Frisch abgefangen von unserem
Gegen-Kurier
das delmenhorster kreisblatt vor ort
Das Delmenhorster
Kreisblatt steht in der großen und besten Tradition deutschen
Journalismusses : wir sind der Wahrheit verpflichtet
und wollen niemandem zu nahe treten. Aber raus muß es ja einmal
doch : neben den neuen Messehallen, den Seehäfen, dem Postamt 5,
der Unzahl Behindertenparkplätze, der Universität, dem Radio-Bremen-Komplex
Schwachhausen und der Hillmann-Passage war der Gabriel-von-Seidl-Pavillon
bisher das nutzloseste aller bremer Gebäude. 1909 wurde es nach Plänen
des münchener Architekten und Ritters von Seidl erbaut.
Ritter Seidl, der auch die Verschönerung des Rathauses der
Hanseaten anleitete, feierte damit im Auftrag des Senats den Anschluß
des Stadtwaldes an den Bürgerpark und nebenher a bisserl
auch sich selbst. Von Beginn an blieb der Pavillon geschlossen und stand
allein im Stadtwald so vor sich hin, keine Tafel sagte was über Sinn
und Verstand dieses Gebildes, was äußerst ehrlich war. Das
einzige, was sich bis heute getan hat, war, daß der Volksmund, wenn
er sich am Vatertag in Brauereikutschen in die Nähe des Pavillons
verlief, ihm den Spitznamen Judentempel verpaßte. Wenn
wir vollmundigen Ankündigungen einer Terrororganisation namens
Irischer Frühling, die von sich behauptet, im Besitz spaltbaren
Materials zu sein, Glauben schenken, sollte mit Wirkung 10. Februar 1998
alles anders werden.
Unhöflich verspätet stand dort
in Hagel und Graupel am 11. Februar ein alternder Mann, der jugendlicher
wirkte, als er war. Und größer. Das lag an den Lippen, die
mit Kollagen aufgepumpt waren und an den Plateausohlen unter den Knobelbechern,
die er anhatte. Außerdem war er in einen wirschen Plaid gehüllt.
Seine Wurstfinger verschraubten sich in einen Wust unbeschriebener Blätter,
so daß er nolens volens in freier Rede trauerte. Oder lags
an Altersdemenz, daß er die fette nikotinfarbene Hornbrille,
die deutlich an einem Goldkettchen unter dem geschmacklosen Schlips hervorlugte,
nicht auftat oder auch nur einen roten Faden in seinem Melodram entwickelte
? Dem spärlichen Publikum, einer handverlesenen Horde zittriger Veterane,
die teils erfolgreich gegen das Weggewehtwerden ankämpfte und mit
dem Rücken abschüssig auf rostigen Klappstühlen saß,
die die Organisatoren der windigen Beerdigung von den Betreibern der Waldbühne
hatten, stellte er sich vor als Karl Roßmann, Kripobeamter,
Koslowski-Sonderkomission K5 aus Hannover.
Was will man uns hier weismachen ? Hält
man uns für Doofe, nur weil wir Delmenhorstgeborene sind ? Wie unsere
Recherchen ergaben, kommt Karl Roßmann von woanders her. Vor sechs
Jahren war Kafka — Der Film von Steven Soderbergh (produced
von Stuart Cornfeld und Harry Benn, Script Lem Dobbs) ein Film und auch
in unserem Kino1,
mit so schönen Schauspielern wie Jeremy Irons, Theresa Russell, Joel
Grey, Alec Guinness und Armin Mueller-Stahl, und Karl Roßmann ist
eine Figur daraus. Das ewige Lied des Seins : Roßmann, minderjährig,
schwängert seine Dienstmagd, wird von ihren Eltern ins Exil nach
Amerika geschickt, Paßkontrollen und so weiter — wir kennens.
Weniger hingegen ist vom notorischen Querulanten und Zechpreller Koslowski,
Waldemar, der vorgeblich hier zu Grabe getragen wird, beim Polizeipräsidium
in Erfahrung zu bringen, nicht mal das exakte Geburtsjahr. Aber auch der
andere große Rest ist unerfreulich und gereicht Delmenhorst nicht
eben zu Ehren. Wer beherbergt schon gern Witwenschänder, erfolglose
Scheckbetrüger und den mutmaßlichen Herd von Aids hinter seinen
Mauern ?
Investigation ist das Geschäft
vom Delmenhorster Kreisblatt. Ein fernmündliches Gespräch
mit unsrer Landeshauptstadt an der schönen Leine, wo das Mitglied
des Kuratoriums der Fachschule für Heilpraktiker in Wunstorf,
der Vorsitzende des Ausschusses für Sozial- und Gesundheitswesen
Harald Groth, Vater zweier Kinder, für unsere Belange
wirkt, klärte alles. Karl Roßmann gabs allerdings,
nur daß dieser Roßmann sich nicht Roßmann
schreibt, sondern Rossmann. Und tatsächlich : er war Kriminaler,
aber seit er 1974 zur Observierung einer iprumper Gartenlaube eingeteilt
worden war, eine Waffenschieberbande auszuheben und nebenbei die Betreiber
einer illegalen Pilzzucht auszuräuchern, hat ihn niemand mehr lebend
gesehen. Was war passiert ?
