Koslowski und von Wieder :
zwei Könige des königlichen Spiels

Prof. Giambatista Raffaello Giotto

     Weniger bekannt ist, daß sich die Angehörigen der Iprumper Commune neben den schon legendären Schafsknöchelpartien erbitterte und hochklassige Schachschlachten lieferten. Dies sind zwei davon, die von dem Amerikaner Robert James Fischer, einem flüchtigen Bekannten und Schachschüler Koslowskis, mitgeschrieben wurden. Hier erstmals und exklusiv :

1. Der Hammer des Philosophen
Weiß : Waldemar Koslowski
Schwarz : Attila von Wieder

     Auch der Internationale Stalin-Preis für die Festigung des Friedens unter den Völkern ist ein Preis, den Koslowski nie bekam. Ein Unrecht, das unsühnbar zum Himmel schreit und stinkt — als Koslowski noch lebte, da hätte man ihn fördern, anerkennen und bepreisen sollen, Tote fressen keine Brote1, wie Koslowski in seiner Hymne auf den Tod von Anne Frank sang. Stalin war noch keine dreieinhalb Jahre unter der Erde2 und Koslowski langsam3 wieder zu Kräften gekommen, da passierte die Sache mit Brecht. Brecht, Stalinpreisträger 19554, hatte zwei Wochen zuvor seinen Todeskampf in der Charité gefochten und verloren. Als die Agenten Reuters und dpa´s Koslowski Meldung machten vom Hinscheiden des Großen Mannes (Koslowski über Brecht), legte der Weise von Iprump (Attila von Wieder maliziös lächelnd über Koslowski) seine Gänsekielfeder zur Seite, bekam anstatt ihrer eine Gänsehaut, wohl, weil er die Sätze schon ahnte, die er sagen wollte, und sagte die großen schlichten Sätze, er könne nicht mehr und die Liebsten stürben ihm weg und das einfach so.
     Nichts machte mehr Spaß. Koslowski schien gebrochen. Visionen plagten ihn, in denen endlos graue Fertigbauwände vorkamen, anonyme Mächte und verhangene stählerne Veluxfenster, er klagte über Atemnot, die Eintönigkeit seiner Delirien und daß er seiner Schöpferkraft beraubt sei5. Schier erdrückt vom unverstehbaren Unrecht der Sterblichkeit blies er Trübsal und durch einen Strohhalm stundenlang noch, nachdem das letzte Sprudeln6 entwichen war, in seiner Afri-Cola herum. Zeitweilig bosselte er am melancholisch timbrierten Zyklus Kinderverse von Erwachsenen und bekannte sich energisch zur Simplizität der komplexen Erscheinungs- und Ausdruckswelt des Daseinsgesamts (Koslowski über die Wirklichkeit)7. Koslowski kam die Aufgabe, die ihm oblag, vor, als sei sie zu riesig, er, letztendlich auch nur Mensch und Inhaber menschlicher Bedürfnisse, fand sich verwaist, verdammt und verworfen zu intellektueller Einsamkeit an allen Fronten des Geistes. Koslowski neigte resignierend sein Haupt, er wolle heimgehen zu den Pilzen, wie er einmal sagte, noch in der Trauer leichterhand Göte überbietend. Er vernachlässigte seinen Kragen, führte sich unzureichend Mineralien zu, daß die Monde auf seinen Fingernägeln aufwimmelten, wechselte seinen Schießerslip mit Feinripp und Eingriff nur noch vollmonds, erlitt einen Dermatophytenbefall am Fuß und handelte das einzige Mal in seinem Leben einem rätedemokratischen Beschluß der iprumper Commune zuwider8 : Koslowski goß die ihm anvertraute Pilzplantage, von deren Ertrag sich die Commune großenteils finanzierte9, nur noch unregelmäßig. Stattdessen sah man ihn nachts alte delmenhorster Friedhofsmauern entlangschleichen und seine Linke mooskühle Steine liebevoll streicheln. Was allerdings niemand sah, war, wie Koslowski das Fläschchen mit Barium-Isotopen10, das in seiner Parkatasche schwappte, beinah zu allem entschlossen mit den klammen Fingern der rechten Hand umfaßte.

