Martin Grotjahn, Beverly Hills
Rauchen, Husten, Lachen und Beifall
Eine vergleichende
Studie zur Symbolik des Atmens
In einer
bemerkenswerten Arbeit, die kürzlich im Journal of the American
Psychoanalytic Association (Band 17, Oktober 1969) erschien, brachte
Eli Marcovitz eine relativ kurze, aber scharfsinnige Studie über
die Sucht des Zigarettenrauchens. Er ging von der Beobachtung aus, daß
manche Menschen sich in Anwesenheit von Fremden an Zigaretten wie an eine
Mutter klammern. Ein wesentlicher Faktor, der das Rauchen zu einer Sucht
stempelt, liegt in der Bedeutung, die dem tiefen Inhalieren des Rauches
beigemessen wird, was bisher in allen analytischen Versuchen, die Dynamik
des Rauchens zu erklären, unbeachtet blieb. Tiefes Inhalieren, Exhalieren
des Rauches und Sichtbarwerden bestimmen die respiratorische Introjektion,
auf die Extrajektion (oder Projektion) folgt. Dem Raucher werden durch
die tiefe Inhalation innere Ich-Grenzen deutlich und lustvoll spürbar.
Sie füllt seine innere Körperleere. Rauchen — mehr als
Essen — bewirkt ein Empfinden von inneren Grenzen und Selbstgefühl.
Die Bewahrung dieser inneren Grenzen erweitert und vertieft die narzißtische
Besetzung des eigenen Selbst. Es ist, als ob der Mensch jetzt intensiv
fühlt : das bin ich, hier und jetzt. Das Ausstoßen des Rauches
macht den Atem sichtbar (wie wir später sehen werden, macht Lachen
Atem hörbar). Sieht man sein Selbst in der Form des eigenen ausgestoßenen
Rauches, so ist dies eine Bestätigung der eigenen Existenz (wie das
Hören des eigenen Lachens eine entsprechende Bestätigung ist).
Es findet sich eine Reihe von Hinweisen
auf die Dynamik und Symbolik des Atmens in der psychoanalytischen Literatur.
Fenichel z .B. diskutierte in seiner Untersuchung über Sigmund Freuds
Wolfsmann auch die respiratorische Introjektion. Fenichel meinte —
wenn der Wolfsmann ausgeatmete Objekte fürchtete, so müsse er
sie zuvor durch Inhalation inkorporiert haben.
Rauchen ist ein Austausch zwischen Teilen
des Selbst und Teilen der Außenwelt. Hierin dürfte der Grund
für die entspannende und gleichzeitig anregende Wirkung des Rauchens
liegen : es vereinigt den inneren mit dem äußeren Menschen,
indem es ein kurzzeitiges Gefühl von Ruhe bringt, dem dann eine Illusion
von Kraft folgt, die oft als Anregung zum Handeln empfunden wird.
Es gibt einen weiteren Grund, warum Rauchen
gleichzeitig anregt und beruhigt : Rauchen scheint symbolisch eine respiratorische
Introjektion des guten und mächtigen Objektes darzustellen; es bringt
die Ruhe des Triumphes und die Anregung zu neuen Taten — fast als
sei man neugeboren. Der gewöhnliche Atemvorgang reicht nicht aus
für Menschen, die rauchen oder gar süchtig danach sind. Das
Inhalieren des Rauches scheint den Akt des Atmens zu bekräftigen
und die Gefahr des Erstickens aufzuheben, das symbolisch einen Verlust
des Liebesobjektes darstellt wie im Asthma. Inhalieren des Rauches fördert
das illusionäre Erleben der Introjektion. Das Liebesobjekt, das verloren
geglaubt, da es nicht mehr sichtbar war, wird nun wieder gesehen und ›tief
empfunden‹ im wahrsten Sinne des Wortes.
Die ›respiratorische Trias‹
— wie Marcovitz es nennt — besteht aus Inhalation, Exhalation
und Sichtbarmachen. Sie befriedigt das Bedürfnis, die inneren Ich-Grenzen
zu fühlen durch Inhalation, die die Introjektion des Liebesobjektes
symbolisiert und die Angst vor dem Ersticken verringert. Die respiratorische
Exhalation, sichtbar gemacht im Rauch, symbolisiert eine Art Projektion
des gefürchteten Introjekts.
