BRUCHSTÜCK AUS DER
ALMATASTR. / DUNI
VII
Ich
weiß so wenig über Pinguine. Mücken töte ich und
Sehnsüchte. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Meist mit keinem.
Auf der Hühnerleiter
des Verlöschens komm ich gut voran.
VIII
Ich,
zu mir : ›Schau dich um. Das alles sind Dinge, mit denen man was
tun kann. Ist das nicht furchtbar ?‹
Kaum eine Antwort.
Die meisten Fragen sind
sinnlos. Und sind sie es nicht, sind es die Antworten. Klospruch
— das fiele Clemens dazu ein. Dann ich, das Vorzeichen der Wertung
verkehrend : was an ›Klospruch‹ ist Einwand ?, dann
er, genau das, daß nichts daran Einwand ist.
Ich kenn das mutterwitzelnde
Spielchen mit Möbiusschleifen, die redefigürlichen Fingerhüte,
wie sie fruchtlos aneinanderscheppern, geschnitzte Windmühlen, lästernde
Rosenkränze, flinkfingrig durch wetteifernde Sprachzentren geperlt
— zum Erbrechen. Oft begreif ich alle bedeutungtragenden Verästelungen
eines Satzes mit dem ersten Hören. Schlimm genug. Allein, noch nicht
so schlimm : ertrüg ich nur den verbreiteten Mangel an Anstand,
der auf Antwort besteht. Der in Antwort besteht. Geschwätz
Geschwätz Geschwätz.
Wie geht überhaupt
Geschwätz ?
Kann jemand, der Worte
bedacht setzt, über Prolegomena hinaus ? Das kulturbildende Sensorium
ist verkümmert, die phantastischen Ungeheuer wahrzunehmen, die in
Konsekutivsätzen lungern und unselige Scharniere ölen, daß
ohne Aufsehen der Respekt vor einer getroffenen Aussage versagt und einfaches
Fortreden anhebt, erst recht, wenn schon alles gesagt ist, vor Sätzen
schon alles gesagt ! Und dann kommt noch ein Satz, und nicht nur einer.
Aber irgendeiner. Taktlos. Zügellos.
Worte
wie Spielgeld
Kultur feiert von jeher
fröhlichen Urstand in Walle. Sie lebt und lädt alle ein, mitzutun.
Ich denke nicht allein an Flipperhaus, Drogerie und Nacktbar, nicht allein
an Post, Abdeckerei oder die Schwarzen Bretter in Supermarkt und Katasteramt,
nein : niegeworfene Steine nur entfernt von der Almatastraße saugt
ein Straßencafé Geld aus Taschen. Die Bedienung ist salopp,
unverdrossen langsam und leidenschaftlich zuvorkommend. Demzufolge hat
die Bruderschaft der Bargeldlosen in ihre Satzung aufgenommen : wer die
Zeche im El Mundo prellt, gelte für alle
Zeit als unschön, anrüchig und ausgestoßen. Ich weiß
davon, weil Chevalier Clemens über gute Drähte verfügt.
Erst letzten Frühherbst, als die Witterung gaukelnde Nachsicht zwischen
die Satellitenschüsseln tropfte und ganze Familien juchzen machte,
hielt er seine Apothekerin im El Mundo frei, zwei Erdbeershakes mit
Sojamilch — und daß sie mir ja ordentlich moussieren
tönte er. Ich mußte es hochgeschossig noch hören : steppdeckengehüllt,
Rowohlts Bildmonographie ›Rudolf Steiner‹ in den Händen
und hirnspinstigfiebrig : auch mir tapsten frischverstorbene Tanten gebärdenreich
durchs Zimmer und munkelten Versuche jetzt und später, soviel
du kannst, für uns zu tun !