     Die Vollversammlung der Commune war nicht nur verärgert über Koslowski, sie machte sich auch Sorgen. In einem hinter seinem Rücken einberufenen Geheimplenum beschloß sie, einen Emissär zu entsenden. Wenn wir einen Freiwilligen suchen : ich machs spritzte von Wieder vor und wurde akklamativ bestätigt. Jene Nacht führte Koslowskis Weg Koslowski nach Bungerhof, wo Friedrich Lange die letzte Ruhe gefunden hatte. Den Nacken tief gebeugt, die Hutkrempe tief über die Hornbrille gezogen, beide Hände tief in den Parkataschen und hühnergottkickend — hielt ihn wohl nur noch die morsche Friedhofsumzäunung von allerverzweifeltsten Taten ab. Von Wieder, der am Friedhofsportal gekauert hatte, trat drahtig hervor und fand die entscheidend aufmunternden Worte, er war es, der das Ruder rumriß, der Koslowski beiseite nahm, ihn durch die dürstenden Pilzwiesen führte, ihm ernst in die verzagenden Mundwinkel blickte und ihn eindringlich anflüsterte : Junge, hast Du das gewollt ? Vergiß nicht, der Tod ist eine Erfindung von Zivilisten. Und nun reiß Dich am Riemen. Wer, wenn nicht du ? Du mußt stets und ständig immer und überall sehen, was Du für Idee und Bewegung tun kannst, ob Du Kartoffeln jätest, der ollen Weigel fluchst oder im Quebecschen abhängst. Also sprach Koslowski einen Fluch über Helene Weigel11, die ihren Gatten im Regen auf Arbeit ins Theater geschickt hatte, so daß Brecht sich die todbringende Lungenentzündung zuzog, an der er starb. Was passiert war, war passiert, so und nur so, jede andere Sicht der Dinge sei sinnlos, dachte Koslowski und zog kurzentschlossen die jährliche Sause mit seinen alten Kumpels in Übersee vier Wochen vor und hing trauerarbeitend in Montreals Kneipen ab. Ein überflüssiges Schicksal verfügte niederträchtig, daß dort ein schlampig gekleideter12 Barkeeper es war, der ihm brühwarm erzählte, Reinhold Schneider habe den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, ein Preis, den Koslowski gleichfalls nie erhalten sollte, obwohl er unter Eingeweihten immer ein heißer Anwärter darauf gewesen war, verliehen bekommen13. Koslowski mochte Schneider nicht besonders14, und so trank er aus Kummer über die Imbezillität der Juroren Abend für Abend einen über den Durst. Aber Koslowski wußte das Schicksal zu wenden. Er gedachte des camusschen Satzes, daß es kein Schicksal gebe, das durch Verachtung nicht überwunden werden könne15. Also verachtete er das Schicksal kräftig, sprach dem Alkohol zu und machte sich beim Steel-Dart gemein mit einem 13jährigen Buben. Koslowski, auch später von den ansonsten notorisch grantelnden iprumper Dorfältesten ehrfürchtig Freund der heranwachsenden Jugend genannt, ließ sich von seiner neuen Bekanntschaft Brause und Whiskey spendieren und verlor dafür willig beim Würfeln. Der Knabe, in Montreal auf Besuch bei seiner Tante, zeigte vielfältige Talente. Gesprächsweise machte Koslowski aus, daß der junge Mann nicht allein gern Segelohren trug, sondern mindestens genauso gern Schachfreund wäre. Als Koslowski dann einen Hot-Dog spendiert bekam, vergalt ers a tempo, indem er den Adoleszenten in den Grundzügen der Schachstrategie unterwies. Zwar hatte Koslowski 1927, nachdem er erfolglos versucht hatte, Steilwandmotorradfahrerinnen als Entsatz für seine verstorbene zweite Gattin Effi Brauss (Leder- oder auch Öl-Effi) auszubilden, geschworen, seine pädagogische Ader ein für alle Mal zu unterdrücken, aber er entwickelte spontan die Idee der flexible response, die dann in einem unglaublichen Akt von Diebstahl Nato-Doktrin werden sollte. Nach zwei Nächten befand Koslowski : Kind, ich schicke dich gleich zu den zufällig gerade vor Ort stattfindenden offenen kanadischen Meisterschaften. Mit einem Zähler Rückstand auf den Erstplazierten erreichte Robert James Fischer den geteilten achten bis zwölften Rang unter 88 Teilnehmern und schwor seinem Mentor unverbrüchliche Dankbarkeit.
