Erstmals deutsch
: acht Briefe
Gustave Flauberts
Ich bin eine Darmsaftmaschine
übersetzt von Milan Vucurovic,
durchgesehen und annotiert von Barbara George
I
An Ernest Chevalier [Rouen, 7
Juli 1841]
In der Tat
erschienst Du mir allmählich als ein exotischer Idiot, aber Du brachtest
mir Deine Entschuldigungen vor und ich bin zufrieden. — Narcisse
1
verläßt eben mein Zimmer, er ist aufgrund geschäftlicher
Angelegenheiten nach Rouen gekommen, er wird 10 000 Francs erben. —
Hier die künftigen Möglichkeiten.
Wir werden sicherlich, so weit man überhaupt noch sicher sein kann,
in der Mitte des folgenden Monats 15 Tage in Trouville verbringen. Mit
dem Ziel, das beinah trübsinnige Gemüt meiner armen Schwester,
Resultat einer langen und zerrüttenden Krankheit 2,
von der sie immer wieder eingeholt wird und die bei weitem noch nicht
ausgeheilt ist, aufzuhellen. Mme Bonenfant 3
wird mit ihren Kindern wahrscheinlich zur selben Zeit mit uns ans Meer
fahren. Vielleicht werde ich sie in Nogent aufsuchen, das wird in ungefähr
einem Monat sein. Ich werde über Paris fahren, solltest Du Dich dann
immer noch dort befinden, will ich mit Dir ein Kaffeekränzchen abhalten.
Übrigens ist dies sehr vage — und nur möglich, sollte
sie zögern, alleine hinzukommen.
Unterrichte mich, sobald Du Deinen Anwaltstitel
erhältst. Wenn Du das Diplom bereits am 1. in der Tasche hast, mußt
Du zu mir kommen. Falls nicht, erwarte ich Dich im Monat September, wann
immer Du willst. Es wird noch etwas Sonne geben, wir können Boot
fahren und einige Pfeifen verrauchen. Ich vergaß Dir zu erzählen,
daß ich mit meiner Mutter und Caroline, noch bevor wir nach Trouville
aufbrechen, das Fischerstechen in Havre anschauen werde. Achille wurde
von einem, um nicht zu sagen von mehreren Pferdetritten verletzt. Von
heute an gerechnet, liegt er schon über 5 Wochen im Bett. Die Membran,
die das Kniegelenk umgibt, wurde zerfetzt, ein Rheumatismus, an dem er
von Zeit zu Zeit leidet, kam noch erschwerend hinzu. Mein Vater befand
sich über 3 Tage in den ernstesten Sorgen um ihn; glücklicherweise
ist das vorbei : er verspürt nur noch eine kleine Steifheit, wird
sich aber dennoch vor 8 oder 10 Tagen, vielleicht vor 15 Tagen nicht erheben
können, eh sein rechtes Bein nicht wieder kräftig und gesund
ist. Was mich angeht, ich bin kolossal und unbändig, ich werde zum
Ochsen, zum Sphinx, zum Moorochsen 4,
zum Elephanten, zu einem Wal, ich mutiere zu allem, was Größe
vorweist, was fleischig und dicklich ist, zu allem, was in Sachen Moral
und Körper hartgesotten ist. Hätte ich Schnüre und Schuhe,
ich wäre unfähig sie zu binden. Ich keuche, schnaufe, schwitze,
sabbere, ich bin eine Darmsaftmaschine, ein Apparat, der Blut produziert,
das mir ins Gesicht spritzt, eine Maschine, die nur stinkende Scheiße
ausscheidet und mir den Arsch beschmiert.
Gesellschaftliche Fragen
Welchen
Heiligen ziehst Du vor ? — Ist es etwa Saint-Peray ? 5
Warum können die Engel so schmutzig
ficken ? — Weil sie sich ihrer Engelsschäfte 6
bedienen.
Die algerische Frage
Als der
Bey 7
Konstantin aus dieser Stadt vertrieben worden ist, versetzte man ihn in
einen Zustand der Abkühlung. Man sagte zu ihm : Sors bey (sorbet).
8
Als der algerische Dey aus Algerien vertrieben
worden ist und man ihm befahl, sich zu verschiffen, sagte man ihm : en
mer dey ! 9
Die Franzosen in Afrika sind sehr gebildet,
sie legen großen Wert auf O-rang 10.
Scheiße
Ganz der Deine 11
II
An Ernest Chevalier [Trouville,
Dienstag 21 September 1841]
Mein lieber Ernest,
Du mußt
mir meine haarsträubende Faulheit und meine jämmerliche Vergeßlichkeit
nachsehen. Denn ich bin gelangweilt, gelangweilt und gelangweilt, dumm,
dämlich und dabei völlig regungslos. Ich habe noch nicht einmal
die notwendige Kraft, um drei Seiten Papier zu füllen. Nun befinde
ich mich schon einen Monat lang in Trouville und mache überhaupt
nichts anderes als essen, trinken, schlafen und rauchen.
Zur Zeit ist Flut, das Meer ist fünfzehn
Schritte von mir entfernt und plätschert unten an den Stufen Notre-Dames.
Ich sitze auf einem Stuhl und schreibe Dir auf meinen Knien. Es ist Mittag;
die Sonne scheint kräftig, ich habe mir den Bauch rücksichtslos
vollgeschlagen und verlasse den Tisch, mir stichts in den Augen, ich rülpse
und verdaue, während ich den schönen grünschimmernden Ozean
betrachte und die Größe der Werke Gottes, der alles gegeben
hat für die Beste der bestmöglichen Welten, indem er [... 12]
die Nächte für die Liebenden, den Menschen für das Unglück
und — halbtrunkene Menschen zu beglücken — die Sicht
auf den Ozean schuf. Der Wind tut nach dem Frühstück sehr gut
und wenn er auch die Masten der Schiffe zum Brechen bringt und Menschen
verschlingt; gerade streicht er durch das Haar eines rauchenden Menschen
und das lenkt ab.
Gleichwohl war die Erde schön und wäre
es noch 13—
sind die Tage schön, wenn die untergehende Sonne sie vergoldet —
ist die Frau immer schön, wenn ein Schauder der Liebe sie erbeben
und unter Küssen erzittern läßt : aber für wen ?
