Christian Dietrich Grabbe 1830*
Welch ein Gallimathias
von höfischer Kriecherei, Unwahrheit
und poetischem Schwulst
Etwas über den Briefwechsel
zwischen Schiller und Goethe
Die Guillotine der Revolution
steht still, und ihr Beil rostet, — mit ihm verrostet vielleicht
auch manches Große, und das Gemeine, in der Sicherheit, daß
ihm nicht mehr der Kopf abgeschlagen werden kann, erhebt gleich dem Unkraut
sein Haupt. Napoleons Schlachtendonner sind gleichfalls verschollen. Seine
Feinde denken seiner nicht mehr, weil sie ihn nicht mehr sehen noch hören,
— Freunde, die ihn kannten, sterben allmählig aus, —
jugendliche Enthusiasten bewundern wohl seinen Kriegesglanz, von dem ihnen
noch einige Augenzeugen zu erzählen wissen, begreifen aber schwerlich
seinen Character, seine Sendung und seine Zeit.
Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt,
als wäre sie ein ausgelesenes Buch, und wir ständen, aus ihr
hinausgeworfen, als die Leser davor, und repetirten und überlegten
das Geschehene. In succum et sanguinem haben wir es indeß noch nicht
vertirt, selbst die historischen Compendien-Fabrikanten und Guckkastenzeiger,
wozu insbesondere die deutschen Geschichtschreiber mehr oder weniger gehören,
nicht ausgeschlossen. Und was soll man da hoffen ? Was wenigstens bei
unsren Landsleuten ? Eine Recension, von irgendeinem Laffen zusammengeschrieben,
ist ihnen oft mehr werth als das recensirte Buch, denn — es ist
eine Recension, — eine Pflanze lernen sie eher aus Linné’s
System kennen als in der Natur selbst, denn — sie steht in einem
System. Analogisch geht’s ihnen gradeso bei den Weltbegebenheiten.
Aber so ruhig unsere Zeit scheinen, so ruhig man
sie betrachten mag, der nachdenkende Beobachter schaudert doch zuletzt
zusammen : unter den Gebildeten (und diese wirken auf die Masse vermöge
der vielen Mittheilungsmittel mehr zurück als je) Weltüberdruß
allethalben, — selbst der Mystiker ist von ihm angesteckt, nur flüchtet
er davor nicht in den sinnlichen Wust des Lebens, sondern in seine überirdischen
Himmel. Wie wenig Achtung vor den altbürgerlichen und religiösen
Institutionen ! Wie viel Tausende, welche diese Achtung zu haben glauben,
brauchen nur geprüft zu werden, um selbst zu fühlen
und Anderen zu beweisen, daß sie dieselbe nicht besitzen. Wie Wenige
kennen und schätzen die Bedeutung von König, Staat, Geistlichkeit
und Adel ? Sogar das nicht historische, das persönliche
Verdienst wird bloß da respectirt, wo Stimmführer (meistens
elender als der Pöbel, den sie leiten), darauf hinweisen, oder Geldbesitz
ihm die Mittel gibt, sich wichtig zu machen. Alles liegt chaotisch durcheinander,
und Zeit ist es, daß der Geist Gottes wieder über den Wassern
schwebe. Möglich, daß er schon da ist, — manche Brust
schlägt hoch auf bei dem Gedanken einer besseren Zukunft. —
Die Erdbewohner haben nur Eine Periode gehabt, — die hieß
Rom, und sie ist wieder in zwei Abschnitte getheilt, in die kriegerische
und in die christliche Weltherrschaft, welche letztere aus der ersteren
folgte, oder doch genau damit zusammenhing. Eine andere Periode
ist im Annahen, — neue Lebensfrische wird sie um sich verbreiten,
aber nach 1800 Jahren werden ihre neuen Institute ebenso veraltet seyn
wie die, welche wir jetzt alt nennen.
Bei alle dem sieht’s an vielen Orten
des Erdballs noch ziemlich fröhlich oder doch lebendig aus. Und mit
Ursache. Von der Vergangenheit haben wir große Erinnerungen, für
die Zukunft dunkle Hoffnungen, und die Gegenwart gibt uns, was wir suchen,
— Genuß.
Was das Volk im Palais Royal, der Padischah in
seinem Harem, mancher Fant unter den Linden in Berlin unter Genuß
verstehen, sey, wie es sich gebührt, bei Seite gestellt. Die geistigen
Genüsse, künstlerische oder wissenschaftliche verdienen hier
eher Erwähnung. Und wie ist es da ? Ueberall Dilettantismus,
das heißt : die Sucht genießen zu wollen, und die Sache nur
halb zu verstehen. Bei den Wissenschaften fast an jeder Stelle nur Insecten,
die sich an den literarischen Resten der großen Männer des
achtzehnten Jahrhunderts fett zu zehren und damit dem Haufen zu imponiren
versuchen, oder kenntnißreiche Männer, die mit dem reinen Ergebniß
ihrer Forschungen nicht zufrieden sind, und sich und Andere verwirren,
indem sie aus Steinen Gold machen wollen, wie z. B. ein Savigny aus dem
altrömischen Rechte, ein Creuzer aus der Mythologie, ein Justinus
Kerner aus der Medicin, respective ihre historischen Schulen, Symbolik
oder Seherinnen von Prevorst zu deduciren wissen. Mancher anderen Scienzen,
vorzüglich jedoch der Theologie und Philosophie gar nicht zu gedenken
: die beiden eben genannten kennt man schon seit 6000 Jahren so genau,
daß etwas Neues, ungeachtet aller Qualanstrengungen derjenigen,
die nun durchaus einmal erfinden wollen, nicht mehr hervorgebracht
werden kann.
Die Masse der jetzigen Menschheit, wenigstens
der Halbgebildeten in größeren Städten, wendet sich (ihr
Essen, Trinken, Betrügen und Betrogen-Werden ausgenommen) zu der
Kunst. Wahre Kunst, es sey welche es wolle, hat mit der Schönheit
gemein, daß Jeder, auch ohne Studium, ihre Wirkung fühlt. In
unserem Zeitalter sind aber soviel durch Ruhm-, Geld- oder Freß-
und Sauf-Sucht entstandene belletristische Compendien, Journale, Vorlesungen
p.p. erschienen, daß ein Theil der Leser dadurch verwirrt worden
ist, ein anderer Theil sich an der Nase ziehen läßt, nach irgendeiner
beliebigen Autorität, und ein dritter Theil, im halbblinden Vertrauen
auf diese Umstände (denn klar erkennen kann er sie nicht), die Marktschreier
oder Kunstrichter zu spielen wagt.
