Baader Steinkamp
in

Auf nach Australien

Ein Stück in elektrischen Akten

Erste Akte

Wir erfahren von einem guten Fotografen-Freund Margot Hemingways, was die Tragödie ihres Lebens ausmachte : »Sie sehnte sich immer nach Liebe, hatte auch immer jemanden, der sie liebte, aber immer, immer war es der falsche !« Außerdem wurde sie nie auf Parties eingeladen. Alle fanden sie echt nett, aber die Leute hatten angst, ihren Namen auf der Einladungskarte verkehrt zu schreiben.

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Uschi Glas und Renate Schmidt erinnern sich an ihren ersten Bikini. Ein, nein zwei Stoffetzen werden fünfzig, so alt wie ihre bajuwarischen Trägersubstanzen. Schätzchen sollte vielleicht doch nicht mehr so heftig zur Sache gehen, aber das wirkliche Verbrechen liegt nicht darin, daß sie nicht aufgehört hat, Zweiteiler zu tragen, sondern darin, daß sie angefangen hat, Mehrteiler zu drehen. »Mit dem Bikini wurde aus der kleinen Uschi eine große Frau«

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Ulrike Meyfahrt bricht einen Rekord. Eine Marathonläuferin ist nicht mehr »... Herrin ihrer Sinne ! Das sind keine Bilder, die wir bei Olympia haben wollen !« Oder nicht ? Ein betagter Ex-Athlet faselt von Selbstüberwindung, während seine Frau ihm ausnahmsweise nicht das Händchen halten darf. 1912 : der bislang (hoffentlich) einzige Todesfall beim Marathon — der bislang (hoffentlich ?) einzige Fall von Selbstüberwindung beim Marathon.

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Die schlimmsten Fallen beim Urlaub 94. Vorteilsclubs bieten keine Vorteile. »Vorsicht ist geboten !« warnt die Ansagerin, und zwar mit demselben wiener Akzent, den der Mörder aus der heutigen Columbo-Folge sprechen mußte, um dem deutschen Zuschauer seine, des Mörders, Zugehörigkeit zur fiesen morbiden Oberschicht vor Ohren zu führen.

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»Der 46-jährige Lehrer aus Toronto weiß seit 15 Jahren, daß er HIV-positiv ist. Der Arzneimittelcocktail, den er täglich zu sich nehmen muß, unterdrückt die Viren, so gut er kann«

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»Das ist ja alles so einfach. Du schiebst mich ab, und damit ist die Sache für dich erledigt ! Was hast du mir nicht alles erzählt ! Es wäre nicht ernst gemeint. Es wäre nur Spaß !« — »Wir haben einfach keine andere Wahl !«

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»... das heißt, nicht ganz zwangsläufig. Mit Ariel Futur können Sie die Fusselbildung verhindern !«

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Wieder Renate Schmidt : »Es ist zum Beispiel schön, im Wasser möglichst viel nackerte Haut zu haben« Sie erklärt ausführlich die Vorzüge der Freikörperkultur. Dabei : brutale Nahaufnahme ihrer Mundfältchen.

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»... und nach der Werbung : Menschenwürdiger Tod oder Mord ? In Australien ist jetzt aktive Sterbehilfe erlaubt. Für die Kirche — eine Todsünde !«

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»Beruf : Pornostar. Sie stehen zu ihrem Job — vor und hinter der Kamera«

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»Fünfzehn Stunden lang geht alles gut. Die Insassen träumen schon von unserem Ziel im sonnigen Spanien. Da — mitten auf der französischen Autobahn : die Achsenaufhängung ! ›Lebensgefährlich‹ meinen die Flics. In diesem Zustand dürfte der Bus eigentlich nicht mehr weiterfahren«

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Die Frau, deren Gesicht vom Krebs völlig neudefiniert worden ist, findet Verständnis bei Dr. Julius Hacketal.
Hacketal im Interview : »Aktive Sterbehilfe — find ich toll, find ich wunderbar...« Grauenhaftes am Rand : Hacketals blau-gelb-gestreifte Strickjacke. Nur weil sie kein Bewußtsein hat, muß sie ewig leben. Ein Fall für Peter Singer.

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»Mehr Vitalität, mehr Schutz für einen strahlenderen Teint«

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»Wasserenthärter ? Brauch ich nicht !« — »Das kann aber teuer werden !«

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»Mmmh : Bratkartoffeln — selbstgemacht ?«

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»Ist Ihnen klar, daß Sie sterben werden, wenn Sie die Ja-Taste drücken ?«
»In 15 Sekunden werden Sie eine tödliche Dosis erhalten« — mit Pfanni ?

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»Ein Weg, den die 86-jährige Schauspielerin Brigitte Mira nicht fürchtet« — »Auf nach Australien. Das ist überhaupt die Lösung !« Ein hoffnungsvoller Gesichtsausdruck — nur diese traurigen Triefaugen. Warum kommt mir gerade jetzt der schwerkranke Boxer meines Nachbarn in den Sinn ? Er wurde letzte Woche eingeschläfert. Vielleicht kann ich Brigitte die Nummer des Veterinärs geben — da muß sie nicht so weit fahren.

