Koslowski, l´ami
du peuple ?
Prof. Giambatista Raffaello Giotto,
Bologna
Koslowski
ein Kommunard, ein homme des terreurs, ein Mann der Schnellfeuerwaffe
und nicht allein des Bärentöters, ein Mann des Sprengstoffs
in Schließfächern, des Strychnins in obergärigem Bier
und Thomy-Senf ? Koslowski vermummt1
? Nein, eine sinnlose Legende. Koslowski war Zeit seines Lebens nur einmal
in einer deutschen Bank gewesen 2.
Gemeinhin war er in den Tempeln des Mammons
(Koslowski) nicht gelitten und, weil er gerecht war, vergalt ers
den ungerechten Zinsnehmern (Koslowski; nur wenig anders Jesus
Nazareth) und zahlte ihnen mit gleicher Münze heim und litt sie auch
nicht3.
Koslowski war der Mann des blutenden Herzens4
und der Schrammen am Knie, wenn es um die Belange der leidenden und entehrten
Menschheit ging5,
ein Mann mit Sinn für theoretische Konzepte, einer, der im selben
Atemzug, in dem er auf Klorollen oder requiriertem Bütten wegweisende
Thesen und Strategiepapiere verfaßte, fähig gewesen wäre,
einer gestrauchelten Amsel den Flügel zu schienen und ihr Trill zu
reichen und geröstete Ameisen. Und ein wortgewaltiger Mann. Poemmacherei,
wie Koslowski sein Metier bescheiden selbst nannte, unter Bezugnahme auf
seine handwerklichen Wurzeln, die er bei seinem Vater hatte, der ja Schneidbrenner
gewesen war, heute aber nur noch gelegentlich praktiziert.
Koslowski war kein Beau, dafür aber
begabt mit einem geradezu arabischen Skeptizismus. Kämpferische Erfahrungen
sammelte er im kanadischen Exil beim Verschieben von Konterbande, dort
entwickelte er auch seine subversiven Neigungen, trieb sich gern auf den
Bahnhöfen der Metropolen herum, observierte leidenschaftlich Hühner
und Aufsichtsräte und sang Rule Britannia. Hühnerdiebstahl,
Exhibitionismus, Bombenlegerei konnten ihm die Mounties nie nachweisen6,
allerdings nährten die laienhaften staatlichen Repressalien7
seinen Haß auf alles Staatliche. Koslowski nämlich war der
geborene Perfektionist8.
Nachdem er Januar 45 in Lumbana/Can. Lungenpest, Fleckfieber und Milzbrand
überstanden hatte und auch noch glücklich einem Erdloch, in
dem er steckengeblieben, entronnen war, fühlte er sich, als hätte
er den Ritterschlag vom Apriori bekommen, als hätte er eine Botschaft
für die Welt. Und er hatte und so trat er vor sie hin. Ja, Koslowski
war der Alte vom Berg, die graue Eminenz im
Hintergrund, das Hirn des Irischen Frühlings9
— und er war qualifiziert. Koslowski ging Schulter an Schulter mit
Sudermann und Majakowski, teils im Geiste, teils ausgedacht, teils geträumt10.
Träume und tue, das ist das Motto meines Lebens, wie Koslowski
einmal freimütig in einem Interview mit der delmenhorster Schülerzeitung
Locus kundtat11.
Koslowski ist tot, sozusagen ein klassischer
homo extinctus. Als solcher steht er stellvertretend für
jeden Menschen, der sterben mußte. Aber Koslowski war kein klassischer
homo extinctor — er war homo creator und als solcher
hat er vor der Geschichte, in unsren Herzen und unsren Köpfen überlebt.
Wir Hinterbliebenen können uns nicht zum Richter eines Dichters aufschwingen,
der sich auf alle Höhen des Parnaß schwang, 23 Jahre nach dem
Deutschen Sommer, 23 Jahre, nachdem deutsche
Behörden die Ermittlungen im Todesfall Koslowski nicht einmal aufgenommen
haben und die Leiche achtlos auf den Schindanger getan wurde. War es ein
Irrweg ? Heißt es nicht bei Schopenhauer, der mit Koslowski übrigens
die Einsicht in die Tiefe menschlichen Elends teilt, die Größe
eines Mannes erkenne man an der Größe seiner Irrtümer
? Dabei irrte Koslowski nicht mal, wenn er in seiner iprumper Stammtanke
der Nachttenderin darlegte, die Expropriation der Expropriateure stünde
unmittelbar bevor, Thyssen schwanke schon, die Fehlzeiten der Belegschaft
stiege ex ponentiell mit den erweiterten Öffnungszeiten der Boulettenbuden.