Die Losung ist jetzt Musik ! Und leider,
leider nicht deshalb, daß die musicalischen Enthusiasten die Tiefe
dieser Kunst erkannt hätten, sondern weil Musik noch bequemer und
leichter als Poesie die Ohren kitzelt.
Auch das möchte man dahingehen lassen,
aber ekelhaft (und was ist schlimmer als ekelhaft ?) ist es, daß
die musikalischen Dilettanten mitsammt dem kunst- und wissenschaftslosen
Pöbel nunmehr nicht mehr die Künstler, sondern die Persönlichkeit
beachten.
Was die junge oder alte theatralische Garde
in Berlin denkt oder wünscht, wenn sie die Mamsell Sonntag erblickt,
weiß Jeder, der die Leute kennt. Diese eben nicht schöne, ja
nicht einmal feurige, aber ziemlich kalt reflectirende Sängerin,
weiß recht gut ihre feine Coquetterie in Blick, Bewegung, Putz und
Stimme anzubringen, und so lange es dauert, gefällt sie dadurch manchem
Narren, der sich leicht in Theaterprinzessinnen verliebt. Signor Paganini,
ihr Gegenstück, coquettirt mit dem Publico in anderer Art. Dieser
Mensch hat zweifelsohne Genie, — er ist aber nichtsdestominder ein
musicalischer Charlatan geworden. Seine Kunststücke auf der G Saite,
ewig und immer die alten, haspelt er in jeder Stadt wieder neu ab, und
ein Frankfurter oder Berliner Referent sollte sich schämen, wenn
er emphatisch abermals das berichtet, was wir schon längst seit Paganinis
erstem Auftreten in Wien wissen. Aber Paganini, der bei seinem ziemlich
häßlichen Aussehen, nicht die Rolle einer männlichen Sonntag
(sit venia verbo) spielen kann, hat dafür bei dem Vortrage seiner
Kunststücke statt einer liebenswürdigen Fratze, eine
melancholische angenommen. Paganinis Melancholie möchte
wohl mit den Geldsummen zusammenhängen, die er in England deponirt
hat oder deponiren will.
Ist aber alles das nicht in einer Zeit entschuldbar,
wo sogar Könige, die keinen Geldzweck haben können, sondern
bloß von überspannten Ansichten ihrer poetischen Kraft getäuscht
seyn müssen, Gedichte herausgeben, welche weder Dichtergenie noch
grammaticalische Kenntniß verrathen ? Der jetzige König von
Baiern hat genug Gutes und Großes gethan, als daß ihm etwas
am Dichterruhme gelegen seyn könnte, — Er kann gewaltiger und
erhabener dichten, als irgendein Poet in seinen Staaten, Er kann als Herrscher
schaffen, — Er thut es auch und dieses
ist ein besseres Gedicht als alle die Verse, welche er den so oft flachen,
meistens aus persönlichen Gründen lobhudelnden oder schimpfenden
Kunstrichtern der Gegenwart oder Nachwelt vorlegt. Friedrich der Einzige
und Napoleon ließen ihre schriftstellerischen Werke erst nach dem
Tode in die Welt gehen, — jetzt scheint aber fast die Zeitung der
Revolution, die Dichtung der That voraneilen zu wollen.
Alles das ist wieder Schuld der Zeit, —
sie ist so schlecht, daß sie nach etwas, das ihr besser scheint
als sie selbst ist, unvorsichtig hascht. Die Hoffnung ist bei unseren
politischen Weltverhältnissen zu oft getäuscht worden, —
wer daher von dem Kunstwahnsinn unangesteckt geblieben ist oder dabei
einige Muße übrig behalten hat, sich auch bisweilen um ernstere
Dinge zu bekümmern, wendet sich zu den Bildern der Vergangenheit.
Diese dürfen aber ja nicht großartig geordnet, wie sie uns
etwa ein Gibbon darstellt (wie viel Belletristen möchten wohl auch
nur Gibbon gelesen haben ?), gezeigt werden, — das wäre zu
viel verlangt. Nein, wir müssen die Geschichte brockenweise genießen,
und die Brocken müssen modisch gebacken seyn. Da regnet es denn hageldicht
Memoiren, dem literarischen Pöbel immer willkommen, wenn sie nur
Anekdoten, gleichviel ob wahre ob unwahre, mitbringen, denn den Weizen
aus dem Spreu sondern, kann solcher Pöbel nicht, — da kommen
Segur’sche phantastische Kriegsgeschichten, — desgleichen
historische Romane à la Walter Scott, in denen die Heroen der Vorzeit
schnöde castrirt sind, damit sie in ihrem, in der Laffen Tone etwas
dem Leser vorpfeifen können. Endlich finden sich da auch Briefwechsel
Verstorbener oder Lebender ein, selbst solche, bei welchen für den
Briefsteller und den Briefempfänger nichts wünschenswerther
gewesen wäre, als daß man sie ewig unter ihrem Siegel hätte
ruhen lassen und nie der Welt zum Scandal mittheilen sollen. Der über
seine Klugheit närrisch gewordene Hamann, welchen Goethe vielleicht
eben deshalb, weil er ihn nicht versteht, als Philosophen bei uns einschwärzen
will, muß jetzt, nach dem Tode, seine Briefe zum Druck hergeben,
— Lessing, Winkelmann, G. Forster, Jean Paul müssen desgleichen
thun. Gut, es findet sich stets in diesen Briefen etwas Interessantes,
und klärte es auch nur den Character dieser Männer auf. Aber
da kommt auch noch der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, und
etwas Unbedeutenderes (man möchte sagen Elenderes) ist seit Langem
nicht gedruckt.