Wandelt mich Sommermut
an, schlendre ich fasziniert zum El Mundo, lehne an Lindenstamm oder graulackierten
Zaunlatten, gebe Rast vor, Lektüre einer Edeka-Wurfsendung und nehme
doch nur eine Parade nutzloser Fratzen ab und zähle die Bevölkerung
sprechender Teebeutel in weißem Hartplastikgestühl : eine Klientel,
die gleichzeitig sitzt und redet und an der einhelligen Überzeugung
arbeitet, ein Gutes Gespräch gehabt haben zu werden — eine
Lüge stiftet mehr Gemeinsamkeit als eine Wahrheit. Nebenher noch
körpersprechen die Mondänenden, schlagen Beine überkreuz,
spielen mit siebeneinhalb Gramm Kondensmilch und studieren nachlässig
die auf die Aluverschalung gedruckten Gymnastiktips, die Horoskopanweisungen
der Würfelzuckerfabrikanten, drücken Hände, kratzen Haut,
wischen Stirne, winken über Zebrastreifen hinweg. Da, kantapper kantapper,
gehen dann fremde Freunde oder freundliche Fremde. Oder, comme d’
habitude : befremdlich und befremdet : Ich.
Gutes Gespräch,
widerlich, nie gehabt.
Ob ihr Zahnfleisch nun
blasiert unbefangen freiliegt oder sie es synchronisierbequem bedeckt
halten : die Teufel quetschen Kuchengabeln, drehen Drum, reden redundant,
Selbstverständlichkeiten werden erfragt und willig entfaltet, die
Wollust des Nichtfassens stellt sich zur Schau — und ich wende mich
ab und trage die Frage nach Hause : ist Aristoteles in De partibus
animalium zu verbessern, ist nicht Lachen, sondern Gewäsch das
einzige Humanum ?
Beginn eines idealen Gesprächs
ist sein Ende.
Die großzügige
Plaza vorm El Mundo geht kaummarkiert in die Fußgängerzone
über. Brille ? : Apollo. Fäustlinge schwarz und nahtgeplatzt.
Dunkelblaue Baskenmütze unter albernem Troddel, raben die Echtlederjacke.
Dazu stecken dicke graue Wollstrümpfe in verwegen hellbraunen Wildlederboots
: tatsächlich, die Hagerausgabe des schachspielenden HSV-Trainers
unter den wirren Völkern von Jahwisten, Elohisten und knapp nicht
mehr schulpflichtigen Verbraucherbefragern. Sinnig wie nicht anders erwartet
: direkt vor der Doppelburgerzentrale mein Magath mit bäuch- und
rücklings geschnürter Pappe, auf der stand : Überzeugt
alle, daß sie auf dem falschen Weg sind. Ja, dacht ich
bei mir. Das ist nicht schlecht, so, als Satz. Wenns nur nicht unerhört
viel Gerede im Schlepptau hätte. Und viel Wollen — alles also
eigentlich, was ich nicht will.
Mit Nackenrasiert-Felix
hatte ich zu tun gehabt, als einst ich mich bei der AOK zwangseinschrieb.
Kaum ein Auge fürs prächtige Entree (nur das schöne Poster
Lust am Leiden — Eßt mehr Kieselerde), keins
für die Varianten, die die Flügeltüren boten, ließ
ich mich da voller unguter Gefühle von staatlicher Fürsorge
in ein Großraumbüro schwemmen. Ich traf auf kein Panzerglas,
aber Raumteiler, die Vertrauen schufen. Mächtige Ventilatoren und
Geborgenheit. Und Sorgenfreiheit. Vollmachten wurden auf formlosen Zetteln
hin- und hergeschoben, in Vitrinen abgelegt, Mitarbeiter riefen gedämpft
brodelnd Arbitragen aus und umtriebige Grüße, maximierten,
minimierten, hatten Lust, sich nicht zu entscheiden und Verabredungen
zum Kaffee zu treffen. Und alles präcis und optimal. Alles innerhalb
gewisser Margen. Ich fühlte mich enttäuscht und daheim. War
nett gewesen. Felix saß mir an einem Schalter, der der Kundenbetreuung
gewidmet war, gegenüber. Wir gerieten ins Plaudrige und vermieden
gegen Ende unserer Auseinandersetzung über gewagte Konstruktionen
zum Zeichen der Intimität die direkte Anrede. Felix verharrte sogar
in Dienstbarkeit und räumte mir Kiesel aus dem Weg, als ich auf seine
Frage nach weiterführender Literatur zu den Schlafenden Priesterinnen
von Finnland bedauernd die Achseln zucken mußte. Aber schon
damals dacht ich bei mir : mach man, aus dir wird noch.