     Nochmal dreieinhalb Jahre später war es soweit. Lateinamerika war reif geworden für die Revolution und den Friedenspreis des deutschen Buchhandels hatten mittlerweile erhalten Jaspers und Heuss. Koslowski waren zwischenzeitlich Nolde, Döblin, Benn, Sibelius etc. gestorben, da erreichte ihn ein Telegramm von Bobby, der inzwischen viele Punkte gesammelt hatte : »Meister, darf ich Euch Mar del Plata erwarten ? Zwei Tickets folgen« Fischers erste Begegnung mit dem sowjetischen Kronprinzen Spasskij stand bevor und Bobby wollte Koslowski um sich haben. Großmütig willfuhr Koslowski und reiste an in Begleitung Attila von Wieders.

     Mar del Plata am argentinischen Atlantik, dreimal Bremen-Hamburg südlich Buenos Aires gelegen : 1960, Mitte März, Kokosschnäpse, Limbotänzer, Anemonen und Liegestühle und zwei Ehrenleute mit Sombreros auf Arbeitsurlaub, die zwar die Gründung befreundeter Tupamaro-Zellen vorhatten, aber nicht, sich etwas zu schenken. Spielen wir eine Partie sagte von Wieder. Gehn wirs an, bestätigte Koslowski, und zu Bobby gewandt : Du darfst kiebitzen. Und hol mir ein halbes Kilo Havannas. 1. e4 e5 Ein Klassiker bahnt sich an in der Pampa-Hotelbar, schon jetzt. 2. f4 Koslowskis antiplatonisches Bekenntnis. Schach ist ein Gesinnungsspiel, quasi ein Prüfstein des Gehirns — eines seiner liebsten selbstgeprägten Bonmots. Ihm war Königsgambit stets revolutionär-republikanische Philosophenpflicht gewesen, 2. ... ef, wie patriotische Söldnerpflicht von Wieder unablässig gebot, es anzunehmen16. 3. Sf3 Schön, wie Koslowski das Einfallsfeld der schwarzen Dame auf der von von Wieder geschickt aufgerissenen Todesschräge e1-h5 gedeckt hält. 3. ... d5 Söldnerkonsequenz. Von Wieder braucht Raum, Linien, Aufmarschgebiete. Mit einem Schlag lugt auch der Läufer c8 ins Koslowskilager. 4. ed Koslowski läßt sich nicht lange bitten. Alle Brücken abgebrochen erfolgt Hieb auf Gegenhieb, offener Hiebabtausch und Zug um Zug. Noch sind keine zwei Stunden gespielt, und schon stehen die Könige ohne Visier einander gegenüber. 4. ... Dxd5 Die Dame auf dem Höhepunkt der Flexibilität. Eben noch schielte sie nach h5, nun schon nicht mehr. Dafür streift sie potentiell ganz woanders hin und dezimiert gleichzeitig des Gegners Truppen. Hier liegt mehr vor als dynamisches Gleichgewicht, hier sind 64 Felder in Flammen, brennt das ganze Brett, ja, in einigen Varianten würde sogar das Feld a4 wichtig werden. 5. Sc3 Ein bloßer Entwicklungszug ? Mitnichten. Koslowski ascht in die hohle Hand und setzt unter höchstem Risiko an zur tempogewinnenden Damenhatz. Selbst Koslowski kann nicht alle Abspiele (wie d3, Le2 oder † durch Zeitüberschreitung) durchgerechnet haben. Wir erleben ihn hier als Instinktspieler. 