Wer mag denn jetzt glücklich sein ? Die Menschen im Zuchthaus, vielleicht
sind die noch so vermessen.
Die Zeit ist nicht mehr, wo Himmel und Erde
sich vermählen in einem unermeßlichen Hymen 14.
Die Sonne erbleicht und der Mond wird leichenblaß neben den Gaslaternen,
— jeden Tag verläßt uns ein anderer Stern, gestern war
es Gott, heute ist es die Liebe, morgen wird es die Kunst sein. In hundert
Jahren, vielleicht auch schon in einem Jahr, muß sich alles, was
groß, schön und poetisch ist, den Hals durchschneiden vor Untätigkeit
und Müßiggang oder in der Türkei zum Abtrünnigen
werden. — Ich habe mich leicht überfressen, verzeih mir bitte
all dies. Du bist nach Rouen gekommen, ich war nicht dort, glückliches
Schicksal ! In ungefähr 10 Tagen werde ich zurückkommen, Du
wirst auch da sein, ich zähle darauf.
Adieu, es ist alles scheiße 15.
Ich umarme Dich, mein alter Freund.
Ganz der Deine
III
An Ernest Chevalier [Trouville,
21 September 1841]
Antworte mir. Je früher, desto besser.
IV
An Ernest Chevalier [Rouen, 23
Oktober 1841]
Was hast
Du denn, mein alter Ernest ? Bist Du krank, tot, begraben, verfault ?
Wartest Du darauf, bis Du Deine Stummelpfeife zu Ende geraucht oder Dein
Glas ausgetrunken hast ? Hör endlich auf und halt Dich ran, im Namen
Gottes, oder ich werde Dich ! ...
sed placuit ... 16
Was im heiligen
Namen Gottes, zum Henker, Du Hurensohn und Blödmann, im Namen eines
Furzes, tust Du ? Du verdammter Hund, ich warte seit einer Woche und Du
kommst nicht, antwortest mir nicht einmal. Ah ah ah ich habe mich nicht
mehr unter Kontrolle, ich kann mich nicht mehr zurückhalten, man
möge mich anbinden und festketten, stecke mich gewaltsam in eine
Unterhose, gewaltsam in eine Jacke, gewaltsam in Kniehosen, gewaltsam
in Stiefel, gewaltsam in ein Halsband. Oh ich warte auf Deine Ankunft
und sah Dich schon an der Seite von Jean 17
, euch beide anschmachtend. Ich ergriff die Gelegenheit, wir tranken
Absinth in einem Café in Rouen, aber niemand, niemand. Ich bin
ein Löwe, ein Tiger — ein indischer Tiger, ein Boa Constrictor
!
Du mußt
Montag hier sein, an dem Platz, an dem ich jetzt schreibe, und zwar schnell,
um zu rauchen, Dir die Beine zu rösten und mit Deinem Diener und
Freund zu plauschen.
Mme Mignot 18,
die aus Forget zurückgekommen ist, ist auch ganz erstaunt, daß
Du nicht da bist.
Neo 19
beißt sich vor Ungeduld in den Schwanz, meine Pfeife dörrt
aus vor lauter Langeweile.
Und selbst die Latrine findet, daß
es schon sehr lange her ist, daß Du ihr von Deiner Scheiße
gegeben hast.
Dein Feuer windet sich, um nicht mehr von
Dir eingespeichelt zu werden.
Und meine Feuerzangen bedürfen Deiner und möchten von Dir begrabscht
werden, damit Du mich langweilst und mit dem verkohlten Holz herumspielst.
Und der Autor dieser Zeilen brennt darauf, Dir
einen Händedruck geben zu können.
V
An Ernest Chevalier [Rouen, 30
November 1841]
Es scheint
mir, daß Du ganz elegisch bist. Würdest Du Dich eher der Lektüre
des M. de Bouilly 20
oder der des ehrwürdigen Tissot 21
ausliefern ? Du sprichst vom Ennui 22
der Hauptstadt wie ein Braver 23
und die Familienfreuden scheinst Du weltlichen Freuden vorzuziehen. Wenn
sie auch viel tugendhafter sind; sie sind zur gleichen Zeit auch weniger
lebendig. Gib es zu, und Du hast genug Schweinereien durchkostet, nur
um sagen zu können, daß die Keuschheit eine gute Sache ist
(für die Impotenten). Ich bin sauer gewesen, weil wir vor meiner
Abfahrt nicht zusammen angestoßen haben, umso mehr, als ich am Abend
einen bemitleidenswerten Eindruck auf Dich gemacht haben muß, da
ich nichts getrunken und nichts gegessen hatte. Meine Waden waren fürchterlich
schlaff und müde und der Druck meiner Hühneraugen minderte meine
Begeisterung. Ich hoffe, in den nächsten Januartagen meinen guten
Ruf wiederherstellen zu können, indem wir einen Schlüpfer ficken
werden nach allen Regeln der Kunst, einen Schlüpfer, der keine Stulpe
haben wird 24,
um das neue Jahr zu feiern und anläßlich der Eröffnungssitzung,
die das Außenministerium stürzen wird 25,
werden wir die Wahlreform durchsetzen und jedem Bürger ein getrüffeltes
Rind mit Sardellenbutter bewilligen. In ungefähr sechs Wochen werden
wir uns sehen und im nächsten Jahr soviel wir wollen. Sag mir, was
Du zu tun beabsichtigst, ob Du gedenkst in Paris zu bleiben oder nach
Andelys zu gehen.
Du paukst und büffelst : das ist ein
bißchen erniedrigend. Die Arbeit setzt den Menschen herab. Die Spinner
behaupten, daß dies der Ruhm sei, aber für mich ist das eine
göttliche Verwünschung, — das Zeichen der Dekadenz.
Mein Cousin Armand Allais 26,
den Du kennst, hat gerade geerbt. Wenn man das Testament bis nächsten
Freitag nicht entdeckt, steckt mein Mann ungefähr 700000 Francs und
mehr in die Tasche. O Schicksal, das sind deine Verirrungen und du läßt
einen großen Künstler wie mich in schwachsinniger Mediokrität
dahinvegetieren. Horaz spricht irgendwo 27
von einer goldenen Mediokrität, für uns wäre es ein königlicher
Luxus; eine goldene Mediokrität, die uns endlich Millionen abverlangen
könnte ! — O Amerika, warum schickst Du mir nicht aus den Tiefen
deiner Wälder einige Onkel, seien sie tätowiert, rothäutig
oder mit Federn geschmückt, Osagen oder Irokesen, völlig gleich,
vorausgesetzt, daß sie reich sind, Onkel sind und daß sie
sterben ! Wie schnell ich dann meine Gesetzestafeln gegen eine Speisekarte
tauschte ! ich Zigarren zu zehn Sous das Stück mit einem Code 28
anzündete ! etc. etc. etc. etc.