Eine klinische Beobachtung
Vielleicht
kann ich die Interpretation von Marcovitz illustrieren mit folgender klinischer
Beobachtung am eigenen Erleben. Ich war Raucher, mochte es aber nie sehr
gern und reagierte oft heftig darauf in einer Weise, die seit mehreren
Generationen in meiner Familie konstitutionell bedingt zu sein scheint.
Öfter versuchte ich — aber nie mit Erfolg — das Rauchen
einzustellen. Ich habe den Eindruck, daß Menschen, die mit irgendeiner
Art von Allergie auf Rauchen reagieren, gerade diejenigen sind, die süchtig
werden können.
Als meine Frau und ich von unserem ersten
Deutschland-Besuch nach dem zweiten Weltkrieg zurückreisten, kreiste
unser Flugzeug über New York, das aussah wie der sternenübersäte
Himmel zu unseren Füßen. Wir hatten das Gefühl, als schwebten
wir zwischen unserer Vergangenheit in Deutschland und unserer Gegenwart
und Zukunft in Amerika. Wir waren beide erstaunt, daß wir kein Heimweh
nach der Vergangenheit empfanden und daß wir sehr froh waren, wieder
in Amerika zu sein. Während sich das Flugzeug vom Himmel herab zur
Mutter Erde senkte, drückte ich meine Zigarette ›zum letzten
Mal‹ aus und dachte : Ich will nie wieder rauchen, sobald ich meinen
Fuß auf amerikanischen Boden setze. Zu meinem Erstaunen erfüllte
sich dieser Vorsatz. Ich würde es mir gern als Verdienst anrechnen,
die Willenskraft gehabt zu haben, das Rauchen aufzugeben; aber es ist
kein Verdienst, da ich es aufgab ohne inneren Kampf oder willentliche
Anstrengung. Die Gewohnheit fiel einfach von mir ab, so als hätte
ich eine leergegessene Konservendose fortgeworfen.
Ich hatte die Vergangenheit abgetan und
wollte das Introjekt der Gegenwart und Zukunft in mir behalten. Die Vergangenheit,
ein ›böses Introjekt‹ oder zumindest ein schwer konfliktbeladener
Komplex von Introjektionen, war ›zum letzten Male‹ ausgestossen
worden, war sichtbar extrojiziert und für immer beseitigt.
Dies geschah vor zwanzig Jahren, und ich
habe seither nie mehr geraucht und kaum mehr eine Versuchung verspürt.
Ich vollziehe noch jetzt das ›erleichterte Aufatmen‹, wenn
ich an das Ende denke. Ich wünsche mir oft, den Patienten helfen
zu können, die das Rauchen aufgeben müssen oder wollen und es
nicht schaffen; denn ich betrachte Rauchen jetzt als ein häufiges
Symptom einer schweren Selbstzerstörung.
Es ist von symbolischer Bedeutung, daß
dies alles in der Luft geschah, sozusagen schwebend zwischen Europa und
der neuen Welt, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Vergangenheit
löste sich in Rauch auf. Das Erlebnis der Einwanderung war nun integriert
und die Neugeburt akzeptiert — fünfzehn Jahre, nachdem es sich
tatsächlich vollzogen hatte.
Husten
Niemand
raucht heutzutage in der Kirche; Weihrauch jedoch ist zulässig. Der
duftende Rauch scheint die Nähe der heiligen Inspiration zu symbolisieren.
In der Prä-Columbianischen Kultur war Rauchen zunächst ein religiöses
Ritual — wie der Rauch verbrannten Opfers zu allen Zeiten den Göttern
wohlgefällig war. Eine Zigarre, die man den Freunden des neugeborenen
Kindes überreicht, dürfte dem gleichen Zweck dienen. Sie soll
helfen, den Fluch des bösen Blickes ›in Rauch aufgehen‹
zu lassen und das Kind vor seinem Angriff zu schützen. Man soll auch
in der Kirche nicht husten — vielleicht weil man annimmt, in der
Gegenwart des Heiligen keine bösen Introjekte ausstoßen zu
müssen.
Husten bedeutet jedenfalls das Ausstoßen
von Fremdkörpern, die in die Atemwege geraten sind. Der Husten ist
das physiologische Modell für das Ausstoßen durch Exhalation.
Hysterisches Husten klingt oft wie eine Warnung : hier komme ich —
ihr seid gewarnt ! Nervöses Husten hat für mich wiederum den
Charakter einer gezwungenen Exkorporation — wie z. B. beim allergischen
Husten.