Vorhang

Kurze Pause

Die Werbung ruft, aber ich hab die Blase voll. Auf der Toilette — eine Herausforderung auch für meinen knackig-jungen Körper : beim Pinkeln aus dem Stand ziele ich für gewöhnlich auf das WC-Frische-Stück, welches, wenn getroffen, viel intensiver duftet als beim Spülen. Doch ich bin ledig. Was, wenn ich daneben treffe ? Egal — Putzkraft zahlt die Pflegeversicherung, und wenn die Kassen pleite gehen : auf nach Australien !

Ende der Pause

Zweite Akte

Brigitte Mira : »Daß der Papst soviel Macht hat über die Menschen !« Das verwundert dich, empört dich gar ? Bedenke : die Menschen dort draußen huldigen der dreifachen Krone und der Trinität vom Grill aus ein und demselben Grund: sie wollen es nicht anders !

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Eine Mutter, deren Haupthaar schamhafter ist als die Person, die es krönt, erzählt, wie Wölfe ihrer Tochter ein Bein ausgerissen haben. »Mit dem stark blutenden Kind einen Kilometer ins Krankenhaus«
Im Zoo von Seattle : der 28-jährige Matthews ist ins Bärengehege gefallen. »Auge in Auge mit Raubtieren«

meanwhile, in another part of the world :

»Im vergangenen Jahr wurden über 3000 artgeschützte Schildkröten aus Serbien nach Deutschland gebracht«

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»Die Mängel sind erheblich. Wir fahren weiter — nicht in die Werkstatt, sondern zur nächsten TÜV-Station. Wir wollen prüfen, ob die Kollegen dort den Wagen genauso sorgfältig untersuchen, wie ihre Vorgänger«

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»Das verzweifelte Ringen um ein Menschenleben. Als alle vermeintlichen Feinde vertrieben sind, stellt der Bär seinen Kampf ein« Schade.

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»Dieser TÜV konstatiert erheblich weniger Mängel. Aber auch hier sind sie erheblich. Eine neue Plakette gibt es wieder nicht«

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»Und wo sitzen die Prothesen jetzt an deinem Körper ?« »An meinen Oberarmen und an der linken Schulter habe ich eine Thorax-Prothese, die kann ich mit dem großen Oberarmmuskel steuern. Wenn ich den hinteren Schultermuskel stark anspanne, drehe ich nach außen, wenn ich den vorderen Schultermuskel stark anspanne, drehe ich nach innen« »Faszinierend ! Und du bist so auf die Welt gekommen ...« »Ohne die Prothesen« »Natürlich, natürlich« (Lacht künstlich) »Wollen Sie sich über mich lustig machen ?«

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»Aber man sollte die oberflächlichen Prüfungen nicht zum Anlaß nehmen, sich so lange wie möglich durchzumogeln. Schließlich können verkehrsuntaugliche Autos Leben kosten !«

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Brigitte Mira : »Das ist überhaupt die Lösung !«

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»... das kleine Wunder gegen Fett !« Der Name des phantasierten Konkurrenzspülmittels, bei dem schon mal Stärkereste zurückbleiben, wurde mit eben der Technik unkenntlich gemacht, die auch schon die Gesichter der schlampigen TÜV-Kontrolleure verfremdet hat.

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Auf der Valensina-Plantage halten sich die Sklaven Zeitungen vor ihr grinsendes Perlweiß-Gebiß, während die Orangen die 13 Monate Sonne auskosten. Ich mag nicht glauben, daß Neger oder Zahnarztfrauen lesen können.

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»Manchmal kommt es besonders auf die Sauberkeit der Wäsche an, die in Kontakt mit der Haut kommt !«

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»... daß sich die Frau in einer Notlage befindet, ist diesen Männern grad recht. Sie wollen jemanden, der gefügig ist« — Ulrich Meyers Kommentar : »Wenn Sie mich fragen, am ehrlichsten fand ich da noch den Penner, der unserem Lockvogel gleich am Anfang gesagt hat: ›Die Straße ist nicht der richtige Ort für dich. Besser du verschwindest wieder ! ‹«

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»Denn so schön wird er ohne Zähne nie wieder lächeln«

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»Das Wichtigste im Leben eines jungen Menschen: ein Gespräch unter vier Augen. Auch später, wenn es um die Sicherung der eigenen Zukunft geht«

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»Nicole hat ihren Traumberuf gefunden« Die Titten der Pornoqueen hängen mit genau der Nonchalance, die auch schon die Wangen der berlinernden Schauspielerin ihren Gesichtsknochen entfremdet hat. »Es gibt sehr viele Pornostars, sag ich mal, die auch schauspielern wollen, sag ich mal, und ich sag ›warum nicht‹. Also viele sind auch der Ansicht, daß Pornostars, sag ich mal, für was anderes nicht geeignet sind ...« »Die beiden Blondinen aus Benelux machen es gern gemeinsam ...« Zwei Blondinen aus drei Staaten. Prostitution challenges mathematics.

