Autobiographie
/ Paul Gurk 8. 5. 1944
Paul Gurk
wurde am 26[.]April 1880 ohne sein Zutun
in Frankfurt/Oder als Sohn eines Postfahrers geboren und stammt aus kleinbäuerlichen
Verhältnissen. Nach dem sehr frühen Tod seines Vaters, der sich
auf den Überlandfahrten die tödliche Erkältung holte, kam
er 1885 nach Berlin zu Verwandten, (Barbier und Heilgehilfe), die ihn
von sich weg erzogen. Er besuchte die Gemeindeschule und wurde als vorzüglicher
Schüler für die Lehrerlaufbahn bestimmt. Präparandenanstalt
und das Berliner Seminar für Stadtschullehrer besuchte er ohne Lehrbücher.
1900 musste er den geplanten Beruf aufgeben, da sich leichte Ermüdbarkeit
der Stimme einstellte. Vielleicht war diese leichte Ermüdbarkeit
nur ein Gleichnis seiner Erfahrungen mit Menschen, von den Schülern
der Versuchsschule angefangen, die sein unbegrenztes Staunen über
ihre Fähigkeit zu lügen und zu verleumden erregte.
Paul Gurk wurde dann Bürogehilfe beim
Magistrat Berlin, erwies sich als brauchbar und erklomm Stufe für
Stufe die Leiter bis zum kleinen mittleren Magistratsbeamten. 1924 liess
er sich als Stadtobersekretär in den Wartestand versetzen, in dem
er, obwohl inzwischen längst pensioniert, im Grunde noch lebt.
Mit dem fünften Jahr begann Paul Gurk
ohne jede Anregung zu zeichnen, mit dem siebzehnten Jahr Verse zu machen
und gleichzeitig in Tönen sich zu versuchen. Von diesem Dreigestirn
schied leider später der Ton aus Mangel an Zeit und Gelegenheit aus.
Es blieb die Beschäftigung mit den Farben und den Worten, die er
jetzt noch, im Grund ohne jede Förderung und jedes Verständnis
der Umwelt, betreibt.
1921 erhielt Paul Gurk für sein gesamtes
Bühnenwerk (es lagen bis dahin fast dreissig Stücke vor) den
Kleistpreis. Bis dahin war überhaupt nichts von ihm erschienen. Eine
Reihe von Bühnenwerken wurde in den nächsten Jahren gespielt,
erregte Aufsehen und Widerspruch, zu einem dauernden Bühnenerfolg
konnte es P. G. nicht bringen. Nach Novellen, Romanen, Sprüchen,
Fabeln erschienen nach jahrelanger Pause in der Essener Verlagsanstalt
die Romane »Serenissimus«, [»]Gaspon sucht den Zaren[«],[»]Büroassistent
Tödtke« unter dem Pseudonym Franz Grau, weil die Reisenden
des Buchhandels Paul Gurk als Typ der Erfolglosigkeit ablehnten. In jüngster
Zeit hat sich mit dem Erreichen des amtlichen Alters starkes Interesse
an den Arbeiten des P. G. gezeigt, was für die Jahre nach seinem
Tod zu den glücklichsten Aussichten Raum läßt.
Am 6. August 1943 wurde Paul Gurk evakuiert
— nach über 200 Luftalarmen. Er lebt seitdem in dem Harzdorf
Neustadt genau so anonym wie in Berlin, nur unter noch weit primitiveren
und schlimmeren Umständen. Er schreibt auch ohne jede Hoffnung weiter.
Noch jetzt gilt, was er vor einem Jahr genau in einer Selbstdarstellung
zur Novelle »Die Traumstadt des Kaisers Kin-Lung« schrieb
: Die völlige Einsamkeit und Abgeschlossenheit meines Lebens hat
nie eine ausserordentliche innere Spannweite des Erlebens und Schaffens
gehindert.«
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