In Erinnerung an alte Zeiten
trat ich an den Doppel-Burger heran, blickte ihm durchs entspiegelte Glas
in seine Warum-lebe-ich-in-einer-Welt-in-der-ich-mein-Fahrrad-anschließen-muß-Miene
und fragte :
»Wie gehts ?«
Für die aufdringliche
Temperatur und den Dampf aus Mund, Nasenlöchern und allerlei Gepore
konnte Felix nichts. Ich verzieh also, er lächelte verhalten und
bradyarthriesierte:
v»Gut. Ich bin nicht
mehr da, wo ich war«
»Schön«
sagte ich.
»Nur eines ist ärgerlich,
sehen Sie doch, der Wachtturm macht auf mit Neuerlicher
Großangriff Vitzliputzlis auf die Horden Gottes — die
sollen doch aufhörn mit dem Scheiß und Huitzilopochtli da nicht
reinziehn, meinen Sie nicht auch ?«
Er wies auf die verstockt-erwachte
Konkurrenz. Beide hörten wir, wie ein Zeuge Jemandem erklärte,
gerade jetzt würden die Ärzte geboren werden, die am Jemand
dereinst Herzmassage üben würden und vielleicht sei er schon
eingeschult, der Arzt, der eines Tages Jemandes Totenschein ausstellen
werde — und dann ? was wüßten wir schon von Jehova, außer
daß er lieb sei und gut und allwissend, allmächtig und allerdings
auch gerecht und im übrigen wie sein Ratschluß : unerforschlich.
Ich nickte Felix zu :
»Ja«
Dann ging ich irgendwohin.
Vielleicht habe ich doch
Gute Gespräche. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten.
Sie sind nicht irgendwer.
Rauchen Sie nicht irgendwas O doch. Wenigstens bin ich irgendwer
und rauche irgendwas.
IX
Um
mich her sieht alles nach Nachlaß aus. Mein kleines Lafayette auf
8000 Quadratmetern, an den Decken, in den Winkeln : von den Staublianen
hangeln Entrümpler bodenwärts, düstere Visionen von besenrein
und kostenfrei, der Wieland versandet, die zweite, verbesserte und
ergänzte Auflage des Agathon, auf besserem Papier, mit den
köstlichen Kupfern und Titelvignetten nach Mechau von Geyser; Eugen
Dühren besorgte vor rund neunzig Jahren eine feine Rétif-Bibliographie
und da fingerfleckt sie nun unberührt; von Maassens Denkwürdigkeiten,
der Grundgescheute Antiquarius : setzt Schimmel an ...
Erst später, als ich schon wieder ganz woanders war, fiel mir auf
: wo Felix stand, standen sonst die Vertreiber von Obdachlos.
Aber die sind erfroren. Merkwürdig, dergestalt zum Bestandteil der
eigenen Zeitung zu werden.
X
Rumrennen,
rumstehn, sich selbst aushalten, sich selbst nicht aushalten, bukolische
Sätze finden fürs Lot Ereignisse und die dann krachen sehn mit
kindischer Freude am Sturz der Silbentürmchen — was sonst ?
