Wäre auch nicht ein
Ahnen um dieses seltsame Leben zu uns geweht, hätten auch die liebevollen
Hände des Alfred Döblin nicht die Gestalt dieses unheimlicheigenartigen
Dichters abgetastet : sein Gedicht spräche doch zu uns die eindringliche
Sprache eines verwirrten, wehen, zerrissenen Lebens. Sein Gedicht —
denn dieser Band Dichtungen, den der Gustav Kiepenheuer Verlag
als erstes Zeugnis für das Schaffen des Jakob Haringer herausbrachte
(three cheers für den mutigen Kiepenheuer !!) ist ein einziges
weitgespanntes Gedicht, bald orkanhaft auflohend, bald sanft in wiegender
Form gleitend, bald zu epischer Sprache einmündend. Nicht von zwangsläufiger
aber gewollter Einheit der lyrischen Struktur also, nicht von der Originalität
des Stigma, das uns sofort den Werfel, die Lasker-Schüler, den
Gottfried Benn verrät. Die Einheit dieses Gedichtwerks ist nicht
formal, sondern in einer anderen Zone des Innen gelagert : eine Einheit
der Sprachmelodie, ein eigener, höchstpersönlicher Zugriff
des Dichters, gaukelnde Bilder im Wort zu packen.
Dies ist seine Eigenart : ohne den Umweg
über den Symbolgehalt eines Wortes noch nicht gesehene Zusammenhänge
herauszustellen; aber nicht klangliche Zusammenhänge, die Rilke
findet, sondern Verwandtheiten des sachlichen Bildes. Dieser Lyriker
ist ein Lyriker des Auges : er kam, er sah und seine siegreiche Sprachkraft
ist ein Seh-Erfolg. Vagabund von Beruf, Wanderer durch Fügung,
hat er das Herz der Welt pochen hören; Landschaft in allen Luftgraden
gesehen, im Abendlicht, im Dämmern, im grellen Tag . . . und diese
Fülle, diese sachgefüllte Fülle, die er in sich auftrank,
drängt zu elementarem Ausdruck. Seine Sprache packt den Naturvorgang,
um einen Wesensvorgang zu bezeichnen. Beispielsweise beginnt er ein
Poem :
Nun
kommen die großen Traurigkeiten wieder
wie
wilde Matrosen.
Und mit dieser ungeheuren, einzigartigen Zeile leitet er ein Gedicht
ein, daß Strauss, Kaiserwalzer heißt. Und endet
: Verlöscht ist das Gold deiner Blumen und meine grüne
Kinderei.
Man könnte sagen, diese stilistische
Haltung sei nicht nur eines originalen Talentes notwendiger Ausdruck,
sondern tiefer fundiert, im Wesensgrund, im inneren Aufriß des
Menschen. Ja, das ist richtig. Denn wie der Zugriff dieses lyrischen
Temperamentes strahlenden Vers und flammendes Wortbild aufleuchten läßt,
genau so schlägt seine Pranke oft ins Dunstige, ins Gestrüpp
und Verworrenheit. Manche Zeilen sind genialisch-dumm, dem Grabbe verwandt,
ohne die Klarheit der eroberten Substanz. Oder was heißt dies
: Bist umknospet Julileib — oder vielleicht : Der
Schwermut Abziehbilder blühen. Das ist nicht spätes Expressionistentum,
das ist — ganz einfach — entgleist, hingehauen,
an den Wegrand gespuckt, aufgelesene Brocken der Landstraße. Daneben
aber blühen dann Zeilen auf : Du hörst dein Herz klappern,
glucksende Schnapsflasche — oder : Ueber des Herzens Tapete kriechen
des Todes Würmer. Die letzte Elektrische der Hoffnung fährt
heim ...
Und wir sind geblendet von der visionären
Bildkunst dieses irdischen Vaganten, dem, auf den schlechtgepflasterten
Pfaden im Salzburgischen oder im Bayerischen, im Gefängnis oder
im Asyl, stilistische Einsicht kam, dem ein Ausdruckswille sich ergab,
der korrespondierend mit Utrillo und Lascaut sich als Neue Sachlichkeit
zeigt.