Ich habe noch überhaupt gar nichts
für die noble Wissenschaft getan, deren Sprossen Du mit strammen
Waden erklimmst und in der Du den Orden eines Oberidioten erhalten wirst,
den Doktortitel, — die Wissenschaft der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit
schmeichelt mir wenig. Die Justiz der Menschen schien mir schon immer
närrischer als deren Bosheit mir greulich und gräßlich
erschien. Die Idee eines Richters scheint mir die drolligste Vorstellung
zu sein, die man überhaupt haben kann.
Adieu, mein Alter.
Lautet Deine
Nummer nun 35 oder 55 ? Schreibe Deine Ziffern leserlich, so nämlich
wird Dir das nur schaden, wenn Du später in die Verwaltung gehen
willst, wie die Schriftgelehrten 29
sagen, Du wirst Dich blamieren, ob Du nun an den Grenzen oder in einer
Registratur eingesetzt wirst, etc.
VI
An Ernest Chevalier [Freitag,
31 Dezember 1841]
Man sieht
schon fast nichts mehr und sicherlich werde ich meinen Brief nicht ohne
Talglicht zu Ende bringen können oder besser gesagt, ohne Stearinkerzen,
die zwar nach den Sternen benannt sind, aber nicht so hell leuchten
wie sie. —
Einst hatten wir zu dieser Zeit Ferien;
gestern abend wären wir schon ausgegangen. Heute hätten wir
es uns vor dem Kamin bequem gemacht. Wie wir rauchten und grölten
! Wie wir uns über die Schule unterhielten, über die Aufseher
und über die Zukunft von Paris und über das, was wir im Alter
von zwanzig Jahren machen würden ! Und am Tag darauf, zu Neujahr,
sind wir zum Klang der Hornbläser vor 5 Uhr aufgewacht, dieselben
Töne, die noch morgen Mittag meinen Nachbarn Foucher 30
begrüßen werden, Du standest als erster auf und zündetest
mein Feuer an, etc., etc., etc. Erinnerst Du Dich daran, daß wir
niemals vor Mitternacht eingeschlafen sind, daß wir das neue Jahr
rauchend begrüßen wollten und daß wir, jeder
in seinem Bett liegend, gegenseitig unsere Spucklaute hörten und
das Knispern der Pfeifen, die im Dunkel glühten ? Und wie wir über
den Neujahrstag herzogen, der uns soviel Freude bereitete und den wir
so sehr liebten !
Aber morgen werde ich allein sein, ganz
allein, und da ich keine Lust habe, das Jahr mit Albernheiten zu beginnen,
Glückwünsche zu überbringen und Besuche zu machen, werde
ich, wie gewöhnlich, um 4 Uhr aufstehen, Homer lesen und an meinem
Fenster rauchen, während ich den Mond betrachte, der das Dach der
gegenüberliegenden Häuser beglänzt, und ich werde das Haus
den ganzen Tag nicht verlassen !!! Und keinen einzigen Besuch
abstatten ! Dumm gelaufen für die, die sich darüber ärgern
werden. Ich werde überhaupt nirgendwo hingehen, niemanden sehen und
von niemandem gesehen werden; der Polizeikommissar weiß nichts von
meiner Existenz, ich wollte, daß sie noch viel unbekannter wäre,
wie der alte Weise 31
sagt : »Verberge dein Leben und übe Verzicht«. —
Obendrein findet man, daß ich im Unrecht sei und daß ich in
die Welt hinausgehen sollte. Ich bin ein komischer Sonderling, ein Bär,
einer von den jungen Männern, derer es nicht viele gibt, ich habe
sicherlich einen üblen Lebenswandel, ich kann kein Café, keine
Kneipe verlassen, etc., so lautet das Urteil eines Bourgeois über
mich. À propos Bourgeois, morgen gibt es wieder viele davon auf
den Straßen, mit Rosetten und weißen Krawatten ! in plissierten
Hemden und Sonntagsanzügen mit neuen Hüten auf ! — Der
Hafen wird im Glanz der Einwohner Rouens erstrahlen — und in dem
der Einwohnerinnen. Mit ihren Kleinen, die man vollstopfen wird mit glasierten
Maronen und deren Innereien man mit Apfelzucker verkleben wird.
Hélas ! Mein armer Alter, Du erwartest
vielleicht einen schönen großen Monsterbrief, der 30 Sous Porto
kostet ? — Ich strotze nicht gerade vor Energie oder besser gesagt,
ein Thema, das nicht das einmalig oder einzigartige Thema des vergangenen
Jahres ist, eignet sich nicht. Morgen übrigens werde ich nicht in
der Stadt zu Abend essen, da mir all diese Diners widerlich sind. Nächsten
Freitag werde ich mich sogar aus dem Kaff Rouen verpissen, um keinesfalls
das Tun der Könige 32
tun und kalte Brioches essen zu müssen, so groß ist die Begierde,
die ich nach diesen ehrwürdigen Festen verspüre, deren Verlust
die Dichter der Musée des familles 33
bedauern. Nein, weder will ich die Könige machen, noch sie nicht
vernichten, vorausgesetzt, sie lassen mich in Frieden, das ist alles,
was ich von ihnen verlange.
Hier sind einige auf meinem Mist gewachsene
Spitzen, die Du gleich morgen in Paris verbreiten kannst. Ich schicke
sie Dir, in dem Glauben, daß Du Kunstliebhaber und ein Partisan
der Zivilisation seist — Warum ähnelt der Autor von Guêpes
einem Fisch ? — weil er ein carlet ist (Karr-laid)
34.
Welche ist die trockenste und dürftigste
Disziplin innerhalb der Philosophie ? — die Ethik.
Der brennendste Stil ist der Stil von Brazier
35.
O Ernest ! O Richard, o mein König
! o mein Freund, hier noch zwei weitere, die Dich umhauen werden, neige
Dein Haupt vor mir bis zu den Knien, bis zu den Knien.