Lachen
Die weitere
Anwendung der Überlegungen von Eli Marcovitz über die respiratorische
Introjektion durch Inhalieren, das zu erhöhter Wahrnehmung der inneren
Ich-Grenzen führt, gefolgt von Projektion durch Exhalieren, und (drittens)
über die Bedeutung des Sichtbarwerdens dieser Prozesse beim Rauchen
kann uns neue Ansätze zu einem tieferen und mehr spezifischen Verständnis
des Lachens bieten. Bisher blieben alle psychoanalytischen Beiträge
zum Verständnis der Dynamik des Lachens nur Variationen und Neudefinitionen
des Grundkonzeptes von Sigmund Freud, wie es in seiner klassischen Arbeit
›Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‹ (1905)
niedergelegt ist.
Vielleicht kann die Analyse eines Witzes
ein vertieftes Verständnis des Lachens bringen, wenn man Marcovitz´
Gedanken über das Rauchen darauf anwendet. Beim Analysieren eines
Witzes folgen wir dem Beispiel Freuds, der ein ausgezeichneter Kenner
von Witzen war : Die erste Hälfte einer Kritzelei an der Wand einer
Herrentoilette eines Colleges heißt ›My mother made me a homosexual
...,‹. Beim Anhören dieser ersten Hälfte des Satzes werden
wir aufmerksam : wir sehen vor uns die Inschrift an der Wand und werden
leicht defensiv im Sinne eines Zurückweisens des Witzes für
den Fall, daß er uns in einem empfindlichen Bereich verletzen könnte.
Bei weiterer Überprüfung haben wir auf dem Hintergrund unserer
inneren visuellen Vorstellung das introjizierte Bild der bösen Mutter
und ihrer Kastrationsdrohungen erblickt. Wir spüren dunkel den Fluch,
ein Homosexueller zu sein, und empfinden alles das, worüber Portnoy
in seinen Masturbationsphantasien klagt. Dies ist also die Phase einer
sichtbaren, auditorischen Introjektion analog der respiratorischen Introjektion
während des Rauchens. Mittlerweile sind diese Bilder zu lebenden
Repräsentanten geworden, die verknüpft sind mit Bildern unserer
visuellen Vergangenheit (Bertram Lewin).
Jetzt gebe ich den zweiten Teil unseres
Beispieles. Unter dem Satz ›My mother made me a homosexual ...‹
stand in einer anderen Handschrift : ›Given enough wool would she
make me one too?‹.
Lachen symbolisiert hier die Befreiung von
einem Schwarm böser Introjekte. Man läßt sozusagen die
Katze aus dem Sack. Während man bei der ersten Hälfte zuhört,
werden alle Arten visueller innerer Introjekte aktiviert. Im zweiten Teil
des Witzes werde sie freigelassen, ausgeatmet wie Rauch, extrojiziert.
Während Rauch sichtbar ist, ist Lachen hörbar. Das Ergebnis
ist das Gefühl des Befreitseins, frei von diesen bösen Introjekten,
die zu Beginn der Geschichte wachgerufen wurden, frei wenigstens für
eine Zeitlang.
Die gebräuchliche Freudianische Interpretation
über ein plötzliches Freiwerden angestauter Feindseligkeit,
kombiniert mit gewissen Formen infantiler Lust, über die Ersparnis
von Verdrängungsenergie, die symbolische Einkleidung und soziale
Bildung, über die Befreiung von nicht länger verdrängter
Feindseligkeit und schließlicher Aufhebung des Verdrängungsaufwandes
im Lachen bleibt gültig. Durch die Anwendung der auditorischen Introjektion,
die zu lauter exhalatorischer Projektion führt, wird das Verständnis
der Dynamik des Lachens vertieft. Sie erklärt jetzt die symbolische
Bedeutung des Lachens, während seine Dynamik seit Freuds klassischer
Arbeit schon bekannt war. Die Symbolik der Introjektion und Extrojektion
kann uns helfen, die spezifische unbewußte symbolische Bedeutung,
die im Akt des Lachens liegt, zu interpretieren. Die bei der Rauchsucht
so wichtige visuelle Wahrnehmung wird ersetzt durch die akustische beim
Anhören des Witzes — sozusagen während man ihn ›in
sich aufnimmt‹. Die visuelle Wahrnehmung des ausgestoßenen
Rauches ist ersetzt durch die akustische im Hören des Gelächters.