Die Briefe eines Cicero, eines Plinius geben
uns wichtige Aufschlüsse über die Zeit, in der sie geschrieben
wurden, — die Briefe aus dem Jahrhundert Ludwigs XIV (von Bussy-Rabutin,
von der Sévigné p.p.) zeigen einen eleganten Conversationston,
eine außerordentliche Feinheit des Styls, — die Briefe Friedrichs
des Einzigen, mit Voltaire, d´ Argens u. A. gewechselt, lassen uns
überall Geister erkennen, welche die alte Zeitlage erkennend, reformirend
in das neue Weltalter schritten, — aber der Schiller-Goethische
Briefwechsel, in sechs Bänden dem Publico vorgelegt, welches vielleicht
im Vertrauen auf die Firmen Schiller und Goethe tüchtig loskaufen
wird, — hat keines der den obigen früheren Briefsammlungen
beiwohnenden Interessen, ist weiter nichts als eine Sammlung billettmäßiger
Lappalien, wobei anfangs Schiller und Goethe, besonders in ihren staatsbürgerlichen
und schriftstellerischen Verhältnissen zu einander, an nichts weniger
als deren dereinstige Publication gedacht haben.
Ex post, nach mehr als 20 Jahren, hat sich
jedoch Goethe eines Schlimmeren besonnen. Er selbst hat wahrscheinlich
diese Trivialitäten herausgegeben. Sicher glaube ich freilich an
ein solches Vergehen gegen Schiller und gegen sich selbst noch nicht recht.
Indeß — wo kommen die von Schiller an Goethe gerichteten Billette
her, wenn letzterer sie nicht zum Druck ausgeliefert hat ? Und —
ach ! — beginnt der sechste Theil nicht mit einer Dedication an
den König von Baiern, nach welcher jeder unseren Dichterliebling
(Dichterfürst ist für ihn zu viel) als Herausgeber der qu. Briefsammlung
halten muß ?
Schiller und Goethe, ihr beiden Heroen am
deutschen Dichterhimmel, brauchtet euren Glanz nicht mit den Erbärmlichkeiten
eures Privatlebens zu umnebeln — Recht gut, daß man eure Charactere
kennen lernt, aber so manche Elendigkeiten, die wir nicht zu wissen brauchten,
dabei ! — Auch das mag gut seyn, wenigstens bei dem blinden Bewunderer
Menschenkenntniß verbreiten, — aber war es (gelinde ausgedrückt)
klug oder delicat, daß Goethe sie bekannt machte ? Was Schiller
oder Goethe künstlerisch oder moralisch sind, weiß der Gebildete
auch ohne diese Briefe.
Das literarische Gesindel,
welches nichts kann, als Nachschreien und Nachbeten, wird nicht ermangeln
auch diesen Briefwechsel zum Himmel zu erheben. Die Berliner Jahrbücher
der Literatur, in denen die Recensionen von den Recensenten unterzeichnet
werden, und das im belletristischen Fache sehr überflüssig,
da man die darin an hohlen Phrasen sich abwürgenden Menschenkinder
schon kennt oder schon nicht achtet, haben in ihrem breiten, nach der
Schule schmeckenden Style bereits nicht versäumt, dieß auf
Kosten Schillers zu thun, der immer nur als Schildknappe neben Goethe
mitgehen soll. Auch auf Kosten der Wahrheit, — Herr Varnhagen von
Ense, der mehr Kenntniß, und die ist auch so arg nicht, als Urtheil
besitzt, hätte sich z. B. recht hüten sollen, Schiller und den
jetzigen König von Baiern am Schlusse seiner Kritik in eine poetische
Bekanntschaft zu bringen, die nie existiert hat. Andere Journale machen
es indeß eben so, und mancher heult mit, weil er muß.
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auf die Bildung und das
Wesen zweier Dichter haben, sie nur chronologisch anzeigen — einige
hundert Seiten hätte er gespart.
Wer diesen Briefwechsel
in das Publicum gegeben hat, ist auch im Stande, seine und Schillers abgetragene
Hosen lithographiren zu lassen. Goethe irrt sich aber, wenn er etwa glaubt
jeder Leser würde sein Verhältniß zu Goethe so annehmen,
wie es hier sich darstellt. Ohne Controlle nichts Gewisses in der Welt
— Sollte Schiller an dritte Personen so über Goethe geschrieben
haben, wie an Goethe selbst ? Man hat Grund zu zweifeln, selbst nach der
behutsamen Körner’schen Biographie vor Schillers Werken. Es
wäre dankenswerth, wenn noch lebende Freunde Schillers, die mit ihm
briefgewechselt haben, nun auch die empfangenen Briefe edirten.
Das Widerlichste der qu. Briefwechselei
ist der Anfang des 6ten Theils desselben, die Dedication an den jetzigen
König von Baiern. Meine Leser und ich werden sich freuen, wenn dieser
Punct beseitigt ist, darum zuerst Einiges über ihn. Man begreift
die Verblendung nicht, mit der Goethe dergleichen drucken lassen sollte.
Der Besuch, den der Baierkönig ihm vor einigen Jahren gemacht hat,
scheint Se. Weimarische Excellenz, von deren Vornehmthun schon Bürger
zu singen wußte, ganz in eine baierische verwandelt zu haben. Goethe,
der seit mehr als einem halben Jahrhundert von dem Weimarischen Regentenhause
unterstützte, beinah verzogene Dichter, entblödet sich nicht,
in jener Dedication dem Könige von Baiern zu sagen »wie sehr
Schiller das Glück Sr Majestät anzugehören, wäre zu
wünschen gewesen, und wie durch allerhöchste Gunst Schillers
Daseyn durchaus erleichtert, häusliche Sorge entfernt, seine Umgebung
erweitert« pp geworden seyn würden. Welch ein Gallimathias
von höfischer Kriecherei, Unwahrheit und poetischem Schwulst ! Haben
Goethes Schmeichler ihn so angesteckt, daß er selbst einer wird
?
Ich will davon absehen, daß es zweifelhaft
bleibt, ob der mit Recht für die Finanzen seines Landes sorgende
König von Baiern, Schiller in das von Goethe geträumte Utopien
befördert hätte, denn nach dem Tode Schillers läßt
sich leicht sagen, aber nicht mehr thun, man würde
ihn bei seinem Leben gern glücklicher gemacht haben, als er war.
