KOMMANDO GEGEN TOTGESCHWIEGENSEIN UND IGNORIERTWERDEN

LESBENKRÜPPELGRUPPEN — DAS NONPLUSULTRA !

Carsta K. (Pseudonym) & Kathrin Lahusen

Überall und nirgens zu Haus — behinderte Lesben !

I

Zum ersten Mal setzten sich im Rahmen der überregionalen Tagung "Behinderte - Frauen - Politik" behinderte Lesben zusammen, um an ihren speziellen Themen und Auseinandersetzungen weiter zu diskutieren.

1.) Behinderte Lesben in Lesbenzusammenhängen

Auch in Lesbenzusammenhängen werden behinderte Lesben diskriminiert und ausgegrenzt, z.B. durch behindertenfeindliche Äußerungen in Abwesenheit der jeweiligen behinderten Lesbe. Eine andere Teilnehmerin schilderte, daß es auf dem Frauenschwoof so laut sei, daß sie nicht verstanden würde (akustisch). Einige zogen daraus den Schluß, sich nur begrenzt in der Frauen-&Lesbenbewegung zu engagieren, während andere sich wünschten, selbstverständlich "da sein" zu können.

2.) Behinderte Lesben in der Krüppelfrauenbewegung

Mehrere Lesben schilderten, daß sie in Gruppen "Frauen mit Behinderungen" oft diskriminiert worden waren und viele Gruppen auch deshalb auseinanderbrachen. Offensichtlich ist es für selbst diskriminierte Gruppen zu bedrohlich nachzuvollziehen, daß andere mehrfach diskriminiert werden : Unterschiede zwischen behinderten Frauen und Lesben werden geleugnet. Es wurde von allen positiv wahrgenommen, daß auf dieser — von bifos organisierten — Tagung Raum zur Verfügung stand für die Auseinandersetzung unter und mit behinderten Lesben.

3.) Unsichtbare Behinderungen, Rausfallen aus den Behinderten-Normen

Lesben mit unsichtbaren Behinderungen sitzen oft noch mehr zwischen allen Stühlen als sichtbar behinderte Lesben. Einerseits können sie als nicht behindert "durchgehen" und diese Mäglichkeit [!] als Vorteil für sich nutzen. Andererseits leben nicht sichtbar behinderte Lesben mit einer unklareren Identität, was sich nachteilig auswirkt. Einzelne bekommen die Rückmeldung "Du bist ja nicht behindert" oder hören diskriminierende Kommentare über Krüppellesben, weil sie versehentlich den Nicht-Behinderten zugeordnet werden. Ein Beispiel : Bei einer Plakat-Aktion "Lieber lebendig als normal" wurde eine nicht sichtbar behinderte Lesbe nicht der Gruppe der behinderten Frauen-&Lesben zugeordnet. Aufmerksamkeit und Blumen bekamen nur die Rolli-Fahrerinnen. Als sie selbst beim Kechseessen [!] mit der Hand nachhelfen mußte, wurde ihr die Hand weggezogen und gesagt : "Du sollst nicht an den Nägeln kauen !".
Fazit : Unsichtbare Behinderungen werden entweder nicht wahrgenommen oder schneller wieder verdrängt.

4.) Behinderte Lesben in der gemischten Beh.-bewegung

Eine Teilnehmerin berichtete, daß ihre 68er Eltern sie immer wieder aufforderten, sie solle sich in der Behindertenbewegung engagieren. Die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den behinderten Männern veranlassten sie, eine Krüppelfrauengruppe zu gründen. Viele der behinderten Lesben arbeiten dennoch mit behinderten Männern zusammen, haben aber immer auch Austausch mit behinderten Frauen und (nicht behinderten) Lesben.

5.) Lesbenkrüppelgruppen — das Nonplusultra ?!

