Aus Attila von Wieders Autobiographie

»Wieder im Krieg und anderswo«

... tja, und dann komme ich im Herbst 1945 in Bremerhaven an. Natürlich hatte ich keinerlei Interesse daran, daß man mich ansprach und dumme Fragen stellte. Zu viele Erklärungen wären nötig gewesen, obwohl ich ja englische Papiere dabeihatte, die so gut wie echt waren und zur Not einen alten Peacemaker-Colt im Staubmantel. Mein lieber Mann, denke ich mir, alle Achtung hier ist ja was los. Na, und wie ich an der Mole entlangmarschiere, sehe ich einen Mann, der unter einem Kran steht. Am Haken des Krans hängt eine alte Harley-Davidson. Ich denke, das muß ein amerikanischer Offizier sein, der seine private Maschine über den großen Teich gebracht hat. Denn der Mann ist amerikanisch gekleidet, kaut Kaugummi und gibt in amerikanischem, genauer gesagt kanadischem Akzent Anweisungen. Seine Stimme ist quakig wie die eines Frosches. Diese Stimme sollte ich in den folgenden Jahren bis 1974 fast täglich hören. Ich quatsche den Mann auf englisch an und er antwortet auf deutsch. »Ich bin Waldemar Koslowski und komme aus Kanada« sagt er und bietet mir eine Zigarette an. Ich bedanke mich und wir kommen ins Gespräch. Dabei kommt heraus, daß ich seine Frau, die Schaustellerin Effi Brauss gekannt habe, weil ich 1923 in ihrer Boxbude gearbeitet hatte. Leider war damals durch meine Hand jemand umgekommen (ein Unfall — ich hätte nicht auf den Kehlkopf schlagen sollen — vor allem nicht mehrmals und vielleicht auch nicht mit dem Ellenbogen ...) und ich beschloß, wieder Soldat zu werden.
     Weil ich nicht weiß, wo ich hinsoll, weil auch gerade kein passender Krieg läuft und mir die Legion nicht mehr offensteht, seit ich Streit mit den fünf Offizieren gehabt hatte — leider waren Messer im Spiel gewesen; meine Narbe kann man sich ansehen, die der anderen nicht — frage ich Koslowski, wo er hinwill. »Nach Delmenhorst, der schönen Stadt am Delmestrom«, sagt er und ich sage : »So ein Zufall, da will ich auch hin« Na, er wundert sich über diesen Zufall und wir fahren los. Wir werden nicht kontrolliert, weil alle denken, daß er ein amerikanischer Offizier in Zivil ist. Tatsächlich weiß ich zu dem Zeitpunkt nicht viel über Delmenhorst, nur das Allernotwendigste. Gegründet als erzbischöfliche Wasserburg 1259 auf Geestrücken. Die strategische Lage als Vorposten zu Bremen. Die Linolwerke. Die Pfropfenfabrik. Einiges aus der Stadtgeschichte. Kaserne. Umfangreiche Waldgebiete. Friesische Missionskapellen. Ehemalige Stadtmauer, Tiergarten seit 1796.

***