Elf Bemerkungen von

Daniil Ivanovic Charms

russischer Übersetzer von Plisch und Plum
& verdienter Kinderbuchautor
Printinpram / Ich reite, reite auf dem Pferd /
Fuchs und Hase / Bulldogge und Dackel / Sonderbarer Rauschebart / Kraniche und Schiffe / Der fröhliche Geiger / Ich habe lang darüber nachgedacht, wie der Tiger auf die Straße kommt / Es war einmal ein Hund / Vom Hunde Bububu / Wie Ma?a den Esel zwang, sie in die Stadt mitzunehmen / Die fröhlichen Zeisige / Die alte Frau, die Tinte kaufen wollte / Wie Papa mir einen Iltis schoß / Ivan Ivanovic Samowar / Der ungezogene Korken u.v.a.

des Volkes

I. Sommer 1933
     Es gibt Klänge, ziemlich laute sogar, die sich nur wenig von der Stille unterscheiden. So zum Beispiel habe ich bemerkt, daß ich von unserer Türklingel nicht aufwache. Wenn ich im Bett liege, so unterscheidet sich der Klang der Klingel nur wenig von der Stille. Das geschieht deshalb, weil er Ähnlichkeit hat mit einer langgestreckten, wurstartigen Form, wie sie das zusammengerollte Ende der Bettdecke hat, das an meinem Ohr liegt. Alle Dinge um mich herum legen sich in bestimmten Formen. Aber einige Formen fehlen. So zum Beispiel fehlen die Formen jener Laute, die Kinder mit ihrem Geschrei und beim Spielen ausstoßen. Deshalb mag ich keine Kinder.

II. Erster Oktober 1933
     Kindern schenken soll man Klingeldraht, Bindfaden und Stöcke.

III. Herbst 1933
     Kinder quälen ist grausam. Aber irgendetwas muß man doch mit ihnen machen !

IV. Herbst 1933
     Ich mag keine Kinder, keine alten Männer, keine alten Frauen und keine vernünftigen älteren Menschen.

V. Juli 1935
     Eines der Grundprinzipien, denen zufolge sich die Wege der Menschen trennen, ist die Leidenschaft für magere oder füllige Frauen.
     Gut wäre, man würde in öffentlichen Parks kleine Alleen für stille Spaziergänge anlegen, mit zweisitzigen Bänken in einem Abstand von 2 Metern voneinander entfernt, wobei man zwischen den Bänken dichte Büsche pflanzen müßte, damit derjenige auf der einen Bank nicht sieht, was auf der anderen geschieht. Auf diesen Alleen sollen folgende Regeln gelten :
     1) Der Zutritt zu diesen Alleen ist für Kinder verboten, sowohl allein als auch in Begleitung der Eltern. 2) Verboten ist jeglicher Lärm und lautes Reden. 3) Sich zu einem Mann auf die Bank zu setzen ist nur eine Frau berechtigt, zu einer Frau nur ein Mann. 4) Wenn der auf der Bank Sitzende neben sich auf den freien Sitzplatz die Hand oder irgendeinen Gegenstand legt, ist sich zu setzen verboten.
     Gleichfalls anlegen müßte man Alleen für einsame Spaziergänge, mit Sesseln für nur eine Person. Zwischen den Sesseln Büsche. Zutritt für Kinder verboten, ebenso Lärm und lautes Reden.
     Hübsche Frauen gehen nicht in Parks spazieren.