Der Wunsch nach Austausch mit anderen behinderten Lesben wurde von allen geäußert. Bestimmte Themen betreffen ausschließlich behinderte Lesben und sollten auch nur dort diskutiert werden. Behinderte Lesben flirten untereinander mehr (ist doch klar) und machen sich tolle Komplimente. Viele Krüppellesbengruppen scheitern mangels Teilnahme. An sich leben in Großstädten genug Krüppellesben für eine solche Gruppe. Wie jedoch an den Inhalten unserer Arbeitsgruppe deutlich wird, können und müssen sich Krüppellesben verschiedenen Lebenszusammenhängen zuordnen. D.h., nicht alle Krüppellesben engagieren sich schwerpunktmäßig in einer Gruppe für behinderte Lesben, sondern z.B. in einer gehörlosen FrauenLesbengruppe. Aus diesem Grund streben behinderte Lesben einen überregionalen Austausch an.

II

Zusammengefaßt besteht das existentielle Problem behinderter Lesben darin, weder in der LesbenFrauenbewegung noch in der Behindertenbewegung als separate Gruppe mit einer eigenen Lebensauffassung thematisiert und wahrgenommen zu werden. Die von uns formulierten 11 Forderungen sind sowohl für unsere Position innerhalb der Lesben- und der Behindertenbewegung relevant, wie auch als ein Aufruf an bundesdeutsche Politikerinnen zu verstehen, uns ernst zu nehmen, unsere Lebensweise zu akzeptieren und uns schließlich ideell und finanziell so zu fördern, daß wir nicht länger totgeschwiegen und ignoriert werden !!!

1.) Behinderte Lesben müssen in Zukunft immer und überall Thema sein, d.h. auf Tagungen für behinderte Frauen muß es separate Arbeitsgruppen für behinderte Lesben geben und auch die Netzwerke für behinderte Frauen müssen behinderte Lesben besonders berücksichtigen (das NRW-Netzwerk hat dies als einziges schon getan und auf unsere Belange aufmerksam gemacht).
2.) Es muß eine Sammelstelle für Themen, die behinderte Lesben betreffen, eingerichtet werden (Literatur, Bibliographien etc.) Hier sollte langfristig eine Stelle für eine behinderte Lesbe geschaffen werden, die genau für diesen Arbeitsbereich zuständig ist. Lassen sich diese Vorhaben im "Hessischen Koordinationsbüro für behinderte Frauen" ansiedeln ?
3.) Förderung von sämtlichen Lesbenprojekten bzgl. behindertem gerechten Ausbau und Umbau; die Zugänglichkeit muß für alle behinderten Lesben sichergestellt sein. Hier müssen auch die Belange blinder und gehörloser Lesben sichergestellt sein (Bereitstellung von Gebärdendolmetscherinnen auf Lesbenwochen u.ä.; Lesbenzeitschriften in Punktschrift und/oder auf Kassette).
4.) Lesbische behinderte Identität muß als (gewählte) ganzheitliche Lebensform anerkannt und unterstützt werden.
5.) Förderung der behindertenlesbischen Subkultur, z.B. durch die Bereitstellung von Geldern für 2 überregionale Treffen pro Jahr.
6.) In den Ausbildungslehrgägen [!] des "peer-counseling" müssen behinderte Lesben berücksichtigt werden, d.h. die Betroffenenberatung muß sich mit dieser Thematik auseinandersetzen; "peer-counseling" muß in der Praxis von und für behinderte Lesben angeboten werden.
7.) Weibliche Homosexualität muß auch in Heimen/Einrichtungen wahrgenommen und gefördert werden; lesbische behinderte Mädchen und junge Frauen brauchen positive lesbische Vorbilder (lesbisches Betreuungspersonal) !!!
8.) Unterstützung von lesbischen Assistenznehmerinnen, bei Bedarf (!) Supervision.
9.) Sicherstellung lesbischer Assistenz bei Assistenzgenossenschaften und anderen Trägern.
10.) Förderung von bereits existierenden und noch zu gründenden Lesbennetzwerken von und für behinderte Lesben (Bereitstellung von Geldern).
11.) Schaffung und Förderung von Comingout-Gruppen für behinderte lesbische Mädchen und Frauen.

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