Das Erfassen innerer Ich-Grenzen, das in der Analyse der Rauchsucht eine
zusätzliche Bedeutung hat, findet sich auch beim Lachen : wir realisieren
es in Ausdrücken wie ›sich vor Lachen die Seiten halten, den
Bauch halten‹ oder ›ich sterbe fast vor Lachen‹. Wenn
der Mensch lacht, fühlt er sich innerlich gut.
Ein weiteres Beispiel mag dazu dienen, die
Frage zu beantworten : warum gerade Lachen ? und warum nicht irgendein
anderes Ausdruckssymbol ?
Eine der heitersten, komischsten und in
höchstem Maße Lachen bewirkenden Szenen, die ich je gesehen
habe, war ein russischer Clown oder Tänzer des Bolshoi-Theaters :
auf der Bühne erschienen augenscheinlich zwei kleine Jungen, die
in einen heftigen, aber sich langsam bewegenden Kampf miteinander verwickelt
waren; sie stießen sich, schoben sich hin und her, zogen, zerrten
aneinander, standen ineinander verschlungen und schaukelten langsam vor
und zurück, fielen fast von der Bühne in den Orchesterraum.
Die stumme Szene erzeugte einen enormen Andrang latenter Introjekte, der
begleitet war von einem verstärkten Erfassen innerer Ich-Grenzen
infolge der Aktivierung vieler verschiedener wiederbelebter latenter Bilder
: der Zuschauer sah Jakob, der mit seinem Gott ringt; Kain, der Abel erschlägt.
Ich erlebte vage die Liebe und den Kampf mit meinem jüngeren Bruder
in der frühen Kindheit. Ich identifizierte mich mit jeder Einzelheit
der beiden Jungen, um das Bild ganz in mich ›hineinzutrinken‹.
Ich war fasziniert von der langsamen tänzerischen Auf- und Ab-Bewegung
des Kampfes.
Dann aber kam es jedem und auch mir allmählich
zu Bewußtsein, daß diese zwei kleinen Jungen ein einziger
riesenhafter Mann waren, der sich plötzlich aufrichtete, sich gewissermaßen
entfaltete und sich in seiner vollen Ganzheit zeigte. Ganz plötzlich
konnten alle bösen Introjekte, alle Ambivalenz, all die vielen aktivierten
und belebten Bilder aus ihrem Kerker befreit und erlöst werden. Übrig
blieb mir, mir — scheinbar unendlich — vor Lachen die Seiten
zu halten.
Hier können wir die visuelle Introjektion
der Szene beobachten, die dann führt zu Gewahrwerden und Ausfüllen
der inneren Ich-Grenzen, dann gefolgt wird von einem schockartigen Erstaunen,
wenn die visuelle Wahrnehmung das Ausstossen aller inneren Dämonen
im Lachen zuläßt.
Noch deutlicher wird der symbolische Charakter
des Vertreibens böser Dämonen, wenn wir das schallende Gelächter
analysieren, mit dem in einem Kindergarten anale Geräusche aufgenommen
werden. Die Ausstoßung teuflischer Dämonen wurde in mittelalterlichen
Illustrationen oft dargestellt durch diese anale Version des Lachens.
Der Flatus ist der Vorläufer des Lachens, bei dem man sich den Bauch
halten muß.
Das letzte Beispiel ist ein Aphorismus,
der David Frost zugschrieben wird. Er beginnt mit den Worten ›Gott
ist der Mann‹. In diesem Moment der hörbaren Introjektion sehen
wir Gott als Mann vor uns. Vielleicht können wir sagen, wir illustrieren
die Gehörswahrnehmung mit einer inneren visuellen Wahrnehmung von
Bildern auf einer inneren Leinwand. Das Erfassen dieser Bilder ist das,
was wir eigentlich ›Ein-Sicht‹ nennen.
Alle Arten bedrohlicher Introjekte werden
aktiviert : Gott, der Mann, die Autorität, Jehova, Moses, Michelangelo,
Sigmund Freud. Das visuelle Bild erscheint alt, unergründlich, drohend,
allwissend, allmächtig und unbekannt, da eine Definition in Aussicht
gestellt, doch noch nicht gegeben ist. Der Aphorismus wird dann in der
zweiten Hälfte fortgeführt und zum Abschluß gebracht :
›Gott ist der Mann — der die Königin erhält‹
(›God is the man who saves the Queen‹).