Welches antike Volk hatte die meisten Witzbolde,
Trunkenbolde und Raufbolde, etc. ? — Die Parther, weil sie immer
Party machten. Euh ? mein Alter ! was sagst´n dazu ? Verstehst Du
das teilweise, dort, in den edlen Teilen, in den genitalischen Teilen,
die Teile schmerzen mir, Monsieur, die Teile jucken mir. Ich bin geil.
Ja, Madame, ich habe einen gewaltigen Schlag in den Teilen erlitten.
2° Welches ist die Figur bei Moliere,
die einer rhetorischen Figur ähnelt ........... ????????? —
Das ist Alceste, weil sie mis an throp 36
ist. Euh ? Mein Alter ! Was sagst´n dazu ? Du verstehst das, nicht
wahr ? Und ich werde immer dümmer.
Dein Onkel Motte 37
ist gestern nach Rouen gekommen und hat zu Hause gefrühstückt,
aber ich habe ihn überhaupt nicht gesehen, da ich bei Sire Jacquart
frühstückte, wo ich einen gesoffen habe, um mich über die
Ärgernisse hinwegzutrösten, die man in der Presse liest und
über die Demütigungen, die England Frankreich auferlegt.
Vor acht Tagen ist auch der Anwalt nach
Rouen gekommen, um einen kleinen Richard zu taufen. Er hielt das Kind
über das Taufbecken.
Abends gab es ein Diner. Dies alles hinderte
den Sire Richard, Drogist in der Rue de la Savonnerie nicht daran, immer
noch taub zu sein und das Gesicht eines stolzen Idioten aufzusetzen !
O wenn es die Götter doch zuließen, daß ein kräftiger
Donnerschlag Rouen zermalmte und alle Idioten, die hier leben, mich eingeschlossen
!
Ich steige immer in der Rue Lepelletier
n° 5 38
ab. Die Sittlichkeit dieses Viertels birgt für mich einige Reize.
Wahrscheinlich werde ich morgens am 8. in Paris ankommen. Ich werde Dich
umgehend besuchen und wir werden zusammen essen, zum Frühstück,
zum Abend und zur Nacht, aber vorher wirst Du von mir noch hören.
Adieu, ein gutes Jahr [... 39]
gute Pfeifen, gute Kamele.
O chameau 40
Que tu es beau
Sur ta bosse
Que je me frotte ... etc.
[O Kamel
Wie schön du bist
An deinen Höckern
Reibe ich mich ... etc.]
Romanze von Loysa Puget 41
Adieu
VII
An Ernest Chevalier [Rouen, 15
März 1842]
Wie geht´s,
alter bâtin ! 42
In welchen Zustand ist so ein Mensch wie Du zurückgeworfen ! Beruhigen
Sie sich, tapferer Mann, beruhigen Sie sich doch ! An Stelle der Rechte
sollten Sie ein wenig Philosophie studieren, lesen Sie Rabelais, Montaigne,
Horaz oder irgendwelche anderen Burschen, die das Leben unter einem ruhigeren
Gesichtspunkt betrachtet haben und lernen Sie gefälligst ein für
allemal, daß keine Orangen von Apfelbäumen fallen, daß
man keine Sonne von Frankreich erwarten kann, keine Liebe von Frauen,
kein Glück vom Leben. Ich schreibe Dir und würde Dich gerne
für eine Viertelstunde etwas belustigen und Dir das Gesicht aufblühen
lassen durch einen etwas schmutzigen und zornigen Brief. Du machst den
Eindruck eines ganz heruntergekommenen Menschen :
un être absurde, un mort qui se réveille,
Un bœuf, un hidalgo de la Castille-vielle 43
[ein absurdes Wesen, ein Toter der erwacht,
Ein Rind, ein Hidalgo aus der Castille-vieille]
Wenn Du noch ein wenig so weitermachst,
wirst Du wie Tasso werden, den »ich in einem erbärmlichen Zustand
in Ferrare gesehen habe, sich selbst überlebend, sich selbst wie
die eigenen Werke verkennend« 44.
Erinnere Dich ! Du guernay ! Bocher ! Die Reise nach Vernon, Daubichon
! Und andere Schwachsinnige, die es fertiggebracht haben, daß die
Erde nicht so langweilig ist, obwohl sie es natürlich dennoch ist.
— Denke an Suppe, an Kochfleisch, an fetttriefende Leberpastete,
an Chambertin. Wie kann man sich über das Leben beklagen, wenn es
immer noch ein Bordell gibt, in dem man sich über die Liebe hinwegtrösten
kann und eine Flasche Wein, um den Verstand zu verlieren ? Um Gotteswillen,
laß den Mut zurückkehren, folge einem unerbittlichen Regiment,
spiel nachts jemandem Streiche, zerschlage die Straßenlaternen,
streite Dich mit den Droschkenkutschern, leck die Stiefelputzer, sokratisiere
den Hund, diarrhoëiere in die Stiefel, piss aus dem Fenster, schrei
laut Scheiße, kacke, ohne Dich zu verstecken, laß laut Furze,
rauche viel und inhaliere tief. Geh in die Cafés und hau ab ohne
zu bezahlen, drücke Dellen in fremde Hüte, rülpse mitten
ins Gesicht der Leute, vertreibe die Melancholie und bedanke Dich bei
der göttlichen Vorsehung, denn das Jahrhundert, in dem Du geboren
bist, ist ein glückliches Jahrhundert. Eisenbahnen durchkreuzen das
Land 45,
es gibt riesige Rauchwolken und Regen aus schwarzem Ruß, Bürgersteige
aus Asphalt und Fußböden aus Holz, Zuchthäuser für
junge Strafgefangene und Sparkassen für die zahmen Verwalter, die
dort unverzüglich alles anlegen, was sie von ihren Vorgesetzten geklaut
haben. — M. Hébert 46
erhebt Anklagen, die Bischöfe schreiben Hirtenbriefe, die Huren besuchen
die Messe, die ausgehaltenen Mädchen sprechen wenigstens noch von
Moral und die Regierung verteidigt die Religion. Dieser unglückliche
Theophile Gautier, der von M. Faur der Immoralität beschuldigt worden
ist, man steckt die Schriftsteller ins Gefängnis und bezahlt für
die Pamphlete. Aber die Magistratur übertrifft die groteske Lage
am meisten, die Magistratur, sie beschützt die guten Sitten und fördert
die Attentate mit orthodoxen Ideen. Die Justiz amüsiert mich wirklich
noch am meisten, — ein Mensch, der über einen anderen Menschen
richtet, das ist ein Schauspiel, welches mir vor Lachen den Bauch zum
Platzen bringt, wenn der andere mir nicht gerade leid täte und ich
nicht gezwungen wäre, diese Serie von Absurditäten zu studieren
und zwar zugunsten jener, die richten. Ich kenne nichts Dümmeres
als das Recht, außer natürlich das Studium der Rechte. Ich
betreibe das Studium mit einer extremen Abscheu und es sticht mir ins
Herz und nimmt mir alle Sinne für den Rest. Mein Examen fängt
an, mich ein wenig zu beunruhigen, aber nur ein bißchen, ein bißchen,
nicht mehr als ein bißchen, ich überanstrenge mich nicht gerade
dafür. Na, jetzt kommt der Sommer zurück, das ist alles, was
ich brauche, damit die Seine warm werde und ich darin baden kann, daß
die Blumen gut riechen und die Bäume Schatten geben. — Kennst
Du die Grabinschrift von Heinrich Heine ? Hier ist sie : »Er liebte
die Rosen von Brenta 47«.