5. ... De6+ Da haben wirs. Koslowski in Not. Beinah erzwungen sein nichtsdestotrotz unbarmherzig brillantes 6. Kf2 Noch unbarmherziger der alte Haudegen, anhebend zum Gnadenstoß 6. ... Lc5+ Wo ist der Ausweg ? Koslowski vor dem Scheitern ? Da — für Koslowski, von Wieder wie auch den vielversprechenden Vertreter des Manhattan Chess Club die überraschende, kaum noch für möglich gehaltene Riposte 7. d4 Der Anker. Koslowski muß das seit 8 Zügen geplant haben. 7. ... Lb6 Mit äußerstem Widerstreben gespielt. Es ist nicht von Wieders Sache, auszuweichen. Vielleicht hätte er etwas anderes probieren sollen. Nun läßt Koslowski nicht mehr locker und alles alles rechtfertigt sich. Zurecht schmäht er, den Gambitbauern mit Lxf4 zurückzugewinnen. Er hat Höheres im Sinn 8. Lb5+ Wird das gutgehen ? Allüberall Krise, die ausgelassen vor Freude in die Hände klatscht 8. ... Kf8 und 9. Te1 Ein letztes Mattmotiv taucht auf 9. ... Dh6. Eine netter Nierenschlag, aber gut gekontert durch s. Von Wieder vermerkte an dieser Stelle, ab hier hätte er stärker fortsetzen sollen und können, aber morgen sei auch noch ein Tag. Und so war es dann auch.

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1Der in doppelter Bedeutung des Wortes ›schwergewichtige‹ Sack Arbeitsfassungen enthält eine frühe Version dieses undatierten Gedichts. Es heißt dort kühn binnenreimschmähend : Tote trinken keine Biere. Im Sack Überarbeitete Arbeitsfassungen findet sich ein unabgegoltener Strafzettel (Falschparken einer Honda Dax — zur anschließenden Isolationshaft Koslowskis an anderer Stelle mehr), Zeuge KHK Bodelschwingh (zum erbärmlichen Schicksal Bodelschwinghs gleichfalls an anderer Stelle mehr). Die Vorderseite des Strafzettels, auf der Koslowski noch Platz fand für epigrammatische Erwägungen (Du-Sau-/-Ich-war-das-doch-gar-nicht, ich war nicht-mal-wach), deren improvisierter Charakter durch die schmissige Durchstreichung noch geschickt betont wurde, ist für unsere Zwecke weniger interessant — auf der Rückseite aber führt Koslowski einen poetologischen Autodiskurs zur Anne-Frank-Hymne, der in seiner Bedeutung nur E. A. Poe´s The Rationale of Verse von 1848 vergleichbar ist : bezüglich der Verfahrensweise des poetischen Geistes sei angemerkt, daß es mir gelang, über Binnenreim Binnenschiffahrt zu assoziieren und ich Formulierungen erreichte wie Tote steuern keine Boote. Zu guter Letzt entschied ich aber doch für die strenge Form, weil ich sie der Strenge des Themas als angemessen erachtete. Der Tod ist doch unser aller Zuchtmeister. Und aus Deutschland. Freie Verse passen da nicht und Brote sind einen Tick elementarer als Boote. Und sie schmecken leckerer. Selbst noch das verdorbene Brot schmeckt schöner als das frischer lackierte Schiff. Der Tod ein Meister aus Deutschland ? Koslowski der Meister des Komparativs schlechthin !