Koslowski wollte wirken, er liebte die Menschen, diese köstliche
Rasse, die es fertiggebracht hatte, Schnaps zu erdestillieren, Natur im
Einklang mit der Natur zu vollenden und zu übertreffen12.
Bei all seiner geistigen Überlegenheit war Koslowski der beste Freund,
den das Volk sich wünschen konnte. Er glaubte an das Gute in ihm
und im Menschen. Koslowski war ein Mann von gewaltiger Statur13,
ein Mann, der polarisierte, der Streit nicht schuf, aber ihn liebte und
ihm nicht aus dem Weg ging, sei es unterm Maibaum vorm Dorfkrug oder in
der hitzigen Atmosphäre politischer Debattierclubs14,
wo er unter Einsatz modernster technischer Mittel15
mit Männern vom Range Dutschkes, Rabehls und Wissmanns rang, überzeugende
Siege davontrug und auch keinen Internationalen Frühschoppen
ausließ, trotz daß er arge Bedenken gegen Werner Höfers
Rolle im Dritten Reich hegte, was in Koslowski aber nur die Regung weckte,
beständig darauf hinzuweisen16.
Ein Mann, der konsequent bittere Wege beinah zu Ende ging, der Freunde
verlor, weil ihm Wahrheit und unbeschmutzte Gesinnung wichtiger waren
oder weil er vor lauter Engagement wieder mal nicht das Kleingeld hatte,
sich ein Ticket zu kaufen, die Freunde zu besuchen, rechte Wege zu weisen
und die Freundschaft zu pflegen17.
Kurz nach seinem Tod hätte sich Koslowski vielleicht vom Irischen
Frühling abwenden wollen, nachdem er noch zu Lebzeiten dessen
unheilvolle Verstrickung in die Machenschaften Kaiser Bokassas entdecken
mußte und gleichzeitig festzustellen gezwungen war, daß die
Reichsbahn schon wieder die Fahrpreise angezogen hatte. So kam es nie
zur klärenden Aussprache : auf dem Weg zum Bahnsteig hätte Koslowski
zwar eine Fahrkarte lösen können, geriet dann aber mit dem leger
getragenen Parka in die Fänge des Gepäcktransportbandes, verletzte
sich und dann starb er denn auch noch. Das hatte Koslowski nicht gewollt18.
Prophet Koslowski ? Eher ein kühler
Rechner mit kräftigem Karabiner, der voraussah, daß, wann immer
eine politische Aktion durchgeführt werden solle, man, wie er oft
und gern sagte, immer diplomatisch und konzertant vorgehen müsse.
Dennoch sei es, so Koslowski im Freundeskreis der Gruppe 48, gewiß
nützlich, stets eine Uzi dabei zu haben, um aus guten Argumentationen
nötigenfalls bessere19
zu haben.
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1
Außer bei der legendären 72´er Demo für eine auto-
staub- und regenberuhigte delmenhorster City, bei der Koslowski einen
Mundschutz trug. Aber das hatte andere, Bazillengründe. Hygienisch-rückhaltlose
Liebe zum Mitmenschen sprach sich allerdings auch hierin bereits aus weiter
im Text
2 Er fragte um ein
Rubbellos nach weiter im Text
3 Die Beschimpfung einer
Schalterdame der Oldenburger Landesbank als Tempelhure, Baalsdienerin,
Astarte, Metze anläßlich Koslowskis Anfrage um ein Rubbellos
war ein einmaliges Vorkommnis und erregte neben öffentlichem Ärgernis
auch noch Koslowskis ehrliches Bedauern. Koslowski sprach seine Entschuldigung
an die Tempelhure, Baalsdienerin, Astarte, Metze in einem
Leserbrief an das Delmenhorster Kreisblatt aus und brachte eine
famose Sammlung von Plausibilitäten und anderen Gründen,
warum es mir schlecht ging vor. Kollegenschelte ist nicht eines Zunftbruders
Ding und auch ein Semiotikprofessor aus Bologna weiß um die Schwierigkeiten
der Leserbriefe. Aber wenn die führende Stimme des Jahrhunderts sich
zu Wort meldet ! Ein Rarissimum wie ein Koslowski-Leserbrief gehört
in jedem Fall gefeiert und nicht bis zum Nichtgedrucktwerden hin unverantwortlich
gekürzt weiter im Text
4 Außer Meister
Petzens Blut klebt keines an Koslowskis schwieligen Händen. Außer
sein eigenes von den Schnittwunden, wenn er sich von Ina lächelnd
zum Schnittlauchschneiden abkommandieren ließ weiter