Das könnte auch gut meine sein, Grabinschrift des Garçon 48
: »Hier ruht ein Mann, der sich allen Lastern hingegeben hat«.
Oft zucke ich vor Mitleid nur noch mit den Schultern, wenn ich an all
das Schlechte denke, das wir uns antun, an all die Unruhe, die an uns
nagt, ob wir stark genug sind Erfolg zu haben und bekannt zu werden. Das
ist doch alles leer und bemitleidenswert !
À quoi bon toutes ces peines ?
Secouez le gland chênes,
Buvez de l´eau des fontaines,
Aimez et rendormez-vouz 49
[Was nutzen all diese Qualen ?
Schüttelt die Eicheln der Eichen,
Trinkt das Wasser der Quellen,
Liebt euch und schlaft wieder ein]
Einen schwarzen
Anzug tragen, von morgens bis abends, Stiefel besitzen, Hosenträger,
Handschuhe, Bücher, Meinungen annehmen, sich einen Weg bahnen, sich
einen Weg bahnen lassen, sich präsentieren, sich begrüßen
und erfolgreich sein, ah mein Gott !
Wo ist meine vorderarabische Küste,
wo der Sand aus Gold, das Meer blau ist und die Häuser schwarz sind.
Die Vögel singen in den Ruinen 50.
Ich kenne auch noch die Wege im Schnee;
die Luft ist frisch, der Wind weht und pfeift von den Wipfeln der Berge
herunter.
Der Hirte pfeift dort seinen streunenden
Ziegen hinterher, seine Brust ist weit und atmet tief, die Luft ist balsamiert
durch den Duft der Lärche.
Wer gibt mir die mediterranen Winde zurück
? denn nur an diesen Ufern öffnet sich das Herz, duftet die Myrte,
murmelt die Flut.
Es lebe die Sonne, es leben die Orangenbäume,
die Palmen, die Lotusblumen, Gondeln mit ihren Wimpeln, die mit Marmor
geschmückten Pavillons, deren Innenwerk die Liebe ausstrahlt !
O ! hätte ich ein Zelt aus Rohrstock
und Bambus am Ganges, wie lauschte ich jede Nacht den Geräuschen
der Strömung im Schilf und dem Gurren der Vögel, die sich auf
den gelben Bäumen niederlassen !
Aber im Namen Gottes ! Werde ich jemals
wieder auf dem Sand von Syrien spazieren gehen, wenn der rote Horizont
blendet, die Erde sich aus feurigen Spiralen erhebt und die Adler im brennenden
Himmel dahinschweben ? Werde ich jemals wieder die Totenstadt sehen, wo
die unter den Königsmumien nistenden Hyänen kläffen und
sich die Kamele, wenn der Abend kommt, nahe den Zisternen niederlassen
?
In diesen Ländern sind die Sterne viermal
größer als die hiesigen, die Sonne brennt, die Frauen dort
winden und pfropfen sich voll unter den Küssen, den Umschlingungen.
Sie haben an den Füßen, an den
Händen Armbänder und Goldringe, und Kleider aus weißer
Gaze 51.
Nur manchmal, wenn die Sonne untergeht, träume ich, daß ich
plötzlich in Arles ankomme. Die Dämmerung 52
erleuchtet den Zirkus und vergoldet die marmornen Grabmäler von Aliscamps
53,
und ich beginne meine Reise von neuem, ich gehe weiter, viel weiter, wie
ein Blatt, das vom Wind davongetragen wird :
Ah ! je veux m´en aller dans mon
île de Corse 54
Par le bois dont la chèvre en passant mord l´ écorce,
Par le ravin profond,
Le long du sentier creux où chante la cigale,
Suivre nonchalamment en sa marche inégale
Mon troupeau vagabond. 55
[Ah ! Ich möchte fortgehen auf meine
Insel Korsika
Durch den Wald, wo die Ziege im Vorbeigehen die Rinde beißt
Durch die tiefe Schlucht,
Entlang des muldigen Pfades, wo die Zikade singt,
Ich möchte ihrem gleichgültigen Gang nachlässig folgen
Mein Herde streicht herum.]
Das ist
eine schöne Sache, die Erinnerung, fast ein Verlangen, dem man nachtrauert.
Adieu, ich weiß nicht mehr so genau,
was ich sage. Ich habe geschrieben, als wäre ich am Ende. Ich werde
nächsten Monat nach Paris gehen und hoffe Dir eine ordentliche Gehirnwäsche
zu verpassen.
Ganz der Deine.
VIII
An Ernest Chevalier [Rouen, 21
Oktober 1842]
Du hast
gute Gründe, Dich vor den Unannehmlichkeiten Deiner Rückreise
zu fürchten. Es gibt mehr als ein Land, auf das sich das castillische
Sprichwort anwenden läßt : »Wer es nicht gesehen hat,
ist blind, wer es gesehen hat, ist geblendet«. Ich habe es durch
mich selbst erprobt, es ist nämlich die Liebe
der Sonne, während der langen Dämmerungen des Winters. Ich wünsche
Dir, daß sie Dir leichter seien als mir. Der abendländische
Spleen ist nicht possenhaft, crede ab experto 56.