VI. Zwölfter November 1935

Sonett

     Mir ist einmal etwas ganz Eigenartiges passiert : Ich hatte auf einmal vergessen, was eher kommt — sieben oder acht.
     Ich ging zu den Nachbarn und fragte, was sie meinten.
     Aber wie groß war meine Verwunderung, als sich plötzlich herausstellte, daß auch sie die Reihenfolge der Zahlen vergessen hatten. 1, 2, 3, 4, 5 und 6 wußten sie noch, aber wie weiter, hatten sie vergessen.
     Wir gingen zusammen zum Kaufhaus »Gastronom« in der Snamenskaja, Ecke Bassejnaja, und fragten die Kassiererin. Die Kassiererin lächelte traurig, nahm ein kleines Hämmerlein aus dem Mund, zog die Luft durch die Nase ein und sagte : »Meines Erachtens kommt sieben in dem Fall nach acht, wenn acht nach sieben kommt.«
     Erfreut bedankten wir uns bei der Kassiererin und liefen hinaus. Doch plötzlich, als wir uns die Auskunft der Kassiererin genauer überlegten, verstummten wir wieder, denn sie kam uns völlig sinnlos vor.

     Was tun ? Wir gingen in den Sommergarten und fingen an, die Bäume zu zählen. Doch als wir bei sechs angelangt waren, blieben wir stehen und gerieten in Streit. Nach Ansicht der einen folgte sieben, nach Ansicht der anderen acht.
     Wir würden noch lange gestritten haben, aber zum Glück fiel ein Kind von der Bank und brach sich beide Kiefer. Das brachte uns von unserem Streit ab.
     Da trennten wir uns und gingen nach Hause

VII. 1936

Aufsatz [Leitartikel]

     vRecht hatte der Kaiser Alexander Vilberdat, der in den Städten einen eigenen Platz für Kinder und deren Mütter abgrenzte, an dem sich diese aufzuhalten hatten. Schwangere Weiber wurden ebenfalls dorthingesetzt, hinter den Zaun, und kränkten fortan nicht mehr mit ihrem widerlichen Anblick die Augen der friedlichen Bevölkerung.
     Der große Kaiser Alexander Vilberdat verstand das Wesen von Kindern nicht weniger als der flämische Maler Ternis, er wußte, daß Kinder, bestenfalls, grausame und launische Greise sind. Zuneigung zu Kindern ist fast dasselbe wie Zuneigung zu Embryos, und Zuneigung zu Embryos ist fast dasselbe wie Zuneigung zu Exkrementen.
     Es ist unvernünftig sich zu brüsten : »Ich bin ein guter Mensch, weil ich Embryos liebe oder weil ich mich gern entleere.« Ebenso unvernünftig ist sich zu brüsten : »Ich bin ein guter Mensch, weil ich Kinder liebe.«
     Den großen Kaiser Alexander Vilberdat ergriff beim Anblick eines Kindes augenblicklich der Brechreiz, aber das hat ihn nicht im mindesten daran gehindert, ein guter Mensch zu sein.
     Ich kannte eine Dame, die immer wieder sagte, sie sei einverstanden im Pferdestall zu übernachten, im Stall bei den Schweinen, im Fuchsbau, wo auch immer — nur nicht dort, wo es nach Kindern riecht. Und in der Tat, das ist der ekelhafteste Geruch, ich würde sogar sagen : der beleidigendste.
     Für einen erwachsenen Menschen ist die Anwesenheit von Kindern beleidigend. Und so galt, zu Zeiten des großen Kaisers Alexander Vilberdat, einem erwachsenen Menschen ein Kind zu zeigen als höchste Beleidigung. Das wurde für schlimmer angesehen, als einem Menschen ins Gesicht zu spucken und ihm dabei sagen wir, auch noch ins Nasenloch zu treffen. Für die »Beleidigung mit einem Kind« wurden blutige Duelle ausgefochten.

VIII. Dreizehnter November 1937
     Ich gehe zur Sitzung der Sektion Kinderliteratur. Ich bin überzeugt, daß man mir Hilfe verweigern und mich aus dem Verband werfen wird.