Dann weiß ich außer dem Herrn Eduard von Schenk, keinen Dichter,
der vom König begünstigt scheinen könnte, und von Schenk
wird diese Gunst mehr seiner Tüchtigkeit als Staatsdiener oder Lebemann,
schwerlich seinem dichterischen Klingklang verdanken. Graf Platen soll
von dem Könige jährlich 600 Fl. erhalten, — davon
wird er aber in seinem Rom keinen Falerner trinken können.
Aber womit kann Goethe beweisen, Schiller
habe so in häuslicher Sorge und drückendem Daseyn gelebt, daß
es für ihn ein Glück gewesen wäre, wenn er dem
Könige von Baiern angehört, und dieser sein Daseyn erleichtert
hätte ? Grade der Briefwechsel beweis’t das Gegentheil, und
auch ohne denselben wußte der Unterrichtete es besser. Bedeutendes
Vermögen, enorme Einkünfte hatte Schiller nicht, aber siehe
den Briefwechsel : glücklich, ohne Geschäftssorgen konnte er
durch die Gnade seines Herzoges leben, konnte, ungeachtet er Professor
in Jena war, und dort seine Functionen hätte verrichten müssen,
nach Belieben in seinem Garten daselbst oder in Weimar wohnen und dichten.
Goethe mißt, so ausgeschrien seine angebliche Objectivität
ist, hier mit einem subjectiven Maaßstabe : er war seit
seiner frühesten Jugend an ein Mehreres gewöhnt, als Schiller
je besaß.
Und was heißt es, der König würde
Schillers Umgebung erweitert haben ? Vielleicht, daß er ihn statt
in Jena oder Weimar in München oder Rom (von letzterem soll der König
in dieser Beziehung gesprochen haben), als zwei größeren Städten,
placirte ? Ich denke, Schiller hätte solche Anerbietungen so gut
abgelehnt, als seine bekannte Berufung nach Berlin. Nicht auf die Größe
der Städte, auf die Geister, welche darin hausen, kommt es an. München
wird schwerlich, und Rom wird kaum einen Kreis von Geistern wie Herzog
Karl August und Amalia, wie Wieland, Herder, Goethe selbst, Fichte, Schelling
(den jetzt München als Bruchstück aus dieser Versammlung besitzt),
die beiden Humboldt’s wieder vereinigen können. Die Unterhaltung
mit ihnen war einem Schiller sicherlich werther als jede sonstige äußerliche
Erweiterung seiner Umgebung. Dieses Erweitern scheint einer von den vagen
Ausdrücken zu seyn, deren sich Goethe so häufig bedient, wenn
er nicht weiß, was er zu sagen hat oder sagen will, z.B. wunderlich,
behaglich usw., so wie er seine ganze Lebensbeschreibung dadurch in ein
häßliches Zwielicht stellt, daß er sie Dichtung und Wahrheit
tituliert.
Und nun die Briefwechselei selbst : fast
überall begleitet den Leser die Erinnerung, daß Schillers Manen
finster auf dessen Publication herabsehen. Goethe hat oft der Nation,
im Vertrauen auf seinen Ruhm, Lappalien dargeboten, hat oft das Sprichwort
haud multa, sed multum nicht beherzigt, jetzt übersieht er das wieder,
und größtentheils auf Kosten Schillers, der in dem Puncte ganz
anders dachte.
Obgleich Goethe nach seiner Ankündigung
der Gesammtausgabe seiner Werke selbst ziemlich unumwunden und in einem
entschuldigenden Tone eingesteht, daß er wegen sich und der Seinigen
auch pecuniäre Interessen zu schätzen wisse, will ich glauben,
daß bei dem Briefwechsel das Honorar, welches die getäuschten
Käufer mit tüchtigen Procenten dem Buchhändler wieder bezahlen
müssen, ihm Nebensache gewesen sey. Hauptsache war wohl, wie schon
oben im Vorübergehen angedeutet ist, der erstaunten Welt die Huldigung,
welche Schiller für Goethe privatim ausdrückte, die freundliche
Annahme dieser Huldigung durch Goethe, und billigerweise auch das vornehme
Zuneigen und Entgegenkommen desselben zu Schiller, mitzutheilen. Sc. :
»»Einer der gewaltigsten, vielleicht der erste vaterländische
Dichter, den Mancher hat über mich setzen wollen, hat meine überwiegenden
Geisteskräfte anerkannt, und mir, als ich auf seine Bitte ihm die
Hand darbot, im Vertrauen dieselbe geküßt««, —
möchte etwas von den Ideen des Herausgebers gewesen seyn. Das dürfte
bei Goethe, der in seiner Zeitschrift Kunst und Alterthum nicht ermüdet
die Leser mit Wiederabdruck günstiger Recensionen seiner Werke zu
belästigen, mittelmäßige Lobgedichte auf sich selbst zu
communicziren, und hinterdrein zu erklären, eben nicht auffallen.
Das Verhältniß beider Dichter
zu einander könnte indeß auch etwas von dem Folgenden an sich
haben : Goethe, der dichtende Weltmann, Schiller, der auch etwas zur Weltklugheit
genöthigte Dichter, — beide wohl einsehend, es sey ein Staatsstreich
von ihnen, wenn sie, während ihre Anhänger sich wüthend
befehdeten, insgeheim miteinander Eins wären, — Schiller durch
seine Lage gezwungen, in Sr Exzellenz, dem Staatsminister Herrn von Goethe
den Protector am Weimarischen Hofe zu finden, aber als gleich großer
Dichter dieses unter Freundes-Namen verbergend — — Man denke
weiter nach. Sollte es anders Schillers, des ernsten Kritikers Ernst gewesen
seyn, Goethe’s Producte von dem schlechtesten bis zum besten wie
Kraut und Rüben durcheinander zu loben ? Oder kannte er als Dramatiker
seinen Mann ? Im Briefwechsel scheint Schiller’n die Goethische
Farbenlehre, von der er nicht einmal etwas versteht (etwa manche alberne
historische Behauptungen ausgenommen, die Schiller erkannte und verachten
mußte, wie z. E. Rom, die Wolfstochter und Räuberbraut wäre
aus einem behaglichen Zustande in die Breite der Weltherrschaft
gediehen), eben so hoch zu schätzen wie wahrhaft reichhaltige, wenn
auch nicht großartige und nach Goethe’s bequemer Manier sogar
künstlerisch unvollendete Werke : Wilhelm Meisters Lehrjahre
und Faust. Werden Goethes kleine, oft treffliche Lieder, manches Mal mit
Recht gelobt, so ist aber auch in dem Briefwechsel das kalte Ding, Hermann
und Dorothea, in Gefühl und Vers weit unter der Louise von Voß
stehend, vermuthlich unter qualhaften Anstrengungen entstanden, um ein
genialeres Gegenstück jener Louise zu bilden, beinah als ein Ideal
der epischen Dichtkunst gepriesen ! — Und Schiller kannte zu
jener Zeit den Homer gut genug.
