Richard KnospeBlumenkind des Irischen Frühling

     Selbst, nennt man in eingeweihten oder sonstwie dem Irischen Frühling verbundenen Kreisen den Namen Richard Knospe, kann es sein, daß man ein Bitte, wer ? zur Antwort erhält. Anders jedoch verhält es sich, wenn man Der Rosenmann oder Blumen-Richie sagt. Dann fallen die Groschen allenthalben und gerne erinnern sich die alten Kader daran, daß auch sie bei den philosophisch-künstlerisch-wehrtechnischen Workshops dabeiwaren, die regelmäßig auf dem abgelegenen Gehöft Knospes in Schönemoor über Delmenhorst stattfanden. Oh ja, unvergeßlich die Geländeübungen, die Bierexzesse, die Lesungen — und besonders die vielen Blumen, die Knospe züchtete, vor allem Rosen und allerlei unübersichtliches Gestrüpp mit vereinzelten, dann aber sehr hübschen Blüten. Verschwenderisch überwuchert zeigte sich ein Teil seines Hauses; üppige, tropische Vegetation empfing den Besucher in den vielen Gewächshäusern, die Knospe unter dem Firmennamen Knospes Gartenwelt betrieb. In Wahrheit verkaufte er nichts, außer ab und zu einen Sack Torf oder kleinere Gebinde von Schnittblumen. Die anderen Pflanzen zu bezahlen, wäre dem dörflichen Publikum auch nicht möglich gewesen. Blumen-Richie hatte fast nur Pflanzen, die auf der Roten Liste standen oder sonstwie bedroht waren. Ja, von vielen Pflanzen hatte er das einzige verbliebene Exemplar auf der Welt. »Hier in meinem Gewächshaus C habe ich eine sophora bronsteina. Selbst gezüchtet. Einmalig auf der Welt« Einmalig war auch Heiner. Heiner gehörte gewissermaßen zum lebenden Inventar und verband die Beredsamkeit eines Kaspar Hauser mit der Figur Apolls. Er war Knospes Faktotum. Er hatte die Waffen zu reinigen, die Bewässerungsanlagen zu warten und Knospe ansonsten sexuell zu Willen zu sein.
     Das typische Treffen bei Richard Knospe verlief so, daß jeder einen anderen enormen Umweg zu dessen Hof wählte, denn man konnte sich niemals sicher sein, daß man nicht von staatlichen Stellen verfolgt wurde. Waldemar Koslowski war meistens schon dort oder kam zu Fuß über die Felder. Er machte sich einen Spaß daraus, plötzlich wie aus dem Nichts aufzutauchen und, da man sich erschreckte, wenn er einem plötzlich von hinten die Augen zuhielt und brüllte: »BKA ! Waffen fallen lassen !! Hände über den Kopf !!!« dann sanftmütig zu sagen : »Ja, das ist die Art, wie man in Kanada Bären fängt« Anschließend gab es sofort Bier, es wurden Kommandoerklärungen verlesen bzw. welche angefertigt. Um 20 Uhr guckte man Tagesschau. Schließlich wurde noch gekocht, man sang Kampflieder ab und ein Bacchanal folgte so sicher wie das Amen in der Kirche. Attila von Wieder verschwand meist mit Ingeborg Anders im Gebüsch. Dann konnte man die kurzen, zackigen Kommandos hören, die er ihr mit seiner schneidenden Stimme zurief.
     Attila von Wieder brachte uns bei, wie man lautlos tötet.
     »Ist es nicht einfacher, abzuwarten, bis die Leute von alleine sterben?« fragte Waldemar ein übers andere Mal und alle wurden darob sehr nachdenklich. Gewiß. Da hatte er recht ! und unmerklich war ein erster schwerer Regentropfen auf das zarte, sonnige Gespinst unseres jugendlichen Leichtsinns gefallen. Schon schoben sich Wolken vor den revolutionären Sonnenaufgang. Wie, wenn es stimmte, was Koslowski in der Einleitung seines zwölfbändigen Romanfragments Der Negermantel geschrieben hatte :
     »Ein Erschossener kann keinen Unsinn mehr machen, aber auch keine Revolution ?«
     Richard Knospe focht das alles nicht an. Er schwadronierte über Pflanzen, hatte Heiner auf dem Schoß und gewährte uns und unseren Plänen gern Obdach. Mehr jedoch auch nicht. Eigentlich revolutionär war er nie.

***