Wann werde ich das Mittelmeer wiedersehen ? Sende ihm von mir all die
Küsse, die mein Herz enthält. Hast Du die Palmen in Toulon gesehen
? Antworte mir sofort und gib mir viele Details — Ich schreibe Dir
dies, den Rücken zum Feuer gekehrt, in Wolle gekleidet, die Pfeife
im Schnabel und bei geschlossenen Fenstern. Es ist viel schöner dort,
wo Du bist. Ich möchte gerne Maultiertreiber in Andalusien sein,
Lazzarone aus Neapel 57
oder einfach nur Postkutscher, der von Nîmes nach Marseilles fährt.
Warum kann ich nicht einfach nur in der Haut eines dieser Schiffer stecken,
der euch von der Santé 58
nach Chateau d´If fährt ! Die Bourgeois gehen nach Italien
! Ich glaube, daß Charles Darcel 59
sich grad in Konstantinopel aufhält. Sollte man nicht die dahinsiechen
lassen, die Bosporus 60
in ihrer Seele tragen ? Urteile nach der Parallele, die nun zwischen Dir
und mir existiert. Man gibt heut im Haus ein großes Abendessen,
an dem die Crépet teilnehmen werden. Was für ein Künstlerabend
! Glücklicherweise wird auch Vater Orlowski 61
da sein, der einzige Mensch, der die guten Speisen und die guten Weine,
mit denen wir die Ferkel verwöhnen werden, zu schätzen wissen
wird. Es stimmt, es sind immer die Schweine, die den Trüffel entdecken,
ihn aber nicht fressen. In fünfzehn Tagen werde ich nach Paris zurückkehren,
gegen den 10. November. Wann genau wirst Du dort sein ? Ich werde mich
bemühen, dort eine Unterkunft zu finden. Den ganzen Winter werde
ich dort verbringen, mich mit dem Aktenstudium belustigen. Mein Examen
im Dezembermonat wird der Anfang einer ganzen Serie von solch erfreulichen
Scherereien sein. Unwichtig, wir wollen zusammen einige kleine Pfeifen
rauchen und versuchen, uns die Existenz so angenehm wie möglich zu
gestalten.
Wenn Du willst, daß ich Dir eine interessante
Neuigkeit übermittle, dann werde ich Dir sagen, daß ich Filzläuse
hatte [...] und daß sie sich so vermehrt haben, daß ich drohte
eine zu werden [...] ich bin davon geheilt, aber ich kann nicht ermessen
ob endgültig 62.
Adieu, schreib mir, gute Reise [...] 63,
erinnere Dich daß Arles die Stadt der Langues Fourrées 64
ist.
Noch einmal adieu.
__________________
1 Entweder Narcisse Lormier,
Schwager von Flauberts Bruder Achille, oder Narcisse Crépet. weiter
im Text
2 Tuberkulose. Caroline,
1824 geboren, starb mit 21 Jahren im Kindbett weiter
im Text
3 Olympiade Parain, Nichte
von Gustavs Vater, verheiratet mit Louis-Théodore Bonenfant. weiter
im Text
4 butor, eigentlich
Bezeichnung für die Rohrdommel (mit der allegorischen Bedeutung Tölpel,
Flegel). Deren Ruf soll dem des Moorochsen ähneln, daher sie
auch mit dessen Namen benannt wird. weiter
im Text
5 Saint-Peray ist der Ort,
aus dem namentlich Flauberts Lieblingswein stammt. Durchs dankbare Städtchen
führt mittlerweile ein ›Boulevard Gustave Flaubert‹.
weiter im Text
6 Vis d’ange
bedeutet wortwörtlich Schraube des (eines) Engels oder Engelsschraube.
Als Spielerei liegt vidange (soviel wie Ausleerung)
oder vie d´ange (Engelsleben) nahe. weiter
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7 Bey ist ein türkischer
Titel : Herr, Beamter, Offizier. weiter im
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8 Sorsbey wortwörtlich
übersetzt : Hinaus Bey oder Geh raus Bey. weiter
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9 Wörtlich : auf´s
Meer Dey ! Ein Wortspiel liegt vor mit enmerder, soviel wie auf
die Nerven gehen, anpissen, anschiffen. weiter
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10 Eigentlich : sie
hängen von O-rang ab, sie kommen von O-rang. Da es sich um eine
›algerische Frage‹ handelt, ist hier an die algerische Stadt
Oran zu denken. Eine Übersetzung sie grenzen an O-rang ließe
die Nebenbedeutung ›Orang Utan‹, die Unterstellung nur äffischer
Intelligenz mitschwingen. Weiter könnte O-rang unter Berücksichtigung
des Bindestrichs auch au rang bedeuten. Ein Übersetzungsversuch
mit militärischer Note lautete dann : Die Franzosen in Afrika
sind sehr gebildet, sie halten (ihre) Reihen. weiter
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11 Im Original T[out]
à t[oi] , auch : Alles für Dich. weiter
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12 Von Flaubert eine halbe
Zeile gestrichen. weiter im Text
13 Der Satz lautet :
Pourtant la terre était belle elle le serait encore, les jours
sont beaux quand le soleil couchant les dore, la femme est toujours belle
quand un frisson d´amour la fait vibrer et trembler sous les baisers;
mais pour qui ? Eine wörtliche Übertragung (Doch die
Erde war schön, sie wäre es noch, die Tage sind schön wenn
die untergehende Sonne sie vergoldet ...) hält den kleinen Stolperkiesel
parat, daß dem deutschen Ohr ein Argument fehlt : Doch die Erde
war schön, sie wäre es noch, wenn nicht ... — so
etwa die Erwartung, die zudem genährt wird durch das temporal argumentierende
quand der folgenden zwei Perikopen, die Naturschönheiten (darunter
für Flaubert nicht nur Tage, sondern auch Frauen
fallen) ausführen. Nun schreibt Flaubert flüchtig, im Freien,
auf Knien, eine Auslassung, beabsichtigt oder nicht, ist möglich.