Alle Geister der infantilen Introjektion
sind plötzlich zerstört. Wir sind von ihnen befreit und wie
Fledermäuse fliegen sie aus uns heraus laut lachend wie die Teufel,
die Jesus dem Besessenen austrieb und in die vierzig Säue fahren
ließ, die sich im Meer ertränkten.
Zusammenfassung über das Lachen
Eli Marcovitz´
orale Trias der Zigarettensucht : Inhalation (respiratorische Introjektion,
Erfassen der inneren Ich-Grenzen), Exhalation (Projektion von Introjekten)
und Sichtbarwerden (in unserem Fall : akustische Wahrnehmung) findet ihre
Parallele in der Dynamik des Erlebens des Lachens. Visuelle oder auditorische
Introjektion (des ersten Teiles der Geschichte oder des Witzes oder des
Aphorismus) aktiviert die inneren Ich-Grenzen (die symbolische Bedeutung
des Witzes beginnt wirksam zu werden); das explosive Lachen setzt die
bösen Introjekte durch Exhalation frei. Das Sichtbarwerden des Rauchens
wird ersetzt durch die Gehörswahrnehmung des Lachens. Die ›Pointe‹
des Witzes befreit und schüttelt böse und bedrohliche Introjekte
ab und exhaliert sie in Form von Gelächter. Das ist es, was wir meinen,
wenn wir sagen : Lachen befreit. Es ist die Freiheit von bösen Introjekten,
und wir fühlen uns danach reiner und besser. Dies ist vielleicht
das Wesen des passiven künstlerischen Erlebens.
Beifall
Es wäre
leicht, Beifall anzusehen als eine laute, mechanische oder motorische
Imitation des Lachens : zögernd, geräuschvoll, vermischt mit
anderen Geräuschen der Zuhörer, arrangiert, imitiert oder sogar
gekauft. Wendet man die Prinzipien der respiratorischen Introjektion und
der befreienden Exhalation böser oder bedrohlicher Introjekte jedoch
auf das Beispiel des Beifallklatschens an, so führt dies zu einem
tieferen Verständnis. Es scheint als sei Applaus eine magische, mystische,
ritualistische Geste, um gerade erlöste Dämonen abzuwehren und
sie davonzujagen, durch das Ritual des Geräuschemachens. Wir applaudieren
aus Dankbarkeit für die Befreiung und demonstrieren dies, indem wir
dem bösen Geist einen geräuschvollen Abschied bereiten.
Ich habe mich oft gefragt, warum Beifall
besonders laut, lang und ungezügelt enthusiastisch ist nach musikalischen
Darbietungen jeder Art, von klassischer Musik über Solo-Gesang bis
hin zu Rock´n-Roll. Dieser besonders ungestüme Enthusiasmus
ist nur teilweise bedingt durch die aufgezwungene ›Toten‹-Stille
beim Zuhören (wie es symbolisiert ist durch die Ermahnung einer Mutter
an ihre Kinder, die auf dem Weg ins Konzert sind : ›Und klatscht
nicht, ehe nicht Herr Bernstein Euch das Zeichen dafür gibt !‹).
Neben diesem Aufschub gibt es noch eine tiefere Bedeutung für dieses
Phänomen : Musik ist die reinste, ästhetischste, fast mathematisch
konstruierte ästhetische Form der Schönheit. Ich meine, jede
Schönheit — sei es in Träumen, in Erlebnissen des Lebens
oder in großer Kunst — führt zu einem Erlebnis des Todes.
Im Erleben reiner Schönheit folgen wir dem Künstler bis ›an
das Ende der Nacht‹. Er zeigt uns in ästhetischer Verkleidung
die namenlose Todesangst, das Ende menschlicher Existenz, und führt
uns dann zurück ans Tageslicht — eine Form der Entbindung und
Wiedergeburt. Das Neugeborene begrüßt dieses Ereignis mit seinem
ersten Schrei; wir begrüßen es mit dem geräuschvollen
Feuerwerk dankbaren Beifalls. Das Kunsterleben ist eine Ausweitung aller
Ich-Grenzen, um das Universum — das die Mutter symbolisiert —
zu umschließen.
Das Ende der Darbietung läßt
uns wieder erwachen aus der Konfrontation mit dem Tod, das erlebt wird
als eine Rückkehr zu der frühen, infantilen Mutter, zu der Zeit
— lange bevor es Sprache gab und nur erst Geräusch und Berührung.
