Aus den letzten Aufzeichnungen
zur Almatastraße
rod plau krün
in dieser elend langen Straße haust ein sterbender Spätherbst.
Er vollführt sein Tun nach Art wahrer Souveräne : ohne Ansehn
der Person. Sind sowieso nur zwei unterwegs, ein Kind und, gegenläufig
auf der andern Straßenseite, ich. Das Kind lacht nicht. Das Kind
geht allein, Schritt für Schritt. Es kann das schon, es kann das
noch, es könnte deines sein. Sein Rotz läuft auch. Gehaar zwirbelt
im bittren Sturm und jeden Windstoß trinken Strähnen von der
Nase. Die Jacke des Kindes ist herzgrau und viel zu dünn, der Schal
pfirsichkorall in groben Maschen. Zwei Kinderaugen kämpfen sich durch
den unwirtlichen Nordost, die Tränen sind daher warum hast du das
getan warum hast du das getan warum hast du das getan ein Kind in die
Kälte gesetzt, nicht für Zimtsterne gesorgt, für mollige
Butzen und warum hast du den Ballon in den Himmel steigen lassen, diese
blöde Tüte Helium, Mister Kunis, Mister Kunis, zwei
Schreie dem farbenfrohen Plastikpapagei hinterher, gebe Gott, Kind, dein
Schmerz ist geringer als der meine war
die andere, ich, ich lache auch nicht, und ich bin auch keine Begleitung.
Ich friere und starre in dem Winter, der mich umgibt. So eisern mein
Himmel ist, so steinern bin ich — das war Hölderlin, nicht
wahr ? Der natürliche Zustand des Menschen ist einzeln
ich atme, und dann durchstoß ich die
fasrigen Ballen vor meinem Gesicht
mein armes Leben
das geht auch kürzer
Ich hab
keine Angst. Denn ich rede nicht von ihr. Noch richte ich an sie das Wort.
Ich rede nur mit dem Unerbittlichen — sprech nur von meinem Löwenherzen
Wenn ich mich aber doch mal Fremden gegenüber
erkläre, dann nur anläßlich gewöhnlicher Ausnahmen.
Etwa gestern abend im Rinnstein Glücksburger Straße. Dort gabs
für mich reichlich, nebst dem schönen Straßennamen dreierlei
: ein Ostrakon Chips, das sehnsüchtig die entschieden vorgehende
Sohle erwartete oder den kühnen Dunlop, aber — und da stand
ich mit verzogenen Kündwinkeln prophetend einen Fußtritt nur
fern und sagte den gewürzten Kartoffelscherben ungefragt alles freiheraus
— bloß zu gewärtigen hätte, daß es ohnmächtig
würde mitansehen müssen, wie es langsam aufweiche und die Knusprigkeit
von ihm ließe, ja, mein Liebes, kein Crunchen wird mehr sein,
nur noch Matsch.
Zehn Jahre Bann. Ach, mehr als das Doppelte
hab ich schon hinter mir und keinen, der mir sagt, ob ich mein Gesicht
darüber verlor
Daneben lag das Leichentuch des Gerichts,
vorbeigeworfen, zipfelgeknüllt und halbzerfasert : vom Munde einer
schmucken Dame, einer Pommeshure : eine Serviette mit blaßblau kretischem
Muster, schmissig werbendem Schriftzug, Lipstic und Tomatenmark. Die besten
Momente schon gelebt. Beigesellt bar des Zusammenhangs eine aufgetrudelte
Rolle Garn ... ein Kosmos in nuce ... in Vollendung ...
...
j´adoube, viererlei : fünf Meter weiter Richtung Sonderburger
Straße im Schatten nächtlicher Steine ein Conphilister, ein
wollmantelner Mann, der mich, oder was er dafür hielt, wenig verständnisinnig
anglaste und ausgelaugtes Silbenähnliches in die Welt stieß
und fiebern stirnglänzte. Das kommt davon, wenn man Wohlfahrt pädagogisch
versteht und Nomaden bei Nieselwetter ohne Kompaß draußen
läßt. Sie stürzen dann bei leisester Gelegenheit kopfüber
Richtung Kaaba und beten schwarze Meteore an. Was sich, streng genommen,
nicht gehört. Übrigens verstand ich ihn auch nicht. Nicht, warum
er nicht auf einer Fußbodenheizung in einem komfortablen Heim lebte
und nicht, was er lautmalte.