Bis in unser Ressort Freikörperkultur
bekannt sind die Reize einer reizenden Nymphe und Bürgermeisterstochter,
Ina Gerken, die sich 1974, in ihrem neunzehnten Jahr stehend,
jeden Maienabend öffentlich in einem Waschzuber wusch. Was ist unwahrscheinlicher,
als daß Rossman, der Nereide verfallen, vom Dorfalkoholiker Koslowski
erschlagen wurde ? Lassen Sie, werte Leser, es Vorsatz oder Affekt gewesen
sein : Koslowski schnallte so gut wie mehr als sicher Rossmanns Leiche
auf die Honda Dax, deren Röcheln allen Anrainern längst zum
Dorn im Auge geworden war, schubste sie in den Varrelgraben und flüchtete
in die DDR. 1989 vertrieb ihn der Fluch der bösen Tat auch von dort,
er wollte zum zweiten Mal nach 1933 nach Kanada, sein Fahrgeld reichte
hingegen nur für bis nach Kuba. Und nun steht er hier, ein auf 60
getrimmter Neunziger, und hält, Rossmann bestattend, eine Grabrede
auf sich selbst. Steckte ich nicht in einem Busch, ich riefe die Polizei.
Den letzten Hinweis lieferte ein obskure
Periodikum, das unlängst die unverdiente Ehre hatte, vom Delmenhorster
Kreisblatt besprochen zu werden. Ausgabe 15 des Salmoxisboten
publizierte ein gewisser Karl Roßmann (Pseudonym) zwei
kurze Schändungen Delmenhorsts. Dieses Windbeutelmagazin höhnte
selbstsicher und lobte einen nicht näher bestimmten Preis aus
dem, der die wahre Identität des Autors errät — also,
frei heraus : Karl Roßmann ist Karl Rossmann, oder sollte ich besser
sagen : Waldemar Koslowski ? (auch die aufwandarme unoriginelle Falschname
spricht dafür). Schlimme, verderbenbringende Redaktion : was ist
der Preis ? Ein Killerkommando auf den Hals ?2
Roßmann hingegen bemühte
sich eifrig um alles Peinliche. Er suchte und fand die Möglichkeit,
jede sich anbietende Lächerlichkeit noch zu überbieten. Winselnd
taufte er den Gabriel-von-Seidl-Pavillon um in Waldemar-Koslowski-Mausoleum.
Er schändete das ehrwürdige Gemäuer durch einen Vergleich
mit dem Taj Mahal und pries es schaumig als Träne der
Liebe auf der Wange der Zeit. Fest im Griff des Wahnsinns regte er
den Umbau zu einem Diadempalast an, wies Pläne eines, wie unsere
Nachforschungen ergaben, mehr als alles andere begeisterten Automobilisten
und multipel am Vordiplom gescheiterten Architekturstudenten aus, nach
denen binnen Jahresfrist Rotunde und Kuppel in weißem Marmor erstrahlen
werden und im Inneren das Kenotaph — was immer dieses ausgedachte
Wort bedeuten mag — mit reichen Intarsien geschmückt sein wird
3. Als Anfang enthüllte er eine Sandsteingedenktafel mit dem angeblich
von Koslowski selbstverfaßten Nachruf
Das letzte Sprudeln :
Entwichen
Umstanden von Pudeln
Unausgeglichen
und dankte einem ominösen Knospe
für Einrichtung und Verwaltung des Spendenkontos (das wir hier ausdrücklich
nicht nennen), dessen überquellender Stand nicht allein die Gedenktafel
ermöglichte und den weiteren Ausbau finanzieren soll, sondern auch
die Züchtung einer Koslowski-Gedenkrose nach Ideen des verrückten
Kaisers Bokassa machbar machte. Dann ließ Roßmann
feierlich ein Büschel Grünzeug fallen. Eine durch und durch
erbärmliche Vorstellung. Nähmen wir den Irischen Frühling,
der übrigens nicht einen nuklearen Sprengsatz vorzeigte,
beim Wort : der Gabriel-von-Seidl-Pavillon war das nutzloseste
aller bremer Gebäude und bliebe es auch mit der Leiche Koslowskis
darinnen.
(ing)
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1
Wovon die ungeneigte, übelwollende Dame vielleicht nicht weiß
: Koslowskis Kampagne gegen das Autokinosterben und sein unerbittlicher
Kampf um Ermäßigung für Kradfahrer und sonstige Zweiradführer,
die ja, so seine bestechende Argumentation, weniger Raum verbrauchen
weiter im Text
2 Nein, ein Essen mit Attila
von Wieder im führenden Restaurant Delmenhorsts : dem McDrive weiter
im Text
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