im Text
5 Siehe Koslowski
Die Belange der leidenden und entehrten Menschheit, auch
den Bühnen gegenüber als Manuskript ungedruckt, Havanna-Iprump
1956-1963, 216 Seiten Typoskript weiter im
Text
6 Auch
den Dämlacks, den kanadischen Verlegern gelang es allerdings nicht,
mir Talent nachzuweisen — Koslowski, ironisierend weiter
im Text
7 Siehe Koslowskis
Verurteilung wegen Falschsingens. Die Akten sind vom Staatsgerichtshof
Vancouver bis heute nicht freigegeben. Wie Koslowski später in einem
Gespräch mit Attila von Wieder, der Anekdoten aus seiner Zeit als
Lagerkommandant referierte und Pläne schmiedete über den künftigen
Aufenthaltsort der jetzigen Kabinettsmitglieder, freimütig bekannte,
gedachte er beim Absitzen der drakonischen drei Wochen Karzer seines Leidensgenossen
Oscar Wilde (hier horchte Richard Knospe auf, der sich gerade von Heiner
die Fußnägel lackieren ließ) und verfaßte spontan
einen Brief aus dem Zuchthaus, der leider bei der Überfahrt
verloren gegangen sei. Das vierzeilige Widmungsgedicht an Oscar sei ihm
aber noch erinnerlich gewesen und hiermit mitgeteilt (Gedächtnisprotokoll
Heiner) :
O du, der du gleich mir hier sitzt
Und gleich mir in der Blüte deiner Jahre schwitzt
Der du gleich mir auf Gedeih und Verderbe reimst
Und manchmal gleich mir bittre Zähren greinst weiter
im Text
8
Siehe aus Koslowskis projektierter Aphorismensammlung Hinter den
sieben Bergen den Aphorismus : Nicht der Weg ist das Ziel,
nicht das Ziel der Weg, sonders beides ist der Plan weiter
im Text
9 Der Terminologie
der bürgerlich-reaktionären Medien, deren haltloser Versuch,
die propagandistische Kraft des Irischen Frühlings
durch die Schmähung Wieder-Anders-Bande einzudämmen,
natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt war, kann keine
ernstgemeinte wissenschaftliche Disziplin übernehmen weiter
im Text
10 Siehe Koslowski
Meine 100 schönsten Träume — verschollene Novellen.
Novellen (verschollen) weiter im
Text
11 Daß dann
der Zensur des Lehrerkollegiums zum Opfer fiel. Reporterin des Locus
war übrigens die junge Ina Gerken, die durch die unterdrückerischen
Maßnahmen der Beamtenseelen an der Willmsstraße endgültig
in die Illegalität getrieben wurde weiter
im Text
12 Darin
übrigens traf er sich mit Baudelaire. Nur, daß Koslowski niemals
Handschuhe trug. Die Debatte innerhalb des STA der WKGFFK, ob sich unter
diesem Aspekt das Emblem Handschuh (siehe diesen Boten S. 4)
rechtfertigen läßt, wird demnächst gesondert publiziert
weiter im Text
13 was die Vergeblichkeit
aller psychoanalytischen Nickligkeiten erklärt. Koslowski hatte nichts
zu kompensieren. Und wohl nur aus der ihm eigenen Bescheidenheit, die
ihn diskret seine Imposanz herunterspielen und dann nicht wahrnehmen ließ,
hielt er sich für zumutbar und entleibte sich nicht. Wer schreibt
uns die Theorie der Dekompensation ? weiter
im Text
14 im Dorfkrug
also weiter im Text
15 via Television
weiter im Text
16 Erst
Attila von Wieder konnte Koslowski in der Frage der Organisation
Todt beruhigen. Der Fritz, das war ein gebildeter, lebenslustiger
Akademiker, leider viel zu früh von uns gegangen sagte von Wieder.
Dann ist ja gut war Koslowski beruhigt weiter
im Text
17 Freundschaft,
das hohe Gut, will gepflegt sein und ich ihr Gärtner —
von Richard Knospe überlieferte Selbstaussage Koslowskis weiter
im Text
18 Was
ich will : füreinander stehn — Koslowski, Kenner des Schlagers
und Herr der Argumente, hätte den theoretischen Dissenz zu einem
guten Ende geführt. Bokassa hat schwerwiegende strategische Fehler
begangen. Er hat einen schlechten Koch weiter
im Text
19 Siehe
Anmerkung 1 in Koslowski und von Wieder : zwei Könige des
königlichen Spiels
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