Ich stieg über ihn hinweg, ganz der
faire Spieler, der ich bin, und sah zu, daß ich sein Delirium nicht
behelligte. Fast, daß ich es streichelte. Das hab ich nun davon
... immer noch keinen Erkenntnisaufschluß ... und immer noch keine
Angst. Meine Rhagaden schmerzen unverschämt. Das ist schön von
ihnen, ein Teil von mir wenigstens tut, was er soll ...
die Nadel
sticht, das Scharnier rastet
Sonne zuckelt,
ein strahlender Muskel, ein herrenloser Traktor auf ödem Feld. Gedunsene
Harfen hängen fleddrig im Azur, Vögel ziehen als Karbidenden
der Schenkel unbekannter Zirkel Mikrometer über unbekannten Oberflächen
dahin — geschweige denn, daß er von der Zerstreuung kurzwelligen,
mehligen Blaus Kenntnis hätte : der hartgesottenste Phantasmagor
könnte sich nichts in den verpumpten Wasserdämpfen denken, wüßte
nichts zu sagen zum Flug der Tiere. Angenehm
Keine Nebensonnen
Es ist, was es ist, und nichts, was ich
denk
Eine Faust in hinhörender Niere —
ist das wahr ? : ich nähere mich Zuständen, die an die Gewißheit
erinnern, mit der ich als Kind mich schlafen legte und unbedingt für
den nächsten Morgen die Erfüllung eines lächerlichen Wunsches
erwartete : und ende unwillkürlich bei Slogans, die Esel Fried populär
gemacht hat ? Es ist, was es ist ! noch ein
Bedenken gegen die Schöpfung. Genauer : gegen den ersten assertorisch
urteilenden Satz, den Gott sprach. Wars nicht sein erst zweiter überhaupt
?
Götterlallen, bin ich halt nachsichtig.
Nämlich ich,
Ich stehe mit Thaumatrop und Cyanometer
bewehrt auf dem Dachgarten.
Heute morgen ... nun : ein frischer Morgen.
Alles direkt vom Erzeuger. Der himmlische Bauer hatte sich nächtig
ins Zeug gelegt, die Welt strotzt zu meinen Augen : ein aufgeräumtes,
gutgelüftetes und saubergesaugtes Kinderzimmer
: ein thomasentgangener Gottesbeweis. Der Bauer hatte Tau regnen lassen,
sorgsame Araber — ja, wir müssen schon wieder raus —
in den Uniformen der bremer Entsorgungsbetriebe bestellt und die Gnaden
nach hinten gelegter Pünktlichkeit und unübertriebenen Vorgehens
über sie gegossen, heckenscherende Gärtner geschickt und fleißige
Bäcker und Mitglieder anderer ehrwürdiger Branchen und unwilligen
Leuten, die nicht zur Arbeit fuhren, das Geschenk karopapiernen Einparkens
und nichtbetriebsbereiter Heimwerkerbänke gemacht. Möwen singen
dazu brünstig das Landmannslob. Alles gut. Ich lebe gern
schreit das Herz eines jeden Töffels und pflichtet Philip Morris
bei. Im Rundfunk senden sie jetzt schon wieder seit pausenlos Blasmusik
und überschlagen sich Stimmen vor Munterkeit und Tagwitz, prügeln
müde Scherze wie Hämmer Nägel und finden kein Ende und
ist alles krumm, schief und verbogen. Unbarmherzig. Zu was wer nicht alles
fähig ist ! Immer noch weiten sich meine Kapillare wie zu Kinderzeiten,
als ich mich für Quizkandidaten schämte und für Masterpeinlichkeiten
und vertrauliche Titulierungen, für die Mißgeburten, die ihren
mißgebornen Göttern in der Schlagerparade bühnenhin eilten,
ein Büschel Rosen in der Hand, einen Sekretschmatz in der Hose. Das
ist ekelhaft und ist. Wie gern würd ich älter. Lieben Freunde,
Sie sind der Meinung, das war ...