Switch — und jedes
Elektron ein Verbraucher. Bei Fuß ! Die kleinen Kerlchen strömen
herbei und bauen ein Bild. Knisternd ovalt die blaustichige Welt voller
Gesichter und Stimmen, schmieriger Durchschnitt, kullrig, gickelnd und
gemein. Unter Dummdames Nase : ein öliger Wohllaut : Hm, was
ist denn das ? Gurrgeschnösel : Das ist Brise Pyramide —
das neue Raumparfum. Mh, das ist ja mal was ganz anderes ...
Das ist Scheiße.
Das ist mein Mann.
In seiner freien Zeit hilft er mir im Haushalt. Ich bin richtig glücklich.
Strahlend weiß wie die Wäsche hier, strahlend weiß wie
das Kleid von ihr, strahlend weiß mit Sunil ... Werden auch
Sie richtig glücklich ... das hat Format.
Maßgebliche,
maßnehmliche Auktion, was tuts ? : unter einen Hammer geraten, der
niemandem zuspricht
XI
Entschuldigung,
riechen Sie mal daran ... Das ist Brise Landhaus !
Langsam wirds dann doch groß. Vorfahrn, wegfahrn, glücklichsein.
Trickie, simpel und gewaltig. Grau und erhaben thront gütig hinter
Schallemissionen Er, der gute, der eine große Grund für langanhaltendes
Schweigen, er, der Widerrede fürchtet wie die Pest, obwohl alle Argumente
sein sind, er ... der müde ist. Er ist Ironiker, er birgt schützend
in seiner Handmulde alles, was redet, und guckt zu, wie bloße Penetration
die Wahrnehmung ändert und den Standard des Gefallens. Wofür
nur preisen fellachische Habenichtse zuckend Herrn Allah ? Dafür,
daß sie in schlotternde Dschel-labahs gepellt auf öden Ackern
stehn ? Daß da nie ein Zicklein war und nie ein Kino um die Ecke
? O tiefe Empfindung bäuerlicher Herzchen, o wie doppelt fremd mir
! Nach dem zwölften Goldzahnblinken der pitstop-Boys trappelt die
Freude dann eben doch daher, obs nun die am Auspuff-Sofort-Service ist
oder am Gott, der zu erbärmlicher Existenz berief.
Fernsehen ist toll. Fernsehen
ist supertoll. Anders gesagt : ein Medium der Aufarbeitung von allem Möglichen.
Zum Beispiel ich. Gutes Beispiel. Ich besaß ja schon mal einen kleinen
Schwarzweißen. Von Muttern die Frohnatur, vom Vater — Kampfname
Großherz — den süßen Japaner. Neben diesem
Unterpfand seines Gönnertums lag allerdings eine geschmackliche Aberration
von vielen Bogensekunden vor : nämlich tat Großherz in schlampigem
Privatverständnis von Sarkasmus kund und zu wissen, wie sehr es mir
gar nichts genutzt hätte, meine Konfirmation abzublasen : das vorgesehene
Geschenk bekäm ich trotz Widerborsten und der Enttäuschungen,
die ich bereiten würde — durchaus auch bei anderen, eigentlich
allen Gelegenheiten — und weil er es so wolle. Und nur weil er es
so wolle. Das war quadratisch, praktisch, gut,
zwei in einem und mußte mit : mein Gottesbild bestätigt und
ungefragt war ich einer privater Einsegnung unterzogen und zum Abendessen
zugelassen auch.
Äußerste Ausmaße
der Adoleszenz !
Jedenfalls : ich weiß,
wie so was angeht. Saß damals emsig vor Dalli-Dalli, Graf Yoster,
der Drehscheibe und Schaubude. Meine Vorlieben hatte der Japaner wohl
ausgehalten. Woran er nach einem Jahr letztlich scheiterte, weiß
der Gott der Fernseher.
Oder auch der nicht ?
Eine rare Kapriole unter
den religiösen Denkskulpturen.
