Wolfgang Jeschke
Herbstrosen
Erbrochenes brandet an die Häuserwände; vermischt sich mit dem
Urin und dem Kot der Menschen, die nicht an sich halten können oder
wollen. Auf dem Weg von und zum großen Platze, wo sich Jahrmarkt
feiern läßt. Amüsemang ohne Grenzen, orgiastisches Fressen
und Saufen, Karussellieren bis zum Schwindel. Lose, Lose, eine Mark, jedes
Los ein Gewinn, keine Nieten, niemals, nicht hier, Gewinne, Gewinne, Gewinne,
sogar den Lukas haut das um. Lustiger Blutvoyeurismus in der Boxbude.
Gucken, wie sich die Idioten eins auffe Fresse hauen. Die runtergekommenen
Rummelplatzboxer hatten Pech in diesem Jahr. Eine Dresdener Boxerauswahl
auf Durchreise. So leicht verliert sich blauäugig die ausgelobten
100 Piepen. Immer wieder und dies durch KO. OK, die Halle tobt und Schlachihmtot
wird oft gebeten. Eine tolle Attraktion. Zuckerwattenverschmierte Kindergesichter
brüllen vor jedem Fahrstand und vor Erregung oder Enttäuschung
wenn es wieder nach Hause geht, zurück zum Videospiel und den Playmos
und den Kinder schaut doch ein bißchen Fernsehen-Sendungen
oder wegen Bauchweh wegen Zuckersüßigkeiten. Liebesapfelklebrige
Weibermäuler gellen achterbahnig in den Laserhimmel. Die gelackten
Fingernägel verkrallen sich in Top-Shop-Taschen im aktuellem Look
und sprayversteift wallen Dauerwellen in die Augen der Hinterleute. Cowboystiefelspitzenwippende
Jungens stehen längsseits der Skooterschuppen und halten Zigarette
und Ausschau, spucken vor sich und andere hin, pöbeln und prügeln
zwischendurch und hin und wieder fahren sie völlig dezibelisiert
in den gummigepufferten Elektrokarren kreiswärts und freuen sich
über jeden ordentlichen Rumms oder minutenlanges Rückwärtsfahrenohnewaszurammengeil.
Derweil ein übergewichtiger Vater gekrümmten Laufes eine Plastikrose
verbleit, verschlingt seine teiggesichtige Vettel peinlich unberührt
einen süßfettigen original Krapfen-Kreppel-Berliner. Ein Trisomist
harrt glücksbehäuft vor dem Ponyrund und drückt sein Flachgesicht
gegen den schweren Mandelwind. Kinderlachen eines Bruders weht herüber,
Schwesterchen ist hingefallen, aus dem Feuerwehrauto gefallen und hat
sich aua, aua, aua, weh getan, haha. Im sicherheitsgurtgesicherten Räindscher
wär das nicht passiert. Schlimmstenfalls, wenn es koppheister geht,
verlieren sich die losen Dinge aus den Taschen, regnen herab wie Tampons,
Zigarettenschachteln, Feuerzeuge, Kugelschreiber, Klimpergeld und ab und
an fällt, schlägt und springt auch ein Stilett auf. Die Minderfresser
bahnen sich den Abweg durch das Schlimmerland, hindurch den Berg von Schweinekadavergebratenem,
in Pfannen gerichteten Rinderleichenstreifen, Pferdeaaswurst, glutamatiertem
Chinahollandgemüse und leckersynthetischem Hühnerküken-CrèmeIce
aus dem Kubikmeterspender mit Schokostreusels drauf. Am Rande fährt
eine Du dumme Sau zu langsam, weshalb ein OHZ-UC 743-Volvo-Arschloch
nicht in die allerletzte Parklücke kommt und sich darum seinen Strafzettel
vor einer anderen Garage anklemmen lassen muß, dieser Wichser,
der blöde, der Penner. Eine alte Fotze auf dem Fahrrad
beharrt klingelnd auf ihr Recht am Radweg und scheucht Mutter-Vater-Kind-Gesindel,
das könnt ihr nicht lesen oder was ?, zurück auf den
Bürgersteig. Einsam schwenkt wütender Greis hölzernen Gehstock
in der Luft. Schwer gescheitelt und frisierkremiert schreitet der begrünte
Ordnungshüter und schießt ganz wild umher, armrudernd ergreift
er die Lenkung und es verkehrt sich geordnet in diesem Sektor am Rande
der Jahrmarktsgalaxis. Bitterlich weint ein kleines, doppelblondgezöpftes
Mädelchen, welches seine Eltern einbüßte. Erst kümmert
sich niemand, dann kommt ein freundlicher Herr daher und schenkt dem Kinde
eine Es wird alles gut-Käsestange und Wunder werden war.
Tiefgefrorene Stärkepaste, die im brodelheißen Öl auftaut
und Fritten wird. Pappteller, nur von der Maggi des Senfes gehalten, schwebend
gleich an Parterrefenstern bappen. Und irgendwo, einsam ein Trinker sich
erbricht und sein Erbrochenes an die Hauswand brandet, dort wo es sich
mit dem Urin und dem Kot der Menschen vermischt, die auch nicht an sich
halten können oder wollen. Ein Mordsspaß und das Beste von
alledemganzen: morgen ist auch noch ein Abend.
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