Ach, wie devot fängt Schiller den Briefwechsel
an. Wie formell und schmeichelhaft kommt er dem Hochwohlgeborenen Herrn,
Hochzuverehrenden Herrn Geheimer-Rath im Curialstyl entgegen. Aber wie
selbstbewußt und seinem dichterischen und bürgerlichen Range
angemessen, weiß Herr von Goethe mit einem »Ewr Wohlgeboren«
zu antworten, und wie berechnet nennt er in der Antwort Woltmann, Fichte,
von Humboldt, Schiller wackere Männer ! Was würde Er
sich auch vergeben haben, wenn Er sie Männer genannt
hätte, die mindestens so ausgezeichnet waren wie Er. In nämlicher
Art geht es fort durch die ganze Briefwechselei.
Ein anderer Grundton dieser Briefwechselei
ist die ewige Caresse, welche Schiller dem Herrn von Goethe, abgesehen
von allen Standesverhältnissen, wegen seines überlegenen Genies
glaubt machen zu müssen. Goethe’s Genie ist dem Schiller’schen
nicht überlegen gewesen, um so unwahrscheinlicher als grade
Bescheidenheit, die gern etwas annimmt, aber nie mit sich selbst renommirt,
Quelle und Zeichen des Genies ist. Herr von Goethe denkt aber darin wie
eine journalistische Ephemere : er hat von Schiller manches angenommen,
publicirt die Manier, wie er dabei verfuhr, im Briefwechsel jedoch auf
eine Art, als hätte er nie etwas angenommen. Die Zukunft wird darthun,
wie man solches Verfahren erkennt.**
Ferner wimmelt der Briefwechsel von den
elendesten Lappalien, und leider habe ich dieser schon so erwähnen
müssen, daß es unverzeihlich wäre, sie weiter auseinanderzusetzen,
oder den Schmutz noch einmal dem Leser vor die Augen zu halten. Einladungen
zum wilden Schweinesbraten, zum Ausfahren, noch dazu in einem affectirt
nachlässigen Style vorgebracht, wie z. B. »grüßen
Ihre liebe Frau« (statt grüßen Sie p.p.) bedurften keiner
Herausgabe des Schiller-Goethischen Biefwechsels, um zu zeigen, daß
sie existirten. Man hat in Weimar eine lächerliche, manches Gemüth
empörende neue Beiseitsetzung des Schiller’schen Schädels
auf der dortigen Bibliothek (ob Goethe mit Schuld war ? nach der Analogie
der Edition des Briefwechsels sollt man es muthmaaßen) für
gut gefunden und ausgeführt — nun, weder Schillers Gebeine,
noch Schillers Geist haben jetzt noch nöthig sich vor Zorn umzukehren,
— Andere sorgen ja nach alle diesem genug dafür.
Wenigstens recht bewegend und etwas aufrührend
ist es nächstdem für jeden Deutschen, wenn er sieht, wie im
Briefwechsel Schiller und Goethe (ob aus Rücksichten gegen
einander ? ob freimüthig ?) die größten Geister
ihrer Zeit und ihres Vaterlandes als Lumpen behandeln. Klopstock, Wieland,
Garve, Herder, Jean Paul, Tieck p.p. bedeuten nach diesem Briefwechsel
nicht viel mehr als Spreu unter den zwei Waizenkörnern : Goethe und
Schiller. Auch die Ausländerin, der wir zumeist die Beförderung
des deutschen literarischen Ruhms im Auslande verdanken, und welche Goethe
so eher achten sollte, als er gegen diesen Ruhm (v.[ide] viele Stellen
in seinem Journal Kunst und Alterthum) nichts weniger als gleichgültig
ist, die geniale Stael, bekommt ihr unverdientes Theil. Daß aber
Goethe auch die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel nicht
verschont hat, jetzt noch dazu der Welt zeigt, daß
er es nicht gethan, ist bemerkenswerther als alles andere. Goethe scheint
denn doch seinen Ruhm vor Allem zu lieben, und wer hat diesen Ruhm, wie
er momentan grade ist, anders erschaffen, als die beiden Schlegel ? Ein
wenig Dankbarkeit, ein wenig Delicatesse gegen die beiden ihm befreundeten
Männer, hätte man erwarten sollen. Goethe, von jeher in ältester
und neuester Geschichte kein tiefsehender Politiker, indem ihm, wie außer
der schon angezogenen Stelle der Farbenlehre auch jedes seiner historischen
Dramen beweis’t, dazu die Kenntnisse fehlen, hält vielleicht
die Schlegel für untergegangen und wähnt wohl deshalb sich sehr
hoch zu stellen, wenn er darthut, wie er auch Diener, die ihn zum Goetzen
machten, bloß als Gewürm betrachtet hat, — aber er irrt
sich : ihre Schule lebt, wenn sie auch ihre Lehrer kaum noch kennt, —
es lebt überdem noch Mancher, der recht gut weiß, warum die
Schlegel ihn anbeten ließen, und ein paar Leute sind da, die es
weder den Schlegel’s verdenken, daß sie zu ihrer Zeit aus
weltklugen und sonstigen Ursachen immer den verstorbenen Shakspeare über
den lebenden Herrn von Goethe, so arg sie ihn auch erhoben, setzten, noch
sich ganz des Zweifels entwöhnen können, ob Goethe dieses, vielleicht
sich selbst halb unbewußt, nicht übelgenommen bis auf den heutigen
Tag. Goethe, der Sohn einer mehr gebildeten, mehr bewegten Zeit hat jeden
Vorzug, den die Zeit ihm vor dem englischen Dramatiker geben
konnte, — aber Shakspeares Geistesgröße hat er nicht.
