Bernd Lüttgerding
Es tut weh, aber
im Grunde zählt es nicht
oder
Wenn Steine in Brunnen plumpsen
auch
Lobbylos im Weltgetriebe
Zugleich lernen sie auch, unbeschäftigt
zu sein, indem sie
in den Häusern umherlaufen, ja nicht nur unbeschäftigt, sondern
auch Schwätzer und
solche, die sich in die Angelegenheiten anderer
Leute einmischen und Dinge reden, die sich nicht gehören
1. Timotheus 5,13
Wer im Kote
rührt, darf auf ein Nachlassen des Gestanks nicht hoffen. Vielmehr
läuft er Gefahr, sich zu bekleckern. Besser, man hält die Nase
zu und geht eilig seiner Wege.
Ich ging meiner Wege, ging auch eilig und
ich ging allein. Ein, zwei Mal vielleicht rümpfte ich noch die Nase,
schüttelte meinen Kopf, blähte die Wangen auf und stieß
eine Wolke Luft vor mich hin : puuhh. Leider kreuzte just in jenem Moment
ein Bekannter meinen Weg, der nicht an sich halten konnte, die ewig-gleiche
Grußfrage zu stellen. Dennoch kam ich seiner Aufforderung gern nach,
überging langweilige Grundübel und holte, da ihm, wie er versicherte,
seine Zeit ohnehin lang sei, weit aus. Der erste Teil des letzthin durchaus
wesenlosen Vorfalls liege schon Wochen zurück. Allein mangelnde Ablenkung
und ein ärgerlich zweiter Teil hielten mir seinen Ruch in der Nase.
Ich erzählte, sprach von dem vorlenzlichen
Morgen, von meinen Schritten auf Asphalt im Wind. Bis ich eingekehrt sei
in ein Antiquariat, um zwischen Büchern und flauscher Leere vor dem
Geleit schaler Wahrheiten ein Stündchen Ruhe zu finden. Auch einen
Becher Kaffee und dergleichen Annehmliches hoffte ich zu ergattern. Kaum
aber hatte ich die herbe Frühwelt von mir abgeschüttelt, öffnete
erneut sich die Tür und eine überflüssige Woge kalter Luft
wehte einen großen Hund herein, von kleinem Mädchen gefolgt.
Die Stille dahin; weil der Hund artig war und nicht stank, tätschelte
ich ihm den Kopf. Das Mädchen begann zwar leise, aber ganz hemmungslos
draufloszuplappern. Etwas maulig, flüßtrig, selbstgewiß.
Ach ... hier wollte Überdruß
mich zwingen, die Geschichte mit einer Geste abzubrechen, doch mein Zuhörer,
da ihm bang wurde vor seiner hohlen Zeit, hielt mich an, fortzufahren.
Ach, meine Kinnlade weichte, lockerte sich
mehr mit jedem ihrer Worte, ein Zwang zu schielen zog in meine Augen ein
und meine Lider verweigerten gleichzeitiges Auf- und Zuklappen. Nach einwöchigem
Unterricht beispielshalber habe sich ihr das Wesen des Hebräischen
aufgetan. Auch verbreitete sie sich über einen Gott und etliche Demiania.
Ich bin nicht grundsätzlich Gegner rührend naiver Flausen, zumal
wenn sie von jungen Mädchen vorgetragen werden, aber ihr wispernd
aufgesetzter Ernst — in diesem Tonfall hat die Schwester Jeanne
des Anges ihre Besessenheiten kundgetan — zerrte an meinen Nerven
und zeugte krampfe Erlahmung. Nach Ladenschluß gingen wir selbdritt
durch einige Gassen gemeinsamen Weges ... ach ... wie sie trödelte,
stieren Blicks, daß man sie anschreien ... ach, was rede ich ...
ich hatte geglaubt, jede Einladung sei mir recht, so sie nur eine Tür
wäre meinem Allein. — Es war ein Irrtum. Sprach sie auch ihr
Einladen bestimmt in höflichster Absicht aus; ich konnte mich, trotz
allem, nicht entschließen, diese Tasse esoterischen Tees, würzig
abgerundet mit ihrem Dummgansgeschnatter anzunehmen.