Schwer möglich aber, daß Flaubert mit Pourtant la terre
était belle elle le serait encore den vorhergehenden Absatz
zusammenfaßte und damit nochmaliger Erklärungen enthoben ist
: die Schilderungen behaupten dort eine ungeschmälerte Schönheit
von Erdphänomenen. Schlüssiger wohl, die Bewegung zum Defizitären
der Natur, die nicht vorgestellt wird als in der Natur selbst begründet
(denn sie wird überhaupt nicht vorgestellt), im Fehlen einer Subjektivität,
die die Erde adäquat wahrnähme, zu suchen, nämlich in der
satzabschließenden Phrase mais por qui — die Erde
wäre noch schön, gäbs noch jemanden, für den
sie es wäre und nicht bevölkert von lauter Lackaffen. Diesen
Gedanken abzubilden, ist die Vergewaltung der Interpunktion Flauberts
und die Wortumstellung ein Versuch. weiter
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14 Hymen ist neben
Jungfernhäutchen auch Ehe und deren personifizierter Gott. weiter
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15 Oder : Adieu, Scheiße/Pech
für mich. weiter im Text
16 Wenn es gefiele —
etwas dunkle Anspielung auf den ersten Gesang in Vergils Aeneas, 135 -142
: Quos ego — ! sed motos praestat componere fluctus ... Sic
ait et dicto citius tumida aequora placat (sprachs, und schnell, wie er
sprach, war die schwellende Woge beruhigt) — aufgenommen von
Racine in dessen Athalie, Akt V, Szene 5. weiter
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17 Einer der Schaffner der
Schnellpost zwischen Rouen und Andelys. weiter
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18 Ernests Großmutter.
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19 Der den Kindern Doktor
Flauberts gehörende Hund. weiter im
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20 Jean-Nicolas Bouilly
(1763-1842), verfaßte unter anderem das Libretto für Beethovens
Fidelio. weiter im Text
21 Tissot (1768-1842)
war Lateinprofessor, Vergilübersetzer und Mitglied der Académie
française. weiter im Text
22 Hier im Plural
— im Singular Langeweile, Melancholie, Überdruß, taedium
vitae : die zentrale Problemlage der Generation um Baudelaire und Flaubert
angesichts der dumpfen Fortschrittseuphorie. weiter
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23 Flaubert scheint
überrascht. Von der Übertragung des Wörtchens sage
hängt die Gewichtung ab, die Flaubert dem Umstand verleiht, daß
Ernests Lebenseinstellung in Paris eine Nuancierung erfahren hat. Sage
kann auch weise meinen, mithin das Urteil Chevaliers über die pariser
Ennuis (synonym der weltlichen Freuden) entweder als
abtrünnig frömmelnd oder aber als klug gewertet werden. Auch
das anschließende sie bleibt unklar, syntaktisch müßten
die weltlichen Freuden gemeint sein : steht abgeschmacktes Metropolendivertissement
also gegen exzessives Familienleben ? Man sollte es umgekehrt denken.
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24 en nous
foutant une culotte dans les règles, culotte qui sera sans revers.
Eine gleichfalls elegante Übertragung ergibt sich aus Nebenbedeutungen
von culotte (Rausch) und revers (Schicksalsschlag, Kehrseite,
üble Folgen) : indem wir uns nach allen Regeln der Kunst einen
Rausch antrinken, einen Rausch, der keinen Kater nach sich ziehen wird.
Die oben gewählte Hauptbedeutung ergibt sich, wenn man foutant
nicht von faire ableitet (einen Schlüfer machen),
sondern von foutre (ficken). Sans revers — ohne Stulpe
— sollte dann für die Folgenlosigkeit des Unterfangens stehen,
also etwa den Besuch bei einer Prostituierten, der weder lästige
Beziehung noch übertragbare Krankheiten nach sich zöge, bezeichnen.
In einem Brief vom 24. September 1846 an Louise Colet schreibt Flaubert
: Die Zeit ist weit, in der ich es mir zu einer Aufgabe machte, die
Silvesternacht regelmäßig bei Straßenmädchen zu
verbringen, um das Jahr einzuweihen. Allerdings war es zu jener Zeit mehr
eine Manie als die Verlockung der Lust. weiter
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25 Der Protestant
Guizot, hochgebildet, konsequent und doktrinär, seit der Julirevolution
1830 Innen- und Unterrichtsminister, versah von 1840-1848 das Amt des
Außenministers und Regierungschefs. Guizots ablehnende Haltung zur
Wahlreform war mitursächlich für die Revolution von 1848 (24.
Februar 1848 drang Flaubert zusammen mit den Aufständischen in die
Tuilerien ein). Der Aktualkonflikt zum Zeitpunkt von Flauberts Brief (für
den Orientfreund Flaubert — mit der oftbekundeten Neigung, sich
Sklaven zu halten — von besonderem Interesse) bestand darin, daß
Guizot die Entente Cordiale arg strapazierte, indem er die londoner
Übereinkunft zur Unterdrückung des Sklavenhandels, die England
das (im übrigen wechselseitige) Recht eingeräumt hätte,
französische Handelsschiffe zu kontrollieren, nicht unterzeichnete.
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26 Armand Allais,
Sohn von Flauberts Tante Allais de Pont-l´Évêque. weiter
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27 Horaz tut das
Liber X , 10 der Carmina. Auream quisquis mediocritatem diligit, der
bleibt fern vom Schmutz der morschen Hütte, bleibt, genügsam,
fern von mißgönntem Prunke fürstlichen Schlosses etc.