     An dieser Stelle sei auf die Albernheit der Bestrebungen einer obskuren Arthur-Fitger-Gesellschaft hingewiesen, einem gewissen Arthur Fitger posthum für sein Lebenswerk den Friedensnobelpreis und das Bundesverdienstkreuz Erster Güte zu verleihen weiter im Text
2 oder wo immer sich der liebe vaterländische Leichnam grad befindet, wie Koslowski scherzend bemerkte; ja, oberflächlich hatte Koslowski sich schnell erholt von seinem Stalinschock, so sehr er sich aber auch eilte : sein Odenzyklus Der Tod Stalins aus dem Frühwinter 1956 dürfte den Generalsekretär nicht mehr erreicht haben und die Chrustschow-Clique konnte nur wenig damit anfangen. Zumal sie ihn nie zu Gesicht bekam — weigerte sich doch die gesamte Verlegerschaft (Büttel der Restauration — so Koslowski) des Adenauerregimes (Adenauerclan — so Koslowski), den Zyklus zu drucken weiter im Text
3 Wirklichen Halt und Trost und Entzückung bot ihm in dieser schlimmen Zeit nur das Erscheinen der zuckmayerschen Bellmann-Übertragung bei S. Fischer. Drei gute Männer, urteilte Koslowski. Daß Koslowski Ulla Windblad oder Musik und Leben des Carl Michael Bellmann wirklich gut kannte, geht aus dem nickligen Schreiben (archiviert vom sagenhaften Kärrner E. Grundig) einer kleingeistigen Charge der delmenhorster Leihbibliothek hervor : »... muß ich darauf bestehen, daß Sie Regreß leisten. Ihre Buntstiftanstreichungen und -malereien, der zerschnibbelte Schutzumschlag und der dreimonatige Verzug bei der Rückgabe ...« Koslowski blieb souverän, die Säumnisgebühren schuldig und brach den Kontakt umgehend ab. Unklar, ob Koslowski zu Lebzeiten noch erfuhr, daß er in einem weiteren Unrechtsakt, derer so viele sein Leben musterhaft adelten, lebenslang von der Nutzung öffentlicher Leihbibliotheken ausgeschlossen wurde.
     Im Übrigen : zum Begriff der Langsamkeit bei Koslowski siehe Sack 12, in Meine hundert schönsten Taten — Reden an eine uneingerufene UNO-Vollversammlung die Rede 67 : Ich bin entrüstet über den nur langsamen Fortschritt aller gerechten Anliegen und Sonstiges weiter im Text
4 Koslowski neidete es ihm nicht : Brecht hatte den Preis verdient, wie er Brecht auch beinah mitgeteilt hätte: Du hast den Preis verdient — so heißt es in einem Entwurf zu einem unabgeschickten Gruß- und Betteltelegramm in vertraulichem Ton.. In einem späteren Entwurf, Frühherbst 1957, heißt es Sie haben den Preis verdient. Der Forschung tun sich hier Probleme auf : worauf ist der leicht abgekühlte Ton, das Siezen der Leiche zurückzuführen? Ist es gesteigerter Respekt ? Oder lasen die künftigen Herausgeber des Sacks Unabgeschicktes Handschriftliches doch richtig im ersten Moment, als sie lasen Du hättest den Preis verdient ? War der Schmerz um Brecht so groß, daß Koslowski kurzfristig eine getrübte Realitätswahrnehmung erlitt oder ist das tote lyrische Du Ausdruck tiefer Vereinsamung und Selbstansprache, präschizoid ? Merkwürdig ist und dringender Aufklärung bedarf das Fehlen einer lyrischen Würdigung von Brechts Tod. Vielleicht, daß doch etwas daran ist — wie böswillige Medien seinerzeit schon hätten kolportieren können —, daß Koslowski Brecht hinter vorgehaltener Hand für einen Schwächling hielt (siehe die seinerzeit anonym in der delmenhorster Telephonzelle massenhaft hinterlegten Flugblätter Brecht ein Schwächling ? Ja ! Für den Fall, daß Koslowski irgendwas mit diesen Flugschriften zu tun gehabt haben sollte, machte vielleicht auch seine von Heiner tradierte Bemerkung, die bisher nicht zugeordnet werden konnte, Sinn : Weichei, wer sich ins Charité legt und an Lungenentzündung stirbt weiter im Text