Eine einzige Zumutung
Sommers waren meine Augen noch leistungsfähiger
gewesen : auf der Straße, im Sitzen : smaragdflügliges Geschmeiß
dippte sich in hündischen Nachlaß ... ein Mann, tonnenmal schwerer,
tausendmaltausend höher, trat vorbei, irritiert und machte sie schwirren
ins ... damals wars Saphirblau.
Ich sollte besser Angst haben und schlechtere
Augen. Die Welt aber wills nicht anders und ist voll Guter Geister, und
ich will langweilig sein und gerecht. Ständ ich nicht schon hier,
ich stiege spätestens jetzt gedankenschnell auf den Dachgarten und
schallte mein mächtiges Nihil obstat, mein Häckchen
unter die Hausaufgabe Welt — ganz der Tribun niederer Belange.
Fehlt noch, daß die Stenderhoff Wäsche
henken und mir herzige Mitteilungen mitteilen will. Sieht auch immer schlimmer
aus, Sackgesicht das. Soviel zur Wirksamkeit von Oil of Olaz und wie Mascara
doppeltes Wimpernvolumen verleiht.
Halbschläfern, aus Unerfindlichkeiten
heraus, die in Traumwüsten würzeln mochten, hatte ich das Küchenfenster
gekippt : darum wußte ich das, das mit dem Morgen und so. Ganz öffnen
ließ sich das Fenster nur um den Preis, daß es sich aus der
oberen Angel hebelte — ich wußte schlau auch das, von früher
noch, und versuchte weder mein Glück noch den Gott der Anderen. Daß
nämlich die Geschichte mit dem Versuchen selten klappte, schien mir
vom Feinsten menschlichen Intelligibilierens, trotz daß ichs auch
von früher noch wußte, aus den zwei Sitzungen Konfirmandenunterricht,
die ich genoß : irgendwo stands dünndruck geschrieben in einem
dicken Buch voll beklemmender Ideen, aus dem ich aufsagen sollte. Aber
Matthäusviersieben und Beklemmungen wollte ich damals noch nicht.
Ich wollte damals lieber ... ich weiß nicht mehr. Umso sublimer
war heut morgen : verhaltene Körkchen kalten Erwachens tickelten
über meine Backen die Schläfen lang. Die vereinsamte Schlampe
aus dem Fünften dudelte ordentlich und standesgemäß ihre
Beverly Craven, Nötchen um Nötchen drang an mein Ohr. Ich schloß
also das Fenster wieder und rieb die geronnenen Schlafkondensate aus den
Augenwinkeln, betrachtete die kostbare Alu-Intarsienarbeit, die als freigeistige
Spüle Dienst tat und viele Kilo Kaffeesud trug. Zermahlene Kaffeebohnen
müffelten feucht und ließen sich einen Flaum in Erbsenmetallic
stehen.
Also nahm ich das Angebot des Bauern an
und trat formulierungsfrei einen fiktiven Verdauungsspaziergang an. Stenderhoff
rief mir aus ihrem Küchenfenster zu Ist es nicht eine
Lust ?, ein schweres Steatoblepharon hockte ihr über
den senkrechten Glabellarfalten, s´ist Ich, s´ist
Ich, Frau Stenderhoff, dachte ich zurück, eilig, denn
die Skins gegenüber waren schon unterwegs zur Gestapo-Gala. Eickedorfer
Straße dann ein Skandal : ein Lastauto, zugelassen auf die Mafia
vom Recycling-Hof, spie auf meiner Höhe Tamilentiger aus. Gerührt
ging ich weiter. Doch die Muselmanen griffen sich loses Altpapier, das
obenweg Wurst anpries, und schleudertens auf die Tragfläche. Ich
dachte : einmal ist einmal, schlimm genug, aber : lauf ruhig weiter. Noch
sah ich nicht die teuflische Koinzidenz. Aufladen und Vorfahren zum nächsten
Häuflein dauerte nämlich exakt an Zeit, was mich meine Wegstrecke
zu Fuß kostete : als ich am nächsten Bündel Papier, diesmal
adrett geschnürt, anlangte, hatte mich der Lastwagen eingeholt, spie
wieder, ließ sich bespeien — über einen geschlagenen
Kilometer aktualisierte sich neunmal eine unverständlich lärmende
Hölle neben mir. Ich war fasziniert vom Bösen und unfähig,
in eine beliebige Straße auszuweichen, die mich genausogut ins Ziellose
geführt hätte. Unschöne, beschwerliche Neigung, wissen
zu wollen, ob ausrechenbare Sachverhalte wirklich wahr sind. Sind sie
nämlich, und das sowieso.
