Nr. 1 lebt —
Das Interview
... und dann geschah das Unglaubliche.
Am Telephon der Redaktion des Salmoxisboten in jenem ölig-soziolektgefärbten
Tonfall, wie er nur einem einzigen Menschen auf der Erde eigen ist,
die Worte :
»Ja Potzteufel, kann man denn nicht
einmal in Ruhe tot sein ? Hier ist Koslowski, in Gottes Namen«
»Meister ?« fragte die Diensthabende
Botin bebend und bewegt. Durfte sie ihren Gefühlen nun freien
Lauf lassen oder mochte es sich etwa nur um einen üblen Scherz
handeln, verübt von der ruchlosen Delmenhorster Journaille ?
»Wir müssen uns treffen. Einiges
ist ins falsche Licht geraten und ich muß für kurze Zeit
wieder unter den Lebenden weilen. Aber strengstes Stillschweigen. Wir
wollen doch die Dinge ruhen lassen. Treffpunkt noch heute abend um 6
am McDrive an der BAB-Abfahrt Delmenhorst-Mitte«
Mit BSAG und Delbus war es kein Problem,
rechtzeitig um 6 Uhr am McDrive zu sein. Es dauerte auch nicht lange,
bis unter den bewundernden Blicken der sonst doch so dumpfen Delmenhorster
Jugend ein schwarzer Dodge-Van mit Breitreifen und getönten Fenstern
auf den Parkplatz rollte. Nationalitätenkennzeichen PY, was mag
das sein, dachten diese jungen, stumpfsinnigen Geschöpfe sicher.
Wir jedoch erkannten sowohl das Kennzeichen als auch den drahtigen Greis
auf dem Fahrersitz : Attila von Wieder, Held aller Kriege seit 1914,
Freund aller Diktatoren und Feind jeglichen Unrechts.
Die Schiebetür des Vans öffnete
sich elektrisch und die wohlbekannte Stimme tönte aus der ledernen
Sitzgruppe im Fond des Fahrzeuges, bei dem es sich offensichtlich um
ein ausgeklügeltes Wohn- und Konferenzmobil handelte. Wir kletterten
hinein und saßen ihm gegenüber. Ihm, Waldemar Koslowski,
unserem totgeglaubten Meister. Er sah gut aus, keinen Tag älter
als 60 hätte man ihn schätzen mögen. Taubengrauer Flanell,
weinrote Seide, weißer crêpe de chine ... auf einen Zuruf
Koslowskis setzte sich der schwere Wagen fast lautlos in Bewegung. Aus
den unzähligen wattstarken Lautsprechern plätscherte The
Girl from Ipanema von João und Astrud Gilberto.
WK : »Wir werden
besser im Fahren reden, es ist sicherer ... ich denke, ich bin euch
eine Erklärung schuldig ...«
SB : »Aber iwo,
keineswegs, mitnichten !«
WK : »... nachdem
ich beschlossen hatte, Delmenhorst für immer zu verlassen, dachte
ich mir natürlich : wie bewerkstellige ich das ?«
Draußen fegte die verregnete Landschaft
vorbei — auf einen Knopfdruck drehten sich die Lamellen der Vorhänge
und sachte gingen verschiedene sanft getönte Lichter im samtenen
Himmel des Fahrzeuges an.