5 Daß selbst in der schärfsten Krise Koslowski die Kreativität nicht lassen konnte, ist mit folgendem Fakt belegt : keinesfalls gab es 1955 Veluxfenster : und noch heute gibt es sie nur entweder aus skandinavischem Holz oder aus Polyurethan — Koslowski weist über seinen Tod hinaus Wege. Auch die Fertigbauweise begann erst langsam ihren Siegeszug. Zu untersuchen bleibt die Beziehung zwischen Koslowskis Veluxgesicht und seiner Fenster-Urerfahrung 12 Jahre zuvor in Vancouver (siehe Anm. 14) weiter im Text
6 Aus dieser Zeit stammt das selbstverfaßte Epitaph Koslowskis Das letzte Sprudeln : / Entwichen / Umstanden von Pudeln / Unausgeglichen (vgl. R. Knospes Aufsatz Koslowskis Verhältnis zum Hund oder Der Schopenhauer von Iprump — Koslowskis Relationship to Death, Dog and Dogma, bereits layoutet für die Nullnummer der DELME). Knospe hat ein Konto (PGA Hamburg, BLZ 20010020, Kt.-Nr. 307880-202) eingerichtet, dessen Erträge dienen sollen, Koslowskis letzten Wunsch zu erfüllen und einen Steinmetz zu beauftragen, das Epitaph dem bisher schmucklosen Grabstein Koslowskis zu applizieren. Überschüssige Gelder werden verwendet werden, eine Koslowski-Rose, basierend auf einer launigen Idee Kaiser Bokassas, zu züchten weiter im Text
7 Siehe den Vers Der Rauch, der Rauch, das ist mir einer / der wird am Ende immer kleiner im Einleitungsgedicht Simplizität der komplexen Erscheinungs- und Ausdruckswelt aus dem druckfertig vorliegenden Zyklus Kinderverse von Erwachsenen weiter im Text
8 Von Wieder zog die Fäden, daß die empörte Vollversammlung der Commune von einer Verurteilung Koslowskis absah. Noch Jahre später machte Koslowski sich Vorwürfe, ich bin der geborene Freund der Disziplin, ich versteh nicht, wie ich mich so hab gehen lassen können, ich hab nicht mal die Entschuldigung, daß ich nicht wach war. Vielleicht war ich höchstens in höherem Sinn nicht wach, wie er stammelte, glücklich, doch noch einen Haken geschlagen haben zu können weiter im Text
9 Der Irische Frühling betrieb konspirative Stände mit Steinpilzen auf den Flohmärkten im Umfeld weiter im Text
10 aus alten Armeebeständen weiter im Text
11 d.h, er machte ein böses Handzeichen weiter im Text
12 siehe zu Koslowskis Neigung zum Adretten Koslowski, l´ami du peuple ? Anmerkung 8 weiter im Text
13 und ein Preis, wir wollen das nicht vergessen, für den Koslowski im internen iprumper Kreis großherzig immer wieder, zuletzt 1965, Stalin vorgeschlagen hatte, dessen Studie über Marxismus und Sprachphilosophie halber und seines Lebenswerkes. Siehe Georg Lebers Geheimes Tagebuch, demnächst vorveröffentlicht im Stern : kaum ein Zweifel, daß hinter dem im Tagebuch auftauchenden geheimen Kürzel K. sich Koslowski verbirgt. Ein geheimes Treffen Koslowskis mit Vertretern des Seeheimer Kreises kann nur undialektische Naturen verwundern, die in revolutionärer Gesinnung nicht das zur höchsten Potenz erhobene Bemühen um Ausgleich zu erkennen vermögen. Siehe weiter Deng-Hsiao-Ping in Texas weiter im Text