Gestern erst die Tenöre des Schreckens
und Moderatoren mit fescher Gewißheit. Auf dem Fernsehbildschirm
hatte sich das Gesicht von Thomas Koschwitz eingebrannt. Der ist hin.
Der letzte Sommer war nicht besser : über mir damals : paragliden
fallsüchtige Insekten. Dann ein Fußweg : ich will an einem
Kerl vorbei, der auf einem Rad hockt und mittels Hand an Zaun wundervoll
ein äquilibristisches Kunststück tut, und als ich ihn mit der
Nase hätte stupsen können, spricht Kerl eine mutmaßlich
hinter mir schleichende Person an : Willst du mich besuchen ?
Ich zucke zusammen. Auch das zuviel. Dabei ekeln mich Menschen, die vernehmlich
auftreten. Seit letzten Sommer erst ekelt mir noch mehr vor denen, die
nicht darauf achten, wer ihr Gebrabbel mithört. Das ist ein Fortschritt.
Ich bot dem Leben Remis an
Junge, guck aufs Brett
Ich bin ungemengte, ungeschmälerte,
unverdorbene Angst, ich bin das Entsetzen vor dem Windhauch, dem Limonenduft
und dem Geruch fremder Hirne, ich bin die Lähmung vor dem Ich ...
ich bin das blanke ... das Blanko, das das Geschehenlassen unterschrieben
hat, ich bin die Hilflosigkeit des Wortes vor dem Gegenstand als auch
der Bedeutung. Dabei bin ich nicht weinerlich. Meine engsten Freunde bestätigten
das.
Irgendwer hatte irgendwann
eine Meinung : hier soll eine Fußgängerzone hin. Nun ist hier
eine. Ein Trottel jongliert drei Südfrüchte und ist mit roten
Lippen bemalt und Backen und geweißtem Rest. Hat der sein Gesicht
verloren ? Ein Trottelkollege tanzt dazu. Sehr harmonisch, schmeichelnd.
Gott ! ich gärtner meinen inkonzilianten Haß auf Tanz und Pantomime.
Täglich gieße ich, rupfe das Unkraut der Nachsicht und tilge
die Läuse der Versöhnung. Grad mal eine mäßige Metapher
fürs Umhergeworfensein unbelebter Dinge. Tanz ist schwerste Verfehlung,
schlimmer noch als gemeinschaftlich begangenes vorsätzliches Singen,
aufgesetzte unbegründbare Lust am Wahn in extravaganten Gesten in
Lenor : als ob nicht alle Bewegung erstürbe, als ob nicht unverrückbar
Verdammnis hinge über jedes Regen, als ob es für die Kandidaten
der Gaskammer des Lebens nicht anständiger sei, nicht aufzufallen
durch rituelles henkerverehrendes Gezuck. Dieser Liebe Gott ist der Master
eines Ratespiels, in dem jeder drankommt und in dem keine Antworten sind,
auf keine der einen Frage, dieser Liebe Gott hechtet drittelganz auf die
Bühne und macht alles kaputt, was drei Pfund entzündetes Hirn
sich zurechtgelegt hatten, und in der Regie sitzt er drittelganz und bestätigt
sich schnurlos aus dem Off und in der Ehrenloge sitzt er drittelganz als
Experte und nickt seine erste Einschätzung ab und ein verpufftes
Nichts ist vor ihm jedes menschliche Aber. Und er hat ja recht. Unanfechtbar
blinkt die elektronische Anzeige eine beliebige Anzahl von Nullen und
lautet das Gesamturteil Sie sind draußen. Aber warum hüpfen
die Examinanden, die joculatores domini nichtvonpeitschengetrieben auf
die Bretter und schwingen seelenlosbeseelt Körperteile, verzückte
Lemminge im Großen Unterhaltungsballett, wo doch nichts die Lebensfreude,
das Vergessen im stummen Tanz, das kunstlose Zelebrieren der Langeweile,
das wortlose Bejubeln von Gefühlstiefen vor der Wirklichkeit des
Grabes sechs Fuß unter und über der Erde frommt ? Den Schuh
müssen sie sich anziehen : Tänzer sind würdelos. Sie feiern
den Kirchentag der Seele, tragen sich mit Einkäufen im Markt der
Möglichkeiten, tragen Isomatte Rucksack und Spaß mit kurzem
a unter der Stirn und überlegen gern, wenn sie in Zügen
sitzen (das nämlich eine weitere ihrer Leidenschaften und sie nennens
Tanz der Schienen) und zu Treffen rattern, wo eine Unmenge Leute
vielgestaltig eine einzige Leiche anbeten, was Kirche ist ... Bewegung,
zumal öffentliche, ist Mißgeschick und Anlaß zur Scham.
