Maßnahmen gegen Igor
Martin Jordan 1. 10. nachmittags Wie froh
bin ich, daß ich weg bin ! Haha ! Was hingegen das Herz des Menschen
angeht, bin ich immer noch nicht weiter gekommen als diese 500 Kilometer
im Fiat Panda, den ich übrigens immer wieder anschieben mußte,
aber das Ding wiegt ja auch nichts, man kann einfach an der A-Säule
anfassen, schieben und reinspringen. Wirkt natürlich kurios und geht
auf den Rücken. Wie der man getate, abends (relativ spät) Weil ich dem kaum etwas hinzuzufügen hatte, ging ich in die Kneipe am Strand, die zu dieser Jahreszeit eine Art von Notbetrieb aufrecht erhält. Das Bier der Wahl heißt Grolsch, schales Aroma und muffig im Abgang. Wirkt aber. Habe sogar mit einer Touristin aus NRW gesprochen, großzügig ausgelegt vermutlich sogar geflirtet, Typ Strandläuferin, Taschen voller Steine und Federn zur späteren kunsthandwerklichen Verwendung. Lässt sich durchpusten, sagt sie, komme nach Trennung vom Partner (früher oft gemeinsam hier gewesen) nunmehr allein her. Nein, nicht Nostalgie und sie wolle ihn auch nicht wieder. Obwohl. Grolsch, Grolsch, Grolsch. Behauptet, Schiffe am Horizont führen in die Ewigkeit oder erweckten zumindest diesen Eindruck. Ich bemühe mich um Sachlichkeit und sage was von Antwerpen. Grolsch, Grolsch. Ich räume die Sache mit der Ewigkeit ein. Obwohl. Sie baut Steine, Muscheln und Federn auf und erzählt was dazu. Nicht ganz untalentiert. Die Sprache kommt wieder auf den Partner, hat was mit Gewerkschaft und/oder SPD zu tun, hat sich aber zu seinen Ungunsten verändert. Wieso aber, frage ich. Grolsch, Grolsch. Sie ist blond und durchgepustet, wir sind beide gut angegrolscht, ich denke daran, sie abzuschleppen, verwerfe das aber. Zumindest, hätte ich es getan, würde ich Dir nicht darüber schreiben. Bester Freund, was ist das Grolsch des Menschen ! Bin schließlich zum Arbeiten hier, auch wenn es noch nicht danach aussieht. So, zu Bett, ich suche mir das gästemäßigste der sechs Betten aus. Das Licht geht nicht bzw. erst ja und dann plötzlich aus und bewahrt mich so vor dem Lexikon. 2. 10. mittags Es ist warm hier, einige Wahnsinnige baden sogar. Sie wollen den Herbstferien alles abzwingen. Ich wandere am Strand entlang, sammle sogar einen Stein und eine Feder. Die Touristin aus NRW, die ich irgendwie zu treffen gehofft hatte, ist nicht da. Ich laufe nach Domburg, esse etwas und laufe zurück. Alles, um nicht mit der Arbeit anfangen zu müssen. Heute kein Grolsch, sondern ayurvedischen Tee, Du siehst also, ich schrecke vor nichts zurück. Rasen gemäht mit einem Spielzeug von elektrischem Rasenmäher. nachmittags Die Arbeit
: ich sehe es als Arbeit an, obwohl es das gar nicht ist. Ich will Briefe
schreiben, drei Briefe an verschiedene Personen, die ich aus meinem Leben
streichen möchte. Kürzlich habe ich nämlich gelesen, man
solle seinen Bekanntenkreis von Zeit zu Zeit ebenso rigoros durchforsten
wie seinen Kleiderschrank und alles Unnötige, allen textilen wie
humanen Ballast, einfach entsorgen. Trage ich das noch ? Gefällt
mir das noch ? Kommt das wieder in Mode ? Bringt der Typ mir noch was
?, seien die Fragen, die man stellen solle. Wie entledigt man sich
aber unfruchtbarer Bekanntschaften, wenn nicht nach dieser Methode ? Sich
nicht mehr melden ? Anrufbeantworter abschalten ? Einen Streit vom Zaun
brechen ? abends Ruf hier nicht an, Blödmann ! Dumm von mir, das Telefon mitzunehmen. Jetzt ist es jedenfalls ausgeschaltet. Aber es stimmt natürlich, dass ich mir selbst am meisten weh tue mit diesen Briefen. Kleine masochistische Ader ? Nachher geht´s los. später Grolsch, Grolsch, Grolsch. Ich tue wirklich alles, um nicht anfangen zu müssen. noch später Am Strand entlang bis ich weiß nicht wie weit. Keine Federn, keine Steine. Die Schiffe fahren nach Antwerpen, und von dort aus vermutlich in die Ewigkeit, um illegal die Tanks zu spülen. Keine NRW-Touristin, die ich mit dieser Idee nerven könnte. Das Lexikon ist von 1964. 3. 10. morgens Schon der
dritte Tag ! Noch nichts geschafft ! Aber Brot und alles eingekauft, einschließlich
Grolsch, das es auch aus der Flasche gibt, in allen möglichen Varianten.