— Gesetzt, daß Shakspeare jetzt lebte und einen Robespierre
schriebe, Goethe das Gleiche versuchte, — wer würde wählen
zwischen der Schilderung des empörten Meeres, wahr, roh und prächtig,
wie Shakspeare sie oft (leider auch nicht immer !) gibt, oder zwischen
der Darbietung eines Glases Champagner, wohlschmeckend, aber gekünstelt
zubereitet, lieblich und nett, wie Goethe z. B. im Egmont uns den Trank
reicht ? — Ob Goethe, ob die Schlegel dieses Verhältniß
gefühlt, ob erstere darum den Goethe nur zu einem der niederern Götzen,
den Shakspeare zum Abgott gemacht haben, und ob Goethe dieses übel
nahm oder übel nimmt, stehe dahin. Mir ist es gleichgültig.
Die Zeit ist der beste Recensent, und wird endlich entscheiden.
Hin und wieder fallen übrigens dem Leser
in dem Briefwechsel einige gute Stellen auf. Wie gern würde ich nach
so vielem und, wie mir scheint, so gerechtem Tadel, diese Bogen damit
füllen. Aber auch diese Stellen sind meistens nur halbwahre, unklare
Gedanken (fast sämmtlich von Schiller), oder ein paar Notizen
(fast sämmtlich von Goethe), welche Tausende grade so gut an das
Licht gefördert haben. Und wie selten trifft man in dem Wuste auf
diese Erträglichkeiten ! In sechs Theilen, wie dieser Briefwechsel
enthält, fördert auch der mittelmäßigste Schriftsteller
bisweilen ein tüchtiges Wort zu Tage.
Selbst bei den tüchtigen Worten geht der Herausgeber
so leicht zu Werke (ich würde sagen freimüthig, wenn
nicht Alles auf Kosten Schillers und aus Ursache der eigenen blinden Eitelkeit
gedruckt da läge), daß man deutlich merkt, wie sehr man den
beiden Herren erst auf den Nagel fühlen muß, sobald man ihren
Worten glauben will. Trotz ihres vorgerückten Alters kennen beide
weder recht einen Aristoteles noch einen Thomasius, — weder griechische
noch französische Tragiker, — sie verwundern sich wie Kinder,
wenn sie etwas Ansprechendes darin finden, urtheilen aber (besonders Goethe)
auch wie Kinder frisch darauf los.
Das Angenehmste bei dem traurigen Briefwechsel
ist, für den Verehrer Schillers, das Gefühl, welches ihn bei
den zwei letzten Theilen desselben ergreift. Freilich ist der Inhalt dieser
zwei Theile so unbedeutend als der vier früheren Theile, und Schiller
würde nimmer sie publicirt haben, — freilich gehen darin die
Schiller’schen Complimente an Goethe vorwärts, und Goethe scheint
sie noch immer für Ernst zu halten, — freilich hätte Goethe
das Publicum auch mit diesen zusammengestoppelten, modo gedruckten, Billetten
verschonen sollen, — aber Eines fühlt und sieht man : der Dichter
Schiller überflügelt endlich sein Verhältniß zu dem
großen Herrn in Kunst und Staat, — seine Kraft wächst
und wächst, er fördert Meisterstück auf Meisterstück,
— er fühlt sich groß, auch neben Goethe, — seine
Billette an ihn werden kürzer und trockener, — er tritt aus
der subordinirten Rolle hervor und ist : Schiller, der mindestens mit
Goethe gleichberechtigte Genius.
Das Gefühl dieser Erhebung von Seiten
Schillers wird indeß etwas gedämpft, wenn man (wie hier der
Fall ist) dabei sieht, wie Goethe’s productive Kraft immer mehr
sinkt, wie er, in der Angst, etwas zu leisten, aus sich selbst heraus,
auf das Feld der Vielwisserei flüchtet. Da sammelt er ein, statt
als Poet zu schaffen, — behaglich, in beliebiger Form theilt er
das Eingesammelte denen mit, die es genießen wollen, — tiefwissenschaftliche
Bildung eines Newton, Alexander von Humboldt oder Winkelmann (in den Fächern
dieser Leute beschäftigt er sich besonders) verräth er nirgends,
und so schleppt er sein späteres literarisches Leben dahin bis auf
den heutigen Tag. Selbst seine Poesien werden oft nur naturhistorische
Anschauungen, aber auch bei alledem quält der treumüthige Schiller
sich ab, nicht Abwege, sondern Goethische Objectivität oder Universalität
zu erblicken.
Betrachtet man die Mehrzahl der beklagenswerthen
Köpfe, welche heut zu Tage die belletristischen Recensenten spielen,
und sie bloß deshalb spielen können, weil das Drucken ebenso
leicht geworden ist, als in einer Thee-Versammlung den Mund aufzuthun
und zu schwatzen, so begreift es sich, wie diese Leute, wo sie eine Autorität
sehen, derselben durch Dick und Dünn nachfolgen wie die Esel einem
vorgehaltenen Bündel von Disteln. So werden ihnen auch die Zettelchen
dieses s.g. Briefwechsels leuchtende Meteore seyn. Großentheils
bestehen die ästhetischen Recensenten, Referenten, die romantischen
Erzähler, die Dichterlinge, aus überspannten Menschen, welche
dadurch zu ihren Kritiken und Productionen gelangt sind, daß sie
in der Jugend echte Bildung versäumten, lieber Romane lasen als Kunst
und Wissenschaft studirten, und daß sie jetzt, wo sie nirgends nütz
und einheimisch sind, sorgen müssen, durch armselige Productionen
ihr bischen Brod zu verdienen. Wären unter diesem Volke nur noch
Genie oder Gedanken, die Geist verriethen, man verziehe ihm die albernen
und leider so oft lügenhaften Faseleien. Das Gesindel hätte
denn doch den Geschmack ausbilden sollen, weil Jeder, der nicht
ganz bornirt ist, das kann. Dieses geht bei einigem Fleiße.