Nur freilich, daß die Motive dieses
Sachlichen, ebenfalls aus der Seh-Sphäre gewonnen, weiter, naturnaher,
unmittelbarer wachsen. Die Sentiments sind die beliebtesten Gegenstände,
die Haringer nachzeichnend besiegt. Nachzeichnend, ja; er beobachtet
sie, bildet sie nach. Prolog zum Sterben oder Sonett am Abend
nennt er diese Poeme.
Man sagt (oder ist dies nicht eine epidemisch
verbreitete Ansicht ?), die Lyrik sei da, um froh zu machen. Die Melancholie,
die Traurigkeit, das Leid, wenn sie besungen werden, erheben uns zu
irgendwem und irgendwie. Die verhaltene Klage, die in allen Strophen
des Jakob Haringer ist, macht nicht froh. Die unwirkliche Welt des Gedichtes
bannt uns nicht vollends, sie ist fadenscheinig, man kann hindurchsehen,
ein anderes Lebensbild ist darunter. Der unrealistische Lyriker ist
von Realismen behaftet. Die drängen sich vor. Man könnte sagen,
sein Leid sei oft Klang im Orchester der Sprachmusik — —
oft aber nur eine Reminiszenz an privates Erleben, hineinkonstruiert
in das Gedicht-Gebäude. Im Heineschen Vers trauert die Welt —
bei Haringer trauert der Dichter um die Welt. Die verlorene Welt, die
dem Vaganten das harte Gesicht zeigt. Dadurch verliert er nicht immer
den Charakter der Sentimentalität. (Tätst du nicht weinen
über dies süße kleine Donaulied.)
Wesentlicher als dieser Bruch im Bau des
lyrischen Werkes ist der Bruch überhaupt, der Bruch in der Wesenssphäre
dieses Dichters. Die eine Hand streckt sich nach den Gebilden des Daseins,
kosend, sie streichelnd, mit der Zärtlichkeit eines Whitman-Menschen
— — die andere wühlt in den Nachtgesichten und im Schattenspuk,
und böse Geschwüre der Seelen brechen auf und speien Eiter.
In sein Leben eingeschlossen, grauenvoll beengt durch das Furchtbare
seines Schicksals hat der Dichter kein Organ, die Antithese zu fühlen
— und verwirrt sich im Durcheinander der Empfindungen. Wenn dieser
Bruch, dieses chaotische Treiben der Welt des Vaganten entspricht (erinnern
wir uns nicht dieser Erscheinung bei Peter Hille ?) — dann sei
sie hingenommen ohne Vorwurf. Es wäre leicht zu sagen : oft fehle
dem Dichter die Furcht, so daß die Wortkatarakte herabstürzen,
ohne Formen zu bauen. In eine Versfolge wie den Jahrmarkt ist
soviel Echtes, Wundervolles, Plastisches, ist soviel Melodie und Sprachreichtum
geschüttet, daß man sich schämt zu sagen: im Grunde
bliebe dies Gedicht sinnlos und amorph. Und doch ist es so, und es muß
ausgesprochen werden.
Die Größe Haringers ist sein
urlyrisches Genie : zu sehen und Worte zu haben für das Gesehene.
Eine Welt ging in ihn ein. Haringer, der Vagant, ein kranker, nicht
mehr junger Mann, hungert in einem Asyl, einem Krankenhaus, in einer
Höhle der Berge. Reißt ihn das Buch aus seiner Armut, dann
werden seine Verse glätter, seine Gesichte aber blasser werden.
Sein Buch ist wie ein Bergpfad, der in großer Höhe durch
Kalkgestein führt : spitzes und abgebröckeltes Gestein —
und dann wieder Ansiedlungen seltenster Pflanzen, wahre Fundgruben der
Form. Es lohnt sich, in diesem Bande zu wühlen, um Oasen der Sprache
aufzuwittern. Du findest dann am Wegrand eine Zeile wie diese :
In
den Stunden des Glückes hast du Genossen und Frauen.
In
den Gewittern des Narrens weinst du verzweifelt allein.
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