Näher betrachtet,
kenn ich diese entwaffnend ratlose Note nur aus dem RgVeda, der ehrlich
auf die Frage nach dem Woher der Schöpfung versetzt : »Der
über sie wacht im Höchsten Himmel, der weiß es. Oder
ob auch er es nicht weiß ?«
Vielleicht finden der edle
Yoster, das lustige Rateteam oder ein kritischer Journalist was raus.
Schlimme Zeiten, zu denen
mich noch interessierte, wer die Wahlen zum Bundestag gewinnt. Heute weiß
ich, dalliklick : Kodak Deutschland wird 100, seit drei Jahren kriegen
orthodoxe Affenärsche in Sarajewo keinen Chor mehr zusammen, die
Priester sterben wie´s liebe Vieh. Schade eigentlich. Schade auch,
daß Monstranzen verwaisen im ehemaligen Bistuë-Nova. Das ist
nicht schön für die einzelne Monstranz. Nein, schön ist
das nicht. Schön ist was anderes. Ein glänzend gespültes
Glas zum Beispiel ist schön. Und wenns dann mit der Stenderhoff klappt.
Schön ist übrigens auch, wenn sich alte Kulturen und Traditionen
erhalten und gepflegt werden. Teehäuser zum Beispiel auf Taiwan.
Mit dampfenden Teekesseln. Und kleine Dinge. Und Kampflieder für
gute Oppositionen. Hochkultur und Kleinkultur im allgemeinen. Und Schwalbennester.
Und Amazonasindianer, und wenn nicht die, dann wenigstens ihr lippenverwachsener
Pfahlschmuck. Und schöne Denkschriften.
Clemens auf dem Trampelpfad
zur Apothekerin hatte die Gurke gesehn, die dem Verderben bereitet lag
Höhe Wiener Feinbäckerei. Wenig nur habe ich gelernt in meinem
Leben, das eine aber doch : die Brötchenpfuhle, denen Tag und Nacht
lebenbejahend Riechendes entsteigt, unbedingt meiden, will ich nicht in
hündische Reflexe verfallen.
XII
Nawiegehds
?
Mankannnichklagn
Wasmachdmudda ?
Wa ?
Wasmachdmudda ?
Å, immadassälbe
Unwasfürscheißeläufdindeinergegnd
?
Achhöraufdu
Warum
geht bei mir die Traurigkeit nicht weg ?
XIII
»Laß
die eingekampferten Plünnen doch nicht so rumliegen, und, sag mal,
du mußt dich doch stündlich an deinem Lüster stoßen.
Hier muß mal was getan werden, hier muß mal eine skandinavische
Wohnidee für Individualisten her. In Farbe, Kerl, könnte sein,
er geht, könnte sein, du könntest dich entscheidend verbessern«
Auf meine Vierzigwattosram laß ich nichts kommen. Viele Jahre schon,
bekäm sie nur Stoff, würde sie mir geholfen haben, mein Augenlicht
zu ruinieren.
Erst hatte ich Clemens
barsch »Heute nicht« zugerufen, gab noch ein gequältes
»Nein«, ein flehentliches »Bitte !« dann drauf.
Doch das Raunen vor der Tür nahm kein Ende, dafür mein Leichtsinn
das Heft in die Hand und plötzlich stand Clemens im Flur. Er gab
dann auch gleich Schwäche vor, er, der Blätterteigausdünstungen
und den Geruch von Tortenpfirsichen, Mandelmakronen und Bourbon-Vanille
überstanden hatte. Vorbei am Fauteuil, das er wie jedesmal mit »Neu
?« quittierte, richtete er sich auf der Seetangmatratze ein und
nuckelte an einer Familienflasche Doppelherz. Rissigen Lippen entwitterte
etwas von meiner Chance, ächzend stemmte er sich vor die
Handbibliothek und blätterte im Taschengoedeke. Doch das hatte er
noch nicht getan, das ihn den hätte verdienen machen können.