Große Pause

Ich muß jetzt duschen. Und Haare waschen. Und die Spinne in der Küche umbringen.

Ende der Pause

Dritte Akte

»Sprengmeister muß man sich gleichzeitig als Künstler und Handwerker vorstellen ...« Damit hat er, unser junger, sensibler Alexander-Kluge-Gesprächspartner, sich aufs Widerlichste als Künstler entlarvt — er würde sagen : »›Geoutet‹ würde man heute wohl sagen«
»Diese Faszination, die wir als Zuschauer erleben, diese Gewalt der Sprengung — das alles interessiert den Sprengmeister gar nicht. Der guckt auf seine Geräte« »Wie würden Sie das Genre bezeichnen: Dokumentation, Performance, Blow-In ?« »Installation« Sprengmeister — Filmemacher — Heizungsmonteur : der Kreis schließt sich.
»Welt, gerade in ihrer Alltäglichkeit ...« »Ruinen ...«
Der zweite Installateur hat ebenso wirres Haar wie sein Freund/Partner/Kollege, aber sein Gesicht ist grobschlächtiger — obgleich keineswegs sympathisch — er präsentiert schamlos sein Stonehenge-Gebiß. Die Lücken : voller spiritueller Energie, doch zu klein für Dynamit.
»In unserer Psyche ist ein natürlicher Reflex, daß sie Lust empfinden kann beim Bauen und beim Zerstören. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ...« Das mit der Zerstören-Seite kann ich immer besser verstehen, je länger ich seiner Trümmerfresse dabei zusehen muß, wie sie Phoneme erzeugt, Morpheme, Sätze, Texte, alles, nur keinen Sinn.
»Ernst Jünger sieht einen Bombenangriff in Paris — und ist fasziniert« Ein böser Bube, aber rüstig. »Wie ist Stahlbeton eigentlich zu sprengen ?« Endlich kommen sie zu den interessanten Fragen. Was mich noch interessierte : warum ist Ernst Jünger so haltbar ? Das Geheimnis verrät der TÜV in Wilfingen : der Mann hat ne stahlgewitterfeste Karosserie, da is Stahlbeton Fimo gegen. »Der Altbau scheint eine eigene Mimik zu haben. Er ist etwas breiig in seiner Konsistenz, aber bei seiner Sprengung entwickelt er regelrecht menschliche Ausdruckskraft. Moderne Konstruktionen verhalten sich dagegen meist wie Skelettbauten, die dann tatsächlich wie Kartenhäuser zusammenfallen« Tolle Metapher — selber Skelettbau ! »Und, was man sich selten oder nie klarmacht : so ein Gebäude ist ja eigentlich gar nichts Massives. Es besteht zu 90 % aus Luft« (was ist mit deinem Schädel ?) »Bei der Sprengung wird das offensichtlich« Diese Möglichkeit der Verifikation haben wir nicht. Jedenfalls nicht hier. Vielleicht in Australien. Ist das die Lösung ? Splatter ? David Cronenberg statt Peter Singer ?
Der Schöne wieder, bei dem wenigstens die Zähne intakt sind, erzählt, wieviel Kraft er aus seiner Zeit beim Theater noch heute schöpfen kann : »Eigentlich bestanden meine Aufgaben dort fast aussschließlich in Kulissenschieben, Farbe holen, Helme putzen« Ein Anflug von Selbstironie ? »... Dialog zwischen dem, was man geschaffen hat und einem Raum, den man bespielt ...« Nee, alles ernst gemeint.
»... insofern ist der Vergleich zum Theater vielleicht passend. Ich bezeichne mich gern als Archäologen im Sinne von ›Schichtenaufdecker‹« Was für ein Sepp ! »Wir haben Stadtschichten abgeblättert und in leere Räume geguckt, die aber eine unglaubliche Kraft haben. Man weiß nicht, woher diese Kraft kommt ...«
Meine Reserven schwinden und ich weiß nicht wohin. Vor Schwäche ganz enthusiastisch, sitze ich krumm auf dem Fußboden, spüre mein linkes Schulterblatt hervorstechen und visualisiere meine Lendenwirbelsäule. Die untere Bandscheibe versucht herauszurutschen aus dem asymmetrisch-skoliotischen Gefüge. Ich denke an die Leerräume in meinem Körper, stelle mir vor, wie man mich sprengt, wie dadurch orgiastische Erlebnisse bei anderen hervorgerufen werden, vielleicht meine letzte Chance, wenigstens quasisexuelle Attraktivität zu erlangen. Das ist überhaupt die Lösung.
»... fällt in sich zusammen, gibt sein letztes spezifisches Lebenszeichen von sich« — »Er seufzte noch einmal und sank hin !« — »Ja !«
(Ja.)
Ja.

Vorhang

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