Und heute, da das kleine Begebnis längst
vergessen sein könnte, trieb mir, so fuhr ich fort, ein Zufall diesen
ihren, nichteinmal an mich gerichteten Brief vor die vermaledeit neugierigen
Augen. Da war mir doch, ich sei »ein Stein, in einen Brunnen geworfen,
so daß niemand ihn mehr herausholen kann«. Noch viel bedingungsloser
muß man sich abschirmen, um bewahrt zu sein vor solchen Dämlichkeiten.
Mein Bekannter aber wollte sich schier ausschütten vor Lachen, als
ich erinnerte Fetzen des Briefes vortrug. Ich blieb ernst, murmelte etwas
von Schwachsinn und bitteren Grenzen des Humors, segnete still die schützende
Einsamkeit ... als
ER : Das ist doch sehr schön ! Selig,
der bekannte alte Hut, die da bedürftig sind in ihrem Geiste, —
denn ihrer ist ein Himmelreich ! In ihren Köpfen ist viel Platz !
Ein frisch umgebrochener, karger, brauner Acker. Kein Mensch erträgt
soviel brünstige Leere. Und Giersch gedeiht eben leichter als Rosen;
der kommt von allein und bedarf keiner Pflege. So wächst im Hirn
einer trägen, verwöhnten Göre das, was der Wind ihr zuträgt.
Und kommt sie ein Drang an, ihr Erdendasein irgendwie zu untermauern,
so möchte sie sich nicht mit anstrengenden Fragen quälen und
schon garnicht mit dem Blick in duffe Schluchten. Flugs ernennt sie ihren
Gierschacker zum Paradiesrasen. In dessen Mitte setzt sie einen hausbackenen
Gott; dem hängt sie ein Mäntelchen um und nennt es Wahrheit
aufs Geratewohl. Um ihn herum drapiert sie in Sandkastenmanier einige,
am Weg aufgelesene Begriffe, die ihr vage als ihrem Gott angemessen erscheinen.
Kurz, sie begibt sich an den »Rand des Verstandes« und »fängt
sicherlich an zu beten«; oft und gern erzählt sie von ihrem
Glauben, ihrem Gotte. Das festigt diese Dinge sehr : worüber man
schon spricht, darüber braucht nicht mehr gedacht zu werden. Was
ist zuerst da ? der Glaube, die Demut, oder der Hochmut der gläubig
Demütigen, denen Gott, ihr Lehrer, Dinge auftut, von denen wir
nicht einmal zu träumen wagen ?
ICH : Und das würde mich interessieren,
was das für Dinge sind !
ER : Man unterlasse es tunlichst, nachzufragen.
Es sind große Dinge, heilige, die Privilegien der Eingeweihten.
Ein Verblendeter kann auf solche Fragen nur verklärt wissendes Lächeln
ernten. Und junge, kluge Gerechte und Demütige haben es
nicht nötig, sich dergleichen zu fragen. Sie werden zur Wahrheit
gelangen, Punkt.
ICH : Jaja ! Wie wütend es macht, daß
dieses Gewäsch so schief nur angreifbar ist ! Man möchte sich
auf den Kopf stellen ... ach, links und rechts möchte ich der welche
...
ER : Na, na. Ausgerechnet Ladislaus Boros,
der Theologe, hatte recht, als er schrieb : »Der Mensch kann sagen
: Es tut weh, aber im Grunde zählt es nicht« Es geht uns nichts
an. Warum den Erleuchteten ihre Seligkeit vergällen ? Man könnte
uns, die wir ihrer nicht teilhaftig sind, Neid unterstellen. Wir tun gut
daran, eilig unserer Wege zu gehen, notfalls mit zugehaltener Nase.
Also trachte, wes´ Nerven den Demütigen
und Gerechten nicht gewachsen sind, sich ihnen zu entziehen, gleich stillem
Kiesel in Brunnens Schlummergrund. Aber auf lange Sicht ist selbst das
vergebens, denn
DIE GERECHTIGKEIT WIRD SIEGEN. —
WEIL SIE ZUR WAHRHEIT FÜHRT .
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