Angst und besonders Schreck wird eingeleitet
oft mit einem tiefen, schnellen Einatmen, und dann scheint es, als höre
jedes Atmen plötzlich auf, um ein weiteres Inhalieren böser
Objekte zu vermeiden. Erleichterung schließlich wird begleitet von
einem ›tiefen Seufzer der Erleichterung‹.
Das Leben endet mit dem letzten Atemzug,
der sich in unserer Phantasie darstellt als die endgültige Vereinigung
mit der Mutter — so wie die Todesgöttin auf den Boden eines
Sarkophags mit ausgebreiteten Armen gemalt wurde, bereit — den Körper
ihres Sohnes und Gatten, des Pharaos, zu umfangen.
Klassische Musik ist ein harmonisches Erleben
des Todes und der letzten Vereinigung mit dem Universum, mit der Ewigkeit
und mit dem frühen Mutterbild. Die Wiedergeburt aus dem Erlebnis
der Schönheit und Musik wird begrüßt mit lautem Applaus,
der ein Symbol für das magische, mystische Ritual des Fortjagens
des Klanges der Musik durch das Geräusch des Händeklatschens
darstellt. Wir werden in die Realität wiedergeboren.
Ein Wort über den heutigen Tag
Ich hätte
nicht das Gefühl, mich nach bestem Wissen auszudrücken, wenn
ich nicht meine heutigen Gedanken verbinden würde mit unserer Zusammenkunft
hier in Berlin, wo wir den 50. Geburtstag des Karl-Abraham-Instituts für
Psychoanalyse feiern.
Mein heutiger Beitrag verfolgt die Absicht,
Ihnen — fast 40 Jahre, nachdem ich meine Ausbildung hier begann
— ein Beispiel für analytisches Denken zu geben, das ich hier
gelernt habe. Als ich die Gedanken von Eli Marcovitz las, die mich zum
Nachdenken über die Dynamik des Lachens anregten, meinte ich, Eli
Marcovitz müßte ein junger Mann sein. Ich nahm an, daß
kein Analytiker meiner Generation den Mut habe, so unabhängig zu
denken. Als ich erfuhr, daß der Autor fast so alt sei wie ich, bekam
ich Mut, die Lektion anzuwenden, die ich hier in den Räumen des Berliner
Instituts gelernt hatte : ›Denke Freudianisch — aber denke
selbständig‹. Es wurde zur Maxime meiner Arbeit, und ich meine,
dies war die Botschaft, die ich von meinen großen Lehrern hier empfing.
Psychoanalytische Arbeit beginnt mit klinischer
Beobachtung und führt zur Einsicht, die Vision ist. Die freimütigsten
Repräsentanten dieser Art zu denken waren unter meinen Lehrern mein
erster Analytiker, Ernst Simmel, und sein großer Freund Georg Groddeck,
der auch ein Mitglied der Berliner Gesellschaft war. Von Franz Alexander
lernte ich hier die Anfänge dessen, was er ›psychodynamisches
Denken‹ nannte. Später setze ich in Chicago meine Studien fort
in einer Teamwork-Beziehung mit Franz Alexander.
Mein analytisches Denken wurde hier in Berlin
vertieft durch Theodor Reik, von dem ich lernte, der Intuition zu vertrauen;
durch Wilhelm Reich, der auf seinem Höhepunkt war, als er hier nach
Berlin kam; und durch Hanns Sachs mit seiner Feinfühligkeit und seinem
Mut, sich der Kunst und dem Künstlerleben zuzuwenden. Eine Frau wie
Karen Horney war eine Meisterin klinischer Beobachtung, und ein Mann wie
Siegfried Bernfeld wird nie vergessen werden. Er und Otto Fenichel hatten
die große Gabe, ihre Schüler zu erfüllen mit dem Verlangen
zu lernen. Etwas ähnliches versuchte ich während der mehr als
30 Jahre, in denen ich an verschiedenen psychoanalytischen Instituten
lehrte.
In diesem Zusammenhang kann ich leider nicht
von Karl Abraham sprechen, da er ein Jahr vor meinem Eintritt ins Institut
starb und ich ihn nur durch das Studium seiner Veröffentlichungen
kannte. Mein Beitrag ist ein bescheidener Versuch zu zeigen, daß
wir am Berliner Psychoanalytischen Institut gute Lehrer hatten.
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