14 Kein großer Mann, war sein Urteil, Christentunte, der Reinhold. Etwas wie den Winter in Wien, was ´ne dämliche Alliteration, schreibt die letzte Klofrau. Nichts gegen Klofrauen. Ich selbst gehe bei Karstadt gern auf ein gepflegtes Klo und arbeite übrigens grade an dem Zyklus Herbst in Hersfeld. Koslowski war aber nur gegen Petrus und Paulus, nicht gegen Jesus (siehe Koslowski, l´ami du peuple ? in diesem Boten S. 11) Guter Mann, Zimmermann meinte er über den Nazarener immer häufiger, je älter er wurde, und : Der konnte nichts dafür. Wie Nietzsche Nachdenklich nuschelnd soll, laut Heiner, Koslowski hinzugefügt haben : Und wie ich weiter im Text
15 Koslowski wußte um den Mythos von Sisyphos. Schon 1943 hatte ein wegen Brautmißbrauchs einsitzender Frankokanadier Koslowski in der dreiwöchigen vancouver Folterhaft durch die Gitterstäbe geraunt, bei Gallimard sei in der Édition augmentée ein Erfolgstitel namens Le Mythe de Sisyphe erschienen. Koslowski erschloß unter Inbetrachtziehung aller Umstände sofort dessen Inhalt, war allerdings damals der Auffassung, daß es neben dem Selbstmord noch mindestens ein weiteres Hauptproblem der Philosophie gebe : das der höchstkonkreten Flucht. Der Koslowski von 1943 sah im Suizid nicht mehr als eine Metapher für das Zersägen der Gefängnisgitter. Im Übrigen aber meinte er : Gute Vorarbeit, erfreuliche Studie, ohne Frevel und Makel der Mann. Was Koslowski nicht wußte, war der bevorstehende Nobelpreis und Tod Camus´. Zu diesem Zeitpunkt war aufgrund der Verfügung mißgünstiger Moiren der Briefkontakt Koslowskis mit Camus bereits abgebrochen, ehe er zustande gekommen war. Spekulationen, daß Alberts Autounfall Vorbild gewesen sei für den Koslowski von 1974, sind und bleiben hohle Hirngespinste der Müßiggänger von der Arthur-Fitger-Sekte. Nie hätte Koslowski freiwillig seinen Kampfplatz verlassen ! Auch wenn Koslowski nicht nur ein Meister des literarischen, sondern auch des historischen Zitats (wie er nicht nur der Meister des gesprochenen, geschriebenen oder geflügelten Wortes, sondern gleichfalls der getanen Tat war) gewesen war : sein ganzes Wesen, sein ganzer ... Es fehlen schlicht die Worte zu dieser ungeheuerlichen Unterstellung weiter im Text
16 R. J. Fischer, der sich hier blutige Finger holte, weil er mit der Notation der wie rasend ausgeführten Züge gar nicht hinterherkam, verfaßte anschließend seine KoslowskiHuldigungsstudie : The King´s Gambit is busted. Auch prägte er unter dem Eindruck dieser Partie den berühmten Spruch, er kenne nur zwei Sorten Spieler, Meister und Patzer. Und Koslowski. Aber der kleine Satan des Trotzes und sein legitimer Sohn, der unbegründete Optimismus, nisteten zwischen den insertierenden Ohrmuscheln — Fischer sollte den Tag darauf in einem Königsgambit fürchterlich Prügel von Spasskij beziehen, als ob Koslowski es ihm nicht vorgemacht hätte.