Einer der Schlegel sagte, das Oberste sei das Schamhafteste. Jede Bewegung
ist Irrtum und gehört unters Schafott des Geschmacks. Auf
dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben. Das ist auf jeden Fall schon
mal falsch.
In der Aura des Cometen : eine Mutter zerrt
ein greinendes Kind über den Zebrastreifen — es scheint sich
zu fürchten vor der amerikanischen Irakpolitik. Dann bietet mir ein
Fräulein, das surft auf der Welle beruflichen Fortkommens, Käseproben
im Comet an und liest ihren Text (Möchten Sie probieren ?)
vom Teleprompter — mit Hinweis auf meinen akuten Magen-Darm-Verschluß
lobe ich zwar ihr freundliches Ansinnen, lehne aber dankend-lächelnd
ab, leider, dann endlich bin ich da, wo ich sein wollte : mir ist schon
lange kein Mißgriff mehr bei der Wahl passender Filtertüten
unterlaufen. Was ist los ? sollte meine Überlebensfähigkeit
sich entscheidend verbessert haben ?
Ich denke darüber nach, ein gebärwilliger
Säuger spreizt zu einem Lächeln die Lippen und die Lautsprecher
hinter der Wursttheke machen wohltemperiert u u u u, I wonna make
love to you. Gesang der Haxen. Tote Animateure.
Jeder Schwan stirbt von allein.
Was halte ich von der pharaonischen Beschneidung,
von blutschreienden kleinen Mädchen, die ihre Mutter einklagen, die
aber in ihre schönsten Tücher gehüllt neben ihnen sitzt
und stolz die Hand des Kindes hält — ich denke davon dasselbe,
was ich vom Glücksrad denke : es leben nur finsterste Riten und ist
das beste, möglichst schnell auszuscheiden aus dem erbärmlichen
Spiel und die eigenen Tränen, wo fremde schon so unerreichbar sind,
letztgültig zu trocknen.
Mein heruntermodulierter Denkbetrieb schüttelt
ein weiteres Resultat aus : nein. Wahrscheinlich liegt der schöne
Erfolg nur darin begründet, daß ich keinen Kaffee mehr trinke.
Dafür liegt Iris Berben an der Supermarktkasse aus, zahnt und lippenstiftet
mich an. Kein Depp kauft sie, obschon sie so rollig posiert. Sie ist eine
Schönheit und Quell meiner Inspiration. Traurig ist das.
Das Wasser in den Beinen bezahlt. Mit unfaßbarem
Urvertrauen und Dutt auf dem Kopf kapituliert es gleich die ganze Börse
der kaffeebraunen Kassiererin. Gut. Vor mir stiernackig ein krankenhausjoppenes
Männlein, Zentrum einer Blendung dynamischer Bonbonfarben in anthroposophischen
Mustern, hippelig bis zum Exzess, unzählige Male die Schale Eier,
das Dusch-Gel und die verschweißten Feigen auf dem Laufband wendend,
bis alle Etiketten ausgerichtet sind, lesefreundlich den tippenden Fingern
mit verlängert-pinklackierten Nägeln hingerichtet. Wie oft kann
ein einzelner Mensch im voraus Groschen zählen, wie unablässig
kann er in der Börse wühlen ? — natürlich klappts
dann doch nicht wie kalkuliert, denn die Fähigkeit, drei Einzelbeträge
zusammenzufügen, muß so schwach entwickelt sein wie der Hals
dick ist. So sieht der Mann aus, der jeder Eventualität gerüstet
ist, Pumpgun und Luger am Leib und daheim einen Husky. Ich bebe vor Nervosität
und Belustigung.
