Georg Herwegh 1840
Die deutschen
Professoren.
Eine zoologische Abhandlung.
Ja, ihr seid die Leute, mit euch
wird die Weisheit sterben
Hiob 12,2
Eine zoologische
Abhandlung; ich werde sie anders benennen, sobald man mir beweist, daß
ein Professor dem Staate je einen Menschen erzogen hat. Ausgenommen sind
die Herren Professoren S c h e l l i n g, S c h i l l e r, F
i c h t e, H e g e l, überhaupt die jungen und alten Zelebritäten
unserer Nation, die das Unglück hatten, diesen traurigen Namen als
Aushängeschild gebrauchen zu müssen. Es ist das schöne
Vorrecht unseres Jahrhunderts, daß es eine Wahrheit nur dann als
Wahrheit anzuerkennen hat, wenn sie aus dem Munde eines Patentierten,
eines Angestellten kommt. Glaube, Liebe und Hoffnung sind offiziell geworden,
und Gott selbst existiert nur, so lange nicht die Menschheit, sondern
ein Professor es behauptet. Mein Charakter als Bürger, als vernünftiger
Mann berechtigen mich heutzutage nicht mehr, ohne Hindernisse zu meiner
Nation zu reden. Will ich mir einen Einfluß nicht nur auf die guten,
sondern auch auf die bösen Geister erobern, so muß ich mich
zur Annahme irgendeines Titels oder Ranges bequemen; ich muß einen
Laufpaß vom Staate haben, wenn die liebe Jugend, die eine Karriere
zu machen gedenkt, mir zuhorchen soll.
Von zehn Untugenden, die ich besitze, habe
ich immer neun einem Professor zu danken. Wenn ich trotz meinen hochverehrten
Lehrern ein Mensch geworden bin, so preise ich dafür meinen Genius,
der sorgsam über die ihm anvertraute Seele gewacht hat. Mein Feind
wird es mir nicht nachsagen können, daß ich einem Professor
eine Schuld abzutragen hätte. Ich bin heute auf hundert Sachen stolz,
für die ich in der Schule Schläge, auf höheren Anstalten
Verweise bekommen habe. Der unvertilgbare Spott der deutschen Jugend,
den sie über ihre Lehrer, allerdings oft recht unhöflich ausgießt,
ist wahr, unendlich wahr. Von dreißig Schülern stehen in der
Regel zwanzig moralisch hoch über ihrem Professor.
Sie besitzen noch, was der letztere vergeudet
und verloren hat, die poetische Mitgift des Lebens ganz und ungeschmälert.
Sie haben nicht den Fonds von Kenntnissen, wie er — sehr richtig,
so unbedeutend diese oft bei den Lehrern sind; sie haben nicht seine Erfahrungen,
— sie mögen sich glücklich schätzen; aber sie haben
noch Blut im Herzen statt griechischer Partikeln, und sind noch naiv genug,
bei sich anzufragen, was es sie eigentlich interessieren könne, ob
ut den Indikativ oder Konjunktiv regiere.
Warum sie die blühende Gegenwart aufgeben
sollen, um in eine verwitterte Vergangenheit sich zurückzuversetzen
? Warum man ihnen Luft und Sonne stehle, um sie auf die staubigen Bänke
der Schule oder des Kollegiums zu ban nen ? Daß sie es den Nachgebornen
einst wieder so machen können ? Daß sie ewig nur ein Rad im
Kreise drehen ? Ist es der Mühe wert, so viel schöne Jahre zu
verschleudern, um es endlich nicht weiter zu bringen, als der Herr, der
vom Katheder herunter die unfruchtbare Weisheit doziert ? Alle Erziehung
soll nur darauf hinauslaufen, den Menschen zu einem f r e i e n
M a n n [!] zu bilden, oder vielmehr, da der Mensch so lange frei ist,
bis er einem deutschen Professor unter die Hände gerät, die
angeborne Freiheit zu erhalten, zu entwickeln, ihr Inhalt und Fülle
zu geben. Nicht, daß ich mein Brot erwerbe, nicht, daß ich
Jurist, nicht, daß ich Theolog, nicht, daß ich Mediziner werde,
ist es zunächst, warum ich lerne, warum ich mir Kenntnisse sammle;
ich lerne, ich sammle mir Kenntnisse zunächst, um durch diese Bereicherung
meines Geistes mich freier und unabhängiger von den Zufälligkeiten
des Lebens zu machen. Der Jüngling denkt früher an das Ideal,
als an das Brot; der Professor, wie er sein soll, meistens nur noch an
das letztere. Er ist der treugehorsame Diener des Staats, seine erste
Pflicht, dem Staat ebenso treue, gehorsame Diener herauszubilden. Welches
bessere Mittel findet er zur Erfüllung dieser seiner Obliegenheit,
als seine Untertanen, die Schüler, recht bald fühlen zu lassen,
daß sie zunächst seine, und so gradatim immer wieder die Sklaven
eines Höheren sind bis in das religiöse Gebiet, da auch in diesem
Gott stets als ein kleiner Tyrann geschildert wird. Das Altertum ist dem
Professor nur vorhanden, um ihm Gelegenheit zu geben, den Kram von Notizen,
die er durch Sitzfleisch sich angeeignet, vor den erstaunten Zöglingen
recht prunkend auszubreiten; die Schlacht von Marathon findet er hübsch,
weil er dabei eine geographische Bemerkung machen kann. Die Reden des
Demosthenes patriotisch, weil sie im reinsten attischen Dialekte geschrieben
sind. Am lustigsten benehmen sich diese Pygmäen den Männern
der Geschichte gegenüber. Für den Kammerdiener gibt es keinen
großen Mann. Da ist kein Held, an dem sie nichts auszusetzen wissen,
und jedes Phantom von einem Professor wird die geistreiche Phrase anbringen
: »wäre Hannibal nach der Schlacht bei Cannä nur gegen
Rom aufgebrochen !« Kleiner Hannibal ! Großer Professor !