WK : »Heiner sah
also eines Tages, wie irgendein Schwein, wahrscheinlich von den Bullen,
Ina beim Waschen zuguckte. Mit einem Fernglas. Attila fragte, nachdem
ich davon erfahren hatte, ob er dem Jungen nur die Arme brechen oder
ob er ihm richtig wehtun solle. Ich meinte, nein, das machen
wir ganz anders. Daß der Typ weg muß, ist klar. Wir sind
schließlich, wenn man so will, die Köpfe einer Terrorbande
und können keine Beobachtung, möge sie in diesem Fall auch
nur der Minne dienen, gebrauchen. Na ja, eines Tages schnappten wir
ihn und wollten, nachdem wir noch in aller Freundschaft einige Glas
mit ihm getrunken hatten, ihn mit meiner Dax nach Huchting schicken
— nach mehr Bier. Nun, und auf dem Wege scheint er verunglückt
zu sein. Und da man ihn für mich hielt (denn mein Aussehen war
in Delmenhorst nicht sehr bekannt — ich pflegte, wie ihr wißt,
stets falsche Bärte, Toupets und dergleichen zu tragen), war es
für mich und Attila ein Kinderspiel, das Land zu verlassen und
in wärmeren Gefilden als ausgerechnet Iprump zu siedeln«
SB : »Wo wart Ihr
während der über 23 Jahre, die seit Eurem Tode vergangen sind,
Meister ?«
WK : »Oh, wir waren
eigentlich fast überall. Dann natürlich auf Kuba, das sogar
bis vor einigen Wochen, als uns Karol besuchen kam«
SB : »Karol ? Der
Papst kam Euch besuchen, Meister ? Nicht Fidel ?«
WK : »Doch, Fidel
hat er auch getroffen. Ich gab ein Essen und bei der Gelegenheit trafen
sich die beiden. Schlecht war nur, daß man uns alle zusammen gesehen
hat«
SB : »Meister,
es scheinen Euch unbeschränkt Geldmittel zur Verfügung zu
stehen. Woher kommt das Vermögen, das Euch dieses jahrzehntelange
Versteckspiel erlaubte ? Weshalb gehört Ihr außerdem zum
geheimdiplomatischen Jet-Set, Ihr, die Ihr uns doch damals die Bescheidenheit
predigtet ?«
WK : »Ganz, ganz,
schlechte Frage. Nächste Frage«
SB : »Wann werden
wir die Große Kommentierte Mao-Konkordanz in den Händen
halten ?«
WK : »Kommt auf
euch an. Sie ist sehr teuer«
SB : »Ist sie fertig
?«
WK : »Ja«
SB : »Ist sie groß
?«
WK : »Hör
mal, Mädchen. Gegen die GKMK ist die Bibel ein Einkaufszettel und
das Werk Arno Schmidts eine flüchtige Notiz im Weggehen. Gegen
die GKMK ist die MEGA ein Reclambändchen und Lenins Werke gleichen
dem Telephonbuch von Delmenhorst«
Fortsetzung folgt 1
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1 Hier bricht
der Text ab, den Michalina dem Boten als Laserausdruck über die
unabgewaschenen Kaffeetassen gelegt hat. Der Bote wußte bisher
nicht, daß Michalina einen Begriff wie Das Unglaubliche
oder Worte wie Journaille, Nationalitätenkennzeichen oder
daß mit ß kennt. Und der Bote wäre
nicht der Bote, besäße er nicht exakteste Kenntnis der Charakterprofile
seiner Autoren, Leser und diensthabenden Praktikantinnen, allgegenwärtige
Vorabdrucke sozusagen der GKMK bezüglich seines eigenen Dunstkreises,
verfügte er nicht über mächtige, in höchstgesicherten
Archiven, ehemaligen Pilzplantagen in unbekannten Bergwerkstollen und
Bunkern gelagerte Dossiers, die er nach Belieben angucken könnte
und die zu warten, zu verbessern, auszuschreiben, auszumalen und zu
vergessen er überlegt, der immer diensthabenden und immer mehr
überforderten Schülerin Michalina K. aus Delmenhorst, amtierende
Miß Germany — in der Version der Miß Germany Corporation
Oldenburg (sic !) — eine zweite Kraft an die Seite zu stellen.
Michalina ist eine wunderbare Diensthabende und Kaffeeköchin, und
ihr Butterkuchen wird sogar in Findorff gerühmt. Als Journalistin,
vielmehr knallharte Rechercheurin gar, ist sie uns allerdings nicht
im eigentlichen Sinne geheuer. Warum war sie betrunken bei ihrer Rückkehr
von diesem angeblichen Interview ? Und warum unberührt, obwohl
angeblich im selben Auto wie Attila von Wieder ? Und war Koslowski,
alter Freund sowohl Heitor Villa Lobos´ wie auch Attila Zollers,
nicht unerbittlicher Kritiker der Musik aller Gilbertos ? Nicht so Fräulein
K., die in dem Zimmer, das sie bei ihren Eltern bewohnt, eine Fototapete
mit Palmen und Sand und Kokosnüssen anguckt. Wir wissen auch das.
Wir bitten das alles zu bedenken und bleiben gewohnt skeptisch.
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