Dann bin ich dran. Bitte ! die
unduldsame Cappuccina. Ich stehe ja mit gar nichts da, wo ich doch keinen
Kaffee mehr trinke und keine Filtertüten mehr brauche. Eine Iris
Berben, bitte. Ich bin ja doch besser als andere oder auch nicht.
Eher dümmer noch. Aber die ist doch umsonst
Neu : Brötchen, die noch wie Brötchen
schmecken
Muntermacher-Spezial zum Tode von Kim
Sperti schrumpft Hämorrhoiden, vertreibt
Pusteln und massiert Ihre Aura
Der Luftkrieg zum Kennenlern-Preis Time-Life
Vegetative Dystonie oder psychovegetative
Erschöpfungszustände ?
Ein Weilchen bleib ich noch am Spendentrog
fürs Tierasyl. Wir haben auch Hunger. Ungerührt speien
die Damen der Kassen intimste Fäden Konversation einander zu, über
Kundenköpfe hin, nicht immer gelungen, eine Ballung Enzym mit Soße
trieftrinnt mein Kinn hinab ist man doch froh, daß man jemanden
hat speichelts. Ist man das ? Wär das nicht vielmehr in erster
Linie ein unseriöser Zug? Leben verketten aus Motiven der Geselligkeit,
aus Not, aus Feigheit
Früher hab ich
das alles unter einen Hut gekriegt. Nun stelle ich fest : meine Wahrnehmung
ist unter der Krempe hervorgewuchert. Auch hier sind keine traurigen Gesichter
mehr. Hier ist nur maskierte Niedertracht und mir kein freier Meinungsaustausch
möglich
Mein Leben hat mich nicht verdient
So oder so das
Herz ist der schwächste Muskel
Zuhaus dann : ich bereite mittels eines
zügigen Fingervorstoßes einer Fliege Kopfschmerz. Und schnell
erbarme ich mich, sie soll nicht mehr leiden als ich, nicht unbedingt
jedenfalls, und quetsche sie mit einem blutigen Tampon. Dann erwirft sich
noch ein Denkresultat : Frauen sind keine besseren Menschen. Auch sie
laborieren am Mundgeruch in Rachen und Seele. Ich löse meine Sammlung
gebrauchter Tampons und Spritzen, rekrutiert in Freibädern und Öffentlichen
Parks, endgültig auf, stelle sie in einer Jean-Pascale-Tüte
Stenderhoff vor die Tür und mich sinnlos unter Kuratell.
Die Tage, an denen ich am meisten bedürftig
war, des minimalen Zuspruchs harrte, um weitermachen zu können, da
irrliefen sie dann und schellten an der Haustür : Guten Tag,
der Scherenschleifer ist wieder da — und wendet sich schon,
da er vor der ersten Silbe bereits ahnte : kein Geschäft. Nach vier
Jahren. Nichts war ersehnter als ein Anruf, der Versöhnung annonciert
: dann klingelten sie : Guten Tag, wir haben vor zwei Jahren schon
mal telephoniert, Barmenia-Ersatzkasse. Sie sagten, wir könnten ruhig
in zwei Jahren
Draußen lobhudelts auf die Geschwindigkeit,
quecksilbern Wagnis und Risiko, Jugendliche mit markigsten Aufschriften
auf Brust und Rücken torpeden schlingernd vorbei, skaten und lieben
die Gefahr und haben das Leben. Andere whoppen bemuskelpaketet energisch
irgendwohin, Sinn und Nase starr geradeaus, in Unkenntnis von Demut mit
Aftershave besprüht. Dann riechts nach Underberg und haben die Männer
dunklere, markigere Stimmlagen und kennen ihre Rechte äußerst
genau. Äußerst genau. Man kann viel mit ihnen machen, aber
keinesfalls alles. Nicht alles. Eine der Männerseelen schreit aus
Leibeskräften Jaaaa und kommt aus einem Spielsalon namens
Rocky. Es ist später Abend und spät in der Linie 6
sind auch die fliehenden Stirne, die fliehen mit der Straßenbahn
... nach Riensberg, dort eine Art Zentralfriedhof ansässig ist
Ich sitze und esse Brot von gestern, nirgendwo
beiß ich auf Gründe dafür oder dagegen, derweil werden
Leute beerdigt und Hamster, betreiben zölibatunwillige Kaplane ihre
Fortbildung zum Psychodramaturgen. Die Welt ist ein Erlebnispark. Mike
Tyson bettelt forgive me snapping in the ring, und mantelumwölkt
schreitet ein schlanker Professor mit gestutztem Vollbart durch Novembermorgennebel
auf und ab vor Clemens´ Apotheke — was gegen schütteres
Haar oder gegen den Krebs der Gesinnung. Ein Haar fällt und ein Blatt
und der von den Spatzen, der am sehrsten aus Walle kommt, poussiert mit
dem, was sich so auf der Straße findet
Ein abgegriffener Satz Karten ohne Kreuz-10.