War ein Akt gewesen, den
alten Nordmende von der Schippe zu hieven, vom Müll in mein Gelaß
und an der glotzenden Stenderhoff vorbei. Clemens aber entfessselte schwitzig
seinen Forderungskatalog : »Ich hab dir anpacken geholfen, ich will
von dir nicht mal dein Erstgeborenes : nur die nächste Fallada-Erstausgabe,
der du begegnest« Das schien mir recht und billig. Ich versprach,
fleißig für ihn suchen. Ersatzweise will Clemens einen Mastiff.
Ceaucescu fand ich gut.
Der verbot schlicht, daß in seinem Reich Temperaturmeldungen, die
reichsinterne Temperaturen unter 15 Minusgraden zum Inhalt hatten, verbreitet
wurden. Man muß die Dinge halt nur energisch angehen.
XIV
Wünsche
sind Firlefanz.
Wie gut, sich das Leben
einrichten zu können unter dem Marschallstab stochastischer Erwägungen.
Rattenmann spricht von der Allmacht der Wünsche, Clemens träumt
den Spezialfall, den selbstreferentiellen Wunsch nach Allmacht. Ich schweige
zwar, aber sollte ich reden, ich redete von Einerlei. Mag auch die Welt
polymorph-pervers sein : an ihr zugrunde zu gehen ist so unmöglich,
wie ein Sterben an einer Überdosis homöopathischer Pillen.
Jean Paul brachte Göte
einmal dazu, stumm vor Ärger eine Viertelstunde lang den Teller zu
drehen, indem er ihn darüber aufklärte, daß es mit der
Stimmung, die man angeblich zum Dichten brauche, Narrenspossen seien,
er brauche nur Kaffee zu trinken, um, so gerade von heiler Haut, Sachen
zu schreiben, worüber die Christenheit sich entzücke. Ich will
ja nicht mal dichten. Nur anständig dauern, bis meine Zeit abgelaufen
ist. Meine Kaffeetasse
ist noch weiter als ich. Sie hat alles Anregende von sich gegeben, den
Satz behalten und ihren unverrückbaren Platz gefunden auf einem Film
schwach gesüßten Ananassirups.
Wie lang das alles noch
gehen mag ?
Sie
sind bestimmt Parfumkennerin .... Schön dezent, was ist
denn das ? Fleurs de nuit, das exklusive Raumparfum.
Von Johnson.
Ich liebe einen Satz wie
: Für einen Walzer vergeß ich nichts. Aber sowas muß
ich selbst sagen. Selbst und allein. Ich habe nichts, das mich in auch
nur einer Frage sicher machte.
Das würde ich
mir sofort kaufen. Das ist mal richtig was ganz anderes
XV
Ein
neuer Tag, noch einmal. Also nochmal : wie Kochwäsche : hing rum,
sehr; tat Schritte, wenige ... wie telephonbankendes Geschwulst. Dann
trank ich passim von holländischer Apfelsaftessenz, fruit juice &
Testurteil +, und kitzelte mit steriler Unentschiedenheit dutzende nicht
gelesener Bücher. Wehen durch den Tag unter der Zuchtrute eines zu
allem entschlossenen Nichts.
Das
Gemüt eines Nichts müßte man haben, ein fettes Konvolut
lebendigen Wirrsinns zusamenstellen und süffisant auf die Mindergeister
warten, die aus der ewigen Fortzeugung von Hirnrissen Plan, Konnotation,
Mißraten und Gelingen lesen. Ja, ich sehe wohl einen Zipfel vom
Nichts, wenn ich in ihm das sehe, das vergnügt Tamburin schlägt
und Anglern zuschaut, die über Dosen hakenerwartender Würmer
eine Betrachtung und noch eine brüten.
Tasse,
Gabel. Block und Stift. Hebel, Schnur. Tabak.
Nichtig,
bedeutend — eins das Attribut des anderen.
Ich
tue Vorgänge nur, um genau die Vorgänge weiter tun zu können.
