Kimmungen
Bernd Lüttgerding
Dunst umfließt
den Turm, zuckend im Gemeißel matter Vogelstimmen und schwappt heiß
ins Sonnenzimmer. Auf der Straße flirren trügerische Tümpel
aus Luft und Licht. Atem stockt.
Was tust du jetzt, Leni ?
Endlich entwurzelt den Blick zögerndes
Auf und Abgehen, flicht ihn in einen Kreis kurzer Strecke, immer an der
Wand lang, an Fenster um Fenster vorbei, bis er wieder Weites sucht. Hier
erbreiten sich Stoppelfelder, verschwimmen in brodelnd Halbdurchsichtigem.
Ganz fern und blühend grau der Hain, die Ahnung einer Stadt. Langsam
nur brandet Weile auf Weile im Meer der — Komm mich besuchen, wenn
du magst. Hat sie das gesagt ? — Oder ich ? Durch die Leere, himmelweiß
hallen die Wellen, die Tropfen, die fallen, träge und taktlos. Ein
gastrales Stimmchen aber wispert zart und unbeirrbar. In den Zug setzen,
einfach, und zu ihr fahren.
Ein denkbarer Bahnhof. Unverständliches
räuspernd tosen Lautsprecherstimmen durch die Säle. Abschiedsfiguren
baden darin. Was noch ? Steif und gelb rollt ranziger Atem treppan auf
den Bahnsteig. Eine vergessene Quarre watschelt tränend vorbei, ertrinkt
im Kreischen des haltenden Zuges. Noch etwas ? Ein Wankender gröhlt
in die Aussteigenden, das könne doch nicht, könne doch alles
nicht wahr sein. Wachpersonal kommt gerannt, erst leise, dann schreiend,
demonstrativ sich aus dem Gesicht fächernd des Trunkenen Rausch.
Als sie an ihm zu zerren beginnen, wird er vorne feucht und kippt um.
Einander in den Armen liegen, zwei alte Damen. Und dort die Wiedervereinigung
eines Liebespaares, vager Anblick zwischen Erhebung und Abscheu. Stumm
federn die Zeiger von fünf oder sechs Uhren, bis ein Pfiff ins Führerohr
schneidet und das Panorama mit einem Ruck aus den Fugen gerät. Wenn
Engel reisen, lacht der Himmel. Reisen aber Liebende, weint er nicht.
Der Himmel ist nur weiße Flammenflut.
Gepfercht in rotes Plastpolster das Vorbei
betrachten. Bekanntes verruckelt, flache Weite, zitternde Felder, flatternde
Haine, Städte im Nebel. — Alles wie gehabt.
Wortflockengestöber entbraust dem Gedränge;
aufstiebend im engen Abteil wirbelt und staut es sich deckennah, dröhnt
dumpf im Räder- und Schienenchor. Die dicke Larve gegenüber
kann nicht an sich halten, Kekse in die Runde zu reichen — verkniffener
Danksagungen gewiß.
Gewiß, gewiß.
Luft spielt Wasser-auf-der-Straße.
Ein Auto pflügt hindurch. Weiter. Bis das Haus, ihre Tür erscheint.
Bis ein zweites und drittes Klingeln Lenis Zimmers Leere durchstöbert
und ein Warten im Flur beginnt, wachsam aufhorcht
bei jedem Geräusch und eifrig den Eingang belauert. Endlich endet
es mit ihrem Gesicht, das tagbeladen hereinschlüpft, — endet
mit einem vereisten Blick.
Nein.
Es war im Fliederwald — gewiß.
Lag nicht Dämmer schon bei den Stämmen — als wir uns entgegenstanden
im Blütenfall — und ein Ja, duftbespreizt — auf uns herab
schien ? — Es war nicht nur herbes Dunkel, gleichend etlich anderem.
Zwischen gleich und Gleichem Gestammeltes.
Dein Flüstern, immer hörbar, wie
es im Turm sank.
Die Tür — nein, du öffnest
ja.
Wer sagt, sie ist allein und wartet ?
Oder ein anderer, ein Verdutzter öffnet,
wirft gelassen eine Frage hinter sich.
— Bewohnt sie nicht längst eine
gänzlich andere Welt ?
Bereits gelber leuchtet das Land. Sperlinge
kreischen im gebüsch am Fuß des Turms. Unscharfes Glitzern.
Es ist kein Verlaß.
Als Wind aufkommt, spannt er einen Wolkenbogen
über den Horizont. Wind verwischt die Kimmungen, treibt Staub über
die Felder. Zeit treibt Tage durch die Nacht.
Kein Verlaß.
Und keiner könnt sagen, sie wartet
noch, freut sich doch, ist nicht Nachmittagstraum nur, und gewesen.
Wer sagt, sie ist nicht geträumt, entsprungen
dem Nichts eines Tages ?
Leni, in die Stille gesprochen.
Was könnte sie jetzt grade tun ?
Immer mehr
Wolken wallen blauschwarz, bergig geballt über Äcker hin, die
schön im Schatten schwinden. Inmitten klafft ein Abend. Sein Rot
rinnt durchs Regengebirge, tropft auf den Wald und die Nachtstadt. Dicht
darüber blinkt ganz kurz ein weißer Riß.
***
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