Ich türme eine Pyramide, blase sie um und wette, daß Kreuz-9
auf dem Rücken zu liegen kommt. So spiele ich am späten Vormittag
Gott. Ich wette mit niemandem
Irgendwann wagte ich das Äußerste
an Uninteressantem : ich hatte begonnen, Joe Cocker und Chris Rea zu hassen,
genauer, deren prätentiöse Stimmen. Das scheint mir ab heute
überboten. Auch werde ich kein Buch mehr schrei ben. Dabei stand
das Profil des Helden schon. Schlechte Zähne sollte er haben (in
der Bergen Nordvietnams lebt das Völkchen der Dao, batikt, schält
Reis und kaut Unmengen Betelnüsse und Gebete, davon werden die Zähne
schön, d.i. dort : schwarz — gute Zeiten für Zahnarztfrauenmission)
und also nur Luftschokolade essen. Eben noch im Mastdarm und schon in
der Kloake
Denk ich mir ein Tier, daß für
Frau steht, dann das Schnabeltier. Mal kommt von ihm ein freundliches
Wort, mal nicht. Meist nicht. Eigentlich nie. Freundlichkeit ist teuer,
hat zumindest einen Preis, den ich nicht kenne. Ein Kloakentier, äußerst
merkwürdige Säugetiergattung, wie mein Brockhaus von 1885 versichert,
auf der Höhe der Zeit wie ich. Man weiß noch nicht sicher,
wie das Schnabeltier seine Jungen ernährt. Und wenn man
das nicht weiß, wie dann ich ? Aber wer will das im Ernst wissen
?
Ganz früher, vor Jahresfrist, glaubte
ich an die Fügung des Schicksals. Dann glaubte ich an Stopschilder.
Zuletzt nur noch an Müdigkeit. Ich war mit Müdigkeit begabt,
bekennend tranig. Und diese Blutarmut war mein einziges Talent. Meine
Weisheit hatte zwei verkrüppelte Ärmchen, eins für nach
Einbruch der Dunkelheit, wozu sie sagte Wo ein Mensch steht, pißt
ein Hund, und eins für hellichten Tag : da wußte sie nicht.
Das Bruttosozialprodukt war etwas mir sehr Fremdes. Ich hatte keine einnehmende
Stimme — ein Punkt, der mich sorgenfrei ließ und für
den Löwenteil meines Glückes verantwortlich zeichnete : denn
ich sprach mit den Leuten, wie ich mit ihnen wettete. Gedanken reichten
bei mir immer nur bis zum ersten Komma. Manche Leute sprechen mit sich
selbst oder wenigstens mit anderen — ich sprach immer nur mit den
Zweigen verzweifelt vor Bunkern wachsender Bäume, denen ich das Gesicht
ratschte. Taktil stand ich häufig in Flammen. Manchmal überlegte
ich, was dereinst gewesen sein würde, wenn das letzte Wort, das je
ich schriebe, orthographisch ungenau gewesen wäre. Nichts würde
gewesen sein, wäre gewesen, würde oder wird sein. Mit dem Käscher
unbestimmten Wollens auf der Jagd nach der Frage der Fragen, an deren
Rattenschwanz die Antwort möglichst hängen möge, nach dem
einen Satz, der mir die Welt aufschlüsselt, blinde Hiebe in die Luft,
taubes Blättern in einigen Kapiteln Welt oder Buch mein Plaisier.
Es war nicht viel.