Aber man lese, man spreche die Leute, — (Gott behüte
mich davor, ich habe Beispiele) schwerlich 12 unter ihnen, die nicht nach
alter Weise frech über Homer, Sophokles, Dante, Shakspeare, Schiller,
Goethe ableierten, ohne die Schriftsteller selbst zu kennen, — schwerlich
6 belletristische Blätter in denen nicht jedesmal auf der 3ten Seite
ein grober Schnitzer gegen Kunst oder Wissen enthalten wäre. —
Ein Journal über die Journale, welches deren Fehler aufzeichnete,
würde dicker als manches der besten derselben. Bloß Journalliteratur
ist die Wissenschaft der meisten Journalcorrespondenten, — der Leser
hat in der Regel etwas Ernsthafteres zu thun, als weitläuftig ihren
Fehlern und Lügen nachzuspüren, — er nimmt ihre Aussagen
als ein Amusement auf Glauben an. Ein schlechtes Amusement verdirbt aber
zuletzt den Geist auch.
Von diesen Nachkläffern großer
Männer, welche letztere sie mit ihren Tönen anbellen oder vergöttern,
wie denn grade die Mode ist, auf diese Männer zurück. Schiller
hält sich selbst, besonders in dem Briefwechsel, für subjectiv,
Goethe läugnet seine Objectivität nicht, viele Belletristen
schwören auf Schillers Sub- und Goethes Objectivität, und die
ganze Sache ist ein Traum, ein Streit um philosophische Worte, die so
oft ein Wesen bezeichnen wollen, das nicht existirt. Man zeige mir von
den Homeriden bis zu Goethe, von Alexander dem Großen bis Napoleon
einen Menschen, der nicht subjectiv gedichtet oder gehandelt hätte.
Jeder Mensch hat seinen eigenen Schnabel, und dem geht er nach. Schiller
und Goethe so gut wie ich.
Schiller strebt ernst zum
Idealen und Erhabenen, — Goethe hin und wieder desgleichen, aber
seine Eigenthümlichkeit ist Anmuth, mit einiger Empfindung colorirt,
und ein kluges, zeitgemäßes Schmiegen in jede Form.
Verschieden wie das Leben beider Männer,
ist ihre Poesie. Goethe, begabt mit vielem Talent, war Sohn wohlhabender
Eltern. Nahrungssorgen drückten ihn niemals, und seine Grillen werden
ihm bei solchen Umständen, und bei dem leichten Temperamente, welches
in seiner glücklichen Lage gedieh, die Brust auch nicht all zu stark
zerissen haben. Er studirte mehr, um den einmal nöthigen akademischen
Cursus zu machen, als sich zum Broderwerbe vorzubereiten. Sein Götz
von Berlichingen brachte ihm Ruf. Werther gleichfalls. Der Herzog von
Weimar stellte ihn an, und ließ ihm auch im Staatsdienst ziemlich
freien Lauf. Goethe reisete oft, und wohin er wollte.
In Goethes langem Leben wäre also beinahe
nichts, was ihn zur Poesie, einer Tochter des Schmerzes, hätte aufregen
können, wenn er nicht, wie er selbst verrathen hat, in der Jugend
eine Brustwunde empfing, aus der bei so Manchem Jamben, Hexameter p.p.
getröpfelt sind : die Liebe. Es war aber nicht die ideale Liebe Dante’s,
noch dessen Patriotismus. Auch hatte sie schwerlich etwas gemein mit der
zu frühen Ehe Shakspeares, welcher sehr jung eine weit ältere,
und wahrscheinlich eben nicht unübel geformte Frau heirathete, und
grade dadurch nach einigen Jahren zu seiner oft etwas beschränkten,
aber doch möglichst ruhigen Weltanschauung kam. Goethe hat
nach seiner Wahrheit und Dichtung ein nettes, vermuthlich armes, bürgerliches
Mädchen, Gretchen, geliebt, und diese Liebe wohl ziemlich cultivirt.
Seine wohlhabenden, spießbürgerlichen Eltern haben ihm aber
wie es scheint, nicht erlaubt, seine Leiden oder Versehen durch die Ehe
zu mildern. Der Sohn fand freilich bald nachher in Kunst und Leben Abwechslungen,
— aber alte Liebe rostet nicht, auch nicht bei dem angeblich so
objectivem Goethe. Fast alle Mädchen und Damen, die er geschildert
hat, haben etwas von dem Gretchen aus seiner Wahrheit und Dichtung. Margaretha
im Faust, Clärchen im Egmont, Mariane in den Geschwistern, die Spinnerin
in dem nach ihr benannten Gedichte, sind dieselben Personen. Lotte im
Werther, Mariane und Mignon im Meister, Leonore im Tasso, Eugenie in der
natürlichen Tochter p.p. sind, wie das einem gebildeten Dichter sehr
leicht war, in Sprache und äußerer Erscheinung zwar etwas anders
ausstaffirt worden als das Normal-Gretchen, — aber den Grundton
haben sie doch von dem lieben Kinde. Iphigenia in Tauris, die Prinzessin
im Tasso, und Philine im Meister entfernen sich am meisten davon, —
aber bis auf die Philine, welche nur die Sinnlichkeit Goethischer Gretchen
besitzt, sind sie dafür auch ziemlich verzerrte Gestalten geworden
: Iphigenia eine ganz ungriechische, sentimentale Priesterin, halb in
Pylades verliebt, Tasso’s Prinzessin eine geist- und sentenzenreiche
Schwätzerin, an einem Theetische recht unterhaltend. Daß Goethe
bei einem Talente, wie das seinige ist, dennoch hier und da außer
Hauptfiguren, wie die genannten, weibliche Nebenfiguren etwas anders zu
markiren wußte, fällt nur einem Kopfe auf, der nichts machen
kann.
