Zur Lektüre Ernst Jüngers im
harten Kriegsherbst 1942

Strahlungen
Kaukasische Aufzeichnungen

Berlin, 15. November 1942

     Lektüre der Zeitschrift Zalmoxis, die sich nach einem von Herodot erwähnten skythischen Herakles benennt. Ich las darin zwei Aufsätze, einen über die Bräuche, unter denen die Wurzel der Mandragora ausgegraben und verwendet wird, und einen zweiten über den »Symbolisme Aquatique«, der die Beziehungen zwischen dem Monde, den Frauen und dem Meere bespricht. Beide von Mircea Eliade, dem Herausgeber, über den, sowie über seinen Meister René Guennon, C. S. mir Näheres berichtete. Aufschlußreich besonders die etymologischen Beziehungen zwischen den Muscheln und den weiblichen Genitalien, wie sie sich im lateinischen Conca und im dänischen Kudefisk für Muschel andeuten, wobei Kude gleichbedeutend mit Vulva ist.
     Der Plan, der sich in dieser Zeitschrift ausweist, ist vielversprechend; statt der logischen spinnt sich eine Bilderschrift in ihr an. Dergleichen macht mir den Eindruck von Kaviar, von Fischrogen. In jedem Satze steckt Fruchtbarkeit.
     Auch schenkte mir C. S. ein Buch von Gubernatis »La Mythologie des Plantes«. Der Autor war vor sechzig Jahren Sanskrit- und Mythologieprofessor in Florenz.
     Abends Spaziergang durch das verdunkelte Dahlem; wir sprachen dabei über die Herrnhuter Tageslosungen, die Quatrains von Nostradamus, über Jesaja und Prophezeiungen überhaupt. Daß Prophezeiungen zutreffen, und zwar für die verschiedensten Zeiträume, ist eben ein Prognostikon, an dem man die eigentlich prophetische Kraft der Vision erkennt. Im Ablauf der Zeiten wiederholt sich kaleidoskopisch, was der Seher in den Elementen schaut. Sein Blick ruht nicht auf der Historie, sondern auf der Substanz, nicht auf der Zukunft, sondern auf dem Gesetz. Mit Recht gilt daher die bloße Kenntnis zukünftiger Daten und Konstellationen als Zeichen krankhafter Einsicht oder niederer Magie.
     Kurzer Besuch bei Popitz, wo ich auch für einige Minuten den Chirurgen Sauerbruch sah. Unterhaltung über den Unterschied zwischen militärischer und ärztlicher Autorität, wie sie sich im Dienste des Truppenarztes mehr oder weniger vereinigen und auch Konflikte zeitigen. Dann über die große Ausgabe antiker Klassiker, die der Minister beabsichtigt.
     Sauerbruch verabschiedete sich zeitig, um nach einem Oberleutnant zu sehen, dem ein russisches Geschoß das Becken zertrümmert hat. Er meint, daß die Kunst da wenig vermöge; im besten Falle kitteten sich die Stücke wieder zusammen wie die Scherben eines Tonkruges.
     »Aber ein Besuch in der Krisis könnte sich vielleicht auf den Patienten günstig auswirken.«

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