Die vielen Dialekte des Schmerzes, in denen
mein Körper zu mir spricht. Und mein Geist antwortet mit notorischer
Taubheit. Früher war mein Körper ein ästhetisches Problem
— heut wär er nur eine Frage der Dosierung von Mittelchen.
Früher konnte ich einfach die Augen zumachen. Das kann ich heute
auch, nur, daß es nichts hilft.
Ich lehnte an Verschiedenheiten an. Und
winkte eine und bat mich zum Têtê-à-têtê,
winkte ich ab und nickte : ja, so hätte es sein können. Vielleicht.
Behagen machte mir immer die Novemberwatte, ihre Vliesfäden wärmten
mich. Aus ihnen war das eine Labyrinth gestrickt, das ist, um das ich
von außen herumlief und ab und zu hörte,
wie die trauten Weltbürger von innen fidel dagegen anstolperten.
Zeit — irgendwie faszinierend, wie sie die Dinge verändert.
Die Dinge verdrehen sich zu Ligaturen und ... Eifersucht legt sich auf
die Wangen wie ein Hauch kleiner Trommelschläge und weitet Blutgefäße,
Eifersucht auf den Kiesel und die Gnade, die er emaniert — friedlich
liegt alles in der Kälte und ist freundlich und distanziert zueinander.
Gepökelte Augen kamen mir entgegen,
amtierende Pest, unverzahnt geliert in Mastodonhaut, bepelzmützt
und Connaisseuse dessen, wie es eigentlich sein sollte. »Sagen Sie,
junger Mann, frieren Sie nicht ?« Nicht mal innerlich, alte Frau.
Ich machte kehrt.
»Reisen Sie, reisen Sie !« verwünschte
mich heiterkrähend ein knittriges Stimmchen und winkte vergnügt
mit einem reichbenoppten Krückstock, auf dem kleingolden ein Apfelknauf
wackelte. Immerhin : eine zerschellte Telephonzelle reüssiert in
der Almatastraße, und genau vor der lag das ältelnde Männchen,
eine Dose Loyal unter die Achseln geklemmt. Lebenserfahrung sickerte
aus einer schwärenden Wunde am rechten Handgelenk. Der Mann aus der
Glücksburger Straße — wie konnte ich ihn nur nicht gleich
erkennen ! Er hatte sich umgezogen. Keine Falte an seinem Kleid, die nicht
wohl überlegt gewesen wäre. Und was für ein Wunder, dieser
schwarze Anzug, zeitlos ! dieser Frack — von anmutiger Weite —,
an dessen Kragen die unversehrte gepflegte Hand spielerisch zupfte; diese
hübsch gebundene Krawatte; diese lange Weste, vom obersten ihrer
Knöpfe sehr hoch geschlossen und, nachlässig, halb geöffnet
über einem so feinen Hemd mit gefältelten Manschetten; diese
Korkenzieherhose über einem Schuhwerk von tadellosem Glanz ! Wie
viele Kabrioletts mag ihn doch deren Politur gekostet haben ! Dieser Tippelbruder
und Ex-Malkontente : er hatte verschlafen oder nicht begriffen die doppelte
Umstellung auf Karten und drei statt zwei Groschen und war zusammengebrochen.
Und noch lag falbe Blässe, spärlich getönt mit rosafarbenem
Amber, auf seinem Antlitz. Dann baritönte er
Ich fange nie mehr was an einem
Sonntag an
Weil ein Sonntag mir meinen Tommi nahm
Liegt ein Sinn darin ?
Ich werd es nie verstehn
Doch das Leben wird immer weitergehn
Wäre
das Leben ein Film, ich nähm es auf. Ansehn würd ich mirs vielleicht
später
Ich halte sehr viel von der Idee, jeder
sei seines Glückes Schmied. Nie bin ich gestählt oder mit sonstwie
nennenswerter Energie aus Zeiten der Abgeschiedenheit nochmals hervorgekrochen
und hab ich nicht immer eine gesunde Verachtung für Menschen, die
das Leben meistern, im Bauchladen vor mir her getragen ? So war es doch
wohl. Meine Augen können nicht mehr. Ich nehme ein Stück Kreide
und schreibe an eine Mauer : Einer, der Asträa schon nicht mehr gekannt
hat, war hier
Du siehst müde aus
Es ist nur das Leben
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