Aber wer oder was hat schon die Stirn, einem Grund ins Gesicht zu sagen
: was immer auch hinreichend sei : er jedenfalls sei es nicht ? So entleer
ich meinen Darm nur, daß ichs bei nächster Gelegenheit wieder
tu. Wenig gehaltvoll. Raumparfum meines Daseins. Manchmal aber auch lausche
ich der Straßenarbeitermusik, dem herben Takt randalierender Schwerstgeräte,
die sich, gleich mir, um nichts kümmern als sich selbst, am wenigsten
aber um die knappe Spanne gesetzlich verfügter Ruhe. Dann bedaure
ich, nicht Parterre zu wohnen wie einst Berger, bei dem ich hörnchenzehrend,
während er mir Fetzen aus seiner Lebensbeschreibung las, küchenfenstern
so manchen Bildschirmschoner rastlos vorbeiziehen sah : unvergessen das
Doppelkinnmännlein, das im karierten Flanellhemd und mit Haarkranz
auf extrem beschleunigungsfähigen Bulldozer hoppelnd einherwalzend
ziellos seine Kreise zog. Eine Designerdroge aus den Werkstätten
Nintendos.
XVI
Wir
fragen Liebhaber von schönen Düften ... Kennen Sie das ? Hm,
was ist denn das ? Brise Air de Parfum, das neue Raumparfum !
Eine sumpfpolierte Mannbegleitung gurrt die Birkel an :
Das riecht ja wie deineWohnung. Birkel ist begeistert : Klasse,
die neue Idee. Worauf es ankommt : aufzustehn oder nicht aufzustehn
(morgens, mittags, abends) und nicht jedesmal zu erröten, kommt man
an einer spiegelnden Fläche vorbei. Und ich habe keinen Spiegel.
Nicht mehr. Ein Sputum flieht sachgemäß auf meinen Handrücken,
gleich zwei Lungenflügel kneifen heute, eine Frau stürzt mit
ihrem Rad Domsheide und — ihrem Gebaren nach — wollte es nicht
— die Linie 2 aber bremste —, ein Mann legt nächtens
sein Haupt auf die Gleise und er wollte es und niemand bremste. Wie furchtbar
: niemand bremste. Furchtbar beruhigend. Aber auch furchtbar.
Es
kommt auf noch etwas an. Der Stenderhoff zu entgehen. Sie klagt mich Spätheimkehrer
ob einer Erkenntnis an : Im Wasser schwimmen jetzt ja überall
diese Abkürzungen von diesen Giften. Warum nur ist das so ?
Ich konnt ihr helfen : das ist billiger, als alles auszuschreiben.
Glück
ist Fehlleistung. Mein Erdenwallen besteht aus angewandten Fehlern, so
will mir scheinen, ausgesprochen glücklich bin ich dennoch nicht.
Dieses Rätsel zu ergründen, könnte ich Bilanz ziehen, ernsthaft
Bilanz ziehen. Warum sollte ich ? Gott ist eine Ich-Schwäche. Der
Versuch, mit sich selbst ins Reine zu kommen, desgleichen. Andererseits
ist kein Gesetz bekannt, das unter Ausführung von Strafandrohung
ein starkes Ich forderte. Es ist also gleichgültig, ob ich bilanziere,
gleichgültig, ob ich als Resultante schwungvoll aus dem Leben trete,
das Dasein durch meinen Verbleib feiere, ob ich gesundschrumpfe, mich
hypertroph blähe oder unter Weiß-nicht-Gesten weiterdümpel.
O, hätt ich nur einen Dachboden ! Bestimmt besäß ich dann
auch alte karopapiervolle Truhen, in denen ich Tagebücher, Briefe,
Photos umzugresistent aufbewahrt hätte, lässig die Hand an der
Kalaschnikow auf dem einen, ein minderer Kriegsherr ich, aber : das ist
das Gute am Gleichgültigen — es ist gleichgültig. Großartig.
Das Gleichgültige ist das Großartigste.
***
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