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28 Code Napoleon,
Gesetzesblatt. weiter im Text
29 Maîtres d´écriture,
auch Meister des Schreibens, Kalligraphen. Die Passage bleibt, wohl gleich
Chevaliers Handschrift, dunkel. weiter im
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30 Fouché,
der örtliche Steuereinnehmer. Flaubert hatte sich verschrieben. weiter
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31 Epikur. weiter
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32 Ernest bekam
zu lesen »ne point faire les Rois« (von Flaubert
kursiv). Das Tun der Könige steht für Heuchelei, wie
auch für ein Auswahlverfahren, das die miteinander spielenden Parteien
bei einem Kartenspiel für vier Personen bestimmt. Zu guter Letzt,
und genauso anrüchig : Faire les Rois ist die Bezeichnung
eines feiertäglichen Gebäcks. weiter
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33 Zeitschrift,
die ab 1833 erschien. weiter im Text
34 An dieser Verdichtung
hätte Freud Spaß gehabt. Der Herausgeber von Les Guêpes
(1839-1849), Alphonse Karr, war 1840 einem Attentat der Schriftstellerin
Louise Colet ausgesetzt gewesen, hatte Karr in den Guêpes doch
wahrheitsgemäß durchblicken lassen, Colet unterhielte ein Verhältnis
mit dem prominenten Hegelianer Victor Cousin. Diese Indiskretion quittierte
Colet mit einem Messerstich (les guêpes = Wespen) in Karrs Rücken
— ein Skandal, den erst Saint-Beuve wieder richten konnte. Der Autor
der Wespen ähnelt einem Fisch, weil er ein carlet (Colet),
ein Karr-laid (Karr der Häßliche, der Verunstaltete)
ist. Erschwerend kommt hinzu, daß carrelette eine seltsam
unförmige Goldbarschvariante heißt. Mit Colet ging Flaubert
fünf Jahre später die langanhaltendste Liaison seines Lebens
ein. weiter im Text
35v Vaudeville-Autor
Nicolas Brazier (1783-1835) : brasier ist die Feuersbrunst. weiter
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36 mis en trope.
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37Doktor Motte
aus Andelys, Onkel von Ernest Chevalier. weiter
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38 Adresse des
Hôtel de´ l Europe. weiter im
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39 Von Flaubert
zwei Worte gestrichen. weiter im Text
40 Chameau
steht im Argot für eine vieille courtisane, eine alternde
Kurtisane. weiter im Text
41 1812 geborene
romantisierende Dichterin und Sängerin, die kurz in der pariser Szene
aufblitzte und Gustave Lemoine heiratete. Flaubert verschrieb ihren Vornamen
zu Luisa. weiter im Text
42 Bâtin
ist das Unsichtbare (Zâhir das Sichtbare), es handelt sich hierbei
um Begriffe aus dem Islam. weiter im Text
43 Aus Victor Hugos 1838
erschienenen Drama Ruy Blas, Akt IV, Szene 5. Ein Hidalgo ist
ein Mitglied des niederen spanischen Adels. weiter
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44 1580 besuchte
Montaigne den wegen Wahnsinns internierten Tasso. Der von Flaubert zitierte
Reflex auf diese Begegnung findet sich im zweiten Buch der Montaigne-Essays,
Kapitel 12 : Ich empfand mehr Aergerniß als Mitleiden, da ich
ihn zu Ferrara sich in einem so erbärmlichen Zustande selbst überleben
sahe, so, daß er weder sich noch seine Werke kannte, die ihm unwissend,
und dennoch vor seinen Augen, unverbessert und ungestalt heraus gegeben
worden sind (in der Übersetzung von Tietz). weiter
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45 Lyon-Saint-Étienne
1823, Paris-Versailles und Paris-Saint-Germaine 1835, Montpellier-Sète
1836, Strasbourg-Bâle 1838 weiter im
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46 Michel-Pierre-Alexis
Hébert, Oberstaatsanwalt 1841 und Justizminister 1847. weiter
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47 In Heines Reisebildern
II, Ideen — Das Buch Le Grand heißt es Kapitel IV : Ein Baum
wird mei nen Grabstein beschatten. Ich hätte gern eine Palme, aber
diese gedeiht nicht im Norden. Es wird wohl eine Linde sein ... Wenn aber
späterhin der Liebende sein Mädchen verloren hat, dann kommt
er wieder zu der wohlbekannten Linde, und seufzt und weint, und betrachtet
den Leichenstein, lang und oft, und liest darauf die Inschrift : —
Er liebte die Blumen der Brenta. weiter
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48 Garçon,
Junggeselle, junger Mann.. Eine literarische Figur, deren, wie Helmut
Scheffel schreibt, Rolle Flaubert und seine Freunde schon ab 1832 bei
allen möglichen Gelegenheiten spielten. In ihr ist zuerst der Typus
des Bourgeois verkörpert, der ständig Gemeinplätze im Mund
führt und überkommene Ideen, idées reçues, von
sich gibt. Schließlich werden ihm auch alle möglichen Späße
angedichtet, und mehr und mehr erhält er rabelaishafte Züge.
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49 Auch in Flauberts
Reisetagebüchern, Pyrenäen, Eintrag Bagnères-de-Luchon,
15. September 1840. weiter im Text
50 In nur wenig
anderen Worten (je pensais à Fontarabie, à son soleil
et à ses ruines) in den Reisetagebüchern Über
Feld und Strand. weiter im Text
51 Zeitgleich saß
Flaubert an Novembre. Vorliegender Orient-Passus ähnelt
dem, was der Held in Novembre — kurz vor Abbruch des von
Freundeshand posthum veröffentlichten Manuskripts — phantasiert.
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52 Siehe Reisetagebücher
Über Feld und Strand die Rückreise nach Nîmes.
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53Berühmter
römischer Straßenfriedhof bei Arles. weiter
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54 Auch hier ein
Wortspiel, zumindest ist im la chèvre en passant mord l’écorce
auch la chèvre en passant mord les corses, was soviel
heißt wie die Ziege im Vorbeigehen die Korsen beißt,
hörbar. weiter im Text
55 Théophile
Gautier, La Comédie de la mort. weiter
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56 Glaube einem
Kenner. weiter im Text
57 Bettler/Gelegenheitsarbeiter
aus Neapel, dem irgendwie das Klischee anhaftet, immer Maccaroni zu essen
— und auch nichts anderes zu wollen. weiter
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58 Santé
steht auch für die Gefängnisse in Frankreich. weiter
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59 Bruder Alfred Darcels,
1820 in Rouen geboren, Direktor einer Gobelinmanufaktur. weiter
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60 le bosphore,
der Bosporus, griechisch
(Ochse) und
(Durchgang). weiter im Text
61 Orlowski war
ein nach Frankreich emigrierter polnischer Komponist und Pianist. weiter
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62 Sechs Zeilen
gestrichen. weiter im Text
63 Eine Zeile gestrichen.
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64 Langue Fourée
ist ursprünglich ein Gericht (Zungenfleisch in Teigtasche) und Arles
berühmt für die charcuterie und seinen saucisson.
Aber auch ein Gebäck (süßer Teig mit Schokopudding und
Sahne gefüllt) — aber auch eine Kußtechnik, die Zunge
verwickeln. weiter
im Text
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