Träumer. Von Fleischmöglichkeit zurückgeschleuderte sehnsüchtige Weiber. Irre, die am Rande von Abgründen verzweifelt grinsend spielten. Dichter und Maler, die grelle Farben zu ihren Phantasien suchten. V. ... Eines
Tages saß ich in Zürich. Die Weiber mit den 46iger Füßen
langweilten mich. In allen spanischen Kneipen hatte ich schon riesige
Schulden. Der Käsegeruch fraß meine Nasenlöcher. Der Limmatstrand
war von dicken Jüdinnen benebelt. Da fiel mir plötzlich Askona
ein. Ließ mir von dem Kellner den Fahrplan geben, fuhr mit dem nächsten
Zug nach Askona. VI. Wir wollen
gleich mit dem interessantesten Typus von Askona beginnen, mit dem bereits
vorher beschriebenen Kokosnußprediger. Ich erfuhr hier noch Folgendes
über ihn : er war ein Anhänger von Mazdaznan. Schrieb Hymnen
an die Kokosnuß, die deshalb heilig sei, weil sie auf Bäumen
wachse und weil ihre Form der Sonne ähnlich sei. Auch an die Sonne
schrieb er Hymnen. Außerdem war er aber auch ein ganz geriebener
Geschäftsmann. Für jeden Menschen, den er auf seine Kokosnußinsel
importierte, bekam er Prozente von den Schiffahrtsgesellschaften. Mit
der Heiligkeit der Kokosnuß schien es aber nicht weit her zu sein,
weil einige, die nach seiner Insel fuhren, schon unterwegs starben. Hofmann
erklärte diesen traurigen Umstand dadurch, daß die Kokosnußheiligkeit
sich nicht foppen lasse. Diejenigen, die auf dem Wege starben, waren nach
seiner Theorie schon zu sehr von der sündigen Nahrung verseucht,
so daß sie die Insel nicht betreten durften. Von denjenigen aber,
die die Insel wirklich erreichten, sind die meisten schwer erkrankt zurückgekehrt.
Darunter ein Fräulein Anna Schwab (aus Stuttgart), die sogleich in
ein anderes Extrem hinüberwechselte, Anarchistin und Lesbierin wurde
und für diese Ideen in dem nach Wiedertäuferatmosphäre
riechenden Stuttgart Propaganda machte ... *** |