IX. Zwölfter Oktober 1938
     Ich werde Kapuzineraffe genannt. Dafür werde ich jedem, wie er´s verdient, die Ohren abreißen, aber einstweilen läßt mir der Ruhm von Jean-Jacques Rousseau keine Ruhe. Warum hat Rousseau alles gewußt ? Wie man Kinder windelt und wie man Fräuleins verheiratet ! So gut möchte ich auch alles wissen. Ich weiß zwar schon alles, nur bin ich mir meines Wissens nicht sicher. Was Kinder angeht, so weiß ich genau, daß man sie nicht windeln, sondern vernichten sollte. Zu diesem Zweck würde ich in der Stadt eine Zentralgrube ausheben und die Kinder in diese Grube hineinwerfen. Damit aus der Grube kein Verwesungsgestank dringt, könnte man einmal die Woche ungelöschten Kalk drüberschütten. Auch alle Deutschen Schäferhunde würde ich in diese Grube stoßen. Und nun, wie man Fräuleins verheiratet. Das ist meines Erachtens noch einfacher. Ich würde einen öffentlichen Saal einrichten, wo sich die ganze Jugend, sagen wir einmal im Monat, trifft. Alle im Alter von siebzehn bis fünfunddreißig ziehen sich nackt aus und gehen im Saal auf und ab. Wenn zwei sich gefallen, treten sie zusammen in eine Ecke und betrachten sich dort nun schon näher. Ich vergaß zu sagen, daß jeder ein Schild mit seinem Vornamen, Nachnamen und seiner Adresse um den Hals tragen muß. So kann man dann dem, an dem man Geschmack gefunden hat, schreiben, um engere Bekanntschaft zu knüpfen. Wenn sich in diese Angelegenheiten ein alter Mann oder eine alte Frau einmischt, empfehle ich, sie mit der Axt zu erschlagen und dorthin zu schaffen, wohin auch die Kinder gehören, in die Zentralgrube.
     Gern würde ich das in mir ruhende Wissen weiter darlegen, aber leider muß ich Machorka kaufen. Wenn ich auf die Straße gehe, habe ich immer einen dicken knorrigen Stock bei mir. Ich nehme ihn mit, um die Kinder, die mir vor die Füße geraten, zu verprügeln. Womöglich werde ich deshalb Kapuzineraffe genannt ? Aber wartet, verdammte Bande, ich reiße euch die Ohren ab !

X. Ende Mai / Anfang Juni 1939

     Draußen das verdammte Geschrei der Kinder. Ich liege und male mir Strafen für Kinder aus. Am besten gefällt mir, ihnen einen Starrkrampf anhexen, daß sie sich mit einem Schlag nicht mehr rühren können. Die Eltern tragen sie nach Hause. Sie liegen in ihren Bettchen und können nicht mal mehr essen, weil sie den Mund nicht aufbekommen. Sie werden künstlich ernährt. Nach einer Woche hört der Starrkrampf auf, doch die Kinder sind so matt, daß sie noch einen ganzen Monat im Bett bleiben müssen. Dann genesen sie nach und nach, aber ich hexe ihnen einen zweiten Starrkrampf an, und da verrecken sie alle.

XI. Ende Mai / Anfang Juni 1939

     »Was halten Sie von Leichen ?« frage ich Sakerdon Michailowitsch.
     »Nichts«, sagt Sakerdon Michailowitsch. »Mir graut vor ihnen.«
     »Ja, ich kann Leichen auch nicht ausstehen«, sage ich. »Käme mir eine Leiche unter, ohne eine Verwandte von mir zu sein, ich würde ihr einen Fußtritt geben.«
     »Tote darf man nicht treten«, sagt Sakerdon Michailowitsch.
     »Ich würde ihr mit dem Stiefel ins Gesicht treten«, sage ich. »Leichen und Kinder kann ich nicht ausstehen.«
     »Ja, Kinder sind scheußlich«, bestätigt Sakerdon Michailowitsch.
     »Doch was ist Ihrer Meinung nach schlimmer : Leichen oder Kinder ?« frage ich.
     »Kinder wahrscheinlich, sie stören uns öfter. Leichen platzen wenigstens nicht in unser Leben herein«, sagt Sakerdon Michailowitsch.

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