Zeit, Verkündigerin der besten Freuden, Weil ich dem nun wirklich nichts mehr hinzuzufügen hatte, habe ich endlich das Notebook aus dem Panda geholt (Stimmengewirr : Was, erst am dritten Tag ? Wie überaus unvorsichtig von dir, zwei Tage lang noch nicht mal das Notebook aus dem Panda zu holen und dann die Kiste noch nicht mal abzuschließen !), denn so theatralisch, handgeschriebene Abschiedsbriefe zu versenden, bin ich nun auch nicht. Und es ist ja auch deutlich anstrengender. Und die Adressaten sind ja eben nicht mehr so wichtig, daß ich mir die Mühe freiwillig machen würde. Obwohl, alle schreien immer, was ich für eine schöne Handschrift habe und daß es eine Freude sei, einen handgeschriebenen Brief von mir zu bekommen. Will keine Freude bereiten, will abservieren, Schluß machen, einen Strich ziehen. Und zwar in Times New Roman. mittags Salat schnippeln entfällt in Holland, kann man fertig geschnippelt in Zellophan kaufen und muß nur noch eine halbe Flasche Thousand Islands darübergießen. Indonesisches Fertiggericht hinterher, fertig. Sehr scharf auf Erdnuß- und Hühnerbasis. Für abends projektiert : Brot mit Gouda und ayurvedischem Geist-Tee. Bin albern und stelle mir ein Gespenst vor, mit Bettlaken und Kettengerassel. Da kann der Tee eigentlich nichts mehr bewirken. Es ist bekannt, was drin ist, nicht aber das Mischungsverhältnis. Sind enorm sensible Dinge im Ayurveda; die richtige Mischung befreit den Geist und ist sagenhaft teuer. Versucht man eine eigene, preisgünstige Mischung, erhält man wahrscheinlich wirklich den Gespenst-Tee und wälzt sich in Alpträumen. Fast einen Liter Vla runtergekippt, irgendwie bulimisch, nun bin ich so vollgefressen und müde, dass ich den ersten Brief besser auf abends verschiebe. nachmittags Die NRW-Touristin ist noch da. Hängt am Arm eines Barbourjackenträgers, der gefährlich nach SPD und/oder Gewerkschaft aussieht. Aha, also nur ein kleiner probeweiser Ausbruch, ein erfolgreiches Experiment mit weiblichem Magnetismus : er ist tatsächlich hinterhergefahren. Ein vernünftiger Passat Kombi TDI mit Funktionär am Steuer fährt mit verhaltener Geschwindigkeit von, sagen wir, Leverkusen nach Holland, wo die Strandläuferin schon halb und halb wartet. Romantisch ist das, jawohl, auf eine gewisse randlose, stirnglatzige Art romantisch. Ich klopfe mir innerlich auf die Schulter, weil es vorgestern beim Grolsch geblieben ist. Was hätte das sonst für ein Durcheinander gegeben. Bezweifle unter diesen Umständen allerdings auch, daß sie sich überhaupt hätte abschleppen lassen. So viel nachzudenken und zu beobachten ! Meine Motivation, die Briefe zu schreiben, sinkt ein bißchen. abends Panda und
ich sind über Land gefahren und sogar geblitzt worden. nachts Will pfiffig sein und die Strandkneipe meiden. Gehe in das andere zu Fuß erreichbare Lokal und laufe geradeswegs den Leverkusenern in die Arme. Kein Gruß, kein Grolsch. Diesmal Kaffeevariationen. Das Paar unterhält sich angeregt, hat auch schon recht viel getrunken. Das wird, wenn kein Streit oder sonstiges falsches Wort dazwischen kommt, im Bett enden. Er raucht und sieht so aus, als habe er damit gerade wieder angefangen. Auch das ist romantisch und wird sie gerührt haben. *** |