Mit seinen Helden, Männern, lustigen
Burschen geht es Goethe wie mit seinen Damen, — sind die meistens
ein Gretchen, so sind die Herren meistens Er selbst. Es sind begabte Menschen,
richtig gezeichnet, dafür jedoch auch einer wie der andere schwach,
auch gutmüthig, solange sie keinen Grund haben, ärgerlich zu
seyn, höchstens mit einem Anklange von Wehmuth dabei. Diesen Anklang
wissen sie aber immer bald zu vertreiben : Egmont streicht sich über
die Stirn, und fort ist alles, Faust vergißt sein dämonisches
Wesen bei Liebeständeleien und Blocksbergsspectakeln. Werther, Goetz,
Wilhelm Meister, Söller ect. [sic], sind es nicht Leute nach demselben
Modell ? Orest und Tasso dazu, nur schwazt [sic] letzterer etwas mehr
als die anderen.
Dennoch bleibt im Munde seiner Kritikaster
Goethe noch stets objectiver als Schiller.
Nur in den kleineren lyrischen und erzählenden
Gedichten Goethe’s, möchte diese größere Objectivität
statt finden. Diese Gedichte entstanden bei ihm aus augenblicklichem Gefühl.
Sobald er aber selbst in diesem Fache größere Compositionen
versucht, wie etwa die Braut von Corinth, wird er matt, verräth angestrengte,
und doch nicht tiefe Ueberlegung, und steht einem großen Nebenbuhler
weit nach. Da möchte denn doch Mancher auch hier Schillers gedrängte
Gedankenreihe, geistvolle Auffassung, dramatische Berechnung und herrliche
Sprache, deren Klänge schon an sich, fast so wie die Bibelübersetzung
von Luther, das Herz erheben, den Goethischen Versuchen vorziehen.
Schiller hatte einen ganz anderen inneren
und äußeren Lebenslauf als Goethe. Niederen Standes, in die
Stuttgarter Militairschule gezwängt, um von da aus die Brot:Carriere
zu machen, erschuf er, um seine vom bürgerlichen Lebensverhältniß
gedrückte Brust zu lüften, die Räuber. Nachher verliebte
er sich, und außer tiefgefühltem Schmerz, schafft nichts mehr
als die Liebe (einerlei, ob unglücklich oder glücklich) den
Poeten, — aber er genoß in seiner Jugend der Liebe
nicht, wie Goethe vermuthlich gethan. Herr Buchhändler Schwan in
Mannheim hielt es für räthlich, dem jungen, unbemittelten, bloß
von seinem Geiste zehrenden Mann die Hand seiner Tochter Laura zu verweigern.
So erreichte er das Mannesalter, ohne äußeres Glück gekannt
zu haben. Er mußte sich in sich selbst zurückziehen, und mit
Idealen begnügen. Doch ein Geist wie der seinige, zwar übervoll
von Gedanken, tüchtige und phantastische durcheinander, aber auch
im Drama unaufhörlich mit der Darstellung der realen Welt beschäftigt,
merkte bald daß poetische Gebilde nicht bloß Gedanken seyn,
sondern auch Form und Körper haben wollen. Und da strebte er denn
mit der ihm eigenthümlichen Kraft, die Welt, das Leben und den Menschen
aus Erfahrung und Geschichte kennen zu lernen, und daß er mehr und
mehr diese Kenntniß errang, bezeugen seit dem Wallenstein alle seine
großen Werke. Er wird mit Ausnahme der Braut von Messina (die vielleicht
viele Anklänge früherer Zeit und früheren Naturells ausspricht,
und ihm dadurch für stets die Brust lüftete) immer wahrer, objectiver,
und in Naturschilderungen eben so trefflich als Goethe. Man lese nur den
Tell und das Fragment vom Demetrius.
Schillers Geist und Fleiß hatten am Ende
seiner Laufbahn das erobert, was Goethe’s Talent und Glück
bei dem Anfang der Goethischen besaßen. Schiller begann
mit einer Semele und schloß mit einem Tell, Goethe begann mit dem
Werther und dem Goetz von Berlichingen, und schloß mit der natürlichen
Tochter und den Wahlverwandtschaften. Die Belletristen mögen über
den Unterschied dieses verschiedenartigen Endes urtheilen. Was Goethe
seit den Wahlverwandtschaften und der natürlichen Tochter geliefert
hat, verdient nur, daß seine Lobhudler in berüchtigter Art
es loben. Darum erwähn’ ich es nicht.
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*Obiger Aufsatz wurde, wie ich erweisen
kann, vor den letzten Tagen des Juli d. J. geschrieben. Diese Tage rütteln
die Welt wieder auf, wenn auch der wohlhabende Mittelstand in seinen Geld-
und Erwerbs-Systemen ebenso befangen seyn sollte, als 1789 die adligen
und geistlichen Kasten, trotz der Wuth mit welcher ihre Mehrzahl anfänglich
die Revolution begünstigte, in ihren verjährten Rechts- und
Lebens-Ansichten es waren. Immerhin wird vorliegender Aufsatz mit seinen
gelegentlichen politischen Bemerkungen doch nicht zu spät kommen.
Denn daß seit Belle-Alliance eine Zeit war, wo man der äußeren
Erscheinung nach große Abspannung, einige Anspannung, aber wenige
Thatkraft gewahrte, ist historisch.
**Kaum
ist etwas widriger, als wenn ein Autor zwanzig, dreißig Druckbogen
füllt, und dann versichert, es wäre hier nicht der Ort dazu,
weiter über die Sache zu sprechen. Vorliegenden Falls ist nun der
Ort dazu, und doch deut’ ich Vieles bloß an, grade weil es
der Leser in der qu. Briefwechselei nachzusuchen und zu finden vermag,
ohne den Setzer dieses zu belästigen. Er leihe die Briefwechselei
aus irgendeiner Leihbibliothek und bei offnen Augen wird er finden :
1. daß ich recht habe,
2. daß man mir nicht verdenken darf, wenn ich der Trivialitäten
wegen, welche hier erwähnt werden, sowohl sie nicht abzuschreiben
als Tinte und Papier zu schonen gedenke. Was ich sage, hoff’ ich
beweisen, das heißt, wahrscheinlich machen zu können. Mehreres
verlangt kaum ein Jurist, noch weniger ein Schöngeist, wenn er —
Menschen kennt.
Grabbe
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