H e in r i c h H e i n e hat diese
Weltverbesserer himmlisch gezeichnet in dem Verse :
Zu fragmentisch ist Welt und
Leben,
Ich will mich zum deutschen Professor begeben,
Der weiß das Leben zusammenzusetzen,
Und er macht ein verständlich System daraus;
Mit seinen Nachtmützen und Schlafrockfetzen
Stopft er die Lücken des Weltenbaus.
Die Däumlingsnatur,
wie sie sich spreizt und wichtig tut, kann wahrhaftig nicht besser charakterisiert
werden. Ja, so sind die Leute, welche das Elend Deutschlands immer größer
füttern ! — Die Eitelkeit eines Professors ist leider nicht
so unschuldig, wie die eines Frauenzimmers, sie ist herrisch, eigensinnig,
tyrannisch; sie möchte alles nach sich ummodeln, alles in das Prokrustesbett
ihrer jeweiligen, meist ärmlichen Begriffe spannen. Wie manches Talent
ist durch die Schuld dieser Herren schon untergegangen ! Wie mancher Keim
ward durch ihre sublime Torheit schon erstickt ! Ein Professor muß
ein Steckenpferd haben, und wehe dem, der es nicht mit ihm reitet ! Der
Professor ist ein Phlegma, und wehe dem, der es nicht mit ihm ist !
Ein junger Mann ist warm und vollblütig,
er liebt, das Leben im Prisma der Poesie anzuschauen; zufällig hat
er einen Professor der Mathematik, dem seine Erziehung anvertraut ward;
er muß ein Stümper in der Mathematik werden, statt daß
er es, seiner Anlage nach, vielleicht zum Meister in der Poesie gebracht
hätte. Das Talent, Talente zu entdecken, geht einem Professor in
der Regel ab. Seine Rute ist meistens eine Birken-, selten eine Wünschelrute.
Unsere Jugend wird systematisch zur Lüge erzogen, indem sie das Unglück
hat, Köpfen unter die Hände zu fallen, die alles aus ihr machen,
nur nicht, zu was sie von Gottes Gnaden berufen ist.
Haß gegen jede schönere, freiere
Lebensnatur ist die Mitgift einer echten professorischen Natur. Ich kenne
einen Lehrer, der es mir heute noch nicht verzeiht, daß ich in einem
Kollegium über Geschichte als den passendsten Kommentar dazu Börnes
Briefe aus Paris unter dem Tisch gelesen. Wenn er vollends gewußt
hätte, daß die Reden, die beim Hambacher Feste gehalten wurden,
in meinem Pulte gewesen wären ! Ich schlechter Mensch !
Ein Professor ist ein Allerweltsmann. Er
liest mit dem einen Auge den H o m e r, mit dem andern das B a s l e r
M i s s i o n s b l a t t. Unvergeßlicher Mann mit der flanellenen
Halsbinde, der du mir einst die Tränen des Achilleus kommentiert
!
Derselbe Pietist erklärte uns den S
o p h o k l e s. Durch ihn wäre ich nie zu einer Einsicht in die
Ökonomie des griechischen Drama gelangt; ich hätte von Sophokles
nicht mehr erfahren, als von Livius und Tacitus, von denen ich lange Zeit
nur wußte, daß jener mit einem halben, dieser mit einem ganzen
Hexameter anfange.
Ich war gewohnt, bei dem nächtlichen
Religionsunterricht mein Licht immer fünf Minuten früher auszulöschen,
als mein begeisterter Lehrer das seinige, und so wurde ich bald als ein
arger Zweifler bekannt. »Wie steht es mit Ihrem Herzen ?«
lautete die honigsüße Frage bei der monatlichen Revue. Wie
steht es mit Ihrem Herzen ? d. h. im pietistischen Jargon : Sind Sie orthodox
oder sind Sie vernünftig ? O, Deutschland hat noch seine Originale
!
Mein Humor verläßt mich, wenn
ich an den letzten Teil meiner Abhandlung denke. Zorn, frommer Zorn führt
meine Feder. E i n d e u t s c h e r P r o f e s s o r
i s t g e s c h w o r n e r F e i n d aller Politik. Er fand
das Bestehende vernünftig, noch ehe Schelling und Hegel geboren waren.
Untertänigkeit, Kriecherei, Speichelleckerei — ein Wörterbuch,
ein Königreich um ein Wörterbuch, in dem das richtige Prädikat
steht ! Ich hasse jeden Kultus, zu welchem der Schneider am meisten beiträgt;
so habe ich mich [!] denn aus Eigensinn in meiner Jugend nie schwarz getragen.
Da wurde eines Tages eine allerhöchste Person erwartet. Ich hatte
ein graues Röckchen an, mein Professor verzweifelte. Ich tröstete
mich mit Napoleon; die allerhöchste Person kam nicht. Wie glücklich
war der gute Mann !
Ich hätte für Polen kein Gefühl,
für die Edelsten und Unglücklichsten meines Vaterlandes keine
Tränen haben dürfen, hätte ich vorher die Erlaubnis eines
deutschen Professors nachsuchen wollen. Bete, arbeite und krieche —
— es leben die deutschen Professoren !
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